kleine Antwort auf den Text: „DW ENTEIGNEN KRITIK..."

Eine kleine Antwort auf den Text: „DW ENTEIGNEN KRITIK. Neues revolutionäres
Stadtentwicklungsprogramm – nicht nur für Berlin. Mietkampf und Anarchie 2019. ENTEIGNEN“
in der Interim Nr 807 / September 2019

Enteignen ist erst der Anfang!
Wir haben die Kritik an der Kampagne „Deutsche Wohnen enteignen“ mit einigem Interesse
gelesen und untereinander diskutiert. Sie hat uns jedoch nicht überzeugt und unsere Widerrede
findet ihr hier.
Um es grundsätzlich zu sagen: unserer Meinung nach zielt ihr etwas daneben mit euren
Argumenten. In erster Linie unterstellt ihr den Kampagnen-Aktivist*innen, dass sie mogeln würden
mit dem Enteignungsbegriff. Ihr sprecht von „Luftnummer“, „Irrweg“, „Enteignungslüge oder
-versprechen“ und vom „sich blenden lassen“. Hierzu haben wir eine konträre Einschätzung: es
wurde von Anfang an deutlich gemacht, dass eine Enteignung nach dem genannten Paragraphen
eine Entschädigung mit sich bringt. Dies steht auf den Unterschriftenlisten, dies wurde im Rahmen
der Kampagne erläutert, ja, es wurde sogar schade gefunden. Allen, die sich dafür interessierten,
war diese Information sehr schnell zugänglich. Jede Presseberichterstattung hatte es zum Thema, es
wurde öffentlich viel über Summen gesprochen und diskutiert, aus unterschiedlichsten politischen
Motivationen. Klar ist ja wohl auch, eine Kampagne mit dem Titel „Deutsche Wohnen zurück
kaufen“ hätte nicht ganz so gefunzt...
Schade und gleichzeitig richtig ist höchstens, dass eine „legale“ Enteignung auf Basis eines
Grundgesetzartikels (GG Art. 15) in diesem Land eben nur im Zusammenhang mit einer wie auch
immer gearteten Entschädigung möglich ist. Dass ganz andere Sachen vorstellbar und
wünschenswert sind, ist keine Frage, aber daraus lässt sich kein Vorwurf an eine Kampagne
stricken, die sich auf einen legalen Weg bezieht. Und dass gerade Linksradikale verarscht worden
seien, sehen wir nicht so – wir selber sind ja nicht so blöd, dass wir glauben würden, per
Unterschriftensammlung könnten Konzerne enteignet werden. Außerdem fanden wir in der Politik
der Kampagne „Deutsche Wohnen enteignen“ mehr Inhalte als eben diese Forderung: es wurde
immer ein Fokus auf die allgemeine Wohnungswirtschaft gelegt, Akteur*innen benannt und
Zusammenhänge aufgezeigt, also Aufklärungsarbeit geleistet. Vermutlich nimmt die Kampagne
dadurch auch Leute mit, die sich bisher nicht engagiert oder irgendwo organisiert hatten.
Wir haben uns gefreut, dass die „Enteignen“-Vokabel plötzlich die Runde machte und eine
erstaunliche Welle lostrat. Private Hausbesitzer*innen erkundigten sich besorgt, ob ihr Eigentum
jetzt gefährdet sei und wieviel Sozialismus im Grundgesetz stecken würde, konservative und rechte
Parteien fühlten sich aufgefordert, zum Gegenschlag auszuholen, die Rating-Agentur Moodies
drohte Ende 2018 damit, das Ranking des Investment-Standorts Berlin zu senken, der Jung-Sozi
Kevin Kühnert dachte laut über die Enteignung von Autokonzernen nach – und die Presse
überschlug sich fast in ihren Artikeln und Szenarien über eine Wohnungswirtschaft unter anderen
Vorzeichen. Wo sonst schafft es ein linkes Thema plötzlich, so etwas alles auszulösen, einen
Diskurs zu setzen? Wir haben momentan ständig damit zu kämpfen, dass die Themensetzung und
Diskursverschiebungen von rechts kommen und die Linke hinterher rennt, sich abarbeitet, liberale
Werte verteidigt, statt eigene linke und linksradikale Positionen zu setzen. Neue linke Erzählungen
müssten her, ist vielerorts zu hören und halten auch wir für nötig.
Und nun schafft es eine – unseretwegen – bürgerlich daherkommende Kampagne, eine für links
wichtige Diskussion, nämlich um die Themen Wohnen, Mieten, Besitzverhältnisse auf die Agenda
zu setzen. Das alte Muster, wer Geld hat, kann sich alles kaufen, was er/sie will, wird plötzlich ein
klein wenig angekratzt. Es gibt darüber hinaus eine breite Sichtbarkeit und Zuspitzung dessen, was
Mieter*innen-Inis etc. fordern.
Hier sehen wir den politischen Mehrwert der Kampagne. Es ist immer auch ein Etappenziel im
politischen Alltag, einen Diskurs nach links zu verschieben, hierfür Chapeau an die Kampagne!
Tagtäglich sind wir auch mit realpolitischen Fragen beschäftigt und hierin ist es doch von Vorteil,
wenn realpolitische linke Ziele öffentlich zur Diskussion stehen (in diesem Fall ein Rückkauf bzw.
eine Rekommunalisierung) und wenn Realpolitik sozialer werden soll. Beim Verscherbeln bis dahin
städtischen (Wohn-)Eigentums unter der rot-roten Landesregierung vor 15 Jahren an
Investmentfonds war linker Widerstand viel zu leise gewesen. Es wäre natürlich albern,
kommunales Wohneigentum für revolutionär zu halten. Aber es bietet andere Möglichkeiten,
Erleichterungen für uns Mieter*innen einzufordern, zu erreichen und auszubauen, weil Profit und
'Rendite mit der Miete' nicht oberste Priorität haben (müssen), und es verhindert heftige
Mieterhöhungen und Luxusmodernisierungen.
In eurem Kritiktext betrachtet ihr eine „Diskursverschiebung“ als nix wert, da sie rein symbolisch
und ohne materielle Bedeutung sei. Für Investor*innen bedeutet es jedoch schon eine materielle
Einschränkung, wenn ihnen ihr Hausbesitz genommen wird und sie nicht so viel Gewinn machen
können, wie sie wollten, weil jetzt statt langfristiger Rendite nur eine einmalige Entschädigung im
Raum steht. Dass die im Raum stehenden Summen ihnen trotzdem noch fette Polster verschaffen
würden, stößt uns natürlich auch übelst auf.
Gerade deshalb sollten wir als Linksradikale auch nicht bei der Kampagne stehen bleiben und
denken, die wird schon alles richten. Irgendwie sprecht ihr ja – gewollt oder ironisch – selbst im
Text an, wie es über die Kampagne hinaus auf verschiedenen Ebenen weiter gehen könnte.
Es ist keine revolutionäre Kampagne, die den Kapitalismus beseitigt, aber wir sehen ihre Stärken
und finden, radikale Linke können darauf aufbauen. Kein „entweder Kampagne oder linksradikale
Aktionsmischung“, sondern beides!!
Wir denken, im Rauschen des Diskurses besteht die Chance, an der Diskussion anzudocken und
noch ein paar Schippen oben drauf zu legen: z.B. Forderungen nach Rekommunalisierung, die
soziale Wohnbedingungen festschreibt, ein radikaler echter Mietendeckel, eine Verwaltung
öffentlicher/kommunaler Wohnungen durch Mieter*innenräte und weitere Formen der Partizipation
von unten (Bürger*innenbeteiligung und -verwaltung, wie es z.B. in anderen internationalen
Kämpfen gegen Privatisierung sogar durchgesetzt werden konnte, etwa bei der Wasser-
Rekommunalisierung in Bolivien). Aber natürlich auch andere Formen des Angriffs auf Eigentum
wie z.B. Hausbesetzungen können die Eigentumsfrage stellen. Radikale, militante Aktionen gegen
Immobilenkonzerne etc. sind auch Teil einer Diskursverschiebung, genauso wie große, laute
Mieter*innen-Demos und Proteste. Wir würden hierin lieber eine große Bewegung aus radikaleren
und 'bürgerlicheren' Teilen sehen wollen und haben es nicht so empfunden, dass die
Mieter*innenbewegung durch die Kampagne „verarscht“ wurde. Mit dieser eurer Einschätzung
werden eben diese aktiven Leute von euch für relativ dumm und verführbar erklärt, damit euer
Vorwurf der Spaltung der Mieter*innenbewegung hinhaut.
Nachvollziehen können wir eure Kritik an der Distanzierung durch Kampagnen-Leuten von
Autobränden. Presse-geübte Sprecher*innen sollten es eigentlich drauf haben, entsprechende und
erwartbare Fragen anders zu beantworten als mit einer Distanzierung – oder sie finden es wirklich
strategisch oder moralisch schädlich, wenn DW-Autos brennen… Ein solidarisches Verhältnis kann
uns nur stärken. Uns jedenfalls halten solcherlei Distanzierungen nicht von unseren autonom
gewählten Aktionsformen ab.
In diesem Sinne, Enteignung ist erst der Anfang!

Radikale Mieter*innen, die auch mal Unterschriftenlisten ausfüllen...

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