Zwei Jahre Palästinasolidarität and all I got were zehn verbrannte Proletarier*innen

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Wenn ich vor zwei Jahren gesagt hätte, dass ein kriegsbegeisterter, antisemitischer Mob in Bern gewütet, und dabei einfache Gastroangestellte in Lebensgefahr gebracht hat, hätten die wenigsten dabei an Linke gedacht. Nun sind wir aber am Punkt, an dem das zur Tatsache wurde. Ein Rant über die letzten zwei Jahre:

 

Seit dem 07. Oktober 2023 vermisst man linke Politik in der Schweiz (und anderswo) gänzlich. Sowohl auf der Strasse, als auch in Parlamenten. Ein grosses Schweizer Medienunternehmen entlässt 36 Angestellte und der Kongress, der grössten Schweizer Mediengewerkschaft beschliesst irgendwas über einen Genozid im Nahen Osten. Diverse Firmen überlegen sich die Schliessung ihrer Schweizer Standorte, aber es regt sich nichts. Preise, Mieten und Prämien steigen, besetzte Häuser werden geräumt, doch nichts brennt, keine Steine fliegen – und wenn doch dann nur an einem Abend. Demos gegen die Erhöhung der Studiengebühren bleiben friedlich und harmlos.

Stattdessen gibt es Unibesetzungen, wöchentliche Mahnwachen und Demos in sehr hoher Frequenz, weil sich klerikalfaschistisches Regime A mit zunehmend klerikalfaschistischem Regime B um ein Territorium streitet.

Nach dem Waffenstillstand von letzter Woche hatte die Zivilbevölkerung beider Staaten Grund zu feiern: Wenigstens wird (für den Moment) nicht mehr geschossen.

Die Fans des klerikalfaschistischen Regimes A waren jedoch wütend: Es hat (vorerst) nicht für den angestrebten Endsieg "von der Maas bis" äh... ich meine natürlich "from the river to the sea" gereicht. Ausserdem hatte man sowieso nichts Besseres zu tun und die "Jahrestag des grössten antisemitischen Massakers der Nachkriegszeit Jubelparty Vol. 2" war schon geplant. Also trotzdem auf nach Bern und Angriff.

Dass die weiter oben genannten Themen nicht zur wiederholten Eskalation auf der Strasse oder zu grossen politischen Debatten (Grabschändungen in Basel und Messerattacken auf Juden in Zürich lasse ich an dieser Stelle bewusst aussen vor) geführt haben, lassen einige Schlüsse zu:

Wer reiche Eltern hat, hat keinen Grund wegen der ökonomischen Verschlechterung der Verhältnisse auf die Strasse zu gehen.

Wer wütend über das vorläufige Ende eines Krieges ist, steht in der Tradition eines Gustav Noske, nicht in jener einer Rosa Luxemburg (dies wird die durchaus mitgemeinten Sozialdemokrat*innen weniger stören aber sei’s drum).

Wer, wenn wir den Genozidvorwurf denn annehmen wollen, statt jenem der (vermeintlich) verantwortlichen Schweizer Politiker*innen, das Leben einfacher Angestellter gefährdet, ist feige und meint es dann wohl doch nicht so ernst mit der Solidarität. Ging es vielleicht doch nur um Selbstprofilierung, und darum, auf der «richtigen Seite» der Geschichte zu stehen? Die am Tag danach Kurzvideos der entstandenen Schäden aufnehmenden mit Schlaghosen, Palituch und Vokuhila uniformierten Aktivist*innen deuten in diese Richtung.
Es ging euch immer nur um euch selbst.

Zum Abschluss die vorläufigen Kosten aus zwei Jahren GeLARP*e:

Only local images are allowed. Faschistische Kriegstreiberei (als ob wir davon nicht schon genug hätten) ist nun auch in linken Räumen salonfähig.
Only local images are allowed. Muslim*innen in der Schweiz, die ihr unweigerlich (und teilweise gegen deren Willen) in die ganze Scheisse reingezogen habt, haben nach dem 11.10.2025 einen noch schwereren Stand als ohnehin schon.
Only local images are allowed. Bürgerliche Forderungen nach mehr Überwachung linker Gruppen und deren Verbot erscheinen vielen nach diesem Wochenende legitim.
Only local images are allowed. Keine Verbesserung ökonomischer oder ökologischer Natur.
Only local images are allowed. 10 potenziell traumatisierte Gastroangestellte, ein angestochener Jude, ein geschändeter jüdischer Friedhof und eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, dass Schweizer Jüdinnen*Juden auswandern (ratet mal wohin).

Mit einer Linken, die Krieg feiert, ist kein Frieden zu machen. Mit einer Linken die (auch abgesehen vom Krieg) Arbeiter*innen gefährdet, ist kein Klassenkampf zu machen.

In Bern sind mehr Dinge zu Bruch gegangen, als ein paar Fensterscheiben.

*LARP = Live Action Roleplay, ein Rollenspiel in der realen Welt.

 

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