Diaz-Affäre: Mutationen einer Aussage

IMC Italy 07.07.2004 02:30 Themen: Repression
Ein Messerstich... Nein, jetzt, wo ich mir das genau überlege, waren es zwei...

Aus den Vernehmungsprotokollen im Fall Diaz mit den Aussagen des Polizisten Nucera.
Aus dem Dienstvermerk des Angehörigen der Polizia di Stato Nucera Massimo, Angehöriger der inzwischen aufgelösten VII. experimentellen Aufstandsbekämpfungseinheit der 1. Abteilung der Bereitschaftspolizei Rom mit Datum 22. Juli 2001 (03.00 Uhr, DIGOS-Büros im Polizeipräsidium Genova):

"Nachdem wir die Tür beim Ruf "Halt! Polizei!" eingetreten hatten, trat ich zusammen mit dem Hauptinspektor Panzieri schwungvoll als erster in den dunklen Raum. Plötzlich stand ein junger Mann vor mir, von etwa 1,70 m. Körpergröße - von dem ich nur sagen kann, dass er einen dunklen Pulli trug - der mir mit undeutlichem Schreien und mit einem Messer in der Hand entgegentrat, welches er mit gestreckten Arm in Richtung von meiner Kehle hielt.

In dem ich mich des Schlagstocks bediente und ihn mit selbigem am Oberkörper schlug, gelang es mir, den Angreifer zu entfernen und ihn zurückweichen zu lassen. Letzterer traf mich dennoch mit einer blitzartigen Bewegung kraftvoll am Oberkörper, während er gleichzeitig einen Sprung rückwärts tat.

Die Kollegen, die dicht hinter mir folgten, unter denen sich der Hauptinspektor Panzieri befand, griffen zu meiner Unterstützung ein und blockierten den Unbekannten, nachdem sie ihn zuvor am Boden fest gesetzt hatten. Derselbe wurde anschließend und unverzüglich von den anderen Kollegen übernommen und zur Sammelstelle im Erdgeschoss gebracht.

Unmittelbar nach dem die Person hinausgeführt worden war, stellte ich dank dem Reflex des Lichts, das aus dem Flur einfiel fest, dass in Übereinstimmung mit der Stelle an der sich die geschilderten Vorfälle ereignet hatten jenes Messer lag, welches die Person, die mir entgegengetreten war in der Hand hielt und welches ich folglich auflas.

Nach dem ich auch in den Raum mit den Sanitären Einrichtungen einen Blick geworfen hatte, stieg ich wieder zum Parterre ab, aber als ich auf Höhe der ersten Etage gelangt war, fiel mir beim Wiederanbringen des Schlagstocks an den Gürtel ein sichtbarer Schnitt auf der Jacke von meiner Uniform auf.

Ich steckte daraufhin sofort die linke Hand auf Höhe des Schnitts in das Innere der Jacke und spürte deutlich auch auf der Schutzweste aus Kunststoff eine Kerbe. Folglich öffnete ich besagte Jacke und stellte zwei Kerben fest, davon eine mit einer Länge von etwa 7 bis 8 Zentimetern, und eine andere, die viel kleiner war, mit einer Länge von etwa einem Zentimeter. In dem ich mit dem, was zuvor geschehen war kombinierte, wurde ich mir bewusst, dass ich mit der Spitze des Messers, mit dem man mich bedroht hatte, getroffen worden war".

Im Protokoll der Vernehmung Nuceras (als Zeugen) vor dem Staatsanwaltschaft Francesco Lalla am 30. Juli 2001 ist zu lesen:

"Ich habe den, der mich getroffen hat, nicht identifizieren können, weil sich der Vorfall gleich nach dem ich einen dunklen Raum im zweiten Stock betreten hatte ereignete. Ich habe meinen Angreifer daraufhin aus den Augen verloren. Erst später, als ich mein Schlagstock wieder anlegte, habe ich die Beschädigung meiner Schutzweste bemerkt. Weitere Versuche, den Angreifer zu identifizieren, waren zwecklos. Ich habe nur seine Körpergröße angeben können, die ich im Vergleich zu meiner eigenen geschätzt hatte".

