An die internationale anarchistische Bewegung: Drei Vorschläge bezüglich Sicherheit
In diesem Text machen wir drei Vorschläge an die international anarchistische Bewegung, welche in den nächsten Jahren bedacht werden sollten, um weiterhin die bestehende Ordnung angreifen zu können und gleichzeitig die Wahrscheinlichkeit zu reduzieren gefasst zu werden.
Deutsche Übersetzung: Autonomes Blättchen #60
Dieser Text wendet sich an die internationale anarchistische Bewegung, welche wir als die Summe von Individuen definieren, die weltweit für anarchistische Ideen kämpft. Die Bewegung steht im Konflikt mit ihren natürlichen Feinden — dem Staat, faschistischen Gruppen, und so weiter — und muss sich deshalb schützen, wenn sie in diesem Konflikt überleben will. In diesem Text machen wir drei Vorschläge an die international anarchistische Bewegung, welche in den nächsten Jahren bedacht werden sollten, um weiterhin die bestehende Ordnung angreifen zu können und gleichzeitig die Wahrscheinlichkeit zu reduzieren gefasst zu werden.
1. Wissen international teilen
Unsere Feinde organisieren sich international durch die Zusammenarbeit zwischen den jeweiligen Polizeibehörden oder Nachrichtendiensten, sowie durch neuen Fortschritt in Wissenschaft und Technologie — immer präzisere DNA Forensik oder die immer weitere Verbreitung von Drohnen sind da nur zwei Beispiele. Das bedeutet, dass repressive Techniken, die bisher nur in einem Land Verwendung gefunden haben, bald in einem anderen auftauchen könnten, wo sie bisher noch nicht angewandt wurden. Es bedeutet aber auch, dass effektive Gegenmaßnahmen, die Anarchist:innen in einem Land anwenden, auch in einem anderen effektiv sein könnten. Deshalb sollten wir Wissen über repressive Techniken und Gegenmaßnahmen auf einer internationalen Ebene teilen und austauschen.
Idealerweise sollte jede Erfahrung mit Repression oder Experimente mit Gegenmaßnahmen, die für andere Anarchist:innen von Interesse sind, aufgeschrieben, öffentlich gemacht, und in andere Sprachen übersetzt werden. Wenn Anarchist:innen verhaftet werden und vor Gericht gezerrt werden, können wir häufig an Akten kommen, die uns verraten, wie sie geschnappt wurden: Wir sollten das ausnutzen und Analysen von solchen Dokumenten veröffentlichen, wobei wir immer im Kopf behalten müssen, dass solche Informationen nicht vollständig oder verzerrt sein können. Wir sollten mit neuen Gegenmaßnahmen experimentieren und Berichte dazu veröffentlichen (außer in Fällen, wo sich der Staat durch das Lesen dieser Berichte leicht anpassen und dadurch die Gegenmaßnahmen schwächen oder unnütz machen kann). Außerdem sollten wir auch direkt Feindquellen aufsuchen: Lest Ausbildungsmaterial der Polizei, stehlt ihre Akten, analysiert Leaks von Servern der Polizei.
Eine spezifische Eigenschaft der internationalen anarchistischen Bewegung ist ihre Dezentralisierung: Wir sehen das nicht als eine Schwäche sondern als eine Stärke. Zusätzlich dazu, dass Hierarchien vermieden werden, welche zentralisierten Organisationen inhärent sind, sorgt das dafür, dass es unseren Feinden erschwert, uns ins Fadenkreuz zu nehmen, da sie nicht die ganze Bewegung ausschalten können, indem sie Teile unterbrechen. Gleichzeitig sorgt diese Dezentralisierung aber auch dafür, dass es uns schwerer fällt Wissen über (Sprach-)Grenzen hinweg zu teilen. Um das zu überwinden sehen wir zwei Optionen: Informelle Beziehungen zu entwickeln mit anderen Anarchist:innen indem man auf internationale Buchmessen geht und andere Events aufsucht oder durch die Nutzung des Internets. Wir schlagen No Trace Projekt als eine internationale Plattform vor, die geeignet ist für das Teilen im Internet, nicht als ein Ersatz für informelle Bände, jedoch als eine nützliche Ergänzung, um Informationen über die bereits bestehenden informellen Netzwerke hinaus zu verbreiten.
2. Das Etablieren einer Sicherheits Baseline
Anarchist:innen, die direkte Aktionen ausführen, sollten die Risiken, die mit den Aktionen einhergehen analysieren und entsprechende Vorsichtsmaßnahmen anwenden: Anonym kleiden, Videoüberwachung und DNA Spuren mitbedenken, und so weiter. Jedoch ist das nicht genug. Wenn nur jene, die direkte Aktionen ausführen, Vorsichtsmaßnahmen anwenden, ist es leichter für unsere Feinde diese anzuvisieren. Einerseits deshalb weil diese herausstechen: Wenn zum Beispiel immer nur eine handvoll von Gefährt:innen ihr Telefon zuhause lässt, könnte das ein offensichtlicher Startpunkt für eine Ermittlung sein, ohne andere spezifische Verdachtsmomente. Und andererseits: Weil unsere Feinde Informationen über sie bekommen können von Freund:innen, die diese Aktionen nicht ausführen. Zum Beispiel, wenn jemand social media nicht verwendet, aber von ihren Freund:innen auf social media erwähnt wird, könnte sich zum Beispiel eine Ermittlung an das social media Profil der Freund:innen heften, um Informationen über sie zu sammeln. Wir sollten deshalb in anarchistischen Netzwerken eine Sicherheits Baseline etablieren, die von allen verfolgt wird, einschließlich jener, die nie eine direkt Aktion ausgeführt haben und die auch keine Intention haben, das in der Zukunft zu machen.
