Kommunistische Partei und revolutionäres Klassenbewusstsein - Antwort auf die Kritik von alea und den "Ostdeutschen Antifas"
Dieser Artikel ist der erste Teil der Antwort auf die Kritik der „ostdeutschen Antifas“ und des Debattenbeitrags von alea.
Hier im ersten Teil wird das Konzept der Avantgarde, der Partei und das Problem der Verdinglichung behandelt. Das wurde notwendig, weil die "Ostdeutschen Antifas" und alea diese Begriffe als zentralen Grund für ihre Ablehnung der marxistischen Analyse genannt haben, ohne eine tatsächliche Kritik durchzuführen. Es wurde nicht erklärt, was MarxistInnen mit „Partei“, „Avantgarde“, etc. meinen und warum diese Konzepte falsch sein sollen. Es wurden nur Wörter genannt und gehofft, dass sie (zu Unrecht) einen so schlechten Ruf haben, dass eine Erklärung überflüssig ist. Das ist weder Kritik, noch Arbeit am Begriff, sondern bloßes Herumwerfen mit Vorstellungen und Gefühlen. Im noch folgenden zweiten Teil der Antwort wird darauf eingegangen, welche Fehler die Kritik von alea und den "Ostdeutschen Antifas" enthält und wie sich diese Fehler in ihren politischen Analysen konkret äußern.
Zu Beginn noch eine kurze Erklärung, warum es diese ausführlichere Klarstellung im Rahmen einer antifaschistischen Debatte braucht: Revolutionärer Antifaschismus muss einen klaren Begriff davon haben, was „revolutionär“ überhaupt bedeutet, wer diese Revolution machen kann und wie wir dazu kommen. Ohne ein solches Verständnis ist kein Antifaschismus revolutionär, er nimmt höchstens eine rebellische Ästhetik an, um die eigene Inhaltslosigkeit zu verstecken. Die Tatsache, dass die oberflächige Beschäftigung mit der Avantgarde und der Partei einen so großen Teil in beiden Texten einnahm, obwohl diese Begriffe in meiner „Verteidigung des Aufrufs“ nicht vorkamen, zeigt eindeutig, dass hier wesentliche Uneinigkeit herrscht, die zu thematisieren ist.
Dialektik von Herr & Knecht, bzw. Bourgeoisie & Proletariat
Der Vorwurf des Ökonomismus
Das Konzept der Avantgarde
Verdinglichung und revolutionäres Proletariat
Wie die Verdinglichung überwunden werden kann
Abschließende Bemerkung zum Begriff „Propaganda“
Dialektik von Herr & Knecht, bzw. Bourgeoisie & Proletariat:
Das Proletariat ist nicht das revolutionäre Subjekt, weil ProletarierInnen bessere Menschen sind oder das Proletariat in seiner heutigen Form mehrheitlich fortschrittlich denkt. Das Proletariat ist das revolutionäre Subjekt, weil nur die Klasse der ArbeiterInnen die Macht hat, den Kapitalismus revolutionär zu überwinden. Warum das Proletariat in der Lage dazu ist, erklärt sich aus der Dialektik von Herr und Knecht. Dabei ist Dialektik, vereinfacht gesagt, die Eigenbewegung der Begriffe aus ihrer eigenen Logik; Etwas entwickelt sich in etwas neues, und zwar aus innerer Notwendigkeit. Diese Entwicklung verläuft dabei in Widersprüchen und durch die eigene Aufhebung der Widersprüche. Genauso ist es auch hier: Marx erklärt mit Hegel, warum im Verhältnis von herrschenden KapitalistInnen und geknechteten ProletarierInnen bereits steckt, dass die ProletarierInnen zur Herrschaft kommen, bevor sie das Verhältnis von Herr und Knecht ganzes aufheben.