[....]"Man nimmt zur Kenntnis, dass der aus einer Schachtel bestehende Corpus delicti, in der eine leichte Jacke in dunklem Blau enthalten ist, welche der Nucera als jenes Kleidungsstück erkennt, das er bei dem geschilderten Anlass benutzte. Die Jacke weist einen Riss im linken vorderen Teil auf, senkrecht, nahe der mittleren Naht, von der Länge von etwa 10 cm. In der Schachtel ist auch eine Schutzweste, welche der Nucera unter der oben beschriebenen Jacke trug, eine Schutzweste aus Hartplastik, stabil, mit einem quer liegenden Riss von etwa sieben Zentimetern...".


Die Aussage Nuceras als Zeuge vor dem Staatsanwalt Enrico Zucca am 12. Dezember 2001 lautet:

"Die Tür war verschlossen. Mit einem Fußtritt habe ich sie eingetreten. Ich bin während ich: "Halt, Polizei!" schrie eingetreten, zum Selbstschutz hielt ich den Schlagstock seiner ganzen Länge nach vorneweg. Im Zimmer war es fast vollständig Dunkel, zumindest im Vergleich zu dem Raum aus dem ich kam. Ich habe einen Schatten vor mir gesehen, ich habe ihn instinktiv geschlagen und gleichzeitig einen Schlag an der Brust verspürt. Der Schatten hatte einen nach vorn ausgestreckten Arm, er hat geschrieen. [...] Ich war mir nicht klar darüber, ob er etwas in der Hand hielt und speziell ein Messer, auch wenn die Geste unverwechselbar war. In diesem Sinne präzisiere ich das, was ich in meiner schriftlichen Erklärung ausgesagt habe. Auf meinen Schlag hin ist die Person zu Boden gefallen, einige von meinen Kollegen, die diese dann auch abführten, griffen sofort ein, ich bin weitere zwei Schritte gegangen, um das Zimmer zu erkunden. Ich habe mich umgedreht und an der Stelle der vorherigen Auseinandersetzung mit der Person, die gegen mich zugeschlagen hatte, habe ich ein Messer gesehen, welche ich in meine Tasche ablegte. Ich bin hinausgegangen. Wenige Sekunden bevor ich über Funk den Befehl vom Kommandanten Fournier vernahm, das Gebäude zu verlassen, habe ich die Zeit gehabt, das anliegende Bad zu untersuchen. Ich habe dann Gelegenheit gehabt, mir des Geschehenen gewahr zu werden, als ich die Treppen hinabstieg, da habe ich mir an der Jacke gefasst und bemerkt, dass sie einen Schnitt aufwies. In der Tat war ein sichtlicher Riss fest zu stellen. Bei Inaugenscheinnahme derselben konnte man einen unregelmäßigen Schnitt feststellen, in der Schutzweste darunter waren wiederum zwei Schnitte vorhanden, ein größerer und ein kleinerer, wie ich sie im Bericht beschrieben habe. [...]".


Am 23. Mai 2002 tritt im Auftrag von Zucca die Investigative Spurensicherungsabteilung der Carabinieri mit dem vom Leutnant Luciano Garofano (Kommandant) und vom Kapitän Adolfo Gregori unterzeichneten Gutachten auf den Plan.

Auszüge:

"Die durchgeführten Schnitttests haben im Gegensatz zu dem, was an den Untersuchungsobjekten festgestellt wurde, eine nahezu perfekte Überlagerung der Schnitte auf der Weste und jenen, die darunter liegend auf dem Schulterschutz vorhanden waren hervorgebracht. Nach den Dynamiken, die es möglich war, aus den Behauptungen des Nucera abzuleiten, liegt zwischen den auf den zu untersuchenden Kleidungsstücken vorliegenden Schnitten und denen, die im Versuch erzeugt wurden eine offensichtliche Inkompatibilität vor". (Seite 19)

Nun kommt die zweite Version - nicht ein Messerstich, sondern zwei.

