Rondenbarg-Prozeß: Vogel-Strauß-Politik ist eine schlechte Verteidigung

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Am heutigen Dienstag wurde vom Landgericht Hamburg das Urteil in einem der Ron­denbarg-Prozesse (es stehen weitere an) verkündet. Seit Jahresbeginn wurde über eine Demo verhandelt, die in der besagten Hamburger Straße (Rondenbarg) rabiat von der Polizei gestoppt wurde. Vorher war einiges kaputt gegangen und einiges von DemonstrantInnen geworfen wurden. In dem jetzigen Verfahren ging es um zwei An­geklagte, denen (wie wohl allen Angeklagten) keine eigenhändige Gewalttat vorgewor­fen wird. Das Gericht verurteilte sie wegen „Landfriedensbruchs in Tateinheit mit Bei­hilfe zur versuchten gefährlichen Körperverletzung, mit Beihilfe zum tätlichen Angriff auf Vollstreckungsbeamte und mit Beihilfe zur Sachbeschädigung“ zu 90 Tagessätzen (Auskunft der zuständigen Gerichts-Pressestelle). § 40 Absatz 2 Strafgesetzbuch be­stimmt: „Die Höhe eines Tagessatzes bestimmt das Gericht unter Berücksichtigung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters. Dabei geht es in der Regel von dem Nettoeinkommen aus, das der Täter durchschnittlich an einem Tag hat oder haben könnte. Es achtet dabei ferner darauf, dass dem Täter mindestens das zum Leben unerlässliche Minimum seines Einkommens verbleibt. Ein Tagessatz wird auf mindestens einen und höchstens dreißigtausend Euro festgesetzt.“

 

 

 

Die Staatsanwaltschaft hatte vorher sogar wegen MittäterInnenschaft Anklage erho­ben. Der für MittäterInnenschaft erforderliche gemeinsame „Tatplan“ von gewalttätigen und nicht-gewalttätigen DemonstrantInnen ließ sich aber nicht beweisen. Beihilfe sol­len die beiden übriggebliebenen Angeklagten aber trotzdem geleistet haben – im we­sentlichen durch solidarisches Tragen eines Anglerhutes bzw. einer Sturmhaube. Zwei andere Angeklagte hatten sich zu Beginn des Prozesses auf einen deal mit Staatsan­waltschaft und Gericht eingelassen; das Verfahren gegen eine ursprünglich fünfte An­geklagte wurde krankheitsbedingt abgetrennt.

 

 

 

Daß die Sache so ausging, wie sie ausging, liegt auch an einer verfehlten Prozeßfüh­rungsstrategie und Öffentlichkeitsarbeit.

 

 

 

Warum ist das Folgende wichtig? Weil etwas, das gar nicht erst korrekt zur Kenntnis genommen wird, auch nicht treffend kritisiert kann. Weil durch Umhauen von Pappka­meradInnen keine realen Schlachten gewonnen und keine Staatsanwaltschaften be­siegt werden können.

 

 

 

Der Gegenseite Positionen zu unterstellen und dann bloß diese unterstellten Positio­nen zu kritisieren, läßt die tatsächlichen Positionen der Gegenseite unkritisiert – schwächt also weder die Gegenseite noch stärkt es die eigene Seite.

 

 

 

 

I. Gliederung des als .pdf-Datei beigefügten Artikels:

 

Legendenbildung

… und wie wirklich ist

Zurück zur Legendenbildung

Zwischenresümee

Nicht einmal vermummte Anwesenheit bei Gewalttätigkeiten ist automatisch Landfriedensbruch

Landesfriedensbruch light im § 125 Absatz 2 StGB 1985 - 1989

Welches ‚Mehr als Anwesenheit‘ ist nach Ansicht des Landgerichts im Rondenbarg-Fall gegeben?

Ist das heutige Urteil des Landgerichts ein „Rückfall hinter den Brokdorf-Beschluss von 1985“?

 

 

I

 

I. Einige Thesen aus dem Artikel:

 

 

1.