Zu Beginn steht die Feststellung, dass die Bourgeoisie sich das Proletariat durch das Lohnverhältnis unterwirft und ihm so ihren Willen aufzwingt. Weil die KapitalistInnen jedoch nur als personifiziertes Kapital herrschen können, ist dieser „Wille“ nichts anderes als das Wertgesetz, dem die einzelnen KapitalistInnen unterliegen. Das Proletariat hat also die Rolle, das abstrakte Wertgesetz in der Wirklichkeit auszuführen und die Welt tagtäglich nach diesem Gesetz zu formen. Hier ist aber schon der Übergang enthalten: Indem die Bourgeoisie das Proletariat zwischen sich und die Welt stellt, hat sie sich selbst von der Welt isoliert und nur noch über das Proletariat Zugriff auf sie. Die KapitalistInnen als Klasse können keine Häuser bauen, keine Bahnen fahren, keine Kranken pflegen, keine Lebensmittel herstellen, etc. Für alles das brauchen sie lohnabhängige ProletarierInnen, nur durch sie können die KapitalistInnen auf die Welt einwirken. Damit liegt nun die tatsächliche Fähigkeit, die Wirklichkeit zu gestalten, beim Proletariat und nicht bei der Bourgeoisie. Sollte sich das Proletariat dazu entscheiden, die eigene Arbeit nicht länger in den Dienst des Wertgesetzes zu stellen, kann die Bourgeoisie, als von der Welt isolierte Klasse, dem nichts entgegensetzen. Und die Tatsache, dass das Proletariat von der Bourgeoisie ausgebeutet wird, sorgt dafür, dass alle ProletarierInnen ein Interesse daran haben, die entfremdete Arbeit mit allem was aus ihr folgt, hinter sich zu lassen.
Bei der einfachen Umkehr der Herrschaft bleibt es jedoch nicht: Die Herrschaft/Diktatur des Proletariats führt dazu, dass die Klassengesellschaft aufgelöst wird und nicht nur die Bourgeoise, sondern auch das Proletariat als Klasse verschwindet. Der Grund dafür liegt darin, dass das Proletariat die Möglichkeit hat, durch die Selbstbefreiung zu einer „universellen Klasse“ zu werden. Wenn die ArbeiterInnenklasse aufhört, dem Wertgesetz zu folgen und die gesellschaftliche Arbeit vernünftig organisiert, sind alle Menschen nach ihren individuellen Fähigkeiten an der gesellschaftlichen Arbeit beteiligt. Es gibt keine neue Klasse, die dadurch entstehen muss. Es taucht nicht plötzlich die Notwendigkeit für, z.B. leibeigene BäuerInnen auf, die das Proletariats ausbeuten muss um als Klasse zu wachsen. Damit jedoch verschwindet die Teilung der Gesellschaft in Klassen. Das ist die letzte Stufe der Dialektik von Herr und Knecht: Das Proletariat hebt sich in der klassenlosen Gesellschaft selber auf. Durch diese Dialektik, die im Innersten des Verhältnisses von Bourgeoisie und Proletariat liegt, schafft der Kapitalismus selbst die Bedingung seiner eigenen Beseitigung: Er erschafft eine Klasse, die durch die Logik des Kapitals in die Lage gebracht wird, die kapitalistische Gesellschaft aufzuheben. So trägt das System die Möglichkeit des eigens geschaffenen Untergangs von Beginn an in sich.
