"Die Verhandlung ist hiermit beendet" - Prozessbericht vom 07.09., der letzten Runde in der Berufung der ersten Heini

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Prozessbericht vom 07.09., der letzten Runde in der Berufung der ersten Heini

Der Prozess geht auf eine Verhaftung im Juli 2017 in Berlin zurück, zu der es im Rahmen einer Kundgebung gegen die Polizeigewalt beim G20 in Hamburg kam. Der Prozess ist bereits die Berufung nach einer ersten Verhandlung am Amtsgericht im Mai 2019.

Das Gericht hatte sich ja schon an uns gewöhnt, sodass unser Sitzenbleiben diesmal wortlos ignoriert wurde.
Heute wurden zwei Cop-Zeugen vernommen. Der erste gab freimütig zu, sich selbst an nichts genaues erinnern zu können, sondern sich in seiner zeugenschaftlichen Aussage auf die Aussagen und “Erinnerungen” seiner Kolleg*innen bezogen zu haben. Dann jedoch sagt er aus, an dem Abend der Kundgebung nicht zu Boden gegangen zu sein. Ups, in seiner Aussage findet sich Gegenteiliges. Aber die Aussagen der Cops sind natürlich über alle Zweifel erhaben.

Der zweite Cop-Zeuge gab ebenso an selber an dem Abend kaum eigene Beobachtungen gemacht zu haben, sondern von Zeuge Schr. Informationen bekommen zu haben, der widerum die Informationen vom Bullenführer Bo. bekommen zu haben. Also das “Stille Post” Prinzip, kennen wir ja auch noch von Kindergeburtstagen. Und wie witzig wir es fanden, dass sich Geschichten auf so eine Art ins absurde verändern.

Der Anwalt der ersten Heini weist dann darauf hin, wie unterschiedlich die Strafprozessordnung bei zivilen Zeug*innen im Vergleich zu Cop-Zeugen gehandthabt wird und beschreibt das treffend als “justizielle Doppelmoral”.
Hier zeigt sich einmal mehr, dass Staatsanwaltschaft und Richter für solche Kritik taub sind, ganz nach dem Motto: “Hier rein – da raus”.

Die zwei Beweisanträge, die wir stellen, werden beide – wer hätte es erwartet? – abgelehnt.
Einer der beiden Beweisanträge, die die Glaubhaftigkeit einer der Cop-Zeugen prüfen lassen soll, wird vom Staatsanwalt mit der Erwiderung abgetan, “man habe es ja nicht mit Kindern oder Schw*chsinnigen zu tun”, weshalb der Beweisantrag unbegründet sei. (Wir kritisieren das Wort Schw*chsinnige, da es ablelistisch ist, möchten diese ableistische Sprache der Staatsanwaltschaft hier dennoch irgendwie sichtbar machen und uns daher für diese Schreibweise entschieden)
Der erste Beweisantrag sollte das Funkprotokoll wie auch den Verlaufsbericht des Polizei-Einsatzes am Heinrichplatz heranziehen. Die Staatsanwaltschaft lehnt es ab, denn das sei ja “Ausforschung von Polizeiunterlagen”. Das zweifelhafte Verhältnis zwischen Staatsanwaltschaft und Polizei wird hier wieder besonders deutlich. Ermittlungen gegen die Polizei werden als eine Ausforschung dieser dargestellt.

Am Ende verliest die erste Heini ihr Schlusswort (s.u, in voller Länge) und hört mit den Worten „Die Verhandlung ist hiermit beendet“ auf – selbstbestimmt verlässt sie, zusammen mit dem solidarischen Publikum und unter Applaus, den Raum.

Das Urteil erfahren wir vom Anwalt der ersten Heini vor dem Gericht – Strafmaß von 180 Tagessätzen aus erster Instanz bleibt unverändert. Die Schöff*innen, die offiziell gleichberechtigt mit dem Richter über das Urteil entscheiden, haben sich als Beischläfer*innen heraus gestellt. Der Schein einer zivilgesellschaftlichen Beteiligung soll durch diese ja gewahrt werden. De facto haben die beiden im Großen und Ganzen im Halbschlaf dem Ganzen gelauscht. Eine*r der beiden wollte sich tatsächlich einmal zu Wort melden. Der Richter fiel ihr aber ins Wort. Mehr Schein als Sein – mehr Beischläfer*innen wie Beisitzende. Die kritischen Fragen des Richters am zweiten Tag haben sich als ein Vortäuschen von kritischem Arbeiten heraus gestellt. Same business as usually.

Unsere Message jedoch ist und bleibt klar: "Wir kommen nicht, um uns verurteilen zu lassen, sondern um unversöhnlich „Nein“, zu sagen,
„Wir nehmen diese Gewalt nicht hin!“.

 

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Prozessberichte des ersten und zweiten Verhandlungstages wie auch die Prozesserklärung, die zu Beginn der Verhandlung verlesen wurde, findet ihr unter:

https://diedreiheinis.noblogs.org/

Eine erste Reflektion unserer 1,5 jährigen Prozessbegleitung werden wir dort wahrscheinlich auch zeitnah veröffentlichen.

