Fünf Jahre paradox-a.de

Reflexion über das Betreiben eines Blogs zu anarchistischer Theorie (und mehr).

Seit mittlerweile fünf Jahren betreibe ich diesen Blog. Während die Klimaerwärmung zunehmend ignoriert wird, Kriege um sich greifen und soziale Errungenschaften abgebaut werden, geht das Leben weiter. Die aggressive, brutale und rapide Vorgehensweise von neofaschistischen Akteuren weltweit beruht auf einer bewussten Strategie, mit der Chaos verbreitet wird. Die forcierte Zerstörung von hergebrachten politischen Institutionen, restlicher sozialer Absicherung und demokratischer Rechte, dient erstens dazu, dass Menschen sich gerade dem Autoritarismus in die Arme werfen, welcher Ordnung in die durch die herrschenden Klassen verursachte Verunsicherung bringen soll. Zweitens zielt die weitere Chaotisierung des gesellschaftlichen Arrangements darauf ab, die politische Opposition zu lähmen und (anti-)politischen Widerstand im Keim zu ersticken.

Drittens führt der uns aufgezwungene Stress, die Ängste und alltäglichen Schwierigkeiten dazu, uns den gedanklichen und emotionalen Raum für andere mögliche Welten und alternative Zukünfte zu nehmen. Die wenigen Reste unseres utopischen Sehnens werden durch Kulturindustrie kolonialisiert; die Digitalisierung beraubt uns der Fähigkeit, zur Konzentration; der weitere Verlust an Zeit, verhindert, dass wir eine libertär-sozialistische Gesellschaftsform erdenken, geschweige denn, sie effektiv aufbauen können. Und dennoch steht der Anarchismus nicht für die Verteidigung alter Ordnungen, die ohnehin ihrem Ende entgegen gehen – sondern umso mehr, für die Präfigurierung des Neuen und den Aufbruch zu ihm. Dies unterscheidet ihn von anderen sozialistischen und progressiven Strömungen.

Haben Anarchist*innen unter diesen Umständen keine Zeit für Theorie und Bildung – ob durch die Lektüre langer Texte, dem Besuch inhaltlicher Veranstaltungen oder bei ausgiebigen Diskussionen? Ist es weniger wichtig, intellektuelle Fähigkeiten einer Szene zu entwickeln, wenn Nachbar*innen die Abschiebung droht, Genoss*innen wieder eine Hausdurchsuchung haben, Freund*innen sich mit Lohnarbeit herumschlagen und wir uns mit den Belastungen in unseren eigenen Leben durchschlagen müssen? Jein. Wichtiger als die Produktion hochkomplizierter Theorien, ist deren verständliche Vermittlung. Deutlich wichtiger, als Beiträge in akademischer Form, ist es, den Raum für fundierte, gemeinsame Debatten aufzumachen. Wichtiger, als in theoretischer Hinsicht Recht zu haben, ist die Reflexion darüber, wer „wir“ sind, wie „wir“ uns finden, verbünden und kämpfen können; was „unsere“ ethischen Werte, Organisationsprinzipien und theoretischen Grundlagen sind.

Auch im letzten Jahr war ich hier und da mit Menschen im Gespräch über die Assoziation eines Netzwerks für anarchistischer Theorie, Bildung und Agitation im deutschsprachigen Raum. Ich bin überzeugt davon, dass es hilfreich wäre, so etwas zu gründen. Doch ich sehe auch, dass dies voraussetzungsvoll ist und nur wenige Anarchist*innen darauf eine ähnliche Sicht haben oder ein ähnliches Engagement damit verbinden. Unter den Theorie-affinen Genoss*innen gibt es jene, die in der Geschichte hängen bleiben; jene, die ihre Kraft in den ziellosen Debatten deutscher Linksradikaler verschwenden; sowie solche, die in ihren Gedanken vor sich träumen und sich damit selbst zu genügen scheinen.

Im Zeitraum der letzten 12 Monate habe ich ca. 60 Veranstaltungen durchgeführt. Darunter die siebenteilige Workshop-Reihe „Anarchie bilden“ in Leipzig und vor allem zahlreiche Vorstellungen meines Buchs [kostenloser Download]. Sehr erfreulich finde ich die weitere Verbreitung des Formats „Anarchistische Tage“ von der ich mir sehr wünsche, dass sie weiter laufen. Allgemein möchte ich gerne mit Veranstaltungen weitermachen – aber meine Lebensumstände werden die Anzahl zwangsläufig begrenzen. Eventuell werde ich mich längerfristig doch Richtung Podcast oder ähnlichem orientieren – auch wenn mir der direkte Kontakt wichtig ist und ich die darin liegende Qualität sinnvoller finde, als die Produktion des xten Inhalts neben anderen.