Der Vorwurf des Ökonomismus:
An dieser Stelle wird oft wenig durchdacht der Vorwurf des Ökonomismus erhoben: Die gesamte Entwicklung der Geschichte werde auf ökonomische Verhältnisse reduziert, die Menschen als handelnde Subjekte seien beseitigt. Dieser Vorwurf zeigt, dass die marxistische Position nicht verstanden wurde. Es gibt keinen Automatismus, der das Proletariat dazu bringt, den Willen der Bourgeoisie, also das Wertgese2tz, abzulehnen. Die vulgärmarxistische Vorstellung, die eine große Krise werde die proletarischen Massen in so großes Elend stürzen, dass sie zur Revolution gezwungen sind, hat nichts mit der Wirklichkeit zu tun. Einen solchen ökonomischen Automatismus zur Revolution gibt es nicht und er wurde auch von keinen seriösen MarxistInnen jemals behauptet. Was jedoch stimmt, ist, dass das Proletariat mit historischer Notwendigkeit zur revolutionsfähigen Klasse gemacht wird. Dazu schreibt Georg Lukács in Geschichte und Klassenbewusstsein:
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„Diese Macht des Proletariats ist die Folge objektiv-ökonomischer »Gesetzmäßigkeiten«. Die Frage jedoch, wie diese mögliche Macht zur Wirklichkeit wird, […] ist von diesen »Gesetzmäßigkeiten« nicht mehr automatisch-fatalistisch bestimmt.“ (Methodisches zur Organisationsfrage, 2. Abschnitt)
Auch Lenin widerspricht dem Ökonomismus in seinen Schriften vehement und hebt immer wieder die bewusste Rolle des Proletariats hervor. Lukács fasst ihn treffend zusammen, wenn er schreibt:
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„Lenin [hat] mit großem Recht darauf hingewiesen, dass es keine Lage gibt, die an und für sich ausweglos wäre. […] Es werden sich stehts »rein ökonomische« Lösungsmöglichkeiten zeigen; es fragt sich nur, ob die Lösungen, wenn sie aus der theoretisch reinen Welt der Ökonomie in die Wirklichkeit der Klassenkämpfe heraustreten, dort auch […] durchsetzbar werden.“ (MzO, 2.A.)
Für den Kapitalismus gibt es keine rein ökonomisch ausweglose Situation, die Ausweglosigkeit besteht im Widerstand des Proletariats. Erst, wenn sich das Proletariat weigert, massive Verschlimmerungen der eigenen Lebenslage, egal ob unmittelbar ökonomische oder politische, hinzunehmen, kommt das System in eine Sackgasse. Eine solche Lage entsteht jedoch nur, wenn sich das Proletariat bewusst zum Widerstand entscheidet und dieser Wille weder durch die Bourgeoisie, noch durch ihren Staat gebrochen werden kann. Das klassenbewusste Proletariat versperrt also dem Kapitalismus den Ausweg aus der Krise. Damit ist die Revolution keine ökonomische Notwendigkeit, sondern Resultat des Klassenbewusstseins und der Erfolg der Revolution hängt von der Wirkmächtigkeit dieses Klassenbewusstseins ab.
Verdinglichung und revolutionäres Proletariat:
Um nun, wie die "Ostdeutschen Antifas" und alea, trotzdem zu behaupten, dass es sich beim Proletariat nicht um das revolutionäre Subjekt handelt, gibt es nur zwei Möglichkeiten:
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Es muss aufgezeigt werden, warum Marx und Hegel die Dialektik von Herr und Knecht insoweit falsch dargelegt haben, dass das Proletariat durch seine Knechtung nicht die reale Macht besitzt
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Es muss gezeigt werden, warum das Proletariat seine Lage nicht begreifen und die reale Macht nicht nutzen kann - also warum das Proletariat für sich nicht revolutionär sein kann und damit auch an sich nicht revolutionär ist
Der beliebteste Ansatz, das zweite beweisen zu wollen, liegt in einer falschen Analyse der „Verdinglichung“. Was die "Ostdeutschen Antifas" und alea, wie so viele andere kritiklosen „KritikerInnen“ nicht verstehen: Verdinglichung ist kein Argument gegen die Möglichkeit von Klassenbewusstsein des Proletariats, sie ist im Gegenteil die Bedingung für proletarisches Klassenbewusstsein! In der bürgerlichen Gesellschaft sind alle Menschen in verdinglichten Verhältnissen befangen, jedoch je nach ihrer Stellung in der Gesellschaft auf andere Weise. Das ist der Grund, warum verdinglichte Verhältnisse es nichtproletarischen Klassen verunmöglichen, zu Klassenbewusstsein zu gelangen. Die Stellung des Proletariats führt jedoch dazu, dass die Verdinglichung in einer Form auftritt, welche die Möglichkeit für Klassenbewusstsein darstellt. Wieso genau das der Fall ist, soll hier kurz erläutert werden.
