[MR] Den Drogensumpf trockenlegen

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Was ist passiert?

Am Nachmittag des 17. Juni wurde im mittelhessischen Marburg das linke Großhausprojekt "Bettenhaus" von Polizei und Staatsschutz durchsucht. Die Durchsuchung war nicht, wie man vielleicht vermuten möge, ein Repressionsschlag gegen die linke Bewegung in Marburg. Nein, die Durchsuchung galt einem Drogenring. Die Lokalpresse fasst die Bullenaktion folgendermaßen zusammen.

"Im Zuge der Razzia nahmen die Beamten acht Verdächtige fest, im Alter zwischen 22 und 43 Jahren. Außerdem stellten sie mehrere Kilo Drogen sicher, darunter Marihuana, Haschisch und Amphetamine sowie größere Mengen Chemikalien zur Herstellung synthetischer Drogen. Die Ermittler fanden zudem mehrere Schreckschusswaffen und eine scharfe Schusswaffe samt Munition." In einer vorherigen Aktion gegen die mutmaßlich selbe Gruppe in einem anderen Stadtteil hoben die Bullen "XTC-Pillen, Amphetamine, Marihuana, Crystal Meth, Kokain und Heroin [...] insgesamt 4000 Tabletten und fast drei Kilogramm weitere Betäubungsmittel" aus. Soweit, so schlecht.

Drogen sind kein politisches Engagement

Das derzeit eher ausgedünnte Feld der politischen Gruppen in Marburg schweigt zu den Vorwürfen, nur der Hausverein des Bettenhaus hat ein richtiges und doch kurzes Statement veröffentlicht. Ein eher bleiernes Schweigen darüber, dass offenbar innerhalb eines der größten linken Projekte der Stadt sich mindestens in einem Kennverhältnis zwischen den Projektler*innen eine größere Bandenstruktur zum Verkauf von Drogen aller Art gebildet hat. Man könnte sogar soweit gehen, dass hier ein Teil der linken Bewegung Marburgs stillschweigende Schützenhilfe für eine der niedersten Arten der Kriminalität geleistet hat.

Es wurden in diesem Zuge immer wieder relativierende Stimmen laut, die den Drogenhandel als quasi aufständischen Flügel von Personen umreißen, der eben auf Recht und Gesetz pfeift, wie es sich für Linke gehört. Klar, der Drogenhandel steht sicherlich außerhalb der bürgerlichen Rechtsordnung. Was ihn aber vom Bankraub, vom Supermarktklau und Kreditkartenbetrug unterscheidet, ist ein sehr gewichtiges Problem: Wer sich mit Kalkül auf das abhängige Suchtverhalten Einzelner eine goldene Nase verdient, ist kein "Genosse", sondern ein Schwein. Und hat scheinbar rein gar nichts von dieser ungerechten, elendigen Gesellschaft verstanden.

Wer Drogen dealt, ist politisch am Ende

Grundsätzlich muss festgehalten werden: Als linke Bewegung kämpfen wir gegen Armut, Ausbeutung und Unterdrückung jeder Art. Wir kämpfen gegen die Unterdrückung der Frauen und anderen Geschlechter, wir kämpfen gegen die Ausbeutung und Armut, wir kämpfen gegen den Rassismus, wir kämpfen gegen die Zerstörung der Umwelt. Und wir kämpfen gegen den Staat der diesen Wahnsinn aufrecht erhält. Was wir als Linke nicht tun: Wir verkaufen den Menschen, die wir befreien wollen kein Gift, dass ihre Körper und Gehirne zerfrisst.

Der Drogenhandel ist in seiner illegalisierten Form ein Geschäftszweig, in dem das Recht des Stärkeren, der Gewalt und des Nach-unten-Tretens vollumfänglich zum Tragen kommt. Es ist ein Geschäft das nicht konträr zum Kapitalismus steht, sondern eine seiner barbarischsten Formen darstellt. Es ist ein blutig-gewaltförmiger Hyperkapitalismus, in dem der Profit ohne jede Beschränkung eines gesellschaftlichen Gegensteuerns maximiert werden kann. Wer hier "etwas werden möchte" muss seinen ethischen und politischen Kompass völlig ausgeschaltet haben.