 

Statt sich an der vollständig erfundenen Auffassung, die Staatsanwaltschaft wolle blo­ße Anwesenheit bestrafen, abzuarbeiten, hätte die im jeweiligen Verfahrensstadium tatsächliche Argumentation der Staatsanwaltschaft kritisiert werden müssen! (Statt eine derartige rationale Kritik vorzubringen, behauptet die Rote Hilfe auch jetzt – nach dem Urteil – immer noch: „wurden die Angeklagten für ihre bloße Anwesenheit während der Proteste bestraft“.)

 

Dagegen berichtet die Kampagne „Gemeinschaftlicher Widerstand“ immerhin:

„Die Staatsanwältin sagt, die bloße Zugehörigkeit zu einer gewalttätigen Men­ge sei nicht strafbar, [...].“

(https://gemeinschaftlich.noblogs.org/prozessberichte/prozessbericht-22-vom-26-08-2024/; Hv. hinzugefügt)

 

 

2.

 

Nun kann und sollte kritisiert werden, daß nach Ansicht der Staatsanwaltschaft das Befolgen eines bestimmten „Dresscode[s]“ eine Straftat darstellen können soll. Aber diese Kritik ist eine andere Kritik, als die Behauptung, die Staatsanwaltschaft wolle bloße Anwesenheit bestrafen.

 

 

3.

 

Da fälschlicherweise behauptet wurde, das Hooligan-Urteil des Bundesgerichtshof 2017 legitimiere Bestrafung we­gen Landfriedensbruch wegen bloßer Anwesenheit bei Gewalttätigkeiten, wurde eine Verurteilung der Rondenbarg-Angeklagten sogar – wider Willen – leicht gemacht.

 

 

4.

 

Es hätte kleinteiliger und sorgfältiger argumentiert werden müssen, als mit dem dicken Knüppel des gar nicht zutreffenden Vorwurfs zu kommen, die Staatsan­waltschaft, wolle die Angeklagte wegen bloßer Anwesenheit am Ort von Gewalttätig­keiten bestrafen.

 

 

5.

Das heutige Urteil des Landgerichts Hamburg mag in rechtlicher Hin­sicht unzutreffend sein und/oder auf einer falschen Beweiswürdigung beruhen – aber die Probleme, bei denen eingehakt werden muß, wenn Kritik und/oder eine eventuelle Revision erfolgt haben soll, sind deutlich kleinteiliger (betreffen vor allem den Beihilfe-Begriff) als die Pauschal-These, es stehe die Versamm­lungsfreiheit auf dem Spiel. Es ist vielmehr eine ganz bestimmte Demo-Praxis, die mit dem Urteil unter Druck gerät.

 

Letzteres zu ignorieren oder nicht zu bemerken, ist weder radikal noch links noch linksradi­kal oder gar revolutionär, sondern zeugt vor allem von einer naiven Vorstellung, was Versammlungsfreiheit (zumal im bestehenden Staat) bedeutet.

 

Die scheinbar radikale Geste sich für die Details des geltenden Rechts nicht zu inter­essieren und – großspurig – über ‚die Versammlungsfreiheit‘ statt – kleinteilig – über den Beihilfe-Begriff zu reden, verweist letztlich auf kolossale Rechtsillusionen.

 

 

III. Zum NDR-Bericht über das Urteil

 

 

„Der schwarze Block sei martialisch aufgetreten und hätte die Menschen rundum eingeschüchtert. Die ‚Unfriedlichkeit‘ sei schon im Keim angelegt gewesen, sagte die Vorsitzende Richterin bei ihrer Urteilsbegündung. Das sei auch den Angeklag­ten klar gewesen. Auch sie seien schwarz gekleidet gewesen, die Frau hatte sogar eine Sturmhaube auf. Dadurch hätten sie sich mit den Gewalttätern solidarisiert und ihnen Schutz in der schwarzen Masse geboten.“

(https://www.ndr.de/nachrichten/hamburg/Zwei-G20-Gegner-in-Hamburg-zu-Geldstrafen-verurteilt,gzwanzigprozess136.html)

 

 

Die zuständige Gerichts-Pressestelle hat meine Frage, ob dies die Auffassung des Landgerichts korrekt darstelle, folgendes geantwortet:

 

