Gedanken zur Erweiterung bestimmter militanter Praxen für den Hamburger Raum.

Inspiriert wurde dieser Text durch die Aktion einer Gruppe, die am 4. November
im Schatten der Solidemo für die „drei von der Parkbank“, bezüglich der am nächsten Tag folgendem Urteilsverkündung, eine Reifenbarri errichtet und einen Klamottenladen für Reiche gesmasht hat.
Da die Aktion von außerhalb nahe zu gar keine Aufmerksamkeit bekommen hat, soll hier noch einmal extern auf die Schönheit und den eigentlich großen Gehalt einer brennenden Barrikade geschrieben werden, sowie kleine Anregungen und Perspektiven im lokalen Bereich genannt werden.
Kritik und/oder Antworttexte sind gerne gesehen.

Speziell für Hamburg ist eine weitere inhaltliche und ergänzende fortführende Auseinandersetzung mit der militanten Praxis in Form vom Spontikonzept wichtig.

Seit der Bekanntmachung des Gipfelstandortes Hamburg im Jahr 2016 wurde gefühlt wöchentlich von brennenden Autos und zertrümmertem Glas in Zeitungen und alternativen Medien geschrieben. Eine Energie, die sich selbst vorantrug und sich aufbaute. Die Stärke einer gemeinsamen Kampagne war auf wunderbare Weise zu sehen. Die Bestätigung, dass sie am richtigen Punkt traf, waren im ganzen Stadtgebiet eingezäunte und durch Stacheldraht gesicherte Bullenwachen.
Die Kampagne endete erwartungsgemäß in einem riesigen Knall im Juli 2017.
Dass es aber nicht möglich war die kollektive Energie, die sich ja eben nicht nur in einem Krawall der gemeinsam gestaltet wurde, sondern auch durch die unbekannten Gruppen, die fast ein Jahr in Affinität zu einander durch Sachschaden und Sabotage kommuniziert haben, gereicht hat um die logischerweise darauf folgende und absehbare Repressionswelle zu tragen bzw. abzuwehren hat sich dann doch relativ eindeutig gezeigt. Das Ergebnis war ein Loch in das die subversive Praxis in Hamburg fiel. Die Erschöpfung und der Druck der vergangenen Monate setzte ein und verwandelte sich langsam in die so genannte Gipfelstarre.
Als dann europaweite Razzien die Menschen heimsuchten, denen der Vorwurf der Beteiligung an schweren Straftaten im Zusammenhang mit dem Gipfel gemacht wurden und zeitgleich die Bullenpresse hunderte Bilder von Menschen, die eben diese Straftaten begangen haben sollen, veröffentlichte, um zu vermitteln „wir vergessen nicht und wir kriegen euch alle“, schien der Ofen erst einmal aus zu sein.
Lediglich kleinere Aktionen grüßten die Gefangenen der Revolte.
Als dann im Sommer 2019 die drei Anarchist*innen auf einer Parkbank in Eimsbüttel mit Brandsätzen von Bullen gepackt wurden, schleuderte der Repressionsapparat wohl so manchen subversiven Gedanken an die Wand. Es war schnell klar das längere Haft drohen würde. Und somit erhielt das Thema Knast nicht nur im Zusammenhang von Krawallen Präsenz, sondern verfestigte sich auch im Zusammenhang mit nächtlicher Aktionen. Weil die Sicherheitsorgane nun endlich mal einen kleine Gruppe dingfest machen konnte war es klar, dass diese drei nun als politisches Signal herhalten mussten. Und auch dieses Signal ging mit Sicherheit nicht spurlos vorüber.
Erst als gefühlt hundert (oft sehr schöne) Solifotos auf indymedia hochgeladen wurden, formierte sich auch so langsam die Solidarität auf der Straße. Und auch in Hamburg wo der Schreck der Festnahmen wohl am tiefsten saß, ging hier und da mal was zu Bruch oder in Flammen auf.

