"Nach den Rechten schauen"-Demo: Auswertung und Ausblick

Emailadresse: 
SPAMSCHUTZantifa_627@riseup.netBITTEENTFERNEN
Themen: 
Regionen: 

Am 6.7.2024 fand in Hellersdorf eine antifaschistische Demonstration unter dem Titel "Nach den Rechten schauen" statt. Im Vorfeld der Demonstration kam es dabei zu einem gewalttätigen Übergriff von Neonazis auf den Anreise-Treffpunkt. Über diesen Angriff, die nachfolgende Demonstration und was wir daraus für die Zukunft lernen können, soll es in diesem Text gehen. Wir sind einige autonome Antifaschist*innen aus Hellersdorf und waren bei der Demo dabei. Einige von uns haben sich im Vorfeld auch in die Organisation der Demonstration eingebracht. Wir schreiben diesen Text, um auf ein paar aktuelle Entwicklungen aufmerksam zu machen und zu erläutern, was es unserer Meinung nach bräuchte, um diesen Entwicklungen zu begegnen.

Gesellschaftliche Umstände und die Situation im Bezirk im Vorfeld der Demonstration

Der gesellschaftliche Rechtsruck war und ist auch in Marzahn-Hellersdorf deutlich spürbar. Mit einer langen Historie an rechter Mobilisierung und rechter Gewalt sowie hohen Wahlergebnissen für die AfD ist der östlichste der Berliner Bezirke unter Antifas schon länger als "Problembezirk" verschrien.
Die Neonazi-Kaderpartei "Der III. Weg" nutzt diese gesellschaftlichen Umstände und ihre historische Verankerung im Bezirk (siehe Brauner Dienstag - https://suburbanhell.org/chronik/2013-07-09-000000/der-braune-dienstag) gezielt aus und hat Marzahn-Hellersdorf zu einem Hotspot ihrer Aktivitäten erklärt. Das bedeutet zum einen regelmäßige Propaganda-Aktionen mit Graffiti oder Plakaten, aber auch häufige Treffen an öffentlichen Orten im Bezirk. Insbesondere die NRJ nutzt Marzahn-Hellersdorf regemäßig für ihre gemeinsamen Ausflüge und Trainings. So versuchen sie gezielt rechte und/oder gewaltaffine Jugendliche anzusprechen. Leider sind sie damit sehr erfolgreich, so dass das Personenpotenzial der NRJ stetig wächst. Damit steigt natürlich die Bereitschaft zu gewagteren und gewalttätigen Aktionen, was mehr Aufmerksamkeit generiert und potentiell neue Leute anspricht und rekrutiert.
Dies lässt sich deutlich daran beobachten, dass die Aktivitäten der NRJ immer mehr zunehmen und es immer häufiger auch zu gezielten Angriffen mit schweren Körperverletzungen, aber auch zu Raubüberfällen auf politische Gegner*innen kommt. Solche Vorfälle gibt es nicht nur in Marzahn-Hellersdorf, sondern auch in Pankow. Diesen Teufelskreis gilt es langfristig zu durchbrechen, um den Neonazis die Bezirke wieder streitig zu machen.
Einen ersten Anfang dafür sollte mit der "Nach den Rechten schauen"-Demonstration gemacht werden. Diese wurde zum zweiten mal von einem Bündnis lokaler Antifaschist*innen organisiert, um auf die wachsende Zahl an Übergriffen aufmerksam zu machen und die Bevölkerung vor der Gefahr durch Neonazis zu warnen und zu sensibilisieren.