Wir können hier keine Baseline vorschreiben, da dies vor allem auch vom lokalen Kontext abhängig sein wird, aber wir können ein paar Ideen in den Raum werfen. Als ein absolutes Minimum sollten alle dabei helfen Informationen vor dem Feind zu verstecken, indem weder spekuliert wird, wer in Aktionen verwickelt ist, noch mit der eigenen Teilnahme an Aktionen geprahlt wird, indem niemand mit der Polizei spricht, und indem alle Computer oder Telefone verschlüsselt sind, die verwendet werden, um mit anderen Anarchist:innen zu kommunizieren, wobei starke Passwörter verwendet werden. Heikle Angelegenheiten sollten immer Draußen und ohne elektronische Gegenstände besprochen werden, und es sollte auch in einer sozialen Umgebung nicht offensichtlich gemacht werden, dass solche Gespräche stattfinden (z.B. indem Leute vor anderen, die nichts damit zu tun haben, Leute einladen einen „Spaziergang“ zu machen). Außerdem denken wir, dass alle aufhören sollten soziale medien zu verwenden (bzw. zumindest aufhören Fotos von anderen Anarchist:innen zu posten, auch wenn das mit ihrem Einverständnis passiert, weil das dem Staat hilft anarchistische Netzwerke zu kartographieren) und Telefone immer zuhause zu lassen (nicht nur während Aktionen). Dein Telefon mit dir herumzutragen hat sicherheitstechnische Implikationen für alle mit denen du zu tun hast.
Es kann schwer sein, Leute davon zu überzeugen, so eine Sicherheits Baseline umzusetzen, besonders wenn sie denken, dass es ihnen persönlich nichts bringt, sie umzusetzen. Wenn Leute widerwillig sind, könnten wir sie daran erinnern, dass es nicht nur um ihre Sicherheit geht, sondern auch um die aller anderen Anarchist:innen um sie herum, die vielleicht gerade dabei sind direkte Aktionen zu planen oder auszuführen. Jede:r, die will das Aktionen stattfinden, sollte ein Interesse daran haben, anarchistische Netzwerke so wenig wie möglich der Repression preis zu geben.
3. Neue Horizonte erkunden
Unsere Feinde und ihre Mittel entwickeln sich weiter, indem sie an ihren Strategien und Techniken feilen. Entsprechend sollten wir uns nicht für Kämpfe vorbereiten, die schon stattgefunden haben, sondern für solche, die noch kommen werden. Deshalb sollten wir über unsere Gegenwärtigen Sicherheitspraktiken hinausgehen, indem wir versuchen die Weiterentwicklung unserer Feinde vorwegzunehmen und neue Gegenmaßnahmen zu entwickeln.
Hier sind drei Themen, die die anarchistische Bewegung in den nächsten Jahren angehen sollte.
Drohnen
Überwachung aus der Luft wird rapide billiger und effizienter. Wie können wir auf die Anwesenheit von Drohnen reagieren, sei dies bei Krawallen, anarchistischen Events, und so weiter? Wie können wir feststellen, dass sie da sind oder zum Absturz bringen? Sollten wir uns bereits jetzt darauf Vorbereiten, dass in Zukunft Drohnen Patrouille fliegen werden und wenn ja, wie?
Technologien der Gesichtserkennung
2023 fanden Journalist:innen Daniela Klette, eine deutsche Linksmilitante, die über Jahrzehnte in der Klandestinität war, durch die Nutzung von Gesichtserkennung. Jahrzehnte alte Fotos von ihr wurden eingespeist und matchten dann mit Fotos auf Facebook, von einem Tanzkurs. Was können wir gegen diese Bedrohung unternehmen? Wie können wir uns auf die zunehmende Verwendung von Gesichtserkennung im öffentlichen Raum vorbereiten?
Unwissenheit im Bezug auf Polizeiaktivitäten
Bis vor ein paar Jahre wurden Funkgeräte von Anarchist:innen verwendet, um Polizeifrequenzen abzuhören, zum Beispiel um zu wissen ob Polizeistreifen in der Nähe sind, während sie direkte Aktionen ausgeführt haben. In den meisten Kontexten ist das jedoch heute unmöglich, da mittlerweile Polizeikommunikation verschlüsselt ist. Können wir neue Techniken entwickeln, um funktional Funkgeräte zu ersetzen oder allgemeiner, um Einblick zu bekommen von Polizeiaktivität in einem gewissen Gebiet?
Über die Autor:innen:
Wir sind das No Trace Projekt. Seit drei Jahren bauen wir an Werkzeugen, die Anarchist:innen helfen sollen, die Fertigkeiten ihrer Feinde zu verstehen, Überwachung zu unterlaufen, und letztendlich zu Handeln ohne geschnappt zu werden. Wir haben vor auch die nächsten Jahre an diesen Themen dran zu bleiben. Wir freuen uns über Rückmeldungen. Unsere Webseite findest du unter: notrace.how/de, kontaktieren kannst du uns unter: notrace@autistici.org.
Dieser Text ist als Broschüre verfügbar.
Lasst uns vorbereitet sein, und mag das Glück auf unserer Seite sein.
