Terror in der Ausländerbehörde?! Gemeinsames Statement zu der Debatte um den Brand in der Ausländerbehörde

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Im November 2019 haben Unbekannte in Göttingen einen Brandanschlag auf
die Ausländerbehörde verübt. In einem Bekenner*innenschreiben wird die
Ausländerbehörde kritisiert, da diese für Abschiebungen und
Ausgrenzungen verantwortlich ist. Wir als politische Gruppen, die seit
langem die Politik der Ausländerbehörde als rassistische Staatspolitik
kritisieren, wenden uns jetzt einige Monate später mit einem gemeinsamen
Statement gegen die in der Debatte vorherrschende Selbst-inszenierung
der Ausländerbehörde als „Service-Behörde“ und gegen die Gleichsetzung
des Brandanschlages mit dem faschistischen Terror mordender Neonazis.
Während Polizei, Stadtrat und Oberbürgermeister von linkem „Terror“
reden, wollen wir dringend von rassistischer, staatlicher Politik sprechen.

Im November 2019 haben Unbekannte in Göttingen einen Brandanschlag auf
die Ausländerbehörde verübt. In einem Bekenner*innenschreiben wird die
Ausländerbehörde kritisiert, da diese für Abschiebungen und
Ausgrenzungen verantwortlich ist. Wir als politische Gruppen, die seit
langem die Politik der Ausländerbehörde als rassistische Staatspolitik
kritisieren, wenden uns jetzt einige Monate später mit einem gemeinsamen
Statement gegen die in der Debatte vorherrschende Selbst-inszenierung
der Ausländerbehörde als „Service-Behörde“ und gegen die Gleichsetzung
des Brandanschlages mit dem faschistischen Terror mordender Neonazis.
Während Polizei, Stadtrat und Oberbürgermeister von linkem „Terror“
reden, wollen wir dringend von rassistischer, staatlicher Politik sprechen.

Keine Gleichsetzung von links und rechts!

Der Göttinger Polizeipräsident Uwe Lührig nutzt den Brandanschlag schon
im November 2019, um von „Linksterrorismus“ zu schwadronieren. Auch der
Göttinger Oberbürgermeister Rolf-Georg Köhler (SPD) vergleicht in seiner
Rede vor der Verwaltung im Dezember 2019 den Brandanschlag mit rechtem
Terror in Deutschland. Wörtlich setzt Köhler den Sachschaden im Amtshaus
mit dem bewussten und gewollten Gefährden von Menschenleben durch das
Anzünden von Geflüchtetenwohnheimen gleich. Eine zehnköpfige
Sonderkommission zur Ermittlung wurde von der Polizei schnell
eingerichtet. Die Ermittlungen wurden an die Bundesanwaltschaft
übergeben, die sich u.a. mit dem NSU beschäftigt hat.

Die Gleichsetzung eines Sachschadens mit den Morden des NSU und
Terrorplänen von Neonazis, Soldat*innen, Mitarbeiter*innen des
Verfassungsschutzes und Polizist*innen relativieren rechte
Terrornetzwerke samt staatlicher Unterstützung und Verwicklungen darin.
Durch diese Äußerungen werden migrantische Menschenleben relativiert.
Die Äußerungen und Vorgehensweisen zeigen, dass Politiker*innen wie
Köhler gemeinsam mit der Göttinger Polizei gegen Linke, die Sachschäden
begehen, viel schneller vorgehen, als gegen Neonazis, die migrantische
Menschenleben gefährden.

Nein zu diesem Service!

Die Ausländerbehörde war nach dem Brand für kurze Zeit nicht
arbeitsfähig. Oberbürgermeister Köhler, aber auch der Chef der Göttinger
Ausländerbehörde Joachim Rogge, reagieren auf den Brand mit weiterer
Schikane gegen diejenigen, die von ihrer Behörde abhängig sind: So wird
Menschen die Vergabe von Visa für Familienangehörige verwehrt oder
Visaverlängerungen für den Besuch im Ausland nicht ausgestellt. Darüber
hinaus drohte Herr Rogge im Januar 2020 im Göttinger Tageblatt
Geflüchteten damit, dass durch den Brand Duldungen nicht verlängert
werden könnten, was Menschen in die Illegalität drängen würde. Die
Ausländerbehörde inszeniert sich dabei als Behörde, die zwischenzeitlich
ihrem „Service“ nicht mehr nachkommen konnte.

