Die Kurden Spaniens?

Themen: 
Regionen: 

Zu den Bewegungen und Kräften, die bei der katalanischen Autonomie-Wahl eine Rolle spielten

Die Kurden Spaniens? In Katalonien fanden Regionalwahlen statt. Sie sind deswegen für ganz Europa interessant, weil in zahlreichen Städten des Spanischen Staates, aber ganz besonders in Katalonien, sich bei den Kommunalwahlen starke antikapitalistische Bündnisse gebildet hatten, in primis in Barcelona, die, sich auf die aktive Mitwirkung der organisierten Bevölkerung sich stützend, ja sich offen als deren Sprachrohr verstehend, konkret und mit einer ungeheuren Energie gegen das Austeritätsregime vorgehen. Griechenland, das mit seinen Erfahrungen der letzten Monate zu einem Pol des Widerstands in Europa geworden war, hatte und hat sehr viel von Spanien zu hoffen – „für ganz Europa interessant“, weil im Spanischen Staat und besonders in Katalonien ein zweiter, womöglich noch kräftigerer Pol entstehen könnte. Die Situation in Katalonien zeichnet sich dadurch aus, daß sich sozialpolitisch-antikapitalistische Bewegungen wie Podem (katalanisch für Podemos) und die starken separatistisch- sezessionistischen Bewegungen überlappen,  z. T. eng mit einander verzahnt sind, überdies die independentistas (die für die staatliche Unabhängigkeit Kataloniens kämpfenden Organisationen und Parteien) stark durch die Linke, ja die radikale Linke geprägt sind. Der Widerstand hat daher in Katalonien einen spezifischen Doppelcharakter. Los von Madrid und Gegen´s Kapital stehen Seite an Seite. Die in jeder Region zu einem anderen Zeitpunkt stattfindenden Autonomiewahlen haben wie der Name schon sagt, im allgemeinen eine vorrangig regionale Bedeutung. Nicht in diesem Fall, in Fall der (diesmal vorgezogenen) katalanischen Autonomiewahlen. Erstens weil sie, bloß etwas mehr als 2 Monate vor den möglicherweise die endgültige Entscheidung für einen Regimewechsel bringenden gesamtspanischen Parlamentswahlen auf dem hyperpolitisierten katalanischen Territorium stattfinden, und dann weil sie zusätzlich als Ersatz für ein von der Zentralregierung verbotenes Referendum dienen: die für die Eigenstaatlichkeit optierende nationalistische (das Wort ist im Spanischen wie im Englischen nicht pejorativ), aus heterogenen Strömungen zusammengesetzte Großtendenz versteht diese Wahlen als plebiszitäre Kampfwahlen – was die Zentralregierung zur Weißglut reizt, nachdem sie ein Verbot nach dem anderen erlassen hat und sprachliche, kulturelle Autonomierechte mit einiger Brutalität eingeschränkt hat. Dies hat wiederum den unmittelbar und direkt sezessionistischen Anteil am Wählervolk in letzter Zeit erheblich verstärkt. Die nationalistische Rechte, geprägt durch Convergència, ehedem Teil der nicht mehr bestehenden Convergència i Unió (CiU), der jahrzehntelang das Land steuernden Rechtskoalition, aber auch wahlbedingt verbündet mit der an sich progressiven und auch mit einem sozialpolitisch progressiven Wahlprogram ausgestatteten, aber stets ein wenig oszillierende ERC (Republikanische Linkspartei) bildet den rechts-konservativen Flügel der Unabhängigkeitstendenzen. Wie wir in der Folge sehen, wird diese Großtendenz die absolute Mehrheit erreichen und behalten. Die ERC ist zwar eine historische antifaschistische linke Partei, deren Führer Companys im KZ ermordet wurde, aber ihre konkret-realen Positionierungen wechseln beständig. Im Stadtparlament von Barcelona unterstützte sie wohltätig  die Wahl der ersten Sprecherin von Podem, Ada Colau, und damit die ganze Allianz, die unter anderem auch aus Kommunisten, Grünen und einer radikal sezessionistischen und antikapitalistischen Partei, dem Procès Constituent, besteht, in anderen Gemeinden koalierte sie mit der PSC, Schwesterpartei der durch und durch korrupten und durch Geheimdienststrategien gesteuerten und