Über Solidarität und Täterschaft

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In den letzten Jahren fand in großen Teilen der radikalen Linken eine verstärkte Auseinandersetzung über patriarchale Strukturen, Männlichkeit und sexualisierte Gewalt statt. Vor allem durch das mutige Handeln vieler Betroffener, die über ihre Erfahrungen gesprochen haben und Übergriffe öffentlich machten wurde unübersehbar, wie sehr auch linke Zusammenhänge strukturell und auf verschiedensten Ebenen von patriarchalen Strukturen geprägt sind.

Im Kontext von Antirepressionsarbeit ist die Auseinandersetzung um den Umgang mit patriarchaler Gewalt unter anderem im Antifa Ostverfahren geführt worden. Neben der patriarchalen Gewalt in linken Strukturen stellten sich Fragen zu daraus folgenden Themen wie Täterschutz, Transparenz und die Frage nach einem richtigen Umgang.

Die Auseinandersetzungen der letzten Jahre haben damit verbundene Themen ins Blickfeld vieler Gruppen geholt. Trotzdem gibt es viel Unklarheit und unterschiedliche Standpunkte zum Umgang mit patriarchaler Gewalt im Kontext der Solidaritätsarbeit.

Als Soligruppe #FreeBenni setzen wir uns mit dem eigenen Handeln in Bezug auf diese Themen auseinander. Auch Benni war in der Vergangenheit übergriffig. Wir wollen hiermit unseren Stand transparent machen, sowie die Diskussionen und Gründe die zu diesem Text geführt haben.

Da die Auseinandersetzung längere Zeit dauerte, sind wir in dieser Situation bis jetzt nicht öffentlich transparent gewesen. (Hierzu weiter unten mehr.)

 

1. Einleitung:

 

In den letzten Jahren fand in großen Teilen der radikalen Linken eine verstärkte Auseinandersetzung über patriarchale Strukturen, Männlichkeit und sexualisierte Gewalt statt. Vor allem durch das mutige Handeln vieler Betroffener, die über ihre Erfahrungen gesprochen haben und Übergriffe öffentlich machten wurde unübersehbar, wie sehr auch linke Zusammenhänge strukturell und auf verschiedensten Ebenen von patriarchalen Strukturen geprägt sind.

Im Kontext von Antirepressionsarbeit ist die Auseinandersetzung um den Umgang mit patriarchaler Gewalt unter anderem im Antifa Ostverfahren geführt worden. Neben der patriarchalen Gewalt in linken Strukturen stellten sich Fragen zu daraus folgenden Themen wie Täterschutz, Transparenz und die Frage nach einem richtigen Umgang.

Die Auseinandersetzungen der letzten Jahre haben damit verbundene Themen ins Blickfeld vieler Gruppen geholt. Trotzdem gibt es viel Unklarheit und unterschiedliche Standpunkte zum Umgang mit patriarchaler Gewalt im Kontext der Solidaritätsarbeit

Als Soligruppe #FreeBenni setzen wir uns mit dem eigenen Handeln in Bezug auf diese Themen auseinander. Auch Benni war in der Vergangenheit übergriffig. Wir wollen hiermit unseren Stand transparent machen, sowie die Diskussionen und Gründe die zu diesem Text geführt haben.

Da die Auseinandersetzung längere Zeit dauerte, sind wir in dieser Situation bis jetzt nicht öffentlich transparent gewesen. (Hierzu weiter unten mehr.)

 

2. Informationen zu Täterschaft und dem Prozess

 

Benni hat sich vor etwa zwei Jahren übergriffig verhalten, auf die Schilderung der Gewalthandlungen werden wir nicht näher eingehen und stattdessen den Aufarbeitungsprozess beschreiben. Die intensive Phase der Auseinandersetzung dauerte etwa ein Jahr und wurde zusammen mit einem kleinen Kreis aus Personen aus seinem Umfeld geführt. Zusätzlich gab es Treffen mit Personen, die nicht direkt in den Prozess involviert waren, um eine kritische Außenperspektive einzuholen und die Arbeitsweise und Fortschritte zu reflektieren. Er hat sich innerhalb des Prozesses sowohl mit den konkreten Situationen, in denen er Gewalt ausgeübt hat, als auch mit seiner cis-männlichen Sozialisation und den daraus folgenden patriarchalen Verhaltensweisen auseinandergesetzt.

