[LE] Gedenkdemo zu dem antisemitischen Terroranschlag in Halle

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Am späten Abend des 09. Oktober fand in Leipzig eine Gedenkveranstaltung zu dem antisemitischen Terroranschlag in Halle statt.

Am Mittag desselben Tages hatte ein Neonazi aus antisemitischer Motivation versucht, einen Gottesdienst in einer Synagoge in Halle, anlässlich des letzten Tages von Jom Kippur, des höchsten jüdischen Feiertages, zu sprengen und die dort anwesenden Jüdinnen und Juden zu massakrieren.
Glücklicherweise gelang es ihm nicht und die Sicherheitsmaßnahmen, die jede jüdische Einrichtung in Deutschland aufrechterhalten muss, hielten stand.

 
Er trug mehrere selbst gebastelte Schrotflinten bei sich und nachdem er an der Tür scheiterte, warf er Sprengsätze über die Mauer des jüdischen Friedhofs. Danach erschoss er eine vorbeikommende Passantin und eine Person, die in einem Dönerladen versuchte, sich zu verstecken.

 
Der Täter, der mit seiner Helmkamera alles live übertrug, damit tausende seiner Anhänger_innen seine Tat in Echtzeit verfolgen konnten, radikalisierte sich vermutlich in rechten Internetforen, inspiriert von anderen "tapferen Kämpfern für die weiße Rasse", wie Anders Breivik oder Brandon Tarrant  (der Attentäter von Christchurch), hört währenddessen einen Track von Alek Minassian, dem Incel, der im Oktober 2018 in Toronto mit einem Auto in eine Menschenmenge fuhr und zehn Menschen tötete.
Der Täter veröffentlichte ein 11-seitiges Manifest, in dem er unter anderem sagt "Wenn ich sterbe, aber auch nur einen Juden getötet habe, war es das wert."

 
 
In Zeiten, in denen es fast täglich Meldungen über rechtsextreme Netzwerke in Polizei, Bundeswehr und Geheimdiensten, Bestellungen von Leichensäcken, rechten Todeslisten gibt und immer wieder rechte, rassistische, antisemitische und antifeministische Attentate geschehen und weder Regierung noch Polizei darauf angemessen und mit konsequenter Aufklärung und Aufdeckung reagieren, müssen wir uns stark gegen diese menschenfeindliche und tödliche Ideologie stellen.

 
 
Die Betroffenheit der Mehrheitsgesellschaft, die sich nicht erklären kann und will, woher so eine Tat kommt, ist nichts als zynisch.
In einem Land, in dem eine Entnazifizierung nie wirklich stattgefunden hat, in dem es eine Konituität von rechten und antisemitischen Angriffen gibt und zivilgesellschafliche Versuche, dem etwas entgegenzusetzen, kriminalisiert werden, kann dies eigentlich niemanden überraschen.

 
Dazu der altbekannte Reflex den Täter prompt als Einzeltäter abzustempeln. Auch wenn nur ein Mensch abdrückt: Der Täter war im Internet bestens vernetzt und hat zumindest ideologisch ein Kollektiv, das gerade in unserer Region von höchsten Regierungskreisen, über politische Parteien und Staatsbedienstete bis in die Nachbarschaft reicht. Wer hier vom "einsamen Wolf" spricht, macht dies aus bösartigem Täuschungswillen.

 
Wir sind wegen all dem vorgestern Abend auf die Straße gegangen um unsere Wut, sowie unsere Trauer auszudrücken und um zu zeigen, dass wir entschlossen gegen Antisemitismus und rechte Gewalt vorgehen und das auch von allen anderen fordern.

 
Diese spontane, friedliche Gedenkdemo wurde von der Polizei mit einem Großaufgebot zersprengt und es kam zu mehreren Festnahmen.
Während eine Gedenkdemo innerhalb von nichtmal zehn Minuten von einem Großaufgebot zerschlagen wird, kann ein Faschist am hellichten Tag eine Synagoge angreifen, ohne auf Gegenwehr zu treffen. Wo wart ihr in Halle?