Auffällig ist jedoch, dass der Widerstand gegen das Knastsystem sich zumindest in Hamburg auf Öffentlichkeitsarbeit z.B. Plakate, Sticker und einige wenige angemeldete Demos beschränkte. Die Knastkundgebungen zu jedem Prozesstag bewiesen eine große Ausdauer. Und auch die Solidarität vor dem Knast sowie in Form von Briefen im Knast hatten bestimmt einen positiven Effekt und haben den Gefangenen viel Kraft gegeben. Die militante Kampagne „für die drei von der Parkbank“ war geboren. Im ganzen Land und teilweise darüber hinaus gingen Autos in Flammen auf und Scheiben zu Bruch. Und auch die militanten Handlungen gegen Knastprofiteure, von denen es in Hamburg auch immerhin einige gibt, haben zumindest dafür gesorgt den Gefangenen ein Lächeln auf die Lippen zu zaubern. Und allein das ist es ja schon was wert.

Doch bleibt bei diesen zwei Säulen der Solidaritätsarbeit die Frage nach einer Weiteren - nämlich der des kollektiven Ausbruchs auf der Straße. Die Verbindung zwischen Freund*innen und solidarischen Menschen, die einen unkontrollierten Augenblick im öffentlichen Raum schaffen.
Ohne zu sehr ins Taktische zu rutschen sollen hier ein paar Gedanken zu eben solchen Momenten geteilt werden mit einem lokalen Bezug auf Hamburg. Um einigen Unentschlossenen und Ängstlichen einen Antrieb zu geben.
Die eine oben zuerst beschriebene Säule befindet sich auf dem legalen Boden der Möglichkeiten. Sich an diesen zu beteiligen ist gut, aber die alte Frage nach einer emanzipatorischen Perspektive ist bis heute nicht geklärt. Klar aber ist, dass es die Formen des Staates sind, in denen hier protestiert wird. Wie hoch die Wahrscheinlichkeit bzw. wie schwer es ist aus eben diesen Formen heraus so zu agieren, dass eine Veränderung der Verhältnisse greifbar scheint, muss Mensch mit sich selbst ausmachen. Dennoch bieten Demos und Kundgebungen einen Anlaufpunkt für Interessierte. Sie schaffen Orte zum treffen und sind öffentliche Stimme des Kampfes.
Alle die, denen das Mitwirken bei einer Demonstration aus verschiedensten Gründen nicht zusagt bzw. vielleicht auch nicht reicht, zieht es vielleicht eher in die Nacht und zu einer anderen Säule der Antiknastarbeit. Die militante Handlung gegen Profiteure und Verantwortliche. Sabotage und Sachschaden sind einige der klarsten aktiven Angriffe gegen ihr System der Haft. Nur leider muss viel zu oft festgestellt werden, dass die Präsenz und Öffentlichkeit von abgebrannten Autos denen unterliegt, die die Deutungshoheit über die Stadt und was in ihr passiert haben. Und das sind in der Regel die Bullen. Wenn es ihnen politisch in den Kram passt, werden Aktionen in der Zeitung stehen. Wenn nicht, dann sind sie „nie geschehen“. Und das wird auch so lange so bleiben, so lange wir nicht in der Lage sind die Themen und damit verbunden Handlungen in einer Auflage oder einer Präsenz zu veröffentlichen wie sie es verdient haben.
So ist z.B. In der Woche der Urteilsverkündung am Dienstag ein Auto der „Strabag“ angezündet worden. Das hat es noch in die allgemeine Presse geschafft. Zwei weitere Angriffe auf ein Auto der Firma des Brandgutachters, der im Prozess eingesetzt werden sollte, sowie ein Auto einer Immobilienfirma, hat es im öffentlichen Auge nie gegeben.
Und so wundert es auch nicht, dass die Bullen am Tag der Demo ihren Bericht mit den Worten „friedlicher Verlauf“ beendeten.
Natürlich wissen sie, dass auf der Schanzenstraße Autoreifen brannten und Scheiben zerstört wurden.
Aber es passt ihnen besser in den Ablauf es für den objektiven Betrachter so aussehen zu lassen, als hätten sie alles unter Kontrolle. Menschen haben nicht die Möglichkeit sich an Feuer auf der Straße zu erfreuen und ein komplizenhaftes Schmunzeln über die kaputten Scheiben der verhassten Yuppieläden zu verlieren, wenn sie nichts davon wissen. Das hat den für sie positiven Nebeneffekt, dass kein Nährboden für Anknüpfung und Fortführung solcher Aktionen von anderen Menschen ausgeht und dass auch wir uns an solchen Taten nicht erfreuen können. Die Hamburger Polizei dürfte mit dem aktuellem Stand der militanten Entwicklungen in dieser Stadt sehr zufrieden sein. Denn das Eine geschieht in ihrem Rahmen und das Andere ist zumindest für das öffentliche Auge kaum wahrnehmbar.