Neonazi-Angriff am Ostkreuz

Zu dieser Demonstration gab es eine gemeinsame Anreise vom S-Bahnhof Berlin Ostkreuz. Dort konnten sich interessierte Menschen um 16.10 Uhr treffen, um dann gemeinsam zur Demonstration zu fahren. Dieser Vortreffpunkt wurde von einer Gruppe bewaffneter Neonazis koordiniert angegriffen und zusammengeschlagen. Den genaueren Ablauf des Angriffs könnt ihr in der Pressemitteilung des Organisationsbündnisses nachlesen: https://antifamahe.noblogs.org/2024/07/08/pressemitteilung-vom-07-07-202...
Besonders hervorzuheben ist hierbei noch, dass direkt nach dem Angriff mehrere Menschen mit Fahrrädern, den umliegenden Kiez durchsucht haben und dabei keine Spur von den Neonazis zu finden war, es gab auch keine polizeilichen Maßnahmen in der Umgebung. Dies legt die Vermutung nahe, dass es entweder in der Nähe einen sicheren Rückzugsraum (wie eine Wohnung) gab, in die die Angreifer flüchten konnten oder Fluchtautos in der Nähe abgestellt wurden. Für letzteres spricht, dass am Abend nach der Demonstration noch eine Person in Hellersdorf aus einem Auto heraus überfallen wurde. Autos scheinen für den III. Weg also ein immer häufiger genutzes Mittel zu sein. Festhalten müssen wir auf jeden Fall das dieser Angriff genau geplant war, der Ort wurde gescoutet, die Nazis waren bewaffnet und hooliganartig in Reihen organisiert, es gab ein Angriffssignal und sie konnten durch eine geplante und organisierte Flucht erfolgreich fliehen.
Diese neue Eskalationsstufe der Gewalt hat viele Menschen in Berlin überrascht, war jedoch ehrlicherweise abzusehen. Die Gewalt durch Neonazis und insbesondere durch die NRJ hat in den letzten Monaten extrem zugenommen und es kam immer wieder zu geplanten Angriffen auf Menschen, die in das Feindbild der Nazis gepasst haben. Auch der Organisierungsgrad des Angriffes und die Präzision mit der dieser durchgeführt wurde ist zwar eine neue Stufe der Gewalt, war jedoch auch vorhersehbar. Der III. Weg und seine Jugendorganisation veranstalten regelmäßig Kampfsporttrainings, bereiten sich auf Auseinandersetzungen vor und gehen gemeinsam zu Spielen des BFC Dynamo, wo sie sich vermutlich mit anderen Hooligans über Taktiken und Strategien austauschen.
Das wir als Szene von diesem Angriff überrascht wurden ist also vor allem unserer eigenen Naivität und Selbstüberschätzung geschuldelt! Anstatt mit einem Angriff im "linken" Bezirk Friedrichshain zu rechnen sind viele Menschen von einem Angriff in Hellersdorf ausgegangen. Dementsprechend haben sich die Menschen in der Innenstadt in einer falschen Sicherheit gewogen.
Aus diesem Vorfall müssen wir nun lernen. Wir dürfen den III. Weg und seine Jugendorganisation NRJ nicht länger unterschätzen, sondern müssen ihn als das anerkennen, was er ist: Eine gewaltaffine, militante und durchorganisierte Neonazi-Struktur, die aktiv den Kampf auf der Straße sucht und dabei überall zuschlagen kann. Darauf müssen wir uns vorbereiten und den antifaschistischen Selbstschutz organisieren. Wir müssen häufiger mit solchen oder ähnlichen Angriffen rechnen. Wir müssen uns um die Menschen kümmern, die von rechter Gewalt betroffen sind (für die Betroffenen des Angriffes am Ostkreuz findet am Donnerstag, den 11.7. um 18 Uhr in der Kinzigstraße 9 ein Unterstützungstreffen statt (https://x.com/JAP_MaHe/status/1810281251468693681).
Außerdem zeigt der Angriff einmal mehr, was eigentlich sowieso schon allen klar ist: Auf die Cops können wir uns dabei nicht verlassen. Die haben den Angriff zwar beobachtet, sind aber nicht eingeschritten und faseln im Nachhinein etwas von "einer Auseinandersetzung zwischen zwei Gruppen", die sie "geschlichtet" hätten (https://www.berlin.de/polizei/polizeimeldungen/2024/pressemitteilung.146...).

Demonstration

Dennoch waren sich die Bullen dann nicht zu schade, diesen Überfall (von dem Sie bis kurz davor gar nichts mitbekommen haben wollen) als Vorwand zu nutzen, um Anreisende der Demonstration zu durchsuchen und zu kriminalisieren. Dabei wurden zur angeblichen Gefahrenabwehr oder mit anderen fadenscheinigen Begründungen mitgebrachte Regenschirme sowie Fahnen konfisziert und sichergestellt sowie Teilnehmer*innen wegen Schutzbewaffnung kurzzeitig festgenommen.
Aber was soll man von den Schweinen in Uniform auch anderes erwarten ...

Die Demonstration verlief dann trotz des vorangegangen Angriffs und des schlechten Wetters äußerst kraftvoll und ohne größere Zwischenfälle. Anwohner*innen und kleine Gruppen junger Rechter haben vom Rand aus gepöbelt oder versucht die Demo zu provozieren, außerdem haben einige Faschos sich wohl in die Büsche geschlagen um Fotos von der Demonstration zu machen. Hier muss bei kommenden Aktionen noch mehr auf Abschirmung und Vermummung geachtet werden. Vereinzelt kam es jedoch auch zu positiven Reaktionen der Anwohner*innen.
Es kamen etwa 200-230 Personen, was für den Bezirk Marzahn-Hellersdorf relativ viel ist, jedoch immer noch weit unter den Möglichkeiten bleibt. Hier kann der Appell an alle Antifaschist*innen in Berlin nur heißen: Fahrt raus in die Randbezirke! Es ist dringend notwendig!
Außerdem ist klar, dass eine einzelne mehr oder wenige erfolgreiche Demo nicht ausreicht. Es braucht längerfristige Organisierung der antifaschistischen Akteure in Berlin, neue Konzepte um der zunehmenden Gewalt zu begegnen und eine breite zivilgesellschaftliche Bewegung gegen Diskriminierung und rechte Hetze.
Diese Demo kann dafür nur ein Anfang sein.

