Die Buchhandlung und der Bierschank von nebenan

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Antifaschistischer Advent

Die Buchhandlung und der Bierschank von nebenan

Über einen längeren Zeitraum haben wir überlegt, diskutiert, aber über einen noch längerem Zeitraum haben wir beobachtet und zugeschaut. Inspiriert von den vorangegangenen Aktionen der letzten Wochen haben wir uns dazu entschieden selbst etwas zu starten und uns so in den antifaschistischen Advent einzureihen. Wir haben dafür keine offensichtliche Fascho-Infrastruktur gewählt, sondern uns mit der Frage der Radikalisierung beschäftigt.

Wie, wo und wann sich Menschen zu Faschist*innen radikalisieren, lässt sich nicht allgemeingültig beantworten. Klar ist, die rechtsextreme Musik- und Kampfsportszene liefert einen großen Beitrag dazu. Doch ist das noch längst nicht alles, obgleich das oft so scheint: Vor allem hier in Wien und Österreich tummelt sich viel in den berüchtigten Kellerlokalen und den nur scheinbar traditionalistisch angehauchten Wirtshäusern. Im Falle unserer Intervention ist es im ersten Fall der "unscheinbare" Buchhändler von nebenan.

Unscheinbar ist hier jedoch relativ. Über längere Zeit konnten wir die wechselnde Auslage beobachten. Illustre Persönlichkieten wie der Shoah-Leugner David Irving oder Protagonisten der Identitären Bewegung liegen hier offen auf und werden aktiv beworben. Auch Literatur von Georg Immanuel Nagel, der im Rahmen dieser Aktionswochen bereits Erwähnung fand, wird hier vertrieben. In Gesprächen mit anderen Buchhandlungen wurde uns mitgeteilt, dass der Umstand, dass hier offen rechtsextreme Literatur vertrieben wird, bereits hinlänglich bekannt ist, bürgerliche Initiativen bis jetzt aber noch immer gescheitert sind.

Das Scheitern dieser Initiativen mag unterschiedlich Gründe haben, die institutionelle Festigung einer radikalen Propagandavertriebsstelle für neonazistisches Gedankengut ist allerdings in keiner Weise hinnehmbar. Während vor einiger Zeit die Kooperation mit dem offen rechtsextremen, steirischen Ares Verlag noch offen in der Auslage ausgewiesen worden ist, sieht der Eigentümer davon nun ab. Allerdings spricht der eigene, unkommentierte Menüpunkt des Onlineshops Bände. Auch die Homepage des Ares Verlags weist die Buchhandlung Stöhr als aktiven Vertriebspartner aus - dort findet sich, was Rang und Namen im intellektuellen Spektrum des zeitgenössischen Rechtsextremismus hat (alles sofort verfügbar in der Buchhandlung!).

Am Ende dieses Texts findet ihr einen Ausschnitt der Waren, die sich über diese Buchhandlung offiziell beziehen lassen.Das Spektrum reicht von Shoah-Leugnung und -Verharmlosung über ultra-rassistische Hasspamphleten, virulenten Antisemitismus, fundamentalem Antifeminismus, Covid-19-Leugnung und Textmaterial der Identitären Bewegung hin zu Pamphleten namhafter FPÖ-Politiker*innen. Die Buchhandlung Stöhr dient also nicht nur Faschos mit gezielt fehlgeleitetem Geschichtsverständnis als idealer Anlaufpunkt, sondern bietet auch moderat rechts-orientierten Menschen einen schleichenden bis offenen Zugang zu rechtsextremem Gedankengut.
Dabei ist besonders auffällig: Stöhr orientiert sich bei der Wahl der Auslage an momentan relevanten Themen. So zeigt diese aktuell vor allem Werke, die die Existenz der Covid-19 Pandemie und des Virus' selbst bezweifeln, um stattdessen antisemitisch motivierte Verschwörungsmythen zu verbreiten („Pandemie – Gefährdet eine Suche die Welt?“, „Corona Fehlalarm? Zahlen, Daten und Hintergründe“, „Gesundheitsdiktatur – Bill Gates Angriff auf die Demokratie“).
Setzt sich ein Mensch vielleicht bereits unter einer rechten Grund-Perspektive zweifelnd mit den Maßnahmen der Regierung zum Zweck der Eindämmung des Virus auseinander, so kann es in diesem Laden leicht passieren, dass - anfangs vielleicht sogar unbewusst - sich ein Drift ab in einen Bereich irrationalen Wahns einstellt.

Damit aber selbst der härteste Vollnazi in der Buchhandlug Stöhr noch etwas findet und nicht nach NS-Devotionalien hungern muss, gibt es noch einige „dekorative“ Gegenstände im Onlineshop zu erwerben (siehe hier: https://www.buchhandlung-stoehr.at/kategorie-shop/buchshop/schilde-und-s...).

Während die Buchhandlung Stöhr die Radikalisierung unterstützt, indem sie ideologischen Nährboden zugänglich macht, spielt Heinz Pollischansky eine andere Rolle im Radikalisierungsprozess. Pollischansky ist der Betreiber der „Centimeter“ Gastrokette und der Stiegl-Ambulanz in Wien. Seit Jahren stellt er rechtsextremen Burschenschaften und vor allem Kadern der Identitären Bewegung wissentlich seine Räumlichkeiten zur Verfügung (ideal gelegen in der Nähe von einem Dutzend Burschibuden in der Josefstadt zwei Gassen weiter). Faschist*innen sämtlicher ideologischer Ausprägung diskutieren hier, planen Aktionen, oder feiern, was für sie noch zu feiern ist.
Die österreichische, patriarchale Saufkultur ist dabei der perfekte Anknüpfungspunkt, um die unterirdische Literatur Stöhrs nun auch noch zu diskutieren und die Radikalisierung nach dem sechsten Humpen anzufeuern.

