Genua-Verfahren: Das GLF zieht in die Schlacht

rf 07.07.2004 11:17 Themen: Globalisierung Repression
Ungefähr Tausend Tage dauerten die Ermittlungen, die jetzt zu den drei großen Prozessverfahren wegen dem G8 in Genua führen. Die Anwälte von den Geschädigten in den erst jetzt anlaufenden Verfahren Diaz und Bolzaneto und von den Protestteilnehmern, die wegen "Verwüstung und Plünderung" seit dem 2. März vor Gericht stehen jetzt vor einer extremen Herausforderung, weil der inhaltliche Umfang des Gerichtsstreits schier kolossal ist. Deswegen gibt es Neues vom Genoa Legal Forum und von Indymedia Italien.

Diaz-Affäre: Zitate aus dem Polizeibericht |Diaz-Affäre: Mutationen einer Aussage |G8 2001: Rekonstruktion des Diaz-Überfalls |Die Wahre Geschichte des Diaz-Überfalls |Crashkurs italienisches Gerichtsverfahren |[G8 01/Diaz-Verfahren] Der kranke Polizist
Die drei großen Verfahren wegen des G8 in Genua kommen allmählich ins Rollen. Der Prozess gegen 25 Protestteilnehmer läuft seit dem 2. März und am 26. Juni hat das Vorverfahren gegen 29 Polizisten wegen der Diaz-Schule begonnen. Hinzu kommt das Verfahren wegen den Misshandlungen in der Kaserne Bolzaneto. Alle Verfahren werden sehr schwierig und komplex verlaufen. Genua gilt als das meistgefilmte und dokumentierte Protestereignis des 20. Jahrhunderts. Filmmaterial spielt besonders im Prozess gegen die 25 Protestteilnehmer eine Rolle:

Eine DVD soll die Schuld der Angeklagten beweisen. Das gute Stück ist das Ergebnis der Auswertung von vielen Hundert Stunden Rohmaterial. Einzelne Szenen und Standbilder wurden aneinandermontiert. Die Anwälte der Verteidigung protestierten vehement gegen die Zulassung der DVD als Beweismittel, weil der Kontext der vorgeführten Szenen nicht berücksichtigt werden kann und weil die Collage eine konstruierte filmische Botschaft vermittelt, die eine andere ist als die in ihr aneinandergeklebten Situationen im eigenen Zusammenhang, doch wies der Richter dies ab.

In den Fällen Diaz und Bolzaneto wird Filmmaterial hingegen eine geringere Rolle spielen, wohl aber verschiedene sonstige Dokumente, die vom Betroffenenbericht bis zum medizinischen Attest gehen und bis zu den unendlich langen Mitschriften der Befragungen von Angehörigen der Polizeien, die von der parlamentarischen Untersuchungskommission durchgeführt wurden oder zu den Pressespiegeln zu einzelnen Ereignissen und/oder Vorfällen.

Das hyperdokumentierte Ereignis schlägt sich auch als ein wahres Informationsgewirr in den Verfahren nieder und wird eine riesige Herausforderung für die Anwälte werden, die aus einer schier unüberschaubaren Flut an Informationen alles herausfiltern können müssen, was zu immer wieder unterschiedlichen Details, die in den Verfahren zur Sprache kommen werden wie auch immer von Bedeutung ist.

Das Legal Team ist auf ein möglichst überschaubares Archiv angewiesen, um einzelne Verhandlungsgegenständen anhand des eigenen Archivs zu prüfen, beispielsweise um etwaige Falschbehauptungen zu widerlegen oder um den Kontext eines Filmauszugs auszuwerten. Deshalb wird das gesamte, unvorstellbar umfangreiche Archiv neu Organisiert, damit ein effizienterer Zugriff auf wichtige Materialien möglich wird. Soeben wurde eine erste Dokumentation zum Stand der Ermittlungen vor dem Auftakt des Diaz-Vorfahrens für die Öffentlichkeit fertiggestellt. Ein Blick in die Texte kann helfen, sich vor Augen zu führen, wie kompliziert das Verfahren wohl ausfallen wird. Eine Dokumentation zum Verfahren gegen die Prozessteilnehmer ist erst in einigen Wochen möglich, aber es kann jetzt schon gesagt werden, dass hier der Aufwand noch größer und der Gerichtsstreit noch schwieriger wird, wegen der unzähligen Fotografien und Filmausschnitte, die man einbeziehen wird.