Gegen das Urteil vom 7.9. wurde Revision eingelegt.

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Das sog. Letzte Wort bzw. Abschluss Plädoyer der ersten Heini:

 

Letztes Wort:

Ich möchte es mir am Ende dieses doch langen Verfahrens nicht nehmen lassen, das letzte Wort zu ergreifen. Dieses Verfahren war unbequem, und so musste es auch sein, denn sonst wäre hier gänzlich alles falsch gelaufen. Ein Verfahren dieser Art, muss unbequem für die andere Seite sein, unbequem weil an den entscheidenden Punkten weitergefragt und nicht geschwiegen wurde.
Ich bin von vorne herein davon ausgegangen, dass dieses Verfahren anstrengend wird. Womit ich nicht gerechnet habe, mit was für einer Wucht mir die Aggressionen mancher Polizeizeugen entgegen schlagen würde. Und dass sie wohl auch keine Sorge hatten, wie dieses Verhalten von außen, also auch vom Gericht wahrgenommen wird. Aber sie haben sich wohl auch zu recht in Sicherheit gewogen, denn es kamen keinerlei Einwände oder Kommentare von diesem. Stattdessen musste ich immer wieder das Wort ergreifen um diese verbale Gewalt zumindest zu begrenzen.
Herr Kos. leistete seinen Beitrag mit dem Vergleich, dass ich damals geschrien habe „wie ein Schwein, das abgestochen wird“. Das ist ein extrem Gewalt erfülltes Bild, was nicht dazu dient, die eigene Wahrnehmung wiederzugeben, sondern um sich über mich zu belustigen. In einem Parallelverfahren sagt der gleiche Zeuge bereits, ich habe geschrien als würde ich „abgestochen werden“. Ich frage mich, was für Gedanken und Fantasien da zum Vorschein kommen. Vor allem weil auch wieder eine männlich positionierte Person sich so über eine weiblich positionierten Person, also mich, äußert. Aber vielleicht ist das auch einfach nur schlechter Sprach Stil. So eine Ausrede hatte der Zeuge Lu. ja schon parat, warum er denn seine zeugenschaftliche Äußerung in der 3. Person verfasste.

Dass mir dann von genau solchen Zeugen abgesprochen wird, eine Frau zu sein und einzig allein eine Straftäterin, grenzt an Realsatire. Aber im Grunde hat sich in dem Satz von Herrn Kar., „Sie sind für mich keine Frau, sondern eine Straftäterin“ zusammen mit seiner Aussage „Verhaftungen tun nur weh, wenn man sich wehrt“ die hässliche Fratze des Patriarchats gezeigt. Nein, das sage ich nicht aus “Hysterie“ oder weil diese Linken ja immer übertreiben. Das sage ich, weil ich die Gewalt, die in diesen Wort liegt, erkenne und benenne. Ich erkenne sie, weil sie mir als Frau immer und immer wieder begegnet. Diese Gewalt basiert auf einer Logik der Täter-Opfer Umkehrung. In dieser Logik sind es nicht die Männer, die für die von ihnen ausgeübte Gewalt und Verletzungen, verantwortlich sind. Nein, es sind die Opfer, diejenigen, die bedroht und angegriffen werden, z.B. indem ihnen bei einer Verhaftung der Kopf so lange fixiert wird, bis ihnen die Luft zum Atmen fehlt. Immer und immer wieder.
Ich leite aus dem aggressiven Verhalten der Zeugen ab, dass ich mir durch meine Wortmeldungen und Fragen offensichtlich Feinde bei der Berliner Polizei mache. Für die Prozessbeobachter*innen im Publikumsbereich gilt das gleiche. Diese wurden vom Zeugen Kar. durch seine körperliche Drohgebärden eingeschüchtert, die er beim Verlassen des Saales zum Publikum hin richtete.
Die gleichen Zeugen wollen hier erzählen bei ihrem Einsatz alles richtig gemacht und keinerlei unrechtmäßige Gewalt angewandt zu haben.

Im folgenden gehe ich auch näher auf die Frage ein, was sich vor drei Jahren in Hamburg zugetragen hat. Diese Frage hat auch in diesem Verfahren eine Relevanz, weil die Gemüter der am Heinrichplatz eingesetzten Polizist*innen offenbar, wie Herr Schw. hier auch nochmal aussagte, erhitzt wurden, als im Rahmen der Kundgebung die Polizeigewalt von Hamburg öffentlich gemacht wurde. Es geht also auch um die Legitimität diese Gewalt zu thematisieren.

