Der Alltag vor dem Amtsgericht - auch eine Klassenfrage!

Der Gerichtsalltag vor den Strafgerichten wird immer wieder mal beschrieben. Auch in der südbadischen Provinz lässt sich der Klassenaspekt der Strafjustiz beobachten. Nur drei Beispiele aus den letzten Tagen.

 

Sechs Monate Haft ohne Bewährung wegen Ladendiebstahl

Wie kürzlich berichtet, hat das Amtsgericht Freiburg einen Menschen wegen Ladendiebstahl und Hehlerei zu sechs Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Der alkoholabhängige und drogensüchtige Angeklagte saß deswegen schon seit über einem Monat in Untersuchungshaft. Die Strafe wurde nicht zur Bewährung ausgesetzt, d.h. der Angeklagte wurde nach der Urteilsverkündung wieder gefesselt und zurück in die JVA Freiburg verbracht. Rechtsanwalt M. aus Freiburg, der dem dortigen Angeklagten zur Seite stand, begnügte sich im Plädoyer damit, statt der acht Monate Haft, die die Staatsanwaltschaft forderte, auf sechs Monate zu plädieren. Zur Frage, ob die Strafe zur Bewährung ausgesetzt werden könnte, äußerte sich der Verteidiger nicht. In der Urteilsbegründung gesteht der verurteilende Richter selbst zu, dass die Haftanstalt in Fällen wie jenen des Angeklagten wohl nicht viel tun könne, wie überhaupt die ganze Strafjustiz nicht.

Für 75 € Bußgeld kommen ein Professor Dr. und eine Großkanzlei zum Einsatz

Ein Tag später, selber Ort: Amtsgericht Freiburg. Eine junge Frau, unweit von Freiburg wohnend, hatte Einspruch gegen ein Bußgeld eingelegt. Sie soll auf der Autobahn nur rund 20m Abstand zum vorderen Fahrzeug gehalten haben, obwohl mindestens 38,7m Abstand erforderlich gewesen wären. Vertreten wird sie, laut Terminaushang vor dem Saal, von einem Herrn Professor Dr. Rechtsanwalt aus Köln. Weil der Herr Professor verhindert ist, kommt kurzerhand ein Vertreter aus einer renommierten Großkanzlei aus Freiburg. Mit viel Verve verteidigt er die dichte Auffahrt seiner Mandantin auf das vor ihr fahrende Auto. Ihr sei nicht zumutbar gewesen auf die rechte Spur, die frei gewesen war, auszuweichen. Es sei lebensfremd anzunehmen, dass seine Mandantin aus der Kolonne auf die freie rechte Spur ausschert, nur um den Mindestabstand einhalten zu können. Es half nichts, die Richterin verurteilte sie die 75 € Bußgeld zu bezahlen.

Acht Monate Bewährungsstrafe wegen Körperverletzung

Und wieder ein Tag später: ein Gefangener steht vor dem Freiburger Amtsgericht, weil er zwei Jahre zuvor einen Mitgefangenen geschlagen haben soll. Das räumt er unumwunden ein. Vertreten wird er von Rechtsanwalt Till-Alexander Hoppe aus Kiel. Der einschlägig wegen Körperverletzung und auch schweren Raubes verurteilte Angeklagte scheint deshalb denkbar schlechte Karten zu haben. Aber ein einsatzfreudiger Anwalt und sicherlich auch günstige Umstände, veranlassten nach fast sechs Stunden Prozess die Richterin, die Strafe von acht Monaten zu der sie ihn verurteilte, zur Bewährung auszusetzen. Nur weil der Angeklagte in Haft sitze, so die Richterin, dürfe man ihm die Bewährung nicht verwehren. Radio Dreyeckland berichtete über den Fall und sprach auch mit Rechtsanwalt Hoppe.

Klassenaspekte der Strafjustiz

Die geschilderten Verfahren finden in einem schicken Neubau statt, erst für 22 Millionen Euro geplant, werden es am Ende dem Vernehmen nach wohl eher 31 Millionen Euro die das Land Baden-Württemberg für den Bau hinblättern wird. Ganz viele große Fenster, weiße Böden, weiße Tischmöbel, ganz so, als wollte sich die Justiz ein transparentes und unschuldiges Äußeres geben. Weiß, die Farbe der Unschuld!

Der Ladendieb, alkoholabhängig, drogensüchtig. Jack Daniels im Wert von 12,96 €, Whiskey 18,98 € und Parfum im Wert von 799, 94 €. Das war seine Beute. Das Parfum allerdings wurde ihm noch im Ladengeschäft abgenommen und da unbeschädigt, wieder ins Regal zurückgestellt. Realer Schaden also 31,94 €.

Aber er soll nun, bzw. wird sechs Monate in Haft bleiben. Er wurde vertreten von einem nicht sonderlich bemüht wirkenden Anwalt. Für die Frau, die wegen eines 75 € Bußgelds Einspruch eingelegt hatte, wurden ein professoraler Anwalt aus Köln und eine Großkanzlei aus Freiburg in Marsch gesetzt. Der wegen Körperverletzung angeklagte Strafgefangene wiederum hatte das Glück, dass sein Kieler Anwalt auf Strafvollzug spezialisiert ist und entsprechend nachdrücklich auftrat. Wie der Anwalt mir nach dem Prozess erzählte, könne man von dieser Arbeit nur dann leben, wenn entsprechend viele Mandate bearbeitet würden und auch eine Portion Idealismus dabei sei.

Immerhin, alle drei Betroffenen waren anwaltlich vertreten, im Alltagsgeschäft vor den Amtsgerichten ist das in Strafsachen nicht die Regel. Aber dort wo es um Freiheit oder Haftstrafe geht, kann eine gute anwaltliche Vertretung entscheidend sein, ob jemand ins Gefängnis gehen muss oder doch die Chance einer Bewährungsstrafe erhält.

Mehr Öffentlichkeit täte den Verfahren auch gut, denn meist sitzen nur einzelne Menschen im Publikum oder niemand, dabei geht es vielfach um existenzielle Entscheidungen. Dann auch noch von der Öffentlichkeit vergessen zu werden, das erscheint mir besonders bedrückend.

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