Athen: 50.000 gegen Junta und die neue neoliberale Rechte

Zum 46. Jahrestag der gewaltsamen Niederschlagung des Studentenaufstandes von 1973 versammelten sich wie üblich zehntausende Menschen in der Athener Innenstadt. Diesmal waren es allerdings wesentlich mehr als in den Jahren zuvor, Schätzungen und Luftaufnahmen zu Folge dürften es um die 50.000 gewesen sein, also kaum weniger als bei den rechts-nationalistischen Protesten im Makedonien-Streit zu Anfang des Jahres. Die griechischen Mainstreammedien schweigen sich über die Zahlen und den Hintergrund weitgehend aus, sie berichten fast ausschließlich über „Krawalle in Exarchia“ und loben das harte Vorgehen der Polizei, welches vor allem als Begründung für die friedlich verlaufende Massendemo gefeiert wird. Auch internationale Medien berichten auf Grund ausbleibenden Massenkrawalls kaum.

Der Anlass für den massiven Protest ist die bisherige Bilanz der neuen Regierung der rechtskonservativen „Nea Demokratia“, der griechischen Schwesterpartei von CDU/CSU. Diese betreibt eine Politik aus Neoliberalismus und Rechtskonservatismus, quasi eine Mischung aus FDP und AfD. Die bisherige Bilanz der ND-Regierung kurz zusammengefasst:

  • Ein neues Gesetz sollte „Gotteslästerung und Beschimpfung der Kirche“ mit bis zu zwei Jahren Gefängnis bestrafen. Nach heftigen Protesten wurde das Gesetz zwar wieder zurück genommen, es zeigt aber sehr gut die Geisteshaltung der "Neuen Demokratie". Diverse Strafverschärfungen, u.a. für Menschenschmuggel, Vergewaltigung und Diebstahl, wurden hingegen verabschiedet, begründet u.a. als „Reaktion auf illegale Migration“.
  • Asylverfahren wurden drastisch verschärft, der Zugang von Flüchtlingen zu medizinischer Versorgung erschwert, die katastrophalen Bedingungen in den überfüllten Lagern auf den Inseln wurden bewusst bis zur Eskalation unverändert gelassen, es gab Feuer, Krawalle und Todesopfer. Ein Boot der "Küstenwache" rammte und versenkte ein Flüchtlingsboot, angeblich versehentlich. Ein dreijähriger Junge ist dabei ertrunken.
  • Zahlreiche migrantische Besetzungen in der Athener Innenstadt wurden unter massivem Polizeiaufgebot geräumt, mehr als 1000 Bewohner in Zeltlager am Stadtrand oder in entlegene Landesteile verfrachtet. Einige der Bewohner waren dabei, sich nach Monaten oder Jahren der Flucht, in Athen halbwegs zu integrieren, die Kinder besuchten Schulen, manche Eltern hatten kleinere Jobs. Kritische Berichterstattung über diese Räumungen wurde gewaltsam unterbunden, ein bekannter Journalist sogar kurzzeitig in Untersuchungshaft gesteckt.
  • Das alternative Viertel Exarchia soll „von Müll und Dreck gesäubert“ werden, so die offizielle Ansage des inzwischen entlassenen Polizeichefs im Fernsehen, gemeint waren Migranten, Anarchisten und alles was nicht ins rechtskonservative Weltbild passt. Es folgten regelmäßige Razzien, willkürliche Festnahmen und Tränengasattacken im Viertel, Einschüchterungen, Beleidigungen und Schläge von Passanten, Angriffe auf linke Zentren und die stundenlange Belagerung von voll besetzten Cafes. Mehrere besetzte Häuser der linken Szene wurden geräumt, darunter auch ein jahrelang ungenutztes Unigebäude, das zu einem für die Szene wichtigen Kulturzentrum umfunktioniert worden war.
  • Es wurde ein Rauchverbot an öffentlichen Orten verabschiedet, ebenso ein Gesetz welches das Abspielen von Musik in Lokalen nach 22 Uhr verbietet. Es gab Razzien in Kinos während laufender Vorstellung, wobei die Polizei Minderjährige aus dem Saal holte, weil der Film ab 16 war. Bei einer Drogenrazzia in einem Technoklub mussten 300 Partygäste mit erhobenen Händen auf dem Boden knien. All das ist für die freiheitsliebenden Griechen ein Novum.
  • Die Wirtschaftsuniversität wurde eine Woche vor dem Jahrestag zum Studentenaufstand von 1973 geschlossen, die Eingänge von der Polizei zugekettet. Begründung: Militante würden dort ihre Aktionen vorbereiten und brave Studenten am Studium hindern. Der Beweis: Eine kleiner Kellerraum mit linken Postern aus dem Jahr 2006, 5 Motorradhelme und 3 halbvolle Wodka-Flaschen, außerdem eine Fake-BWL-Studentin, die anonymisiert im rosa Kapuzenpulli auf allen privaten Kanälen ihre Story erzählt. Der friedliche Protest gegen diese Schließung wurde dann von Riot-Cops mit Gewalt beantwortet, Studenten geschlagen, das Gelände mit Tränengas eingedeckt und willkürlich Demonstranten verhaftet.
  • Nach der riesigen Demonstration zum Polytechniou-Jahrestag sind mehrere Hundertschaften Polizei über Exarchia hergefallen und haben willkürlich Leute zusammengeschlagen und verhaftet. Anwohner wehrten sich gegen diesen Überfall mit Steinen und Molotovcocktails, die Medien drehen Aktion und Reaktion dazu wie üblich um.