Die Zeugen, die zu dem Thema befragt wurden, wollten die Frage, ob es Polizeigewalt in Hamburg gegeben hat, nicht bejahen. In Hamburg haben aber mehrere Menschen mit offenen Knochenbrüchen auf der Straße gelegenen. Diese Brüche lügen nicht. Als ich dieses Thema gegenüber dem Zeugen Bo. angesprochen habe, hat das bei ihm zu einem regelrechten Wutausbruch geführt.
Das besagte Video vom Heinrichplatz behandelte Polizeigewalt eher am Rande, machte die eingesetzten Polizisten aber dennoch wütend, weil Tatsachen falsch dargestellt würden. Es reicht also Polizeigewalt nur am Rande zu thematisieren, um Wut hervorzurufen und ein Video als o-Ton „reines Hassvideo“ zu betiteln. Diese Bezeichnung findet sich in der Akte zu diesem Fall auch etliche Male. Was dabei ignoriert wird, sind die vielen Augenzeugen Berichte (https://www.g20-doku.org), einschließlich der Menschenrechtsberichte von Amnesty (https://www.amnesty.de/jahresbericht/2018/deutschland#section-1722024) wie auch unzähliger Bild-Aufnahmen und Strafanzeigen wegen Polizeigewalt in Hamburg. Es lässt sich nur spekulieren, ob diese Zeugen meinen, dass diese Berichte alle gelogen, die Aufnahmen gestellt seien und Amnesty etwa bestochen wurde. Oder, ob es als legitim erachtet wird, Menschen die auf einer Straße tanzen, das Wadenbein zu brechen (https://www.g20-doku.org/index.html@p=100.html), andere als „Kanaken“ (https://www.g20-doku.org/index.html@p=70.html) zu bezeichnen, ihnen damit zu drohen „ins Gesicht zu wichsen“ (https://www.g20-doku.org/index.html@p=70.html) und sie umzubringen (https://www.g20-doku.org/index.html@p=70.html; www.neues-deutschland.de/artikel/105714...), in Gewahrsam Inhaftierte einbluten zu lassen, indem ihnen Hygieneartikel verweigert werden (https://www.g20-doku.org/index.html@p=749.html), Pressevertreter*innen mit Pfefferspray zu attackieren (https://www.g20-doku.org/index.html@p=900.html) und parlamentarische Beobachter*innen zu schubsen (https://www.g20-doku.org/index.html@p=649.html). Sie können sich denken, dass die Liste noch lange weiter geht.
Wie inzwischen an der Ruhr Universität Bochum wissenschaftlich erhoben, ist allein in Deutschland jährlich mit 12.000 Fällen von Polizeigewalt zu rechnen, also sechs mal so hoch wie bislang angenommen (https://kviapol.rub.de/images/pdf/KviAPol_Zwischenbericht.pdf). Bei 131 eingegangenen Strafanzeigen gegen Polizist*innen im Rahmen der G20 Proteste, müsste also von sechs mal so vielen Fällen, also von 786 Vorfällen unrechtmäßiger Polizeigewalt ausgegangen werden.

Worauf ich hinaus will, ist: Wer das alles ignoriert, macht sich unglaubwürdig.

Nun, was machen wir jetzt mit all dem?
Ein kluger Mensch am anderen Ende der Welt hat mal gesagt: die Aufgabe der Geschichte ist es, die Wahrheit zu suchen. Und die Aufgabe der Erinnerung wiederum, die Vergangenheit zu rekonstruieren, um zu verstehen wie etwas passieren kann und wie Dinge mit einander zusammen hängen. Wir haben alles getan um die Wahrheit zu suchen. Und wir wurden fündig, etwa bei Aussagen, die darauf hindeuten, dass Berichte zusammen geschrieben wurden. Oder dabei, dass vermeintliche Straftaten am Ende gar nicht von mehreren Zeugen gesehen wurden.
Wir haben viele, sich widersprechende Geschichten gehört, die die vermeintliche Wahrheit, dass ich keine Frau sondern nur eine Straftäterin sei, zunichte machten. Für das Gericht gab es in diesem Prozesses keine Geschichte und somit keine Suche nach der Wahrheit. Die vielen aufkommenden Widersprüche, die wir mühsam hervor geholt haben, wurden glatt gebügelt.
Und neben der Wahrheit ist da ja noch die Erinnerung, also die Rekonstruktion dessen, wie es dazu kommt, am Ende in so einem absurden Verfahren zu sitzen. Dazu kam es durch die schon zu Beginn genannten Gesetzesverschärfungen, der Gewalt von Hamburg und am Heinrichplatz, der gewaltstützenden und patriarchalen Hierarchie bei der Polizei wie auch im Gericht.

Selbst wenn das Gericht nach diesem intensiven und erkenntnisreichen Prozess zu der Entscheidung kommt, mich zu verurteilen, kann ich Ihnen sagen: Sie werden damit nichts gewonnen haben. Diese gewaltstützenden Strukturen sind dabei auseinander zu brechen. Vielleicht nicht heute oder morgen, aber ich, wir, wir werden am Ende im Gegensatz zu Ihnen, in keinem Schutthaufen stehen bleiben.
Bis dahin werden wir immer wieder hier her kommen, als Frauen*, als Transmenschen, als Männer, wie auch immer wir uns selber definieren, aber sicherlich kommen wir nicht als Straftäter*innen. Und wir kommen auch nicht, um uns verurteilen zu lassen, sondern um unversöhnlich „Nein“, zu sagen, „Wir nehmen diese Gewalt nicht hin!“.

Die Verhandlung ist hiermit beendet.

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