Die Arbeitskraft der ProletarierInnen besitzt schon in ihrer unmittelbaren Gegebenheit die abstrakte Form einer Ware. Verkauft wird nicht die eigene Arbeit als individuelle Arbeitsleistung, sondern die eigene Arbeit als abstrakte menschliche Arbeit: Die eigene Arbeit ist der Arbeit aller anderen ProletarierInnen gleich. Deshalb kann sie an verschiedene KapitalistInnen verkauft werden und deshalb droht auch immer, dass die eigene Arbeit von anderen ProletarierInnen ersetzt wird.
Indem diese abstrakte Arbeit verkauft und den einzelnen ProletarierInnen entzogen wird, ist sie keine Arbeit der ProletarierInnen mehr, sondern Arbeit der KapitalistInnen. Mit Marx lässt sich sagen, dass sich die ProletarierInnen in ihrer Arbeit selbst verneinen, bzw. negieren. Lukács stellt nun fest, dass dieses Verneinen der ProletarierInnen durch ihre Umstände eine Abgrenzung ermöglicht, die bei anderen Klassen nicht auftreten kann. So schreibt er, dass
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„der Verdinglichungsprozess, das Zur-Ware-Werden des Arbeiters ihn […] zwar annulliert, seine »Seele« verkümmert […], jedoch gerade sein menschlich-seelisches Wesen nicht zur Ware verwandelt. Er kann sich also gegen dies sein Dasein innerlich vollkommen objektivieren.“ (Die Verdinglichung und das Bewusstsein des Proletariats, III. 2.)
Eine weitere Distanz zum rein Unmittelbaren ergibt sich dadurch, dass der negierte Teil der ProletarierInnen, wie oben festgestellt, die allgemeine Form der Ware besitzt. Laut Lukács ist das der Punkt, der es überhaupt erst erlaubt, zu einem Klassenbewusstsein, statt nur zu einem Standesbewusstsein zu kommen. Er argumentiert:
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„Die rein abstrakte Negativität im Dasein des Arbeiters ist also nicht nur die objektiv typischste Erscheinungsform der Verdinglichung, […] sondern – eben deshalb – subjektiv der Punkt, wo diese Struktur ins Bewusstsein gehoben und auf diese Weise praktisch durchbrochen werden kann.“ (Die Verdinglichung und das Bewusstsein des Proletariats, III. 2.)
Zu betonen ist nochmal, dass es sich hier um keinen Automatismus handelt. Die Struktur der kapitalistischen Gesellschaft kann auf diese Weise ins Bewusstsein gehoben werden, sie wird es durch die Verdinglichung nicht direkt. Damit bilden die verdinglichten Verhältnisse für das Proletariat die Grundlage, um zum Klassenbewusstsein zu gelangen. Umgekehrt zu behaupten, dass sie dem Proletariat den Zugang zum Klassenbewusstsein versperren, ist nur möglich, wenn man sich einer ernsthaften Analyse verweigert. An dieser Stelle möchte ich auf die Ironie hinweisen, dass diejenigen „kritischen“ Antifas, die
KommunistInnen in der Tradition Lenins vorwerfen, ein elitistisches Modell zu vertreten, gegen alle Beweise behaupten, durchschnittliche ArbeiterInnen sind dank einer weiter nicht erläuterten Verdinglichung unfähig, ihre Lage zu verstehen.