Diese „Neue Demokratie“ wurde übrigens von weniger als 20% der Gesamtbevölkerung gewählt, nachdem der Ärger und die Enttäuschung über Syriza zu vorgezogenen Neuwahlen im Juli 2019 geführt hatte. Dabei kann die Enttäuschung weniger auf das Versagen von Syriza zurückgeführt werden, sondern muss in erster Linie in der Strategie der Eurogruppe gesehen werden, welche der Syriza-Regierung den Handlungspielraum in wesentlichen Fragen vorgab. Gegenüber der ND-Regierung zeigt sich die Eurogruppe jetzt erwartungsgemäß weitaus großzügiger, schließlich ist ND ein weitaus willigerer Erfüllungsgehilfe des europäischen Kapitals. So wurden großzügige Steuererleichterungen, die die bisher auferlegten Sparziele deutlich gefährden, nicht weiter kritisiert und selbst die neuen Pläne der ND, Griechenland zu einer Steueroase und Geldwäschezentrum zu machen (Financial Times berichtete) blieben bisher unkommentiert. Der radikal-neoliberale Plan sieht u.a. vor: Die Privatisierung der staatlichen Wasser- und Stromversorgung, Privatisierungen im Krankensystem, zigtausendfache Zwangsversteigerung von Immobilien verschuldeter Eigentümer, die 8 Mrd. teure Bebauung des alten Athener Flughafens mit Casinos, Shopping-Malls, Luxusapartments, Wolkenkratzern und Privatstrand, der Erweiterung des an China verkauften Containerhafens, alles natürlich einhergehend mit der Abschaffung von Arbeitnehmerrechten. All das wird begleitet von massiver Vetternwirtschaft und Korruption, von Skandalen wie #Novartis oder #Noor1, in die ganz offensichtlich einige führende ND-Politiker verwickelt sind.

Nach der riesigen Demonstration vom Sonntag ist abzusehen, dass diese Politik nicht unbeantwortet bleibt. Der Protest auf der Straße organisiert sich und er wird massiv sein.

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Ergänzungen

Auf dem Foto im Artikel das war der Block von Anarchisten + Antiautoritären, ca. 15.000 Leute. Hier noch ein Blid vom Kommunistenblock, der war größer, und dann gab es noch einen Syriza Block und noch ein paar andere kleine Blöcke (Kurden, Migranten, Kriegsveterane usw.)

Bilder: 

Die Junta-Regierung hat gerade eben allen Besetzern ein Ultimatum von 14 Tagen gestellt. Danach sollen alle besetzten Häuser in Athen (und ganz Griechenland?) von der Polizei gewaltsam geräumt werden.

http://www.ekathimerini.com/246671/article/ekathimerini/news/ministry-is...

Jetzt ist die Frage wie auf solchen Staatsterror zu reagieren ist. Sitzblockaden? Latschdemos? ...

Die Situation in Exarchia ist wirklich Böse und braucht jetzt internationale Solidarität. Die Cops sind dauerhaft überall in Viertel präsent, schickanieren, kontrollieren und verprügeln Leute, kaum einer traut sich noch dahin. Ab heute gibt es ein Ultimatum, wonach alle Besetzungen innerhalb von 14 Tagen aufgeben sollen, danach erfolgt gewaltsame Räumung. Die "Neue Demokratie" wird das durchziehen, die Presse und das Volk jubeln jetzt schon, die Partei steht in Umfragen bei knapp 50%. Die Mehrheit der Griechen verbuchen das harte Vorgehen als Erfolg, schließlich geht es ihnen so beschissen, da kann es nicht sein das ein paar alternative Spinner und Bürgerkinder im Athener Zentrum jahrelang Krawallparty machen. So denken die Leute, von denen noch nie jemals einer einen Fuss nach Exarchia gesetzt hat, und das ist der Sprit für den Motor des Faschismus. Für die Flüchtlinge sind geschlossene Lager angekündigt, sie sollen baldmöglichst die offenen Lager auf den Inseln mit derzeit über 40.000 Menschen ersetzen.

Hier ist ein Artikel, der die Lage in Exarchia gut beschreibt: https://enough-is-enough14.org/2019/11/20/athen-die-repression-gegen-aut...

Und hier ein Video zur Stimmung vor Ort: https://youtu.be/eELKbWnPz8c

Bilder: