„Aus dem Leben eines Häftlings“ – Brief der Anarchistin N. aus der JVA Aichach

Alles, was diese Gesellschaft, in der wir zu leben gezwungen sind, zu diesem derart lebensfeindlichen und feindseligen Miteinander macht, wird an dem Ort sichtbar, den diese erfunden hat, um alle Menschen - die Abweichler ebenso wie jene, die voll und ganz in dieser Ordnung aufzugehen scheinen - daran zu gemahnen, was jenen blüht, die sich an den Grenzen oder außerhalb dieser Ordnung bewegen: das Gefängnis. Ein Ort, der anstelle der, oder zusätzlich zu den Todesurteilen von anno dazumal und heute, eine weitere Form der Hinrichtung vollstreckt: den Tod auf Zeit. Lebendig begraben in einer Gruft bis zum Tag der Wiederauferstehung; von unseren Liebsten, der lebendigen Welt und dem natürlichen Drang unserer Körper, sich frei durch die Welt zu bewegen, abgeschnitten, reduziert zu einer Zahl in eine reibungslos laufenden Maschine, durchverwaltet, beobachtet, erzogen.

 

Ist man zum ersten Mal in die Fänge dieser Maschine geraten, so wundert man sich, wie vertraut alles ist. Es gibt auch welche, die sagen: "Das ist doch keine Strafe. Das ist Landschulheim." Und da haben sie recht. Doch was sie dabei übersehen, ist, dass wir den Knast nicht erst dann kennenlernen, wenn wir inhaftiert sind, sondern dass er bereits von klein auf Teil unseres Lebens war: im Kindergarten, in der Schule, im Krankenhaus; später dann im Büro, in der Fabrik, in der Kaserne, im Altersheim. Sortiert und aufgeräumt, an das Ticken der Uhr und den Takt der Maschine von klein auf gewöhnt, in Betonhöhlen eingepfercht, abgeschnitten vom pulsierenden Rhythmus von Werden und Vergehen, reduziert auf eine Funktion im System, darauf getrimmt, Land und Leute nach dem monetären Wert zu betrachten, den man aus ihnen herausschlagen kann, voller Unwissenheit oder gar überheblicher Verachtung gegenüber allen Tätigkeiten und Fertigkeiten der Subsistenz und der Selbstorganisation.
Der Knast ist nur die unverhohlenste Zwangseinrichtung zur Zähmung des doch manchmal schwierig formbaren Menschenmaterials. All die Ausreißer, die den Takt der Gesellschaftsmaschine stören, können dort gesammelt und verwaltet werden.
Um die Existenz des Knasts zu legitimieren, wird er uns als ein Ort der Vergeltung, der Sühne und der Prävention verkauft, an dem Menschen bestraft werden, die gegen die Regeln eines guten sozialen Miteinanders verstoßen haben, die andere verletzt, beraubt, getötet haben. Er verleibt sich die Konflikte, die An- und Übergriffe, die Verletzungen, die Menschen einander oder anderen zufügen ein, und gibt vor, sie zu lösen. Und so wird man im Knast immer wieder Leute treffen, denen man tatsächlich nur das Schlechteste auf der Welt wünscht.
Doch jene Gerechten, die auch mal so jemanden verurteilen, sind auch jene, die denen den Weg ebnen, die die Entwicklung immer ausgefuchsterer Tötungsmaschinen fördern und finanzieren, Hunderttausende zum Töten ausbilden und entsenden, die Kontrolle und Überwachung ganzer Bevölkerungen organisieren, ganze Kulturen und Lebensweisen auslöschen, sich an der Ausbeutung von Mensch und Natur bereichern und daraus eine Machtposition generieren. Während also all jene mit der Rückendeckung der Gerechten die Welt plündern und versklaven, und natürlich ihre Knäste auch dazu nutzen, ihre gröbsten Rivalen aus dem Weg zu räumen, findet man in den Gefängnissen trotzdem hauptsächlich die Armen, die Unnützen und Überflüssigen, die Rebellen und diejenigen, die darin versagt haben, sich in diese Gesellschaft einzufügen. Der Knast dient dabei als Ultima Ratio, diese Menschen zu "behandeln", oder sie auch nur aus dem Weg zu haben.
Nun gemahnen also diese menschgemachten Kolosse still und drohnend zu Zucht und Ordnung und schaffen eine nur selten überwundene Trennung der Außenwelt von jenen Unglücklichen, die die verschlungen haben. Vor gut zehn Wochen öffenten sich diese Tore nun also auch für mich [Mai], und ich bin nun auf unbestimmte Zeit zu einem Teil dieser menschgemachten Anderswelt geworden. Nun sitze ich, Nr. 97/25, in meiner knapp acht Quadratmeter großen Gruft, Zelle 003, und warte. Warte, dass der Sturm, der rund um mich und meinen Gefährten M entfesselt wurde, sein Wesen und Ausmaß zu erkennen gibt. Nur peu à peu dringt mal diese und mal jene Info zu mir durch, denn in dieser Jenseitswelt herrscht eine andere Zeitlichkeit. Und so vergehen die Wochen und Monate, und noch immer dröhnt die Ruhe, zu der man mich verdammt hat, überlaut in meinen Ohren.
Bis heute habe ich keine Akteneinsicht erhalten, weder zum Zündlumpen-Verfahren, das als Grundlage für die Vollstreckung dieses Haftbefehls hergenommen wird, noch zu den neu gegen mich und meine Gefährten eröffneten Verfahren. Bis heute darf niemand außer meine Eltern mit mir telefonieren oder mich besuchen. An mich adressierte Briefe brauchen zwei Wochen bis zu zwei Monate um mich zu erreichen, Briefe nach draußen sind ebenso lange unterwegs. Sollte in diesen Briefen das Falsche stehen, werden sie angehalten. Mir ist es verboten, außer mit meinem Anwalt, über das Verfahren zu sprechen. Die Bullen, sie sitzen in der Leitung, wenn ich telefoniere, sie sitzen neben mir, wenn ich Besuch bekomme, sie lesen alle meine Briefe. Aber eins muss ich ihnen zugute halten: Wenigstens tun sie es jetzt ganz offen. Nach all der mal mehr und mal weniger gelungenen Heimlichtuerei der letzten Jahre eine angenehme Abwechslung.
Der Vorwand für diesen neuerlichen Anzug der Daumenschrauben: Fluchtgefahr. In einem Verfahren, das bereits seit drei Jahren bekannt ist. Mein Gefährte M und ich wären angeblich vor diesem Münchner Verfahren untergetaucht, weil wir ein einem Wald knapp außerhalb der Münchner Stadtgrenze in einer selbstgebauten Hütte gelebt haben.
So kam es, dass am 04.02. ein Haftbefehl gegen M und mich erlassen um am 26.02. vollstreckt wurde. Wie so viele Obdachlose an einem kalten Winterabend saßen wir beide gemeinsam in einer warmen Münchner Bibliothek mit Strom und Internet, als wir von Männern und Frauen in Zivil überfallen, zu Boden gerissen, und mit Handschellen gefesselt wurden. Anschließend wurde ich ins Treppenhaus gebracht. M habe ich von da ab bis heute nicht mehr gesehen.
Sie fuhren mich zum Staatsschutz (SS) zum Verhör, wo sie stundenlang erfolglos versuchten, mich mittels diffamierender Lügen über M zu einer Aussage zu bewegen. Gegen Mitternacht nahm ein Bulle von der Hundestaffel (HS) bei mir noch eine "Geruchsprobe" ab, indem er mit einem Taschentuch in meinem Genick herumwischte. Gegen zwei Uhr morgens lieferten sie mich dann im Polizeipräsidium (PP) ab, wo ich die Restnacht in einer ihrer gemütlichen Gewahrsamszellen verbringen durfte. Am nächsten Tag wurde ich der Haftrichterin vorgeführt, und nach einem knapp vierstündigen Zwischenaufenthalt in der Frauen-JVA von Stadelheim kurzerhand und ohne weitere Erklärung nach Aichach verbracht.
Eine Woche später holten mich die Bullen erneut ab, um mich in einer Münchner Klinik gewaltsam auszuziehen, und jede Unebenheit und jeden Fleck auf meiner Haut auf der Suche nach Brandverletzungen zu fotografieren. Ansonsten verbrachte ich die beiden ersten Wochen völlig abgeschnitten von der Außenwelt. Nach zwei Wochen kam mein Anwalt, nach drei durfte ich das erste Mal mit meinen Eltern telefonieren, nach vier wurden mir die ersten Postkarten und Briefe ausgehändigt.
Vielen Dank an alle, die mir geschrieben haben, die Briefe und Karten sind ein Lichtblick in der Eintönigkeit des grauen Gefängnisalltags und an der tabakgelben Zellenwand. Macht weiter so!
Zu M wurde eine Trennung angeordnet, doch wir dürfen uns Briefe schreiben. Ich habe eine Einzelzelle und jeden Tag zwischen vier und sechs Stunden Aufschluss, d.h. die Zellen werden aufgeschlossen und ich meine Mitgefangenen dürfen uns auf unserem Flur frei bewegen, innerhalb der Aufschlusszeit gibt es eine Stunde Hofgang. Ich habe bis heute [Mai] keine eigene Kleidung und keine eigenen Bücher, weil mir beides verboten ist. Nichts darf zu mir hereingegeben werden, nichts darf ich nach draußen geben. Manchmal werden die Tage lang, aber grundsätzlich weiß ich mich gut zu beschäftigen, und die viele Zeit, die ich auf einmal habe, halbwegs sinnvoll zu nutzen.
In die Normalität des Knastalltags gezwungen, fremd bestimmt, dem Diktat der Zeit und einer "Tagesstruktur" unterworfen, mit Bürokratie und kleinlichen Regeln konfrontiert, und vom Kontakt zu meinen Liebsten und Mutter Erde fast vollständig abgeschnitten, bestärkt mich diese Erfahrung jeden Tag aufs Neue, dieses Monster, das diese Gesellschaft darstellt, nicht als gegeben hinzunehmen, sondern weiter für ein anderes Miteinander, für eine andere Beziehung zur lebendigen Welt zu kämpfen.
Und so möchte auch ich an das alte chinesische Sprichwort erinnern: Wer das liest, ist doof!
Und in diesem Sinne wünsche ich uns allen, drinnen wie draußen, die Kraft, für unsere Ideen einzustehen und uns nicht einschüchtern zu lassen. Und lest den "Zündlumpen", Leute, da stehen schon ein paar gute Sachen drin!

 
Eure N

JVA Aichach, Mai 2025

Anmerkung:

Nach mehr als vier Monaten Inhaftierung, hat N nun Anfang Juli ihre Privatkleidung ausgehändigt bekommen. Das Bestellen von Büchern aus Buchläden wird von der JVA immer noch in die Länge gezogen.

Wollt ihr N oder M schreiben, schickt eine Email an:

solidaritaet-mit-n-und-m (äääät) riseup.net

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