Die Aufarbeitung und Verantwortungsübernahme von gewaltvollen Handlungen ist immer ein lebenslanger Prozess, aber die intensive Aufarbeitung der konkreten gewalttätigen Situation ist (für die betroffene Person) abgeschlossen. Unsere Einschätzung ist, dass Benni sehr viel gelernt und trotzdem auch weiterhin noch sehr viel zu lernen hat. Innerhalb der Auseinandersetzung gab es Höhen und Tiefen, aber grundsätzlich hat Benni, auch mit Unterstützung seines Umfeldes, die von ihm ausgehende Gewalt anerkannt, die tiefer liegenden Verstrickungen erkannt und Verantwortung für sein Handeln übernommen. Wir schätzen daher den Verlauf des Prozesses im Großen und Ganzen als positiv ein. Sowohl sein Umfeld als auch die betroffene Person sind mit dem Ausgang des Prozesses soweit zufrieden.

 

 

3. Reflektion des eigenen Umgangs

 

In der Soligruppe, als auch im politischen Umfeld von Benni, gab es Wissen über den Übergriff. Auch der erfolgte Prozess, war den Menschen in der Soligruppe, in unterschiedlichen Maße bekannt. Trotzdem oder vielleicht genau deswegen wurde das Thema aber nicht kollektiv besprochen. Wir wussten ja davon, die Beschäftigung mit dem Übergriff war abgeschlossen, die betroffene Person, mit der wir im engen Austausch stehen, ist mit dem Ausgang des Prozesses zufrieden. Darüber hinausgehende Beschäftigungen mit Männlichkeit wurden und werden von Teilen des Umfelds eingefordert, u.a. die Auseinandersetzung mit patriarchalen Strukturen im Knast.

Als dann auf Indymedia Kommentare unter einem Text von uns auftauchten, die in Frage stellten, ob "der Täter Benni" unterstützt werden und Solidarität erhalten solle, wurden wir mit dem Übergriff wieder konfrontiert. (Die Kommentare wurden recht schnell gelöscht, ohne das wir damit etwas zu tun hatten.) In den Kommentaren wurde gefragt, warum Benni, wenn er doch ein Täter sei, trotzdem unterstützt wird. Dazu sei, bis zur Klärung der Umstände, jegliche Unterstützung einzustellen. Auch solle der Soliaufruf bis auf weiteres gelöscht werden. In einem weiteren Kommentar wurde sich eine ´Auseinandersetzung mit den Tatvorwürfen durch das Umfeld ´gewünscht´. Versehen waren diese mit feministischen Parolen und Empörung darüber, dass die Kommentare verschwanden. Verschiedene Gefühle/Reaktionen holte diese bei uns hoch: Zuerst viel Verärgerung und Unverständnis über die Kommentare. Ohne Rücksprache oder Kontaktaufnahme mit der betroffenen Person oder der Soligruppe das ins Internet zu schreiben. Ärger, dass sich irgendwer über den Willen und die Konsequenzen, die das für die betroffene Person hat, ´einfach´ hinweggesetzt hat. Sorge um die betroffene Person, über Retraumatisierung. Bei der betroffenen Person holte dies, ohne es sich aussuchen zu können, ohne Vorwarnung und gegen deren Willen die Geschehnisse wieder hoch.

Auch Panik etwas falsch gemacht zu haben oder von einem Übergriff nicht mitbekommen zu haben, wo sich nun die betroffene Person über die Indy-Kommentarspalte meldet. Wir sind dem nachgegangen, ob es uns Unbekannte weitere Fälle gab. Dies bestätigte sich jedoch nicht.

Auch wenn wir Verständnis für Misstrauen gegenüber Soligruppen und Umfelder haben (die auf Grund von vergangenen und öffentlich gemachten Erfahrungen existieren und berechtigt sind), können wir es nicht nachvollziehen, warum nicht erst mal der Kontakt gesucht wird. Auch der kommentierte Artikel endete mit dem Angebot Nachfragen an die Mailadresse der Soligruppe schreiben zu können. Sollte es keine oder ignorante Antworten geben, dann spricht sicherlich nichts gegen eine Veröffentlichung.

