Sechs Monate Knast: ein Rad, ein paar Flaschen Parfüm und Whiskey!

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Es ist Frühsommer in Freiburg. Ein Mittvierziger, erst vor wenigen Wochen aus der Haft entlassen, kurz danach in das ihm so vertraute Milieu der Drogenszene abgerutscht oder auch abgetaucht, wird beim Klauen im Laden erwischt. Mittlerweile ist es Herbst, gefesselt wird er in Saal 6 des Amtsgerichts Freiburg geführt, ihm wird der Prozess gemacht.

Die Vorwürfe

Staatsanwalt Kinel warf Markus von Pohl (Name des Angeklagten geändert) vor, vier Dosen Jack Daniels, zwei Flaschen Whiskey und sechs Flaschen Parfum gestohlen zu haben. Bei NORMA und Galeria Kaufhof habe Markus von Pohl gestohlen, die Unternehmen hätten ausdrücklich Strafantrag gestellt.

Ferner habe der Angeklagte ein E-Bike entweder selbst entwendet, oder aber zumindest gewusst, sollte er es gekauft haben, dass es sich um ein gestohlenes Rad gehandelt haben muss. Strafbar als Diebstahl, gewerbsmäßiger Diebstahl, im Falle des Rads ggf. als Hehlerei.

Zeit des „Sex, Drugs, Rock’n’roll“ vorbei – so der Angeklagte Markus von Pohl

Erst am 12. Mai 2024 war er aus der Haft entlassen worden, immerhin auf Bewährung, aber bis zur Bewährungshilfe schaffte er es nie. Zu schnell, so erzählte er es in der Verhandlung, sei alles wieder verrutscht. Alkohol, Drogen. Mit einem Freund, bei welchem er hätte wohnen sollen, habe er sich zerstritten, so dass er in der Freiburger Obdachlosenunterkunft habe leben müssen. Seit rund 30 Jahren sei er abhängig von Drogen, von allem was der Markt so hergebe: Kokain, Heroin, Speed. Zurzeit werde er in der Haftanstalt mit Polamidon substituiert, habe nach der Verhaftung aber erstmal einen „krassen Alkoholentzug“. Die Zeiten des „Sex, Drugs, Rock’n’roll“ seien für ihn definitiv jetzt vorbei, er wolle einen „Cut“ machen.

Geboren 1979 in Freiburg, mehrere Gymnasien besucht, schließlich in der 10. Klasse abgegangen, später mal den Realschulabschluss nachgeholt. Eine Lehre zum Elektriker ebenfalls abgebrochen. 27 Vorstrafen führt das Bundeszentralregister seit 2007 auf. Durchweg Diebstähle, meist mit kleinen Geldstrafen geahndet: 20 Tagessätze, 30 Tagessätze, 90 Tagessätze, die er zu oft nicht bezahlen kann. Auch mal Erschleichen von Leistungen (so nennt sich das Fahren ohne gültiges Ticket), oder der Besitz von Drogen. Später folgen Haftstrafen, sechs Monate, eineinhalb Jahre, dann wieder sechs Monate: immer wegen Diebstählen.

Die Verhandlung

Wie so oft bei solchen Strafsachen, interessiert sich die Öffentlichkeit auch hier nicht dafür. Ich war der einzige Zuschauer. Lediglich für die Urteilsverkündung verirrten sich noch zwei weitere Menschen in den Saal: der eine war Polizist und eigentlich als Zeuge geladen, wurde aber nicht (mehr) benötigt, wollte sich dann aber zumindest das Urteil anhören. Der zweite Zuschauer war ein Kollege der Protokollführerin, also ein Mitarbeiter des Amtsgerichts.

Markus von Pohl legte gleich zu Beginn ein umfassendes Geständnis ab. Das E-Bike habe er für unter 100 € von einer unbekannten Person gekauft. Auch die Diebstähle gab er unumwunden zu und beschrieb seine Drogen- und zuletzt auch Alkoholabhängigkeit, dass er vorhabe eine Drogentherapie zu machen, der Haftalltag sehr strukturiert sei und er auf eine milde Strafe hoffe.

Als einzige Zeugin wurde die Eigentümerin des Fahrrads vernommen. Eine örtliche Apothekerin, die sehr freundlich, warmherzig und energiegeladen in den Saal kam. Das Rad sei ihr bald wieder zurückgegeben worden. Ja, das Radschloss sei geknackt worden und im Hinterrad habe sie später in der Werkstatt einen Achter reparieren lassen müssen. Fertig war ihre Vernehmung, keine 5 Minuten hatte ihr Auftritt gedauert.