Das Konzept der Avantgarde:
Weil unter den Bedingungen der Lohnsklaverei nicht alle ArbeiterInnen gleichzeitig klassenbewusst werden können, bildet sich notwendigerweise eine Schicht der am weitesten fortschrittlichen ArbeiterInnen. Diese bleibt vor einer revolutionären Situation immer eine Minderheit, während die überwiegende Mehrheit ideologisch der Bourgeoisie folgt. Das liegt zum einen daran, dass die Bourgeoisie viel größere Mittel besitzt, um ihre Ideologie zu verbreiten. Zum anderen liegt es daran, dass ein Verständnis der bürgerlichen Gesellschaft nur mit genügend empirischem und philosophischem Wissen möglich ist. Für die fortschrittlisten Teile der Klasse hat sich historisch der aus dem militärischen stammende Begriff Avantgarde durchgesetzt, der dort die Vorhut einer Armee bezeichnete.
Der besonders von den "Ostdeutschen Antifas" gegen das Konzept der Avantgarde erhobene Vorwurf des Elitismus ist absurd, denn er verkennt, dass es das oberste Ziel der Avantgarde ist, sich selbst als Vorhut der Klasse überflüssig zu machen. So erkennt die Theorie der Avantgarde an, dass es nationalistische, rassistische, sexistische und andere reaktionäre Einflüsse innerhalb der Klasse gibt und stellt fest, dass diese ArbeiterInnen hinter revolutionären ArbeiterInnen zurückbleiben. Es geht den KommunistInnen jedoch darum, diese Einflüsse zurückzudrängen und allen ProletarierInnen zu einem revolutionären Bewusstsein zu verhelfen. Niemals wurde von MarxistInnen gefordert, diese Trennung in reaktionäre und progressive ProletarierInnen aufrecht zu erhalten oder gar zu verstärken. Eine „Kritik“, wie etwa die der "Ostdeutschen Antifas", läuft in letzter Konsequenz auf einen Relativismus hinaus, der z.B. antirassistische mit rassistische ArbeiterInnen auf eine Stufe stellt.
Um nun nicht in der Vereinzelung unterzugehen, Erfahrungen zu kollektivieren und handlungsfähig zu sein, ist es notwendig, dass sich Teile der Avantgarde organisatorisch zusammenschließen. Für diese organisatorische Einheit, die gewissen Anforderungen gerecht werden muss, hat sich der Begriff Partei, bzw. Partei neuen Typs durchgesetzt. Dabei ist das starre Beharren auf Namen sinnlos, wenn die Begriffe dieselben sind. Darauf hat nicht zuletzt Lenin hingewiesen, als er in einer Rede vor der kommunistischen Internationale sagte:
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„Wenn Genosse Tanner [britischer Kommunist] sagt, er sei ein Feind der Partei, aber gleichzeitig dafür, dass eine Minderheit der am besten organisierten und revolutionärsten Arbeiter dem ganzen Proletariat den Weg weise, so sage ich, dass zwischen uns in Wirklichkeit keine Differenz besteht“ (Rede vom 23.7.1920)
Wie sich die Partei neuen Typs von bürgerlichen Parteien unterscheidet wird im Anschluss geklärt. Hier ist nur wichtig hervorzuheben, dass die Partei nicht die Revolution für die Klasse macht. Die Partei kann die Klasse in einer revolutionären Situation anführen, nicht sie selber durchführen. Sie kann den Weg aufzeigen, bei der Selbstorganisation der Klasse helfen und praktisches Wissen vermitteln, nicht jedoch die Revolution herbeibefehlen. Dazu schreibt Lenin, dass
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„dutzende von Millionen Menschen nicht auf Bestellung Revolution machen, sondern nur dann, wenn das Volk [was in entwickelten kapitalistischen Staaten wesentlich bedeutet: das Proletariat] in eine unmögliche Lage geraten ist, wenn der allgemeine Drang, die Entschlossenheit dutzender Millionen von Menschen alle örtlichen Schranken durchbricht und wirklich imstande ist, ein neues Leben hervorzubringen“ (Der linke Radikalismus, Kapitel IX)
Die tatsächlichen Bedingungen, dass die Revolution Wirklichkeit wird, sind vielmehr
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„erstens, dass die Mehrheit der Arbeiter […] die Notwendigkeit des Umsturzes völlig begreift […]; zweitens, dass die herrschenden Klassen eine Regierungskrise durchmachen, die sogar die rückständigsten Massen in die Politik hineinzieht […], die Regierung kraftlos macht und es den Revolutionären ermöglicht, diese Regierung schnell zu stürzen“ (Der linke Radikalismus, Kapitel IX)
Eine kommunistische Partei muss diesen Umstand begreifen und ihm in der Wirklichkeit gerecht werden, ohne dabei jedoch die eigene Rolle in der Entwicklung der Stimmung der Massen zu vergessen und in eine apathische Anbetung der „Spontanität der Massen“ zu verfallen.