Die Herstellungs- und Vertriebsstrukturen strotzen nur so von Herrschaft, Gewalt und Ausbeutung. Oder denkt jemand ernsthaft dass der*die Drogenkurier*in für eine Rockerbande mit lebensgefährlichen Kokskondomen im Enddarm ein erfülltes Leben ohne Zwänge führt? Ganz zu Schweigen von den Millionen Drogenkriegstoten in den Herstellungsländern der beliebtesten Schnupfsubstanzen.

Doch sollte man auch diese Seite des Konflikts irgendwie ausblenden können: Die Wirkung und die Profitmarge der allermeisten Drogen basiert auf dem Mechanismus einer körperlichen und psychischen lebenslangen Abhängigkeit. Es ist im Grunde Gift, dass sich die Menschen durch die Venen und Schleimhäute pumpen. Natürlich haben die allermeisten das abstrakte Recht auf ihre Selbstzerstörung, wieso jedoch am Verdummen, Siechen und Tod der Menschen nun auch Linke, die Freund*innen der Emanzipation der Menschen, mitwirken sollen, ist uns völlig schleierhaft.

Doch selbst vermeintlich harmlosere Drogen wie Gras, Rauchen und Alkohol: Die kognitive und körperliche Leistungsfähigkeit nimmt dermaßen ab, dass man kaum noch von einem vollen Bewusstsein der Verhältnisse sprechen kann. Depression, Armut und Perspektivlosigkeit wird in den Leberzhirrosen der Republik ertränkt. An ein besseres Morgen lässt sich durch die wabernden Downer kaum denken. Wo das befreiende Potential an diesen weichen Drogen sein soll, können wir nicht nachvollziehen. Was uns beruhigt und uns ablenkt, beruhigt zwangsläufig auch unsere Wut auf ein System der himmelschreienden Ungerechtigkeit. Drogenkonsum jeder Art ist ganz allgemein ein rein individueller und falscher Ausweg aus einer Misere, in der wir eigentlich alle gemeinsam stecken.

Robin Hood & Meyer-Falk statt Pablo Escobar & Walter White

Dass der Handel mit Drogen auch eine Möglichkeit für Arbeiter*innen, Prekarisierte und Arbeitslose ist, einen bescheidenen Reichtum in Bargeld aufzubauen, sehen wir natürlich. Es ist vor allem im auf Bekanntenkreise begrenzten Handel mit "weichen" und Partydrogen eine Kriminalitätsform, die wenig Risiko und hohen Profit verspricht. Wir sprechen uns nicht gegen Kriminalität im Allgemeinen aus, wir stellen uns jedoch entschieden gegen jede Form des Drogenhandels. Denn auch hier sind unsere Argumente weiterhin gültig: Wer sich an seinen Freund*innen, Genoss*innen und Bekannten bereichert, ihnen politisch fragwürdige Substanzen verkauft, die sie lähmen und in Abhängigkeit treiben, verrät unseren gemeinsamen Kampf für ein paar lausige Euro. Wir halten Kriminalität, die einen enteignenden Charakter hat für zielführender. Diebstahl, Raub und Betrug von großen Ketten, Institutionen und Bonzen erfüllen den selben monetären Zweck und führen uns nicht in einen Abgrund der Reproduktion von Ausbeutung und Unterdrückung.

Auch ein Recht auf Rausch gibt es unserer Ansicht nach nicht, solange die gesellschaftlichen Koordinaten um den Rausch herum auf Zerstörung, Unterdrückung, Leid und Elend stehen. Eine fortschrittliche, akzeptierende Drogenpolitik ist für uns denkbar, jedoch an diesem Punkt von gesellschaftlicher Entwicklung völlig unerheblich in der Debatte.

Ein kurzer Exkurs zu Kneipen, Parties, Clubs und Festivals. Auch wir sehen die Notwendigkeit sich zu zerstreuen, Momente der Ruhe oder der Geselligkeit und Kultur zu genießen, ob komplett nüchtern oder mit dem Feierabendbier und Zigarette. Dennoch halten wir es für grundsätzlich fragwürdig, dass Linke die kulturellen Räume für exzessiven oder latenten Drogenkonsum aufbauen und unterhalten. Endlich sehen wir aber einen massiven Unterschied zwischen dem Offenhalten von drogenaffinen Räumen und dem bewussten Handel mit Drogen.

