Nachtrag zum Redebeitrag gegen die Herner Bürgerwehr ("Bass gegen Hass" 10.12.2019)

Nach einem Redebeitrag von Antifaschist*innen aus Bochum auf der Tanzdemo „Bass gegen Hass“ in Herne am 10.12.2019 kam es zu kontroversen Diskussionen in den sozialen Netzwerken. Der Redebeitrag richtete sich gegen das Aufkommen der bürgerwehrähnlichen Strukturen durch die Gruppe „Stark für Herne“ und behandelte ebenso das Verhalten von Polizei und Presse im Zusammenhang mit diesen Aufmärschen. Den Vorwürfen, in diesem Redebeitrag wäre ein undifferenziertes „Polizei-Bashing“ an den Tag gelegt worden, wollen wir entschieden widersprechen.

Neben einer generell allgegenwärtigen Repressionskultur und Gewalt durch die Polizei bei linken Gegenprotesten, ist es auch in Herne immer wieder zu gewalttätigen Handlungen der staatlichen Ordnungsmacht gekommen. Es mag sein, dass der Gegenprotest, der weitab der Strecke ein eigenes Programm bietet, nicht mit Polizeigewalt in Berührung gekommen ist, allerdings haben die mutigen Antifaschist*innen, die sich der Bürgerwehr in Herne direkt und effektiv in den Weg gestellt haben, diese sehr wohl erfahren müssen.

Bei mehreren Blockaden war es der anwesenden Polizei offensichtlich sehr wichtig, den Aufmarsch nicht zu stoppen oder abzubrechen. Sie führte die Neonazis direkt an den Sitzblockaden vorbei, woraufhin teilweise Gegenstände aus den Reihen des rechten Aufmarsches auf die Gegendemonstrant*innen geworfen wurden. Dass dabei niemand verletzt wurde, lässt sich nur als Glück bezeichnen. Des Weiteren kam es auch zu direkter Gewalt gegen die Blockierenden durch die anwesende Polizei. So erhielt eine junge Antifaschistin einen Schlag in den Bauch und hatte zunächst mit starken Schmerzen zu kämpfen. Andere Teilnehmer*innen einer Blockade wurden gewaltsam über den Boden geschliffen, verloren dabei teilweise Kleidungsstücke und erlitten kleinere Schürfwunden. Auch psychische Gewalt legte die Polizei gegen die Blockaden an den Tag. So stoppte ein Polizeimotorrad nur wenige Zentimeter vor den sitzenden Antifaschist*innen, um dann die Sirene einzuschalten und die Blockade minutenlang damit aus nächster Nähe zu beschallen. Der schwerste Vorfall ereignete sich am 03.12.2019 während einer Blockade an der Haltestelle Herne Mitte. Während die Polizei zum wiederholten Male die Neonazis direkt an der Blockade vorbeiführte, fuhr eine Polizistin einem Teilnehmer der Blockade mit ihrem Fahrzeug unachtsam über den Fuß. Weder die Polizistin noch der Rest des Polizeitrupps kümmerte sich nach diesem Vorfall um eine medizinische Versorgung des Angefahrenen oder machte überhaupt irgendwelche Anstalten anzuhalten oder Maßnahmen zu ergreifen. Es wurde billigend in Kauf genommen, dass Verletzungen oder Brüche entstanden sein könnten. Dass nichts passiert ist und es dem Antifaschisten wieder gut geht, ist abermals sehr großem Glück zu verdanken.

Doch auf dieses Glück können und werden wir uns nicht verlassen. Es ist wichtig, das Fehlverhalten der Polizei immer wieder anzuprangern und nicht zu ignorieren oder zum Normalfall werden zu lassen. Das konsequente Ignorieren von Polizeigewalt und das immer wieder verbreitete Bild als „Freund und Helfer“ sind ein Schlag ins Gesicht für alle, die unter dieser Gewalt zu leiden hatten oder davon bedroht werden, nur weil sie ihr Recht auf Demonstrationsfreiheit nutzen.
Wir haben uns entschieden, den gehaltenen Redebeitrag hier zu veröffentlichen und stehen trotz der Diskussionen weiterhin geschlossen hinter dem Inhalt.
Polizeigewalt darf niemals zum Normalfall werden und nur, weil man selbst noch nicht betroffen war, darf dies niemals ein Grund sein den Betroffenen dieser Gewalt Solidarität zu versagen!