Wie die Verdinglichung überwunden werden kann:
Im letzten Abschnitt vor der abschließenden Anmerkung soll es darum gehen, was kommunistische Parteien ihrem Wesen nach von bürgerlichen Parteien unterscheidet und warum nur eine kommunistische Partei in der Lage ist, als klassenbewusst Handelnde aktiv in die Geschichte einzugreifen. Zentral ist dabei die Frage, wie verhindert wird, dass verdinglichte Verhältnisse in der Partei auftreten, die sonst ihre Klassenbewusstsein verhindern würden. Am verständlichsten wird das, wenn kommunistische Parteien mit bürgerlichen Parteien verglichen werden, die dazu nicht in der Lage sind. In seiner Analyse dieses Problems stellt Lukács über bürgerliche Parteien fest:
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„Für den alten Typus der Parteiorganisation […] kann der Einzelne nur als »Masse«, nur als Gefolge, nur als Nummer vorkommen. […] Die Partei gliedert sich in einen aktiven und einen passiven Teil, wobei der letztere nur gelegentlich und stets auf Kommando des ersteren in Bewegung gebracht werden soll.“ (Methodisches zur Organisationsfrage, 3. Abschnitt)
Damit besitzen die Einzelnen wesentlich die Rolle von Objekten. Gegen das Argument, bürgerliche Parteien könnten das durch ihre innere formal Demokratie ausgleichen, wendet Lukács ein:
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„Diese Objektrolle wird durch die formale Demokratie, durch die »Freiheit«, die in diesen Organisationen herrschen mag, nicht aufgehoben, sondern im Gegenteil fixiert und verewigt.“ (MzO, 3. A.)
Welche konkrete Führung in bürgerlichen Parteien auch zu wählen ist, immer wird mit der Führung auch die eigene Unmündigkeit gewählt. Die formale Freiheit ist damit nichts anderes als die Verdammung in die ZuschuerInnenrolle. Lukács argumentiert weiter, dass eine solche Trennung in objekthafte „Basis“ und „Führung“ bereits die Verdinglichung in sich trägt. Die Mitglieder hängen
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„nur durch abstrakt erfasste Teile ihrer Existenz mit der Organisation zusammen und diese abstrakten Zusammenhänge objektivieren sich als getrennte Rechte und Pflichten.“ (MzO, 3. A.)
Eine weitere besonderheit bürgerlicher Parteien ist Lukács zufolge, dass
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„die Gesamtpersönlichkeit der Mitglieder [...] von solchen Organisationen niemals
erfasst werden [kann], ja sie können ein solches Erfassen nicht einmal erstreben.“ (MzO, 3. A.)
