„Viele Freitaler hatten nur ein Großelternpaar“

Warum sie nicht anders können: Ein Inzestforscher erklärt die Panik vor Fremden in dem sächsischen Dorf. Der Experte soll Innenminister Ulbig beim Bürgerdialog beraten.

 

 

Die sächsische Ortschaft Freital hat bundesweit unschöne Schlagzeilen gemacht. Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU), der am Montagabend nach Freital gekommen war, um „Sorgen und Themen der Bürger aufzunehmen“, die seit Wochen gegen eine geplante Asylunterkunft mobil gemacht hatten, will nach der eher missglückten Veranstaltung ernsthafte Ursachenforschung betreiben. Auf der „Bürgerversammlung“ am Montagabend war es zu Tumulten gekommen: „Halt die Fresse“ war noch einer der freundlicheren Sätze, die die wenigen Befürworter des Flüchtlingsheims zu hören bekamen.

Ulbig bedauert den Verlauf des Abends. Er will sich deshalb nun von einem Fachmann beraten lassen, um in Zukunft geschickter auf die Bürger eingehen zu können. Den richtigen Experten hat er bereits gefunden: Der Anthropologe und Inzestforscher Fritz Bierhoff hat schon zu DDR-Zeiten Studien in dem Dorf betrieben, nachdem die Bewohner versucht hatten, einen Rostocker zu lynchen, der ein ortsansässiges Mädchen heiraten wollte. „Die junge Dame war schon ihrem Bruder versprochen“, sagt Bierhoff. „So etwas war in Freital bis in die 1980er Jahre hinein eher die Regel als die Ausnahme. Dagegen war selbst die Partei machtlos.“ Alle Aufklärungskampagnen des Gesundheitsministeriums seien an der übersteigerten Angst vor dem Fremden und am Aberglauben der meisten Dorfbewohner gescheitert, jede „Blutvermischung“ bringe Unglück. „Viele Freitaler hatten nur ein Großelternpaar. Und sie sind bis heute stolz darauf“, erklärt Bierhoff. Die problematischen Folgen für das intellektuelle Potential der Ortschaft seien zwar offensichtlich – „da brauchen Sie sich nur die Kommentare von Anhängern der Initiative 'Frigida – unsere Stadt bleibt sauber - Freital ist frei' bei Facebook anzusehen“ – aber gerade deshalb dürfe man die besorgten Bürger nicht überfordern, so der Experte. „Wir wären schon einen Schritt weiter, wenn sie richtig Deutsch lernen würden. Mit einem Förderprogramm schaffen sie das vielleicht trotz ihrer Einschränkungen.“ Einen gemeinsamen Deutschunterricht mit Flüchtlingen hält Bierhoff zur Zeit für keine gute Idee. „Sie würden es schwer verdauen, wenn irgendwelche ehrgeizigen Syrer dort nach wenigen Wochen eine bessere Figur machen als sie selbst.“

 

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