Hessisches Innenministerium generiert Erfolgsmeldungen über Hessendata

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Wenn Nachrichten zu erwarten sind, die kritisch ausfallen könnten, greift das hessische Innenministerium (HMdIS) zur Vorwärtsverteidigung: Es generiert dann selbst Meldungen, die nach Erfolg aussehen. So geschehen im letzten Jahr: Da wurde am Tag vor der ersten Sitzung des Untersuchungsausschusses zu den fragwürdigen Vergabepraktiken in Sachen Palantir / Hessendata ein angeblicher VERHINDERTER Terroranschlag vermeldet. Auch zwölf Monate später gibt es für diese Darstellung keine Bestätigung: Vorbeugend für den Fall, dass auch die für Mitte August erwartete Gerichtsentscheidung den angeblichen Terroranschlag gerade NICHT belegen kann, hat das Ministerium kürzlich eine ‚Anti-Terror-Übung‘ abhalten lassen. Die wurde in einer Pressemitteilung als strahlender Erfolg verkauft, an dem – angeblich – auch Hessendata einen erheblichen Anteil hatte. Allerdings erweisen sich bei näherer Betrachtung auch diese Erfolgsmeldungen weitgehend als heiße Luft 

Hessendata – Wenn Erfolge generiert werden und objektive Beweise fehlen

 

Trotz der vollmundigen Schilderungen der hessischen Polizei fehlt es bisher an OBJEKTIVEN Beweisen für den Erfolg und messbaren Nutzen des Systems Hessendata. Es ist durchaus nachvollziehbar, dass dieses System mit seiner gefälligen Oberfläche und seiner vielfältigen Funktionen von seinen Benutzer geschätzt wird. Die waren über Jahre nicht gerade verwöhnt im Hinblick auf ihr bisheriges Fallbearbeitungssystem CRIME. Und wer fährt nicht gerne einen schicken, modernen Wagen, nachdem er jahrelang mit einem schlecht gepflegten und nur eingeschränkt funktionsfähigen Veteranen zurecht kommen musste?!

Doch abgesehen vom Beifall aus den Reihen der Polizei gibt es wenige objektive Nachweise für den Erfolg bzw. Nutzen von Hessendata. In zwei Fällen hat das hessische Innenministerium die erwünschten Erfolgsnachrichten daher selbst generiert:

 

Der angeblich VERHINDERTE Terroranschlag

 

Für den 3.7.2018 war die erste Sitzung des Untersuchungsausschusses im hessischen Landtag angesetzt. Am Tag zuvor gaben Innenminister Beuth und der Frankfurter Polizeipräsident Bereswill erstmals eine Pressekonferenz zum Thema Hessendata. Die Frankfurter Rundschau berichtete [1]:

 

„Die hessische Polizei ist überzeugt, dass sie mit Hilfe der neuen Analysesoftware des US-Unternehmens Palantir einen islamistischen Anschlag vereitelt hat. Ohne das Computersystem, das Informationen aus Polizeidateien und sozialen Netzwerken sekundenschnell zusammenführt, hätten die Ermittlungen gegen einen 17-jährigen Iraker aus Eschwege mehrere Wochen gedauert. Dann „wäre es zu spät gewesen“, glaubt David Frank vom Polizeipräsidium Nordhessen.“

 

Dieser David Frank und der Projektleiter für die Einführung von Hessendata, Bodo Koch, durften der versammelten Presse das System dann auch noch vorführen. Darüber war [in 1] zu lesen:

 

„… wie die Software den Ermittlern Netzwerke von Personen anzeigt, die etwa vom Handy eines Verdächtigen angerufen werden oder in der Nähe einer beobachteten Wohnung leben. Auch Polizeifotos der Menschen aus dem Umfeld sind abrufbar.“

 

Man erkennt an dieser Zeitungsmeldung die Wirkung: Eine kritische Beschäftigung mit diesen Sachverhalten oder die Frage, woher die Polizei eigentlich „Polizeifotos aus dem Umfeld“ abrufen kann, entstand erst gar nicht.

 

Anklageschrift und langwieriges Gerichtsverfahren

 

Diese Darstellung vom VERHINDERTEN Terroranschlag mochte bzw. konnte die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Anklageschrift jedoch gerade NICHT übernehmen [2]: Dort steht lediglich, dass sich ein damals 17-jähriger Iraker 75gr Schwarzpulver besorgt habe, um einen Selbstmordanschlag in Deutschland oder Großbritannien zu verüben. Und dass ein konkretes Anschlagsziel noch gar nicht feststand [A].