Damit die Arbeit geschafft werden kann, unterstützen nun Freiwillige das Legal Team. In den nächsten Monaten werden sie sich in Vollzeit dieser Aufgabe widmen. Damit Kost und Logis für die Freiwilligen und die nötige Ausstattung für die Umorganisierung des Archivs angeschafft werden kann, wurde eine Kampagne gestartet. Spenden sowie professionelle Übersetzung von in den Fällen Diaz und Bolzaneto durchaus vorkommenden ausländischen Sprachen werden dringend gebraucht. Die Verfahren werden Jahre dauern und ein harter Kampf werden. Während die Protestteilnehmer mitunter sehr ernsthaft 8 bis 15 Jahre Haft riskieren, könnten Beschuldigte aus den Verfahren gegen Polizeibeamte recht glimpflich davon kommen.

Informationen sind auch in Deutscher Sprache  [1]  [2]  [3]  auf Indymedia Italy zu finden.


Das Genoa Legal Forum hat zum Stand der Dinge heute folgende Pressemitteilung herausgegeben:


Jetzt ist es so weit.

Die Verfahren in Genua haben begonnen oder stehen kurz davor zu beginnen. Alle sind sie schwierige und komplexe Verfahren. Wie wir erwarteten - und sogar viel mehr als das - befinden wir uns in der Situation, dass wir für die Arbeit im Gerichtssaal eine unendliche Masse von papiernen Unterlagen, Videos und Fotos studieren, austauschen und organisieren müssen. Eine gigantische Arbeit, die zusätzlich erschwert wird, weil wir uns einen Gesamtüberblick über die Ereignisse im Juli 2001 und über die inneren Zusammenhänge zwischen den selben verschaffen müssen, um den Sinn von all dem womit wir uns befassen werden verstehen zu können. Es handelt sich zudem um eine Aufgabe, die nach effizienten und tiefgreifenden Synergien zwischen unterschiedlichen Kompetenzen und Techniken verlangt. Von den rein juristischen bis hin zur Informatik oder zur Fähigkeit, das filmische und fotografische Material zu studieren und zu verarbeiten. In dieser Situation, die uns hätte überrollen können oder aber uns hätte daran hindern können, alle AktivistInnen (sowohl jene, die beim G8 Opfer von körperlicher Repression als auch jene, denen der Prozess als Verwüster gemacht wird) auf die bestmögliche Weise zu verteidigen, unterstütze uns in diesen Jahren unser technisches Sekretariat. Heute hat dieses Sekretariat glücklicherweise einige Freiwillige dazu gewonnen (die vom Komitee Veritá e Giustizia per Genova - Wahrheit und Gerechtigkeit für Genua eine Aufwandsentschädigung erhalten) und weitere mehr, die ebenfalls als Freiwillige von Indymedia in Genua abgestellt werden, um die Auswertung und Verarbeitung des Videomaterials zu gewährleisten.

Darüber hinaus erlaubt uns die Einbeziehung des Indymedia-Netwerkes alle beinahe in Echtzeit zu informieren, auch die Aktivisten und ausländischen Gruppen, die von den Ereignissen in Genua Betroffen sind, durch eine fundamentale Dokumentations- und Übersetzungsarbeit über das, was sich täglich in den Verfahren ereignen wird. Ohne die Einbeziehung von diesen Menschen, die ihre Häuser und persönlichen Beschäftigungen hinter sich gelassen haben, um sich wenigstens über die ersten Monate hinweg in Genua niederzulassen, währen wir nie in der Lage, unsere Arbeit auf die bestmögliche Weise zu machen. Uns bleibt nicht anderes, als das zu nutzen, auf dass es uns möglich wird, unsere Pflicht/unseren Willen als Anwälte zu tun, und euch alle zu bitten, euch mit allen notwendigen Mitteln an dieser Arbeit zu beteiligen!

Für Spenden zur Unterstützung der juristischen Beistandsarbeit:

Conto Corrente Bancario (Girokonto): 61359/80, Kontoinhaber: Don Balletto

Banca (Bank) Carige sede centrale (Zentralsitz) - ABI 06175 - CAB 01400

Internationale Koordinaten:

swift code CRGEITGG040iban IT45 H061 7501 4000 0000 6135 980

Verwendungszweck (bitte unbedingt angeben):

sottoscrizione da devolvere alla campagna internazionale indymedia per il genoa legal forum (Spenden für die internationale Indymedia kampagne für das Genoa Legal Forum)

paypal account: donate-glf@indymedia.org
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Ergänzungen

spannender hintergrund auch hier

ape 07.07.2004 - 12:08
in der heutigen jungle world:

genova-libera soli shirt

disorder 07.07.2004 - 16:55
... es gibt eine neuauflage des genova-libera soli t-shirts. mit dem erlös des shirts werden die menschen unterstützt, die im sommer 2001 gegen das g8 treffen in genua demonstriert haben und aufgrund konstruierter "beweise" noch immer verfahren zu befürchten haben.
bestellt werden kann das benefit-shirt unter:
www.disorder-berlin.de