 

Was den Blog selbst betrifft, hatte ich diesen – entgegen meiner vorherigen Annahme – in einer anhaltend hohen Frequenz bespielt. Offensichtlich nutze ich ihn zur Verarbeitung von Geschehnissen in mehrfacher Hinsicht. Beiträge die mir erwähnenswert erscheinen, gibt es hier im Überblick:

In Bezug auf die Beschäftigung mit der Ideengeschichte des Anarchismus habe ich in mehreren Teilen eine Zusammenfassung von Luigi Fabbris „Die präventive Konterrevolution“ geschrieben. Außerdem habe ich darauf hingewiesen, dass drei wichtige Aufsätze von Élisée Reclus auf deutsch übersetzt wurden und bin auf Moses Hess als Kritiker der Politik gestoßen.

Als „Hinweis in eigener Sache“ habe ich noch mal eine Kurzzusammenfassung meines Buches verfasst. Besprechungen aktueller Bücher, die ich für die Politische Theorie des Anarchismus relevant finde, bezogen sich unter anderem auf das Buch „Anarchistische Ökologien“ (2025) von Milo Probst, Christian Leonhardts „Szenen des Politischen“ (2024), Chiara Botticis „Anarchafeminism“ (2022), den von Cindy Milstein herausgegebenen Sammelband „Constellations for Care“ (2024), Oskar Lubins „Postanarchistische Glossen“ und Robert Chapmans „Empire of Normality“ (2023).

In den letzten Monaten habe ich mich weiter mit Faschisierung, Faschismus und dem Autoritarismus auch in der Linken beschäftigt. Dazu unter anderem die Beiträge: „Boykottmacht gegen Neofaschisten“, „Zum Verbot von Campact“, „Zum Charakter der K-Gruppen als Verfallserscheinung“, „Autoritären Sozialismus konfrontieren“, „Die Selbstgerechte“ und „Vom rechtspopulistische Feindbild 'die Grünem' und der Systemfrage“.

Dann gibt es Bereiche, die man „Kommentar zum Zeitgeschehen“ und „Kritik an Deutschland“ nennen könnte. Dazu unter anderem: „Sorgenkind Zivilgesellschaft“, „Die Erneuerung der Sozialdemokratie“, „Merz ist die Jahreszeit des Abbruchs“, „Politischer Vor-Merz“, „Führungsmacht des liberal-demokratischen Westens“, „Demokratieweltmeister“ und „Geplante Gängelung des Prekariats“.

Texte, in denen Analysen vorgenommen werden waren unter anderem: „Der Neofaschismus als Produkt des Neoliberalismus“ und „Die Destruktionsform des dunklen Kapitalismus“ , sowie in Bezug auf Kultur: „Die Verfinsterung aufhalten“.

Verschiedene Aspekte, die anarchistische Szene und Debatten über sie betreffend finden sich zum Beispiel in „Notizen zum 'Insurrektionalismus'“, „Zur Beforschung linker Zusammenhänge“ und „Kinderkrankheit des Anarchismus“.

 

Und das ist nicht alles... Wer etwas Zeit findet, kann sich gerne durch meinen Blog klicken, der von einem Bekannten als „Rabbithole“ bezeichnet wurde. Erfreulicherweise erfahre ich hier und da auch, dass manche Genoss*in gelegentlich auf meinen Blog schaut. Wenn sich nichts grundlegend ändert, werde ich ihn schon noch weitere fünf Jahre betreiben.

Weiterhin bin ich für Nachfragen zu anarchistischer Theorie ansprechbar – auch wenn ich selbstverständlich nicht alles dazu weiß. Umgekehrt freue ich mich über Hinweise oder auch Beiträge anderer Menschen, die inhaltlich und von ihrer Absicht her, an meine Positionen und Überlegungen anschließen.

Schließlich lasse ich mich auch gerne weiterhin zu Veranstaltungen einladen. Viele davon findet ihr auf dem Blog aufgelistet. Neu sind „Anarchie und Neurodivergenz“ und „Kritik des Autoritarismus“, eventuell auch „Direkte Aktion und Direkte Demokratie“.

 

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