„der NDR gibt Teile der Argumentation durchaus richtig wieder. Anzumerken ist, dass die Vorsitzende stets vom sog. Schwarzen Finger sprach, nicht vom schwar­zen Block. Sie machte – u.a. – Ausführungen zum Aktionsbündnis Fight G20, das im Unterschied zum Aktionsbündnis Colour the red zone Gewalttätigkeiten gerade nicht aus-, sondern vielmehr eingeschlossen habe. Die Kammer hat ausdrücklich erklärt, dass es sich um eine Einzelfallentscheidung handele und auch nach ihrer Rechtsauffassung keinesfalls ein einfaches Mitlaufen bei einer Demonstration zur strafrechtlichen Verfolgung führe.“

 

 

 

 

Daher nur kurz dazu:

 

  • Leute, die schon mal bei einer veritablen Straßenschlacht waren, werden die Demo vielleicht nicht als ganz so „martialisch“ empfunden haben wie anschei­nend das Gericht.

     

  • Die ‚Unfriedlichkeit‘ sei schon im Keim angelegt gewesen“: Hierzu wäre wichtig zu wissen, worin dieser „Keim“ bestanden haben soll.

     

  • Das sei auch den Angeklagten klar gewesen“: Mag sein – bleibt die Frage, ob sie es auch gewollt und unterstützt haben.

     

  • Auch sie seien schwarz gekleidet gewesen, die Frau hatte sogar eine Sturm­haube auf“: Das mag ggf. als Vermummung strafbar sein, ergibt aber allein noch keinen Landfriedensbruch – auch nicht in der Form der Beihilfe zu Gewalt­tätigkeiten (oder Bedrohungen).

     

  • Dadurch hätten sie sich mit den Gewalttätern solidarisiert und ihnen Schutz in der schwarzen Masse geboten“: Woher weiß das Gericht das erstere? Ist das eine bloße Deduktion aus den schwarzen Klamotten oder gibt es dafür auch ei­nen konkreten Beweis? Und zu dem zweiten: Ging dieser Schutz über das Maß hinaus, das ohnehin daraus folgt, daß Landfriedensbruch per definitionem aus einer Menschenmenge heraus erfolgt? Dies ist deshalb wichtig, weil dieses Normalmaß noch nicht strafbar ist, denn es erkennen alle an, daß die alleinige Zugehörigkeit zu der Menschenmenge seit 1970 nicht mehr strafbar ist.

 

 

Zu „Aktionsbündnis Fight G20“:

 

Ich weiß nicht, was dort tatsächlich der Aktionskonsens war; im Prozeßbericht bei „Ge­meinschaftlicher Widerstand“ über das Plädoyer der Staatsanwältin heißt es jeden­falls:

 

„Meesenburg zitiert aus dem Flyer ‚Fight G20‘ in dem es heißt ‚Dabei lassen wir uns weder von Strafgesetzen noch von irgendwelchen SozialdemokratInnen vor­schreiben, wie und wann wir unseren Widerstand artikulieren dürfen. Wir wählen unsere Aktionsformen selbst‘. Der Wortlaut legt laut der Staatsanwältin nahe, dass nicht nur gewaltfreie Aktionen vorgesehen sind.“

(https://gemeinschaftlich.noblogs.org/prozessberichte/prozessbericht-22-vom-26-08-2024/)

 

Angesichts zum Beispiel

läßt sich aus dem Flugi-Satz keine Ankündigung oder Befürwortung von Gewalttätig­keiten im Sinne des Landfriedensbruchs-Paragraphen herauslesen.

 

Im übrigen kommt auch in Betracht, daß die für bestimmte Situationen selbstgewähl­ten Aktionsformen gesetzeskonform sind.

 

 

IV. Quelle für das Foto zum Artikel

 

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:%22An_ostrich_only_thinks_he_%22... (U.S. National Archives and Records Administration).

Bilder: 
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Ergänzungen

irritierende Mischung aus Besserwissertum und Ahnungslosigkeit mit einer Prise verletzter Stolz. Ein Prozessbesuch hätte der Analyse vermutlich gut getan.

 

Zu: "Ein Prozessbesuch hätte der Analyse vermutlich gut getan."

 

Warum schreibst du nicht einfach, welche wichtige Info in dem Artikel noch fehlt? Wäre dir das zu 'besserwisserisch'? ;)