 

 

Im Folgenden möchten wir den Redebeitrag vom 10.12.19 veröffentlichen :

"Wir befinden uns hier direkt vor der Kneipe “Markttreff”, wo sich rechte Hooligans und Neonazis treffen, wo sie ihre Aktionen planen und aus der sie heraus bereits mehrfach Menschen angegriffen haben.
Seit über 3 Monaten marschiert ein brauner Mob aus rechten Hooligans, Rocker*innen und Neonazis regelmäßig dienstags durch Herne. Vorgeblich haben sie es sich zum Ziel gesetzt sich „Stark für Herne“ zu machen und für Sicherheit und Ordnung auf den Straßen zu sorgen. Doch Angst verbreiten eigentlich sie. Angst für Andersdenkende, Migrant*innen, Geflüchtete und alle die nicht in ihr rassistisches Weltbild passen. Die Bürgerwehr läuft nach einem obligatorischen Gruppenfoto in martialischer Pose am Herner Bahnhof als aggressiver Mob durch die Herner Straßen. Dabei werden sie nur dürftig von der Polizei abgeschirmt. Immer wieder kommt es zu Ausbruchsversuchen aus der rechten Demonstration in Richtung der Gegendemonstrant*innen. Bis jetzt konnte eine sichtlich überforderte Polizei zumindest während der Demonstration ein Aufeinandertreffen der friedlichen Gegendemonstrant*innen und der pöbelnden, teilweise betrunkenen Neonazis verhindern. Allerdings kam es nach dem Aufmarsch am 08.10. sowie während einer Demo des Bündnis Herne am 29.10. zu Angriffen der Rechten auf Antifaschist*innen.

Bei beiden Übergriffen spielte die Kneipe, vor der wir hier grade stehen, eine zentrale Rolle. Nach dem rechten Übergriff auf Antifaschist*innen in der Herner Innenstadt zogen sich die rechten Schläger*innen hierhin zurück. Ebenso erfolgte der Angriff auf die Demonstration des Bündnis Herne aus ebendieser Kneipe heraus. Der „Markttreff“ scheint sich als Rückzugs- und Sammelort für die Neonazis, die sich an den Aufmärschen beteiligen, etabliert zu haben. Auch vor den Märschen der Bürgerwehr treffen sich die Teilnehmenden dort zum gemeinsamen Trinken, um dann zusammen zum Startpunkt am Herner Bahnhof zu gehen. Auch die Organisator*innen sind regelmäßig vor den Aufmärschen im „Markttreff“ zugegen: Aus der Gruppe werden Ordner*innen gestellt, Transpis mitgebracht und die Demonstration angemeldet.