Daher ein ergänzender Blick auf die kleine Aktion am Rande der Demo.
Eine möglicherweise wieder aufflammende dritte Säule der Solidarität und Handlungsfähigkeit innerhalb sozialer Konflikte.
Das sichtbare militante Auftreten als kollektiver Moment. Eine Sponti, eine wilde Kundgebung, die bei Eintreffen der Bullen beendet wird oder eben die gute alte Reifenbarri im laufenden Verkehr.
Leider die Säule, die in Hamburg am meisten gelitten hat und nahezu kaum mehr wahrnehmbar ist.
Das mag daran liegen, dass der Staat unmissverständlich klar gemacht hat, dass es durchaus möglich ist in den Knast zu gehen, nur weil mensch an einem bestimmten Ort war wo randaliert wurde. Der endlos wirkende Prozess und die lange Haftzeit Loics im Elbchausseeverfahren haben womöglich genau die tiefen Spuren im Gedächtnis vieler hinterlassen, die der Staat beabsichtigt hat zu hinterlassen.
Möglicherweise müssen bestimmte gemeinsame Handlungen erst wieder erlernt werden, wenn die Repression zu doll gewütet hat. Oder aber es ist mangelnde Motivation und die Flucht ins Private Schuld an der langen Durststrecke der Spontis in Hamburg. Vielleicht auch eine Füßehochlegenhaltung ala „ich hab genug getan“ der Älteren und eine parallel laufende Mangelkommunikation und -motivation an die Jüngeren um eben diese abzuholen. Am wahrscheinlichsten alles zusammen und das wohl auch nicht erst seit gestern. Das Produkt davon sehen wir jeden Tag, wenn wir nichts sehen.
Die kollektive Handlungsunfähigkeit ist auch deshalb gefährlich, weil je länger sie dauert sie sich leichter etabliert und es noch schwieriger wird sie zu verlassen. Wir gewöhnen uns an das, was gerade ist und das, obwohl die aktuelle Zeit mehr als genug Themen bietet gemeinsam auf der Straße zu agieren. Und jedes mal, wenn eine neue Schweinerei aufploppt, die die Herrschenden zu verantworten haben, sei es Moria, geräumte Häuser unserer Gefährt*innen auf der ganzen Welt, Freund*innen im Knast oder das alltägliche Zugrundegehen der Welt, haben wir uns daran gewöhnt das mensch auch da nicht zusammen gefunden hat und gemeinsam wütend war. Das hat Narben im lokalen Kollektiv hinterlassen, die wir sehen wenn wir uns beim gemeinsamen Aufregen über die Welt wortlos voneinander trennen.

