Rechtsoffene Inhalte schon beim ersten Ostermarsch

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Ist die Friedensbewegung rechtsoffen? Bilder vom allerersten Ostermarsch 1960 zeigen, dass Einfallstore für rechte Ideologie bereits von Anfang an zur DNA der Friedensbewegung gehörten. Aufgearbeitet hat die Friedensbewegung das bis heute nicht. So ist sie bis heute ein leichtes Opfer für rechte Nationalist*innen.

 

Die Ostermärsche: Vor 67 Jahren in Groß-Britannien erfunden, zeitweise in ganz Europa "in", heute nur noch in Deutschland durchgeführt, sind die Ostermärsche das zentrale Cliquentreffen der Friedensbewegung. Dabei geht es inhaltlich meistens bestenfalls recht skurill zu: Bei vielen Ostermärschen läufen rechte, verschwörungswahnsinnige, pro-russische und sonstiges Problemfälle mit. Antisemitismus und Israelhass sind auf vielen Transparenten und Schildern zu lesen. In Berlin organisierten rechte Verschwörungsgläubige im Jahr 2024 den Ostermarsch sogar mit. Alles Zufall? 

Alte Bilder, Filme und Flyer vom ersten Ostermarsch in Deutschland 1960 lassen etwas anderes vermuten. Der Anstoß für diesen Text gab eine Sendung der Tagesschau am 8. April 2023. Im Rahmen einer Berichterstattung zeigte die Sendung auch Bilder vom allerersten Ostermarsch 1960 nahe des Truppenübungsplatzes Bergen.  Auf diesem Truppenübungsplatz befand sich während der Zeit des NS-Regimes 1943-45 das KZ Bergen-Belsen. Diese Ortschaft wählten die ersten Ostermarschierer*innen für ihren Protest, da Zeitungen zuvor berichtet hatten, dass dort bereits taktische Raketenartillerie getestet werde, die von den Alliierten verwahrte nukleare Artillerie-Geschosse tragen könne.  Von Bergen-Belsen nach Bergen-Hohne?

Auf den in der Tagesschau gezeigten Bildern sind Protestierende mit Protestschildern zu sehen. Diese sind seriell von den Organisator*innen hergestellt. Das erkennt man standartisierten Design der Schilder. Die Schilder zeigen Slogans wie „Atom-Alarm!“, „Ausbildung an Atomwaffen= Ausbildung zum Massenmord“, aber auch „Erst Bergen-Belsen, jetzt Bergen-Hohne.“  Was ist gemeint?
Der Begriff Bergen-Belsen meint das KZ zwischen diesen beiden Orten, in denen bis 1945 Deutsche Juden und Oppositionelle einsperrten, ausbauteten und ermordeten. Die prominetesten im KZ Bergen-Belsen ermordeten Menschen dürften die Jüd*innen Margot und Anne Frank sein, die dort leider wenige Tage vor der Befreiung durch die Armeen der Alliierten von Deutschen ermordet wurden. 

Bergen-Hohne meint den ab 1935 errichteten und bis heute bestehenden Truppenübungsplatz in dieser Gegend. Das Dorf Hohne wurde für den Platz geschliffen; daher der Name. Auf diesem Übungsplatz bildete die Bundeswehr ab 1959 Soldaten an besagter Raketenartillerie aus. 

Vor diesen geografischen wie historischen Hintergrund wählten die ersten Ostermarschierer*innen die Slogans „Erst Bergen-Belsen, jetzt Bergen-Hohne“ und „Ausbildung an Atomwaffen= Ausbildung zum Massenmord“. Die Slogan implizieren, dass das Geschehen im KZ Bergen-Belsen in einer Kontinuität mit der allierten Nutzung des Truppenübungsplatzes stünde. 

Der Slogan legt auch Interpretationen  nahe, die den nationalsozialistischen Massenmord mit den Geschehnissen  in der frühen Bundesrepublik gleich setzen. Durch diese Unsensibilität  gegenüber der Geschichte der Shoa relativierten sie so nebenbei den  Massenmord in den Jahren zuvor. 

Und der Slogan vollzieht eine Täter-Opfer-Umkehr. Statt sich mit der Shoa und ihrer bedeutung auseinander zu setzen, zeigt die Friedensbewegung hier auf die Allierten, nennt deren Training an Atomwaffen "Massenmord" und verbindet das noch mit dem Verweis auf "Bergen-Belsen" mit den deutschen Verbrechen. Die unterschwellige Botschaft: Unsere deutschen Verbrechen sind dochg nichts besonderes; die jetzige (also die damalige in 1958...) Besatzungsmacht USA ist doch genauso schlimm!   

Schuldabwehr
Hier haben wir es  mit einer typisch deutschen Verantwortungsabwehr zu tun. Statt sich mit der Monströsität der eigenen Verbrechen und die der Eltern selbstkritisch auseinander zu setzen, zeigt man typisch Deutsch auf die Alliierten, die Europa immerhin vom Faschismus befreiten, und behauptet, deren zeitgenössisches Handeln sei genauso schlimm wie der Massenmord an den Juden und die Entfesselung zweier Weltkriege und der Vernichtungskrieg.  Was den Slogan außerdem gefährlich macht: Die Slogans des ersten Ostermarsches setzen ohne jede Differenzierung oder Ironie toternst den nationalsozialistischen Massenmord mit dem Wirken der Alliierten in der frühen Bundesrepublik gleich.   Das Flugblatt? Alles ein Ausrutscher? Die damaligen Ostermarschierer verteilten auch ein Flugblatt. Bilder des damaligen Flugblattes gibt es auf Wikipedia:

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/7/76/Erstes_deutsches_Ostermarsch-Flugblatt.jpg

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/6/63/Erstes_deutsches_Ostermarsch-Flugblatt_2.jpg

Auch hier im Flugblatt findet sich die Gleichsetzung von deutschem KZ und allierten Truppenübungsplatz ganz vorne. Gleich der zweite Satz lautet: "Durch diesen Ostermarsch zum Raketenübungsplatz Bergen-Hohne, wo (...) in der Nähe des ehemaligen Konzentrationslagers Bergen-Belsen die ersten Atomraketen (...) durch die Bundeswehr erprobt wurden- wollen sie ihr entschiedens und unwiderrufliches Nein zu atomaren Waffen öffentlich bekennen." Das unterstreicht, wie zentral den damals Aktiven diese angebliche Analogie der deutschen Schuldabwehr war.

