Anarchistisches Wochenblatt Zündlumpen Nr. 030 erschienen

Ergänzungen

Danke für den Artikel "Utopie heißt Herrschaft".

Er zeigt noch mal in aller Deutlichkeit, wie trostlos dein angeblicher "Anarchismus" ist, der jede Idee einer besseren Gesellschaft komplett verwirft.Auf eine bessere Zukunft hinzuarbeiten ist für dich "Herrschaft". Alles, was du zulässt, ist, die eigenen Ideen "im Hier und Jetzt zu leben". Die Überwindung von Kapital und Statt steht für dich offenbar nicht auf der Tagesordnung, denn das ist im "Hier und Jetzt" kaum möglich. Ebenso lehnst du (siehe letzte Ausgabe) jede größere Bewegung als "Herrschaft" ab, und lässt nur individuelles Handeln und kleine Gruppen zu.

In der Konsequenz heißt dies doch, daß alles so bleiben soll, wie es ist. Die Aufgabe von Anarchist_innen ist für dich zwar, gegen die bestehenden Verhältnisse anzukämpfen, aber du lehnst jede Perspektive zu deren Überwindung ab. Alles soll so bleiben, wie es ist.

Der Artikel argumentiert gegen jede feste Vorstellung einer Gesellschaft und bezeichnet eben solche Vorstellungen als Herrschaftsanspruch. Das bedeutet im Umkehrschluss nicht, dass die derzeitigen Verhältnisse, die du mit "Kapital und Staat" bezeichnest, nicht ebenso den Ausgangspunkt aller Kritik und allen Widerstands gegen Herrschaft bilden. Wo du diesen Artikel schon mit einem völlig anderen Artikel von einer anderen Person(engruppe) aus der letzten Ausgabe des Zündlumpens zusammenbringst, zeigt sich aus meiner Sicht dann auch das Problem: Wenn du ein Problem damit hast, deine eigenen Vorstellungen einer herrschaftsfreieren Welt im Hier und Jetzt zu leben, wenn du glaubst, weil mensch das Handeln des Individuums ins Zentrum stellt und alle Versuche das Individuum in Massenorganisationen/Massenbewegungen zu eliminieren nicht als Widerspruch zu einer herrschaftsfreieren Welt siehst, dann stellt sich zumindest mir die Frage, wie ernst du es dann meinen kannst, wenn du sagst (sagst du das denn?), du seiest gegen Herrschaft. Was ist Herrschaft dann für dich, wenn nicht die Unterordnung des Individuums unter andere (auch kollektive) Interessen? Mensch kann auch Herrschaft ablehnen ohne eine herrschaftsvolle Vorstellung davon zu haben, wie denn eine "bessere Welt" aussehen soll, ja mensch kann sogar fundamental anzweifeln, dass es jemals irgendetwas wie eine "befreite Gesellschaft" geben wird, in der wir uns nur zurücklehnen brauchen und nicht dennoch ständig Herrschaftsverhältnisse reflektieren müssen. Wenn du mich fragst, muss mensch das sogar. Alles andere ist für mich eine Ideologie und wer einer Ideologie hinterherläuft oder diese ins Leben ruft, die*der will aus meiner Sicht auch Herrschaft nur in eine andere Form transformieren.

"Wenn du ein Problem damit hast, deine eigenen Vorstellungen einer herrschaftsfreieren Welt im Hier und Jetzt zu leben,"

Ja, da habe ich allerdings ein Problem damit. Der Zwang, geld zu erwerben, um damit mein Lebensunterhalt zu bestreiten, die Tatsache, daß ich bestimmte Dinge, diemir wichtig sind, nur im Verborgenen tun zu können wegen Polizei, das schränkt meine Möglichkeiten doch sehr ein.

Und erzähle mir bitte nicht, daß ich ja gar kein Geld bräuchte, da ich ja auch containern und squatten könne. Das sind nämlich nicht meine Vorstellungen vom Leben.

 

Klar gibt es diese Zwänge und mein Argument ist ja nicht, dass du sie hinnehmen sollst. Mir geht es ebenso darum, gegen das was mich einschränkt zu rebellieren, wie dir vermutlich auch. Ich sehe dazu nur nicht die Notwendigkeit mich in Massenorganisationen zu organisieren oder erst einmal eine konkrete Vorstellung zu entwickeln, wie das Ganze danach aussehen soll. Die Polizei schränkt mich ein? Schön, suche ich also nach Wegen gegen sie zu rebellieren. Das kann ich auch in dem Wissen tun, dass tausende andere das auch tun und ich kann mich mit diesen Leuten austauschen, solidarisieren und zum Zwecke eines bestimmten Anlasses durchaus auch mal informell organisieren (darum ging es ja in dem von dir angesprochenen Artikel der letzten Ausgabe des Zündlumpens), wenn das nötig erscheint. Aber mir genügt es, zunächst die Polizei zu zerstören. Wie es dann weitergeht, dafür brauche ich keinen Masterplan, nichts worauf sich alle einigen müssen, etc. Wenn die Polizei ersteinmal zerstört ist, kann ich weitersehen.
Oder ein konkreteres Beispiel, das du ja auch schon angesprochen hast: Es gibt materielle Zwänge, die mich zwingen zu arbeiten – bzw., zu stehlen, containern, squatten, usw., das ist ok, dass das nicht deinen Vorstellungen entspricht, aber es sind trotzdem Alternativen, die von vielen Leuten gelebt werden. Nun, für mich bringt es mir nur wenig, wenn ich ersteinmal mehrere Jahre, Jahrzehnte oder Jahrhunderte alle Arbeiter*innen organisiere, in der Hoffnung, irgendwann mit einem Generalstreik ein anderes System herbeizuführen, in dem ich dann meist vielleicht weniger, aber trotzdem arbeiten muss (Zumindest habe ich bei den Utopien all dieser Formen diesen Eindruck). Das bedeutet jetzt nicht, dass ich sage jede*r solle für sich selbst kämpfen, im Gegenteil: natürlich bin ich solidarisch mit allen Unterdrückten, aber mir genügt es eben nicht, auf eine unbestimmte Zukunft zu warten in der alles besser sein soll. Deshalb tendiere ich eben zum stehlen, containern und squatten, wenn mensch das mal so plakativ gegeneinander stellt. Darin sofort etwas an den materiellen Zwängen zu ändern, sehe ich nämlich anders nicht allzu viele Möglichkeiten, aber es ist mir eben wichtig, dass das so ist, weil ich nur meine eigenen Kämpfe führen kann und möchte und nicht die zukünftiger Generationen oder die stellvertretend für andere, was wiederum nicht heißt, dass ich nicht solidarisch mit den Kämpfen anderer Individuen bin. Wenn das nicht deinen Vorstellungen entspricht ist das ja in Ordnung, aber dann wäre es doch aus meiner Sicht dennoch sinnvoll, wenn du deinen Kampf gegen Lohnarbeit gemäß deiner Interessen und im Hier und Jetzt führst. Da sehe ich weder die Notwendigkeit einer Organisation oder auch einer Utopie (die ja weit über die Negation der materiellen Zwänge hinausginge), noch den Sinn.