vergifteten PSOE (die unter anderem für regelrechte und  gegen die baskische Linke gerichtete Todesschwadronen verantwortlich war; jetzt ist ERC im Verbund mit Convergència, die mitverantwortlich war für eine Reihe von regressiven und repressiven Maßnahmen der Vergangenheit, mitverantwortlich für die administrativ verdoppelte Pauperisierung der Bevölkerung. Dieser rechte (rechtere) Flügel, der allerdings auch von Kulturorganisationen (die in Katalonien ein bedeutendes Gewicht haben) unterstützt wird, nennt sich Junts pel Sí („Gemeinsam für ein Ja“).Der linke Flügel besteht unter anderem aus Podem, der CUP (Candidatura d´Unitat Popular), einem grün-roten Bündnis, welches wiederum aus Iniciativa per Catalunya  (IC, Grüne und Nationalisten) und der Esquerra Unida i Alternativa (EuiA, Vereinigte und Alternative Linke) zusammengesetzt ist, und dem schon genannten Procés Constituent. Mit Ausnahme von CUP und Procés Constituent  und einem Teil von IC sind sämtliche Organisationen des linken Flügels, der sich Catalunya Sí que es pot (sí que es pot ist die katalanische Entsprechung der Losung Sí se puede, „Ja wir können es!“) gegen eine katalanische Eigenstaatlichkeit. Catalunya Sí que es pot ist übrigens aus der von Ada Colau maßgeblich geprägten kommunalen Wahlliste Barcelona en Comú (frei: „Barcelona gemeinsam und öffentlich“ hervorgegangen). Der Stellvertreter von Ada Colau, Gerardo Pisarello, der als das Mastermind von Barcelona en Comú gilt, ist übrigens von Procés Constituent, einer Formation, die schon zu Beginn einen großen Massenzuspruch hatte und von zwei Benediktinerordensschwestern geführt wird, die eng mit dem berühmtesten Kloster Kataloniens, Monserrat, verbunden sind. Dieses Kloster steht seit jeher in einer antifaschistischen und auch katalanistischen Tradition (es war der einzige Ort, an dem unter der Franco-Diktatur auf katalanisch gedruckt wurden). So viel zur Verzahnung.Die CUP, als absolut auf dem Plenarsystem und der ausschließlichen Entscheidungsfindung nicht durch beauftragte Politiker oder „Koordinatoren“ oder „Sprecher“, sondern durch die Aktivisten der jeweiligen örtlichen Versammlungen beruhende Bewegungspartei ist vielleicht die radikalste, den Bewegungen am stärksten verpflichtete, zum großen Teil auch von der jungen Generation getragene Organisation, ist vielleicht das innovativste und bedeutendste Phänomen der politischen Landschaft Kataloniens. Die CUP kandidierte bei den Kommunalwahlen in Barcelona selbständig, im angrenzenden Badalona unterstützt sie die Liste namens Guanyem Badalona en Comú („guanyem“, katalanisch für ganemos („Siegen wir!) war die ursprüngliche Bezeichung für die von Iglesias für die Kommunalwahlenvorgeschlagenen Gesamtwahllisten aus heterogenen progressiven Organisationen), deren Sprecherin, die jetzige Bürgermeisterin, sich ganz hinter die Unabhängigkeitsbewegung stellt. Die radikale Forderung nach Eigenstaatlichkeit, also Abtrennung vom Spanischen Gesamtstaat ist bei der CUP verbunden mit radikalem Antikapitalismus, übrigens auch mit einer expliziten EU-Gegnerschaft, dies im Gegensatz zum Gros der sezessionistischen Großtendenz, die auch ein abespaltenes Katalonien in der EU halten will.  Procés Constituent will außerdem den Ausstieg Kataloniens aus der NATO. Damit trifft sie sich mit der permanenten und konsequenten Mobilisierung von Izquierda Unida gegen die US-Stützpunkte im Lande. Eine der Prioritäten der CUP ist die Unterstützung der kämpfenden, der streikenden Arbeiter und Arbeiterinnen. Derzeit, 22 Uhr 26, sind 84.76 % der Stimmen ausgezählt: Die Großtendenz Junts pel Sí hat 63 von 135 Abgeordnetensitzen, CUP hat 10,  Catalunya Sí que es pot ebenfalls 10.

webadresse: 
Lizenz des Artikels und aller eingebetteten Medien: 
Creative Commons by-sa: Weitergabe unter gleichen Bedingungen