Eine so strukturierte Partei kann unmöglich zwischen dem Handeln jedes einzelnen Mitgliedes und der Aktivität der ganzen Klasse vermitteln. Die Aktivität der isolierten Funktionärsebene führt dazu, dass die Masse der Mitglieder den Handlungen der Partei rein zuschauend gegenüberstehen kann. Gegenüber dem Alltagsleben der Partei entsteht so notwendig eine aus blindem Vertrauen und Apathie gemischte Gleichgültigkeit. Eine solche Partei isoliert sich durch diese Struktur von der Klasse und kann niemals zu einer aktive Klassenpartei werden. Lukács schlussfolgert daraus:
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„Da diese […] Parteien im objektiven geschichtlichen Sinne nicht aktiv sind, da ihre scheinbare Aktivität nur ein Reflex ihres fatalistischen Getragenseins von unbegriffenen geschichtlichen Mächten sein kann, müssen in ihnen sämtliche Erscheinungen, die aus […] der Struktur des verdinglichten Bewusstseins folgen, zutage treten. D.h., als Gesamtkomplexe stehen sie dem Lauf der Entwicklung bloß anschauend […] gegenüber“ (MzO, 3. A.)
Aus dieser Unzulänglichkeit der bürgerlichen Parteien ergibt sich, wie eine kommunistische Partei das verdinglichte Bewusstsein hinter sich lassen und aktiv in die Geschichte eingreifen kann. Dazu Lukács:
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„Erst wenn das Handeln in einer Gemeinschaft zur zentralen persönlichen Angelegenheit eines jeden einzelnen Beteiligten wird, kann […] die organisatorische Erscheinungsform der Abtrennung des Menschen von seiner eigenen Vergesellschaftung, seiner Zerstückelung durch die gesellschaftlichen Mächte, die ihn beherrschen, aufgehoben werden.“ (MzO, 3. A.)
Und:
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„Jede menschliche Beziehung also, die […] mit der Abstraktion von der Gesamtpersönlichkeit des Menschen, mit seiner Subsumierung [=Unterordnung] unter einem abstrakten Gesichtspunkt bricht, ist ein Schritt in der Richtung des Durchbrechens dieser Verdinglichung des menschlichen Bewusstseins. So ein Schritt jedoch setzt den tätigen Einsatz der Gesamtpersönlichkeit voraus.“ (MzO, 3. A.)
Die Zuschauerrolle des bürgerlichen Menschen kann nur dann wirklich überwunden werden, wenn die Partei zu einer „Welt der Tätigkeit“ für jedes einzelne Mitglied wird. Das entscheidende organisatorische Kampfmittel besteht somit darin, dass die Partei im Alltagsleben aller Parteimitglieder steht und dieses Alltagsleben die Partei ausmacht. Weiter schreibt Lukács:
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„Nur wenn die Funktion in der Partei kein Amt ist, […] sondern die Aktivität aller Mitglieder sich auf alle nur möglichen Arten der Parteiarbeit bezieht, […] kommen die Mitglieder der Partei mit ihrer Gesamtpersönlichkeit in eine lebendige Beziehung zu der Totalität des Parteilebens und der Revolution, hören sie auf, bloße Spezialisten zu sein, die notwendig der Gefahr der inneren Erstarrung unterworfen sind“ (MzO, 5. A.)
Eine solche aktive Einbindung aller Mitglieder wirkt sich auch auf die Fähigkeiten der Partei als Ganzes aus. Dass alle Funktionen von den Parteimitgliedern in ihrem Alltagsleben erfüllt werden, hat zwei bedeutsame Konsequenzen. Die erste ist, dass die Führungsebene nicht isoliert beliebige Entscheidungen treffen kann. Für die praktische Umsetzung der Entschlüsse ist es nicht nur notwendig, dass die einzelnen Mitglieder überzeugt werden, sie müssen diese Entschlüsse auch in ihrem ganzen Kontext verstehen, um sie tatsächlich umsetzen zu können. Ein Auseinanderklaffen von informierter Führung und unwissender Basis ist somit durch die Praxis unmöglich. Die zweite Konsequenz ist, dass Debatten über Entschlüsse immer im Vorhinein und während deren Umsetzung stattfinden müssen. Während bürgerliche Parteien ihre Handlungen erst im Nachhinein umfassender Kritik unterziehen könnten (vorausgesetzt, es gäbe dort einen Prozess, der es allen Mitgliedern ermöglicht, gleichberechtigt ihre Kritik vorzubringen), ist Kritik auf allen Ebenen die praktische Voraussetzung einer kommunistischen Partei. Auf diese Weise ist die Verwirklichung der Kritik in der Partei angelegt und hört auf, ein rein nachträgliche beurteilender Akt zu sein.