Gleichzeitig waren wir uns mit der betroffenen Person einig, dieses Thema nicht über Indy-Kommentare im Internet klären zu wollen. Daher haben wir bei folgenden Veröffentlichungen die Kommentarfunktion ausgeschaltet.

Im folgenden internen Austausch über den Umgang, gab es die Tendenz es nicht öffentlich zu machen. Weil der Prozess abgeschlossen ist und dies gegen den Wunsch der betroffenen Person war. Auch gab es die Feststellung, dass wir darüber vorher hätten reden sollen, uns aber vermutlich nicht anders entschieden hätten.

Also was tun? Wir wollten es nicht totschweigen, aber auch nicht so (stark) in die Öffentlichkeit tragen. Erst gab es die Idee, hierzu zeitnah einen Text der Soligruppe zu schreiben. Diesen bei (Info-)Ständen auszulegen oder auf Nachfrage herauszugeben. Auch sollte Benni sich dazu verhalten und einen Text zu seiner Täterschaft schreiben. Also haben wir Benni aufgefordert, uns aus dem Knast, einen Text zu schreiben, in dem er sein Verhalten und seinen Umgang damit offen macht und reflektiert. Mit diesem Text wollten wir dann weiterarbeiten und einen längeren Text schreiben. Perspektivisch dann einen weiteren Text darüber schreiben, was aus unserer Sicht schwierig ist an der öffentlichen Verhandlung. Sowohl die Idee, einen Text offen auszulegen, als auch diesen nur auf Nachfrage herauszugeben, haben wir jedoch wieder verworfen.
War die erste Idee uns zu offen in der Aushandlung zwischen vollständiger Öffentlichkeit und verschweigen (was wir beides zu dem Zeitpunkt nicht wollten), war die zweite Idee dann wiederum zu versteckt. Denn nur wer davon wusste konnte uns ja darauf ansprechen. Parallel hierzu wurden wir von Strukturen und Einzelpersonen auf die Kommentare angesprochen und stellten hierbei auch fest, dass sich Gerüchte verselbstständigt haben.

Intern ging die Auseinandersetzung mit der Thematik natürlich, individuell wie kollektiv, weiter. Was wäre unser Anspruch ohne Druck von außen? Immer klarer wurde uns, dass wir es versäumt haben vorher über das Thema zu sprechen.

Mit der weiteren Auseinandersetzung entstand dann die Idee, stattdessen einen Beitrag zu veröffentlichen über Solidarität und Täterschaft, um über unsere Diskussion und Erfahrungen zu reflektieren und in dem Zuge auch über B.s Verhalten zu informieren. Auch eine weitere Auseinandersetzung mit ähnlichen Themen soll stattfinden. Zudem soll Benni in einem eigenen Text das Themenfeld bearbeiten.

Über Transparenz

Wir sind uneins geblieben, ab wann kommuniziert werden muss oder sollte und wie das Spannungsfeld zwischen den Bedürfnissen der (direkt) betroffenen Person und anderer vom/n Patriarchat/patriarchalem Verhalten Betroffener, zu werten ist. (Wenn wie in diesem Fall, die betroffene Person, sich keine öffentliche Auseinandersetzung gewünscht hatte.) Es gibt aber ja Leute, die überhaupt keinen Bock haben, Leute die übergriffig waren, auch nur irgendwie zu unterstützen.

Rückblickend haben wir uns schlicht darauf ausgeruht, dass die betroffene Person das nicht in der Öffentlichkeit verhandeln wollte. Wir haben damit die Verantwortung und die politische Entscheidung, die diese beinhaltet einfach der betroffenen Person überlassen. Wir hätten uns stattdessen erst mal damit beschäftigen sollen, was wir für einen richtigen Umgang halten und danach mit der betroffenen Person gemeinsam überlegen sollen, was ihre Bedürfnisse und Ansprüche sind, anstatt sie alleine mit der Entscheidung zu lassen . Zusammen hätten wir uns die Frage stellen können, ob es vorstellbar wäre, entgegen der ersten Gefühle, in die Öffentlichkeit zu gehen und was es dafür für die betroffene Person brauchen würde. Für eine Verantwortungsübernahme des Umfeldes ist es notwendig, dass sich auch schwierige Fragen gestellt werden, um aktiv daran zu arbeiten eine Haltung zu entwickeln, um solidarisch mit der betroffenen Person zu sein, sie mit dem Umgang und komplizierten Situationen aber nicht alleine zu lassen.