Die Gründe, weshalb es wichtig ist das Spontikonzept bzw. ein anderes wildes Konzept in Hamburg wieder weiter auszubauen sind vielfältig und voller Vorteile.
Das gemeinsame auf der Straße außerhalb der kontrollierenden Regeln ist ein geeignetes Heilmittel, sollte mensch das Gefühl haben, die Kraft zum weitermachen zu verlieren. Auch bietet es ein kontra zum vereinsamen, denn jede*r kann sich anschließen (vorausgesetzt sie befindet sich in der Informationskette). Menschen, die vielleicht zur Schwelle der illegalen Handlung stehen, lassen sich leichter mitziehen, wenn sie die Möglichkeit haben immer mal wieder zu einem Thema wütend durch die Straßen zu ziehen.
Das spontane bzw. geplante bauen von Barries hat seit langem eine gewisse Tradition im anarchistischen Spektrum. Es ist maximale Aufmerksamkeit mit gepaarter Information durch flyern, sprühen oder aufgehängte Transparente (natürlich alles spurenfrei). Außerdem behält mensch dadurch, dass es meist eine statische Situation ist, noch etwas länger einen kontrollierten blick auf die Umgebung. Mit dem ersten ertönen der Sirenen kann sich entschieden werden in alle Richtungen zu verschwinden oder als Sponti weiter zu ziehen und - wo möglich - die Konfrontation einzugehen. Eine Voraussetzung für eine erfolgreiche Überraschung ist natürlich ein für die lokalen Zusammenhänge geeignetes Kommunikationsnetzwerk, das es schafft den Bullen nichts preiszugeben.
Erfolgreich umgesetzt zuletzt im deutschsprachigem Raum in Berlin am Tag der Liebigräumung und des Öfteren in der Vergangenheit. Auch in Leipzig-Connewitz z.B. gab es am 7.November eine Sponti in Solidarität mit der inhaftierten Antifaschistin Lina, die nach einiger Strecke in mehreren brennenden Barries endete. Anrückende Wasserwerfer konnten erst einmal gestoppt und Bullen angegriffen werden. Zahlen über Festnahmen sind nicht bekannt.
Das sind aufständische Momente, die abrufbar sind wann immer es die Teilnehmenden wollen.
Auf die Art wird natürlich immer noch „nur“ auf von den Herrschenden vorgegebene Themen reagiert, aber wir kommen zumindest der Wahl unserer Art zu kämpfen wieder etwas näher.
Auch in Chile, in Griechenland oder in Mexiko und an vielen anderen Orten der Welt ist das Anzünden von Reifen auf Straßen ein oft angewendetes Protestmittel. Somit kommt dieser etwas kurz gefasste Text zum Ende.

Möglicherweise bieten diese Gedanken einen kleinen Anstoß zur Weiterführung der Diskussion um dieses Thema. Und möglicherweise ist das Vorantreiben der gemeinsamen Praxis eine gute Stütze um mit der verblieben und immer wieder neu wachsenden Angst umzugehen.
Die Angst, die wohl alle Revoltierenden in sich tragen und die ständige Begleiterin ist. Sie ist gut und berechtigt. Sie verschafft uns einen klaren Blick auf die Dinge und hilft uns unseren Kompass nicht aus den Augen zu lassen und unsere eigene Schmerzgrenze zu wahren. Sie hilft uns empathisch auf Freund*innen und Kompliz*innen einzugehen und hilft ihnen die Motivation zurück zu tragen, sodass wir, wenn möglich, alle ein Netz aus Wärme und Liebe haben, dass uns auffängt wenn die Scheiße mal wieder überkocht.
Sie ist aber auch etwas, dass wir in genau der selben Weise unter Kontrolle kriegen müssen, wenn sie uns überkommt und versucht, uns unsere Kraft zu rauben. Ansonsten besteht die Gefahr, dass sie, die Angst, tausend gründe erschafft, warum es besser wäre jetzt stehen zu bleiben. Und Stillstand ist gerade in der heutigen Zeit das Schlimmste was passieren kann. Wir verlieren in der Revolte oder in revolutionären Beziehungen zueinander unsere Authentizität, wenn wir aufhören uns zu bewegen.

Und wenn wir miteinander die Straßen dieser Stadt das ein oder andere mal in Brand stecken und den Fluss der Dinge einfach mal anhalten, dann haben wir die Möglichkeit wieder ein gemeinsames Gedächtnis, dass wir mit Liebe, Wut und geschmolzenem Asphalt füllen, zu schaffen.

Umarmungen und Glück an alle Kämpfenden.
Für eine wilde dunkle Jahreszeit.
Für die Anarchie.

Hamburg, im Herbst 2020

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