Auch die konkreten Formulierungen sind sehr interessant: "Schon einmal hat man dem deutschen Volke den Vorwurf gemacht geschwiegen zu haben, wo mutige Worte und Taten notwendig waren (...)" Nein, dass ist kein Vorwurf. Dass ist Fakt. Und man beachte, wie sehr die Schreibenden sich mit dem deutschen Volk identifizieren und sich ans "deutsche Volk" wenden...

"In den Konzentrationslagern - wie Bergen-Belsen - kamen Millionen Menschen uns Leben (...)": Die Menschen "kamen" nicht einfach "ums Leben": Sind ermordet worden. Millionenfach. Von Deutschen. Die Formulierung "ums Leben gekommen" verschweigt die Täter und die Brutalität. Statt dessen legt "ums Leben gekommen" irgend ein tragisches Unglück wie z. B. eine Naturkatastrophe nahe: Und dafür kann ja niemand etwas; am wenigsten die Deutschen...    

Man findet im Flugblatt in den Formulierungen zum KZ auch kein Wort davon, dass die Allermeisten dieser dort ermordeten Menschen Juden waren. Platzprobleme auf dem Flyer gelten hier nicht als Ausrede. Denn hier hätte ein Wort gereicht um die Ausführungen inhaltlich besser zu machen: Das Wort "Juden". Doch das durch das Weglassen dieses Wortes (und damit der Tatsachen) negieren die Autor*innen des Flugblattes den Kern der Shoa einfach. 

Und die Autor*innen zeigen: Um die in Bergen Belsen ermordeten Juden ging es ihnen bei ihrem Ostermarsch gar nicht. Die ermordeten Juden sind hier lediglich Kulisse für ihren Sprechakt. Tokenising vom Feinsten.

Presse-Hetze

Auch ohne Pressehetze ging es auch damals schon nicht: "(...) müssen wir ein Zeichen geben (...) auch wenn uns die öffentliche Propaganda übertönt." Mensch beachte, wie nonchalant die damaligen Organisator*innen des Ostermarsches hier durch das Wort "Propaganda" lediglich 15 Jahre nach Joseph Göbbels Tod die Medienlandschaft der frühen Bundesrepublik mit der Zeit, in der es ein Propagdanda-Ministerium gab, zusammen rühren.

Mit diesem Gebräu aus nationalistischer Identifikation, Appell ans Volk, Gleichsetzungen, Schuldabwehr, Geschimpfe über die Medien, die immer so feindlich berichten täten, und ohne eine Abgrenzung nach Rechts entsteht so ein riesiges Einfallstor für rechte Ideologie.

Bis heute beliebter Narrativ

Das dieses Einfallstor bis heute nicht geschlossen ist, lässt sich leider immer wieder beobachten. Der die deutschen Verbrechen verharmlosende Narrativ a la „Aber die Alliierten/ die NATO/Israel sind genauso schlimm!“ erfreut sich bis heute großer Beliebtheit auf Demonstrationen der Friedensbewegung. 

Immerhin benennen die Autor*innen des Aufrufes die Vernichtungslager als Tatsache und etwas Negatives, zu dem man auch im Nationalsozialismus nicht hätte schweigen dürfen. Doch auch diese bis heute beliebte zeitgenössiches rhetorische Figur geht inhaltlich am Kern des Problems vorbei. Denn die Deutschen haben im NS ja nicht geschwiegen. Im Gegenteil: Sie fanden es super und haben das auch gesagt. Und viele sagen immer noch, wie sehr viel sicherer früher alles gewesen sei und "aber die Autobahnen!"... Deswegen ist es so wichtig, diese Narrative zu hinterfragen und ihre Wirkungsmacht zu brechen.

Rechtsoffen?

Versatzstücke rechter Ideologien wie die Schuldabwehr und unterschwellige Relativierungen der deutschen Verbrechen angesichts ihrer Ungeheuerlichkeit gehörten und gehören von Anfang an zur DNA der Friedensbewegung. Damals im Jahr 1960 mag für die Handelnden gegolten haben, dass sie in zeittypische Diskurse der kollektiven Schuldabwehr eingebunden waren. Doch auch damlas gab es schon hellsichtigere Leute, deren Texte man hätte lesen können. Und dass das da damals gereicht hat, um irgendwie als "links" zu gelten. Doch für uns heute gilt das doch nicht?  

Mehr Selbstkritik

Deswegen müssen wir leider feststellen: Die Friedensbewegung hat es in ihrer Geschichte bis heute nicht  geschafft, sich mit diesem rechtsoffenen Erbe selbstkritisch auseinander zu setzen; geschweige denn, es zu überwinden. 

 Was uns dabei im Wege steht: Wir sind sehr davon überzeugt, dass wir die Guten seien, haben aber nicht die Selbstreflektion, zu erkennen, dass wir deshalb noch lange nicht auch automatisch Gutes tun. Leider hat sich diese Erkenntnis noch nicht überall herumgesprochen...

 

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