Zum Schluss ist noch zu betonen, dass diese organisatorischen Verhältnisse zwischen den KommunistInnen lediglich die Möglichkeit schaffen, dass die Partei als klassenbewusste Akteurin in die Geschichte eingreifen kann. Sie sind kein Garant dafür, dass die einzelnen KommunistInnen und auch die Partei als Ganzes nicht wieder dem verdinglichten Bewusstsein verfallen. Im Kapitalismus ist die Partei immer der Gefahr der Erstarrung unterworfen, das Neue an der Partei ist aber, dass sie dank ihrem Aufbau bewusst dagegen ankämpfen kann. Und tatsächlich ist das innere Leben der Partei ein ständiges Ankämpfen gegen das kapitalistische Erbe. Anders als die "Ostdeutschen Antifas" und alea behaupten, gibt es keine revolutionäre Partei, die ewig gültige Theorien behauptet. Hat die Partei aufgehört, Wahrheit als Resultat eines dialektischen Prozesses anzusehen, verliert sie ihr Bewusstsein und ihr revolutionäres Potential.
Abschließende Bemerkung zum Begriff „Propaganda“:
Was weder die „Ostdeutschen Antifas“, noch alea zu verstehen scheinen, ist, dass der Begriff Propaganda im marxistischen Sinne nichts damit zu tun hat, die Leute hinters Licht zu führen, im Gegenteil. Erst in den 1920er Jahren kam die Bedeutung auf, die Propaganda heute umgangssprachlich besitzt. Zu dieser Zeit wurde der Begriff schon lange von MarxistInnen so benutzt, wie er ursprünglich in der französischen Revolution bei den Jakobinern vorkam: Als Verbreitung politischer Ideen. In Was tun? schreibt Lenin über Agitation und Propaganda:
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„dass der Propagandist zum Beispiel bei der Behandlung der Frage der Arbeitslosigkeit die kapitalistische Natur der Krisen erklären, die Ursache ihrer Unvermeidlichkeit in der modernen Gesellschaft aufzeigen, die Notwendigkeit der Umwandlung dieser Gesellschaft in eine sozialistische darlegen muss usw. Mit einem Wort, er muss ‚viele Ideen‘ vermitteln, so viele, dass sich nur (verhältnismäßig) wenige Personen alle diese Ideen in ihrer Gesamtheit sofort zu eigen machen werden. Der Agitator hingegen, der über die gleiche Frage spricht, wird das allen seinen Hörern bekannteste und krasseste Beispiel herausgreifen – beispielsweise den Hungertod einer arbeitslosen Familie, die Zunahme der Bettelei usw. – und wird alle seine Bemühungen darauf richten, auf Grund dieser allen bekannten Tatsache der ‚Masse‘ eine Idee zu vermitteln: die Idee von der Sinnlosigkeit des Widerspruchs zwischen der Zunahme des Reichtums und der Zunahme des Elends, er wird bemüht sein, in der Masse Unzufriedenheit und Empörung über diese schreiende Ungerechtigkeit zu wecken, während er die restlose Erklärung des Ursprungs dieses Widerspruchs dem Propagandisten überlassen wird.“
Wer behauptet, MarxistInnen in der Tradition Lenins wollen das Proletariat „mit Propaganda" täuschen, ist entweder unaufrichtig oder schlicht unfähig, „Agitprop“ zu googeln und Wikipedia zu öffnen. Welche der beiden Optionen bei den „Ostdeutschen Antifas“ und alea zutrifft, dürfen sie selber entscheiden, wahrscheinlich scheint eine Mischung von beidem.