Auszüge aus dem Verhör Nuceras durch die Staatsanwälte E. Zucca und Dr. F. Cardona Albini am 7. Oktober 2002:
"Die Tür war verschlossen, es handelte sich um eine Holztür mit zwei Flügeln. Ich habe sie mit einem Tritt eingetreten und bin als erster hinein, in kurzem Abstand folgten meine Kollegen. Ich fand mich in einem vollkommen dunklen Klassenzimmer wieder. Im Korridor war hingegen hinreichend Licht, in dem Sinne, dass einige Glühbirnen brannten, aber der Großteil des Lichts fiel von außen ein. Im Inneren des Raums stand in einem Abstand von zwei Metern eine Person vor mir, die etwa 1,70 groß war, von der ich es nicht vermocht habe die Gesichtszüge gut zu erkennen, sowohl weil es dunkel war, als auch weil ich den Schutzhelm trug, der das Sichtfeld stark einschränkte. Diese Person fing an zu schreien, aber ich habe es nicht vermocht zu verstehen was, weil sie vielleicht eine ausländische Sprache sprach, die ich nicht erkannt habe. Zur gleichen Zeit richtete sie den rechten Arm gegen mich. Da bin ich ihm entgegen getreten, in dem ich ihm mit nach vorne gebeugtem Körper und mit dem Tonfa, den ich mit der rechten Hand am Griff und mit dem linken Arm beim längeren Teil hielt, in den Brustkorb schlug. Ich habe aber das Gefühl gehabt, dass auch ich getroffen worden war, vielleicht gerade weil ich meinen Körper zu weit nach vorn gebeugt hatte. Während die Person immer noch mit gestrecktem Arm zurückwich, war sie kurz davor, das Gleichgewicht zu verlieren; sie versuchte, sich an mir festzuhalten, an meinem Arm, ohne dass es ihr gelungen wäre, wobei sie es aber vermochte, mir in der Zwischenzeit einen weiteren Hieb zu versetzen, der mich erneut im Frontalbereich erreichte. Sie fiel schließlich zu Boden und ich kletterte im Eifer des Gefechts über sie hinweg, woraufhin meine Kollegen ihn bewegungsunfähig machten, davon schleppten und gänzlich entfernten. Ich schritt noch einige Meter nach vorn und untersuchte den Raum, der sich aber als leer erwies und kehrte um. Genau in der Nähe von der Tür konnte ich beim hinausgehen an der beleuchteten Stelle ein Messer erkennen, woraufhin ich gedacht habe, dass es der Gegenstand sei, mit dem ich angegriffen worden war. Ich bog nach Rechts und stieg die andere Seite der Treppen ab, weil ich in der Zwischenzeit über mein Ohrknopf den Befehl Fourniers vernommen hatte, aus dem Gebäude zu treten. Ich bin schnell die Treppen hinabgestiegen. Beim Absteigen habe ich Fournier gesehen und ich erinnere mich nicht an weitere Kollegen. Unter Ausnutzung der besseren Beleuchtung habe ich, während ich meinen Tonfa an den Gürtel legte, instinktiv auf meine Jacke geschaut und den vorhandenen Riss bemerkt und so auch in der darunter liegenden Schutzweste, den ich mit der Hand spürte [...]".

Immer noch während des selben Verhörs wird ein Film vorgeführt, die Betrachter sind Nucera und die beiden Staatsanwälte. Im Folgenden einige Auszüge dessen, was Nucera von sich gibt:

"[...] Wenn man sich vorstellt, dass das die Tür ist, so habe ich sie durch einen Tritt eingetreten, dann packte ich mit der rechten Hand meinen Tonfa, also in dieser Stellung und mit der linken Hand die längere Spitze des Schlagstocks. Also fand ich als ich hereintrat in etwa 1,50 Metern Abstand diese Gestalt vor, mit dem zu mir hin ausgestreckten Arm. Da schritt ich hervor, mit dem Oberkörper, ich schlug ihn auf diese Art, sehr schnell, am Oberkörper und weil meine Aufgabe darin bestand, ihn am Boden festzusetzen, schritt ich immer weiter voran und schlug ihn auf diese Art und schubste ihn weg. Er verlor das Gleichgewicht. Ich verspürte einen Hieb hier am Brustkorb. Nach dieser Bewegung überholte ich ihn auf diese Art und ging dann zur rechten Seite über, weil sich das Zimmer auf jener Seite öffnete [...]