Laut einem Artikel auf indymedia wurde diese Kneipe treffenderweise als Nazitreff markiert. Es ist wichtig, dass wir so deutliche Worte wählen! Es handelt sich bei diesem rassistischen Mob weder um „besorgte Bürger*innen“ noch um einen „Sparziergang“. Örtliche Medien verharmlosen die Aufmärsche durch diese Wortwahl leider immer wieder. Wenn wir uns die Teilnehmenden etwas genauer ansehen, wird schnell klar, dass es sich eben doch klar um knallharte Neonazis handelt.
Sie pflegen beste Kontakte in die organisierte rechte Szene. Auf den Aufmärschen waren sowohl Kader der Parteien „Die Rechte“ als auch NPD zugegen. Auch die sogenannte „Identitäre Bewegung“ zeigte sich dort. Regelmäßig trommeln die Initiator*innen aus Herne auch Mitglieder der Essener „Steeler Jungs“ und der Düsseldorfer „Bruderschaft Deutschland“ zusammen. Beide Gruppen agieren im extrem rechten Spektrum und treten immer wieder uniformiert auf die Straße. Der „Chef“ der „Bruderschaft Deutschland“ Ralf Nieland, zeigt sich ebenfalls als regelmäßiger Teilnehmer der Aufmärsche. Nieland wurde bereits wegen Körperverletzung verurteilt, da er mehrfach auf den Kopf eines Antifaschisten einschlug und er skandierte zusammen mit seiner „Bruderschaft“ während einer rechten Demo in Berlin in Richtung anwesender Journalist*innen die Parole „Wenn wir wollen, schlagen wir euch tot“. Gestern wurde das Büro der Partei „Die Linke“ in Wanne mit Buttersäure angegriffen. Dass dahinter organisierte Neonazis, wahrscheinlich aus Herne stecken dürfte klar sein.
Auch die Herner Nazis sind bereit seit vielen Jahren in er rechten Szene aktiv. Einige kommen aus dem Hooligan-Umfeld von Westfalia Herne und besuchten entsprechende Aufmärsche wie HoGeSa in Köln. Andere von ihnen zeigten sich in der Vergangenheit bei rechten Aufmärschen wie „Mönchengladbach steht auf“ oder dem PEGIDA Ableger „Daskut“ in Bochum. Auch musikalisch stehen die Mitglieder der Herner Bürgerwehr ganz rechts. So besuchte eine Gruppe aus Herne das Schild und Schwert Festival (kurz SS-Festival) in Ostritz. Die Gruppe, die aus mehreren Initiatoren der Herner Aufmärsche bestand, trat dabei als sogenannte „Bruderschaft 44“ mit entsprechenden Shirts auf. Aber auch die weiblich gelesenen Mitglieder der Bürgerwehr stehen den Bruderschaften in nichts nach – mindestens zwei der Initiatorinnen zählen sich zur „Schwesternschaft Deutschland“. Die „Schwesternschaft Deutschland“ wurde erst vor kurzem gegründet und zählt als Frauengruppe der gewalttätigen „Bruderschaft Deutschland“ um Ralf Nieland.

Alle diese Fakten führen uns nochmal deutlich vor Augen, dass es sich nicht um „besorgte Bürger“ handelt, sondern um gewalttätige Neonazis, die jede Woche durch Herne marschieren. Wir dürfen diesen Rassist*innen nicht die Straße und auch keine Räume überlassen! Es darf keine Wohlfühlzonen für Faschos geben!

An dieser Stelle noch ein paar Worten an die lokalen Medien, insbesondere die WAZ: Hört auf, das was hier passiert zu verharmlosen! Es marschieren wieder Rassist*innen durch die Straßen. Neonazis, die Hitlergrüße zeigen, ihre Gegner*innen angreifen und ganz klar der extremen Rechten zuzuordnen sind. Und ihr bezeichnet diese Menschen als „besorgte Bürger“ und ihre Aufmärsche als „Spaziergänge“. Was soll das? Ihr bereitet diesen Menschen mit dieser verharmlosenden, euphemistischen Wortwahl den Weg in die Gesellschaft und in die Köpfe! Lest euch die vor kurzem erschienene Recherche zu den Personen durch! Hört auf zu bagatellisieren und bezeichnet die Mitglieder dieser Bürgerwehr als das was sie sind – gewalttätige Rassist*innen und Neonazis!
Die Polizei gibt ebenfalls ein miserables Bild ab, wenn sie gewaltbereiten Rassist*innen den Weg freimacht, sie auf einen Meter an Sitzblockaden vorbeiführt und damit unverantwortliche, bedrohliche Szenarien schafft und wie zuletzt einem Menschen einer Sitzblockade über den Fuß gefahren ist.

Hier in Herne zeigt sich jeden Dienstag überall an der Strecke lauter Gegenprotest. Es hat schon mehrere Sitzblockaden gegeben, die den Aufmarsch effektiv verzögert haben. Verschiedenste Arten des Protestes zeigen hier ganz deutlich – die Herner*innen haben keinen Bock auf Rassist*innen auf ihren Straßen! Das ist großartig, aber wir sollten es nicht bei Symbolpolitik und Kundgebungen in Entfernung zu der Route der Faschos belassen. Blockaden zum Beispiel sind ein legitimes und notwendiges Mittel des Protestes und es hat sich schon mehrfach gezeigt, dass sie effektiv den Aufmarsch verzögert haben und ihn auch aufhalten können!

Bleibt laut, bleibt widerständig und stört die Nazis effektiv – denn nur dann werden wir den braunen Mob wieder los!"

 

Bochumer Antifaschist*innen

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