Ein Blick in die Zukunft

In den letzten Jahren hat die Gewalt der Neonazis stetig zugenommen. Allein im letzten Jahr hat der III. Weg Demonstration und Projekte in Mitte, Hellersdorf unanonymd Pankow angegriffen. Allen sollte klar sein das diese Angriffe nicht einfach aufhören werden. Die Zeiten werden rauer, darauf müssen wir uns einstellen!
Wir können nicht einfach mehr entspannt auf Demos gehen und die Demo beginnt auch nicht erst wenn wir vor Ort sind. Auch wenn Demoorgas sich immer behmühen für Schutz auf Demos zu sorgen, ist der Schutz und die Verteidigung von Demos, Anreisen, etc die Aufgabe von allen Anwesenden. Jede Person und jede Gruppe die auf eine Demo geht, muss sich also auch individuell vorbereiten. Unsere aktuellen Demostrategien reichen hier nicht mehr. Wir müssen neue Demostrategien entwickeln und diese erlernen. Ein wichtiger Schlüssel dafür ist das wir uns mit unseren Genoss*innen aus den 90er und 00er Jahren austauschen. Das wir die Taktiken aus diesen Jahren wieder erlernen und anwenden. Denn mit diesen Tatiken konnten Nazis bereits einmal erfolgreich zurückgedrängt werden. Ein Beispiel hier für sind die Kämpfe um die Lichtenberger Weitlingstraße.
Um diesen Kampf erfolgreich aufnehmen zu können, ist es jedoch ungemein wichtig, dass wir uns langfristig organisieren und kennen lernen. Somit können wir besser aufeinander Acht geben und füreinander da sein. Auch eine gemeinsame Vorbereitung auf bestimmte Szenarien klappt besser in festen Gruppen als in eher losen Bekanntschaften oder Zusammenhängen.

Ein paar konkrete Hinweise

Zum Abschluss wollen wir nochmal auf ein paar konkrete Punkte eingehen, die unserer Meinung nach eigentlich klar sind, die wir dennoch nochmal allen ins Gedächtnis rufen wollen:

- Antifa ist HandARBEIT und diese Arbeit muss auch irgendjemand machen. Eine Demo/Kundgebung/Veranstaltung ist kein Event, an dem man teilnehmen kann sondern lebt von der Beteiligung aller. Das kann bedeuten, dass man als Gruppe ein eigenes Transpi/Fahnen/Regenschirme mitnimmt und diese einsetzt oder aber, dass man sich im Vorfeld einer Aktion bei den Organisator*innen meldet und fragt, wo noch Unterstützung benötigt wird.

- Der Schutz vor Naziangriffen ist die Aufgabe von uns allen und kann nicht an eine Schutzstruktur ausgelagert werden. Sprecht mit euren Bezugis darüber, wie ihr euch im Falle eines Angriffes verhalten wollt. Besucht Trainings oder Veranstaltungen dazu und bereitet euch entsprechend vor. Seid wachsam, wenn ihr auf Demos oder Kundgebungen unterwegs seid und verlasst euch nicht ausschließlich auf andere.

- Kennt eure Nazis, informiert euch auf Rechercheportalen wie ausdemweg.net (https://www.ausdemweg.net/) über die lokalen Neonazis. Gesichter zu erkennen hilft nicht nur dabei Nazi als aktive Gefahr zu erkennen, sonderen auch ihre Strukturen aufzudecken. Meldet Beobachtungen über Nazis an das Rechercheportal ausdemweg.net oder an eure lokale Antifa-Gruppe.

- Der III. Weg betreibt momentan sehr aktiv Recherchearbeit über Linke und Antifaschist*innen. Dazu machen Kader des III. Wegs Fotos von linken Veranstaltungen, rauben aber auch gezielt Menschen aus, um über deren Handys oder Notizbücher an weitere Informationen zu kommen. Lasst also Dinge, die ihr nicht braucht zuhause, macht euch Gedanken darüber, welche Informationen ihr wie speichert und verkleinert eure Angriffsfläche so weit wie möglich. Das ist auch im Zuge der stärker werdenden Repression eine sinnvolle Maßnahme.

- Viele dieser Maßnahmen und Strategien sind nicht neu, sondern wurden in den 90er und 00er Jahren entwickelt und erprobt und gehörten lange zum Standard antifaschistischer Bewegungen. Lasst uns gemeinsam dahin wieder zurückkommen. Für eine neue (alte) autonome Antifa!

- Bildet euch! Bildet Banden! Organisiert euch in Gruppen und Projekten, Antifa geht uns alle an und nur gemeinsam können wir dem Rechtsruck etwas entgegensetzen.

Einige Antifaschist*innen aus Hellersdorf.

Bei Fragen, Anregungen oder Kritik schreibt uns gerne an: antifa_627@riseup.net

webadresse: 
Lizenz des Artikels und aller eingebetteten Medien: 
Creative Commons by-sa: Weitergabe unter gleichen Bedingungen