[...] Als ich ihn auf diese Art getroffen habe, bin ich nach vorn geschritten, er hat mich hier getroffen, um seinen Widerstand zu überwinden habe ich diesen gemacht, ich habe versucht, ihn fortzuschieben, in dem ich mit diesem Arm hier vorantrat. Er verlor das Gleichgewicht. Er hat versucht, sich festzuhalten, an diesem Arm, er hat ihn bloß mit einer Hand gestreift, auf diese Art. Während er fiel bin ich auf diese Weise über ihn her, also lag er unter mir, er ist mit dieser Hand abgerutscht und mit der anderen hat er mich erneut getroffen. Ich habe ihn daraufhin überwältigt und bin dann weiter. Das ist die Bewegung".


Nun erstellt Carlo Torre im Rahmen eines so genannten Incidente Probatorio, d.h. im Rahmen einer vorgezogenen gerichtlichen Beweisaufnahme, ein weiteres Gutachten für den Richter für die Voruntersuchungen. Es ist der selbe Sachverständige, der bereits Urheber der Theorie vom tödlichen Putzbrocken ist, durch die im Verfahren wegen der Tötung Carlo Giulianis alle Schuld vom Todesschützen genommen wurde, weil angeblich erst ein fliegender Putzbrocken die tödliche Patrone auf Carlo umlenkte, die ihn tötete.

Auszüge:


"Im Dienstvermerk vom 22. Juli 2001 wird ein einziger vom Polizisten Nucera wahrgenommener Hieb erwähnt. Wie man bereits erwähnt hat, lässt sich die auf den Kleidungsstücken festgestellte Schädigung auf zwei unterschiedliche Messerstiche zurückführen. Daraus folgt, dass der Inhalt des Dienstvermerks nicht als kompatibel mit dem, was bei der Erstellung von diesem Gutachten festgestellt hat, beurteilt werden kann.

[...]

Das Verhörprotokoll vom 7. Oktober 2002 fällt detaillierter aus; darin ist von zwei unterschiedlichen Stichen die Rede, von denen einer (in der Anfangsphase der Begegnung der beiden Personen) aus einer Art Zusammenstoß zwischen der Person mit dem Messer und der Brust des Polizisten, die sie sich nach vorne beugte heraus und der andere während die unbekannte Person, die gleichzeitig versucht hat, sich am Arm Nuceras festzuhalten, nach hinten stürzt und dabei noch einmal zum Hieb ausholt, entstanden sein soll. Massimo Nucera fügt Details über seine Position hinzu: darüber, wie er sein Tonfa hielt und darüber, dass er seinen Oberkörper nach vorn gebeugt hatte. (Aus der Abschrift der betreffenden Tonaufnahme sollen auch Angaben über die Richtung der Hiebe hervorgehen - von unten - zumindest in Zusammenhang mit dem zweiten Hieb. Weitere Hinweise, die zur Bewertung des Falls dienlich sein können kamen aus der Ansicht und aus dem Abhören der Videoaufnahme, die am selben Tag erstellt wurde.

[...]

Die bei diesem Gutachten festgestellten technischen Erhebungen zeigen, dass es sich um zwei unterschiedliche Aktionen handelte, die mit der Klinge eines Messers durchgeführt wurden. Beide sollen als ein frontaler Hieb begonnen haben, von unten her und von links nach rechts, von vorne nach hinten. Es besteht also eine Möglichkeit der Kompatibiltät zwischen den objektiven Daten und den Angaben des Polizisten Nucera: er spricht von zwei Stichen durch ein Messer, welches mit der rechten Hand von der Person gehalten wurde, die ihr entgegengetreten war. Die Richtung passt gut zu einer solchen Dynamik, so wie die Tatsache gut passt, dass die Waffe so gehalten wurde, dass die Klinge nach unten gerichtet war (und ein wenig nach links): Das Messer wird auf "natürliche Weise" gehalten. Auch die auf dem Schulterschutz vorliegenden Spuren sind kompatibel mit dieser Erzählung

[...]

Ich glaube, im Ergebnis folgern zu müssen, dass zwischen dem, was am 7. Oktober 2002 vom Polizisten Nucera beschrieben (und vorgetragen) wurde und dem, was im Laufe dieses Gutachtens festgestellt wurde, Kompatibilität besteht".


Originalartikel:  http://italy.indymedia.org/news/2003/04/262351.php
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Ergänzungen