 
Dazu kommt die Berichterstattung von Medien wie der LVZ, die ungeachtet aller journalistischen Qualitätskriterien unüberprüft die Polizeimeldungen übernehmen.
Seid ihr euch eigentlich für gar nichts zu schade? Das Anliegen der Spontandemonstration war offensichtlich und wie mehrere Zeug_innen berichten, gingen gewaltsame Übergriffe einzig und allein von den anwesenden Polizist_innen aus. Anwohner_innen berichteten, dass während der Festnahmen Schmerzensschreie mehrere Straßenblocks weiter noch zu hören waren.

 
Wir lassen uns nicht einschüchtern und werden weiterhin unsere Solidarität auf die Straße tragen!

 
Wir sind in Gedanken bei allen Opfern und ihren Angehörigen, allen Jüdinnen und Juden.
Wir hoffen, dass es nicht bloß bei Beileidsbekundungen und Lippenbekenntnissen bleiben wird.

 

Nie wieder Faschismus, nie wieder Deutschland!
 
 

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Ergänzungen

In dem Ausdruck, "wo wart ihr in Halle?",  tut sich einmal mehr der Schrei von vielen Antifaschist*innen nach mehr Bullen und damit nach mehr Staat auf. Da gewisse Staatsorgane wie Militär, Geheimdienst und vor allem die Bullerei in deren Kerne faschistoide Tendenzen haben, ist es überaus falsch an diese Organe zu appelieren. Ein konsequenter Antifaschismus bedeutet auch diese Institutionen und ihre Individuen zu bekämpfen. Diese bekämpfen uns übrigens seit dem Zweiten Weltkrieg konsequent und führen mit der Verfolgung linker Kräfte die Arbeit der Nationalsozialisten weiter.  Manchmal habe ich das Gefühl, dass das auf antifaschistischen Demonstrationen vergessen wird, wenn wieder für die Bullen geklatscht wird, die eine*n Faschist*in festnehmen. Wenn nur verglichen werden sollte, dass Linke mehr verfolgt werden und gleichzeitig Rechte weniger Strafverfolgung zu befürchten haben, dann sollte man eindeutig auf die Paktierung von Staat und Faschist*innen, wie bem NSU, eingehen und nicht uneindeutig nach mehr Staat rufen.

Hier, wie ich finde, eine gelungene Antwort auf den Anchlag in Halle:

Wir vergessen zu keiner Minute, dass in jedem Bullen die Ideologie verhaftet ist: Deutschland den Deutschen. Eine Grundlage des täglichen und kaum noch skandalisierten Racial-Profiling, bis hin zu Morden in den Zellen deutscher Knäste oder Hinrichtungen auf der Straße (6).

 

In diesem Hass gegenüber allen Bullen die jene rassistischen und antisemitischen Mörder*innen schützen, ihnen Waffen geben, ihnen Kohle rüber schieben, sie klammheimlich und genauso in der Öffentlichkeit decken und zu einem großen Teil ihre Argumente teilen –

In dem Hass, dass die Bullen unter dem Deckmantel des Grundgesetzes ihre Kamerad*innen schützen oder zumindest eine Ideologie, die zu einem Großteil die Ideologie aller Weißen ist –

Und in dem Hass auf zivile Kräfte, die unser Leben und der Menschen im Görli beobachten und notieren um in den richtigen Momenten zuzuschlagen –

In dem Hass darauf, dass all jene, die versuchen dem etwas entgegen zu setzen eingeschüchtert, verurteilt, weg gesperrt oder befriedet werden –

 

– haben wir Freitag Nacht in Berlin von einer Brücke in Treptow/Bouchéstraße eine Zivilstreife: B-FL-7130 VW Touran, zuständig für Neukölln-Kreuzberg, überwiegend aktiv im Umkreis des Görlitzer Parks, mit Steinen abgeworfen.

 

Gegen jeden Faschismus! Ob in Halle oder Rojava!