In der Ausländerbehörde werden jedoch keine an „Kund*innen“ orientierten
„Serviceleistungen“ durchgeführt. Im Gegenteil werden Menschen ohne
deutschen Pass auf Grund des repressiven, deutschen Ausländerrechts dazu
gezwungen, regelmäßig diesen Ort aufzusuchen. Die Ausländerbehörde
entscheidet, ob jemand bleiben darf. Dies bedeutet, beständig unter der
Bedrohung zu leben, von den Mitarbeitenden der Ausländerbehörde die
Lebensgrundlage entzogen zu bekommen. Die Ausländerbehörde setzt
Sonderregelungen für Menschen ohne deutschen Pass in die Realität um.
Diese Behörde ist Teil des staatlichen Rassismus, der systematisch
Menschen anhand von Kategorien der Staatsbürger*innenschaft sortiert,
ausgrenzt, ihren Alltag terrorisiert und Ungleichheiten schafft. Dabei
werden Menschen nach Herkunftsland unterschiedlich behandelt, worin sich
eine koloniale Kontinuität zeigt.

Neben dieser alltäglichen psychischen Gewalt besteht der „Service“ der
Ausländerbehörde in der Umsetzung massiver, physischer Gewalt gegen
Geflüchtete. Die Mitarbeitenden der Ausländerbehörde sind für die
Entscheidung verantwortlich, entweder eine Duldung zu verlängern oder
eine Abschiebung einzuleiten. Die Ausländerbehörde trifft dafür
Absprachen mit Landeskriminalamt und der Polizei, die vermummt und
bewaffnet Menschen nachts überfallartig aus dem Schlaf reißen, um sie in
Länder zu verschleppen, in denen sie nicht sicher sind, beispielsweise
weil dort mit deutschen Waffen Kriege geführt werden oder weil die
Industriepolitik des globalen Nordens die Lebensgrundlage dort zerstört.
Die Ausländerbehörde Göttingen ist zum Beispiel verantwortlich für einen
nächtlichen Überfall im Oktober 2019 auf eine Göttinger Familie, bei dem
mitten in der Nacht plötzlich ohne Vorankündigung die Haustür von der
Polizei zertrümmert wurde, um eine Person aus der Wohnung zu holen – was
zum Glück nicht gelang. Die Göttinger Ausländerbehörde trägt eine
Mitschuld an dem Mord an Gani Rama, der in Pristina im Juli 2019 zu Tode
geprügelt wurde, nachdem die Göttinger Ausländerbehörde ihn in den
Kosovo abschob.

Die Organisation von Abschiebungen als „Service“ für Geflüchtete zu
beschreiben, leugnet die systematische Gewalt, die tagtäglich in diesen
Räumen stattfindet!

Respekt?!

Etwa eine Woche nach dem Brandanschlag auf das Amtshaus versammelten
sich ca. 400 städtische Mitarbeitende, von Angestellten der
Ausländerbehörde und dem Jobcenter bis hin zu Entsorgungsbetrieben und
der Feuerwehr, unter dem Motto „Respekt!“ vor dem Neuen Rathaus.

Aber um Respekt wofür ging es dabei eigentlich? Um Respekt für die Würde
und die gleichen Rechte – wie beispielsweise Bewegungsfreiheit – von
allen Menschen, unabhängig von nationalstaatlichen Einteilungen?
Oder doch eher um Respekt für die Ausführung rassistischer Gesetze?
Respekt für die Verfügungsgewalt darüber, ob Menschen nachts aus ihren
Betten gerissen und verschleppt werden, weil sie zufällig nicht mit dem
„richtigen“ Pass geboren wurden? Respekt dafür, nur Anweisungen zu
befolgen und „seinen Job“ zu machen?

Laut Oberbürgermeister Köhler waren alle städtischen Mitarbeiter*innen
dazu aufgefordert, sich solidarisch mit den Angestellten der
Ausländerbehörde zu zeigen und gemeinsame Betroffenheit zur Schau zu
stellen. Dabei ist die Arbeit in der Ausländerbehörde eben nicht das
Gleiche wie die Arbeit bei den Entsorgungsbetrieben oder bei der
Feuerwehr! Die Gleichsetzungen, die Köhler in seiner Rede macht, sind
gefährlich. Sowohl die Gleichsetzung von sämtlichen städtischen
Beschäftigten als auch die von rechts und links, die tödliche Anschläge
wie den jüngsten in Hanau erschreckend relativiert.

Respekt bedeutet Bleiberecht und gleiche Rechte für alle Menschen.
Respekt bedeutet auch, Menschen nicht abzuschieben!
Der Rassismus in den Köpfen und in staatlichen Strukturen muss endlich
aktiv angegangen werden! Rechte Netzwerke in staatlichen Institutionen
müssen aufgeklärt werden! Geistige Brandstifter*innen sind auch jene,
die repressive Migrationsgesetze verabschieden und Abschiebungen
anordnen. Kein weiterer Mord! Keine weitere Abschiebung!

Antifaschistische Linke International
Basisdemokratische Linke
BIPoc-Kollektiv
Bündnis gegen Abschiebung
Café Kollektiv Kabale
DerRoteFaden
Ende Gelände Göttingen
f.antifa
[femko]
Freie Arbeiter*innen Union Göttingen
GHG
NoG20-Soligruppe Göttingen
OM10
redical M
Trans*Beratung Göttingen
Yallah?!-Team

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