Wir haben uns dazu entschieden, ein Zeichen gegen diese Umtriebe zu setzen und aufzuzeigen, dass Nazis, Faschist*innen, Antifeminist*innen und Antisemit*innen nicht vom Himmel fallen, sondern über unterschiedlichste Wege radikalisiert werden können. Für solche Szenarien wollten wir einen möglichen Weg aufzeigen. Für uns gilt es, Nazis nicht erst zu bekämpfen, wenn sie bereits welche sind, sondern ihnen bereits die Grundlage für Radikalisierung zu entziehen.
Seht euch um, achtet auf Propaganda und lasst sie verschwinden. Der Advent ist noch lang, reiht auch ihr euch ein!

Anm.: Die die Faschos im 8. Bezirk gut vernetzt sind, waren sie auch dieses Mal sehr beeilt, ihre Fassaden von den entlarvenden Tags zu befreien. Deshalb haben wir sie hier nochmals für euch: „Nazibuden zerschlagen!“ und „Keinen Platz für Nazi-Propaganda!“. 

Trigger-Warnung: Rechtsextreme Sprache und Inhalte, Antifeministischen Ressentiments, Trans- und Homophobie, Antisemitismus, Shoah-Verharmlosung, offener Rassismus

Beilage: Hier ein Ausschnitt an Waren, die über die Buchhandlung Stöhr vertrieben werden (unregelmäßig zitiert, weil nicht immer klar ist, welcher Verlag:

Bieberstein, Johannes R. v.: Schwulenkult und feministischer Geschlechterkampf. Wie der 'sex-positive' Geschlechterkrieg Kirche und Gesellschaft verändert. Graz: Ares Verlag, 2015.

Bräuninger, Werner: Dux. Mussolini oder der Wille zur Macht. Graz: Ares Verlag, 2017.

Golowitsch, Helmut: Südtirol. Opfer politischer Erpressung, Graz: Leopold Stocker Verlag, 2019, (Anm. Titelbild zeigt Verherrlichung des rechtsextremen BAS-Militanten Georg Klotz).

Graf, Martin: Abgerechnet wird zum Schluss. Politik zwischen Wahrheit und Wirklichkeit. Graz: Ares Verlag, 2013.

Hudal, Alois C.: Römische Tagebücher. Lebensbeichte eines alten Bischofs. Graz: Ares Verlag, 2018, (Anm. Hudal war ein Vordenker der Verbidnung zwischen katholischer Kirche und dem Nationalsozialismus.)

Höbelt, Lothar: Die Heimwehren und die österreichische Politik 1927-1936. Graz: Ares Verlag, 2016, (Anm. Höbelt ist bekannt für seine Nähe zu NS-Verherrlichung im Geiste Irvings)

Irving, David: Görings Geheimdienst. Das 'Forschungsmat' im Dritten Reich. Kiel: Arndt, Jahr unbekannt, (Anm.: Der Arndt Verlag gehört dem bekennenden Neonazi Dietmar Munier.)

Lichtmesz, Martin: Kann nur ein Gott uns retten? Schnellroda: Verlag Antaios, 2014.

Mäder, Werner: Die Zerstörung des Nationalstaates aus dem Geist des Multikulturalismus. Graz: Ares Verlag, 2015.

Nagel, Georg I.: Die Auflösung. Wie Ideologien der Zersetzung Europa vernichten. Chemnitz: Blaue Narzisse, 2016, (Anm. Nagel war Gründer der Pegida-Österreich)

Pust, Ingomar: Österreich im Feuer. Tragödie der Tapferkeit 1939-1945. Graz: Ares Verlag, 2013.

Ringel, Julius: Hurra die Gams. Ein Gedenkbuch für die Soldaten der 5. Gebirgsdivision. Graz: Stocker Verlag, 1958, (Anm. Ringel war Generalmajor der deutschen Wehrmacht und kämpfte fanatisch bis zum Ende NS-Deutschlands 1945).

Schleyer, Alex: Defend Europe. Eine Aktion an der Grenze. Schnellroda: Verlag Antaios, 2018, (Anm. Schleyer, Mitglied der IBÖ, war selbst auf der menschenverachtenden „Mission“ im Mittelmeer anwesend)

Völkner, Werner: Mit der Waffen-SS über Europas Flüsse. Vom Rhein über den Dnjepr an die Themse. Ort, Verlag unbekannt, 2019, (Anm. Schon in der Beschreibung wir die Tapferkeit der Totenkopf-SS an der "Ostfront" verherrlicht, der Autor selbst schreibt hier autobiografisch.)

Weinstein, Lew: Hatschi Bratschis Luftballon.

----: Sportliches Schießen mit Faustfeuerwaffen. Hg. v. Dt. Schützenbund, 1972.

Devotionalien:

Soldatensender Oslo: Heimat, deine Sterne. CD.

Willrich, Wolfgang: Kalender Soldatenköpfe 2021.

Diverse Patches im Stile der NS-Wehrmacht, siehe Website, alle in Fraktur.

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