FANTASMA NR. 3, Oktober 2019, klandestine anarchistische Zeitung

Deutsche Übersetzung der dritten Ausgabe der Fantasma, Oktober 2019

 

DER SOG DES WASSERFALLS

(Editorial)

 

Viele Wochen sind vergangen. Viele Schritte bahnten meinen Weg. Aber keine weiteren Lianen, die mich durchs Dickicht führten, bloß meine beiden Füße. Sie trugen mich, zeigten mir das weite Grün, hin zu Felsen, Schluchten und Höhlen. So manche*r wäre voller Wagemut hoch geklettert, hätte mit geschärftem Blick hinab geschaut, oder wäre mit kindlicher Neugier ins tiefe Schwarz hinein gelaufen. Aus dem Augenwinkel nahm ich die natürliche Veränderung war, aber ich ging daran vorbei. Wagemut, geschärfter Blick, kindliche Neugier, es war nicht die Zeit dafür. Aber nun stehe ich da, vor einem gigantischen Wasserfall, dessen Sog alles und jede*n in seine Tiefe zu reißen vermag. Ich verharre, blicke auf den faszinierenden weißen Schaum, lausche dem Klang des herabstürzenden Wassers. Er sieht wunderschön aus, aber er bringt den Tod.

 

Es fühlt sich gut an, dieses Zeitungsprojekt nicht begraben zu sehen. Einsamkeit, Unmut und tausend Schwierigkeiten ließen diese Liane beinahe absterben, und somit auch ein Bindeglied zwischen Sichtbaren und Unsichtbaren.Doch so soll dieses Projekt nicht zu Ende gehen. Nicht ohne unerwünschte Störungen von außen!

Auf den Spuren unserer eigenen Intentionen bemerkten wir einmal mehr, dass wir nicht halten können, was wir versprochen haben. Im Editorial der zweiten Ausgabe schrieben wir "Wie aber können wir sozial intervenieren, uns offensiv auf die Seite der Unterdrückten stellen und unsere freiheitlichen Ideen unmissverständlich zum Ausdruck bringen, ohne uns dabei dem Feind auf dem Silbertablett zu präsentieren? Es sind diese Fragen, die uns, und so glauben wir viele andere in einer ähnlichen Situation auch, beschäftigen und die wir in den kommenden Ausgaben vertiefen möchten."

Es sind dies immer noch genau jene Fragen, die uns beschäftigen. Dochäußere Umstände, innere Konflikte und die Wechselwirkung dieser beiden Faktoren verwehrten es uns in den letzten Monaten, Ansätze oder gar Antworten diesbezüglich herauszuarbeiten. Dennoch gibt es viel zu sagen, zu erzählen, zu teilen und all das erachten wir als genügend wichtig, um den nicht erfüllten Erwartungen zum Trotz eine dritte Ausgabe der Fantasma zu veröffentlichen. Um die Bande der Komplizenschaft wieder zu stärken, um den öffentlichen Diskurs wieder zu suchen und um wieder Seite an Seite mit euch zu kämpfen, wenn auch im Verborgenen.

Ein wenig geschwächt, doch ungebrochen blicken wir zurück auf eine schwierige Zeit, die uns eines klar werden ließ: auch wenn das ohrenbetäubende Getöse des fallenden Wassers unsere Aufmerksamkeit an sich zu reißen versucht; auch wenn der weiße Strudel so verführerisch schäumt; auch wenn die Anziehungskraft des Sogs vermag, uns vom Ufer her anzulocken – wir werden nie und nimmer mit dem Tod plantschen gehen. Nicht solange wir noch Leben in uns spüren. Nicht solange wir Anarchist*innen sind.

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