Auf weitere Zeug*innen wurde angesichts des vollumfassenden Geständnis verzichtet.

Die Plädoyers

Die Staatsanwaltschaft forderte in ihrem Plädoyer eine achtmonatige Haftstrafe, denn auch wenn der Angeklagte voll geständig sei, er habe schon kurz nach der Entlassung aus dem Gefängnis wieder gestohlen, habe fast 30 Einträge im Bundeszentralregister, keinen Kontakt zur Bewährungshilfe aufgenommen und keine günstige Sozialprognose.

Der Freiburger Rechtsanwalt, der Markus von Pohl im Prozess vertreten hat, forderte seinerseits eine sechsmonatige Strafe für seinen Mandanten. Allerdings kamen zur Frage der Bewährung weder Ausführungen noch Anträge, was etwas eigenartig anmutet, denn auf der Internetseite der Gemeinschafts-Kanzlei der der Anwalt angehört, wird damit geworben, man biete „qualitativ hochwertige Verteidigung“. Womöglich hätte Rechtsanwalt M. sich für einen zahlungskräftigen Mandanten mehr ins Zeug gelegt, als für einen arbeitslosen Drogenabhängigen, der im Gefängnis sitzt.

Das Urteil

Immerhin folgte Richter Dr. Stegmiller dem Plädoyer des Verteidigers: sechs Monate Freiheitsstrafe wegen Hehlerei, Diebstahls und gewerbsmäßigen Diebstahls. Letzteres deshalb, weil die gestohlenen Parfums dazu gedacht gewesen seien die Drogensucht zu finanzieren. Während ein einfacher Diebstahl geahndet werden kann mit Geldstrafe oder Haft bis zu 5 Jahren, gilt für gewerbsmäßigen Diebstahl eine Mindeststrafe von drei Monaten! Dabei ist Richter Stegmiller nicht als Hardliner bekannt, sondern hat bei Sitzblockaden der „Letzten Generation“ auch schon mal einen Freispruch verkündet.

So räumt Stegmiller in seiner mündlichen Urteilsbegründung unumwunden ein, es gebe in der JVA sicher „nicht viel“ was dem nunmehr Verurteilten wirklich helfen werde, was überhaupt für das Strafrecht in diesen Fällen gelte. Aber er sehe keine günstige Sozialprognose, sondern rechne damit, dass wenn er jetzt Markus von Pohl entlasse, dieser alsbald wieder stehle, um seine Sucht zu finanzieren. Er rate ihm deshalb, sich ernsthaft um eine Therapie zu bemühen. Den Haftbefehl wurde nicht aufgehoben, denn es fehle an Anhaltspunkten für eine günstige Prognose, so der Richter Dr. Stegmiller. Am Ende der Verhandlung wurden Markus wieder Fesseln angelegt und es ging für ihn zurück in die JVA Freiburg.

Klassenjustiz in Südbaden in Aktion

Vielleicht hätte ein/e engagierte/r Rechtsanwält*in mehr für den Mandanten herausholen können, denn bei einer streitigen Verhandlungsführung sind Gerichte durchaus für Zugeständnisse offen- und zumindest eine Aussetzung zur Bewährung erschien mir durchaus erreichbar. Das hätte aber Arbeit für den Freiburger Anwalt bedeutet: den Mandanten unterstützen eine Wohnmöglichkeit vorweisen zu können, vielleicht auch einen ambulanten Therapieplatz, eine Selbsthilfegruppe wo er hätte hingehen können. Aber hier war kein großes Geld für den Anwalt zu verdienen. Für eine reale „Tatbeute“ von vier Dosen Jack Daniels und zwei Flaschen Whiskey, zur Erinnerung: das E-Bike hat den Weg zur Eigentümerin zurückgefunden und das Parfum Galeria Kaufhof nie verlassen, sechs Monate Knast. Sechs Monate Betonwände. Sechs Monate Isolation von der Außenwelt. Sechs Monate Perspektivlosigkeit. Sechs Monate verlorenes Leben.

Dabei ist der Fall des Markus von Pohl Justizalltag. Jeden Tag stehen Menschen wie er vor Gericht, werden binnen einer Stunde verurteilt, und sitzen dann ihre Strafen ab. Vergessen von der Außenwelt.

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