Auch erhalten Leute, die Repression wie Knast erfahren, aktiv Solidarität der Szene. Es kann dabei vorkommen, dass diese innerhalb der Szene idealisiert werden. Damit rückt eine Person, unfreiwillig, in das Rampenlicht einer politischen Auseinandersetzung. Dies ändert die Ansprüche an die Person, evtl. auch hinsichtlich einer Transparenz. Inwieweit das Interesse, an ansonsten intern gebliebenen Informationen gerechtfertigt, eine Rolle spielt oder zu werten ist, bleibt eine komplizierte und sicherlich immer wieder unterschiedlich zu beantwortende Frage.
Uns ist bewusst, dass die Einschätzungen des Nahumfeldes (zu dem wir ja nun auch gehören) kritisch zu hinterfragen sind. Auch ist es ein Problem, dass für Außenstehende schwer nachvollzogen werden kann, ob ein Prozess ´gut´ war bzw. die Ansprüche an einer Auseinandersetzung mit Täterschaft unterschiedlich definiert werden.

Was für eine Veröffentlichung spricht

Nur durch das Wissen über das übergriffe Verhalten ist es Außenstehenden möglich, selbst zu entscheiden, ob das ihre Solidarität und Unterstützung beeinflusst.

 Angesichts der von uns wahrgenommen Relevanz des Themas Täterschaft und Solidaritätsarbeit erscheint uns ein Beitrag hierzu Sinnvoll. Unabhängig davon ob wir eine Transparenz für notwendig halten oder nicht. Außerdem finden wir es gut, wenn auch über Prozesse berichtet wird, die (aus Sicht der Betroffenen und des Umfeldes) erfolgreich verlaufen sind. Auch widerspricht eine Veröffentlichung, inzwischen nicht mehr, dem Wunsch der Betroffenen. Somit haben wir uns dazu entschlossen diesen Text zu schreiben und unsere Überlegungen mit euch zu teilen.

Offen bleibt für uns die Frage, wie (gut) eine eine Transparenz über Täterschaft und Prozesse hergestellt werden kann, die nicht das Ziel eines Outcalls verfolgt. Dieser Text ist ein Versuch sich dem anzunähern, ohne den Anspruch zu erheben, hierbei erfolgreich zu sein.
Den mit den Indymedia Kommentaren gegangenen Weg finden wir, auch wenn dieser der Anstoß unserer öffentlich Beschäftigung damit ist, auf mehreren Ebenen problematisch. Ein ´Outing´ (wie einzelne der Kommentare überschrieben waren), ohne Rücksprache mit der betroffenen Person und gegen deren Willen, ist nicht so cool. Das Einfordern einer Aufklärung über das Internet, warum Benni unterstützt wird, ohne vorher Kontakt (mit der betroffenen Person oder Soligruppe) aufgenommen zu haben, erschließt sich uns nicht. Vielleicht gibt/gab es ja Gründe dafür, dass dies nicht ins Internet gestellt wurde und vielleicht könnten diese ja sogar auch nachvollziehbar sein. Warum wird dann nicht nachgefragt?

Den geäußerte Wunsch, dass es eine Auseinandersetzung im Umfeld geben solle, finden wir richtig und wichtig. Eine solche gab und gibt es auch und stellt für uns eine Grundlage unserer Solidarität dar.

Für Rückmeldung und Kritik schreibt uns gerne an <spamschutzfree_benni(ät)riseup.netspamschutz>

 

Falls du die Person(en) bist, die die Kommentare geschrieben haben/hat, nehme gerne Kontakt mit uns auf und schreibe uns was deine Gedanken hierzu waren und/oder ob du/ihr uns (noch) was mitteilen magst.

 

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