Der Missbrauch linker Strukturen

Vor diesem Hintergrund ist die Gruppe des festgenommenen Drogenrings nicht ansatzweise zu entschulden oder sich in irgendeiner Weise mit ihr zu solidarisieren. Ihre Tätigkeiten sind ein Missbrauch und Gegenarbeiten gegen linke Strukturen. Klar, als revolutionäre Linke ist es uns auch ein Anliegen, Räume und Strukturen zu schaffen, in denen wir aktiv sein und uns organisieren können, ohne dass jede unserer Bewegungen unter den wachsamen Augen der Herrschenden stattfinden muss. Diese Strukturen für privatwirtschaftliche Kriminalität zu nutzen, scheint verlockend. Doch: Wer unsere ohnehin ständig staatlichen Angriffen ausgesetzten Strukturen wissentlich missbraucht, um für ein paar schnelle Euros Drogenkartell zu spielen, riskiert nicht nur selbst Leib und Leben, sondern setzt auch mühsam durch andere Genoss*innen erkämpfte Freiräume bereitwillig aufs Spiel. Darum ist es unsere kollektive Verantwortung, zukünftig dafür zu sorgen, dass unsere politischen Strukturen nicht von irgendwelchen Möchtegern-Narcos als Infrastruktur für ihre Machenschaften missbraucht werden.

Die stillschweigende oder unbemerkte Etablierung dieser Gruppe innerhalb linker Räume stellt darüber hinaus eine Bankrotterklärung jedes linken Anliegens an. Jeder von uns angesprochene Kampf wird hier konterkariert. Dies ist ein Rückschlag für alle Bemühungen in Marburg eine linke Bewegung aufzubauen und zu halten. In den Bewegungen anderer Länder werden Drogendealer bekämpft bis hin zur Exekution. In der BRD scheint man sich nicht an ihrer Anwesenheit nicht zu stören. Wir erinnern an Aktionen in Griechenland oder der Türkei, so kritikwürdig sie auch für sich selbst bleiben.

Wer ohnehin überwachte und repressionsgeplagte linke Strukturen dem verdoppelten Repressionsrisiko des Drogenhandels aussetzt, handelt ohne jede Verantwortung für die Sicherheit unserer Genoss*innen. Nicht umsonst war bei der Razzia gegen den Drogenring auch der Staatsschutz zugegen. Nicht auszudenken, was die strafrechtlichen Konsequenzen solcher Durchsuchungsmaßnahmen sein können, abseits von der massiven psychischen Belastung.

Die potentiellen Aktionen einer Drogenhandels-Konkurrenz seien hier nicht mal ausformuliert. Das Bettenhaus ist Aufenthaltsort für viele Menschen. Im Erdgeschoss ist ein Kindergarten untergebracht, auch unsere kleinen Freund*innen haben einen besonderen Schutzstatus, der mit einem solchen Geschäften und Polizeieinsatz grundsätzlich nicht zu vereinbaren sind. Auch sind ab und an Freund*innen mit kompliziertem Aufenthaltsstatus zu Besuch. Die Folgen eines solchen absehbaren Polizeieinsatzes sind für sie unabsehbar.

Schlussendlich hat die Affäre um den Drogenring jedes öffentliche Ansehen einer radikalen Linken in der Stadt Marburg stark beschädigt, die auch mit dem Bettenhaus als Ort assoziiert wird.

Wir fordern alle Freund*innen in Marburg dazu auf, jede Solidarisierung mit den Angeklagten dieses Prozesses zu unterlassen. Besucht unseretwegen eure Bekannten im Knast, aber sicherlich nicht unsere Genossen. Sie haben unseren antifaschistischen, feministischen und rebellischen Kämpfen auf jeder Ebene geschadet.

Und nicht zuletzt rufen wir allgemein dazu auf, solche unrühmlichen Strukturen notfalls mit Gewalt an ihrem Wirken zu hindern.

Antifa Hessen, 11. Juli 2019

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Ergänzungen

Mittlerweile gibt es auch einen Beitrag zur wichtigen Diskussion, der sich etwas differenzierter mit der gesamten Thematik auseinandersetzt, aber durchaus zu ähnlichen Schlüssen kommt:

https://metadiskursiv.noblogs.org/

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https://twitter.com/metadiskursiv?lang=de