Der Beschuldigte befindet sich seit Februar 2018 in U-Haft, im Dezember 2018 wurde gegen ihn Anklage erhoben und im Februar 2019 begann das Gerichtsverfahren. Das allerdings zieht sich und soll, so die jüngste Auskunft, so erfuhren wir von der Pressestelle des OLG Frankfurt [3], nun Mitte August abgeschlossen werden. 

Hessisches Innenministerium generiert Erfolgsmeldungen über Hessendata

Es kann durchaus geschehen, dass das Gerichtsverfahren die Behauptung vom verhinderten Terroranschlag gerade nicht bestätigen wird. Es wirkt wie eine vobeugende Maßnahme, dass das hessische Innenministerium am 9.08.2019, eine Woche vor dem erwarteten Abschluss des Gerichtsverfahrens, eine Pressemitteilung herausgab [4]: Es ging dabei um eine kürzlich abgehaltene ‚Anti-Terror-Übung‘ an der hessischen Polizeiakademie. Mithilfe einer neuen mobilen Applikation von Hessendata sei es Beamtinnen und Beamten gelungen, ein fiktives terroristisches Bedrohungsszenario schnell und effektiv zu lösen.

 

Nur am Rande erwähne ich aufgrund früherer eigener Berufserfahrung, dass fiktive Bedrohungsszenarien im Rahmen polizeilicher Übungen weder die gesamte Komplexität des wirklichen Lebens abbilden, noch den Streß eines echten Einsatzes. In der Pressemitteilung wird daher draufgesattelt und neben Hessendata auch sonst aufgeboten, was die hessische Polizei gerade an neuem technischen Gerät aufzuweisen hat: Dazu gehören

 

- ein „ferngesteuerter Entschärfungsroboter“ namens TEODOR,

- das „neue Gewehr der hessischen Polizei“ – G38 von Heckler&Koch,

- die „neue Lasertechnik für „die Zukunft der Schießausbildung in Hessen“,

- sowie die schon erwähnte „neue, mobile Applikation von Hessendata“.

 

Zu den Erfolgsbehauptungen über Hessendata

Die nähere Betrachtung der Aussagen zur Hessendata zeigt vielmehr: Da ist viel heiße Luft, beschriebene Sachverhalten haben mit dem System gar nichts zu tun und so manches ist darüber hinaus auch fachlich fragwürdig:

 

Beispiel 1: Über die „Erhöhung der Reaktionsgeschwindigkeit“ von SEKs durch Hessendata mobile Operative Einheiten“ (im Kampf gegen den Terror werden sie als Spezialeinsatzkommandos (SEK) bezeichnet/ d. Verf.), seien „mit ‚Hessendata mobile‘ deutlich reaktionsschneller, um in Einsatzsituationen Terroristen oder Schwerstkriminelle effektiv zu bekämpfen“ führt Innenminister Beuth aus.
Bisher war die ReaktionsSCHNELLIGKEIT von SEKs nicht die hervorstechende fachliche Problemstellung. Schon gar nicht für ein Analyse- und Auswertungssystem, wie Hessendata, das andere Aufgaben hat, als die Schnelligkeit von SEKs zu erhöhen.

 

Zumal SEKs häufig dadurch negativ auffallen, dass sie etwas ZU SCHNELL vorgehen: Erst am 12.8.2019 berichtete die Frankfurter Rundschau wieder von einem Fall in Frankfurt [5]: Zwei junge Männer saßen des Abends im Garten und spielten ein Brettspiel, als plötzlich schwer bewaffnete Polizisten auf sie zugestürmt seien. Die Beamten hätten mit Maschinenpistolen auf ihn gezielt, berichtet einer der beiden, und geschrien, er solle die Hände von seiner Waffe lassen. In dem Moment habe er gewusst, dass jede falsche Bewegung sein Ende bedeuten könnte, sagte der Mann. „Ich hatte Todesangst.“

 

Wäre es nicht sinnvoller, wenn eine polizeiliche EINSATZLEITUNG, unterstützt von QUALIFIZIERTEN ANALYTIKERN erst einmal feststellt, ob es sich beim in den Fokus genommenen Zielobjekt tatsächlich um einen „Terroristen“ oder Schwerstkriminellen“ handelt, statt diese Feststellung den SEK-Beamten mit einer mobilen Handy-App zu überlassen?!

 

Beispiel 2: Verbale Schaumschlägerei

 

Auch die nächsten drei Sätze belegen weder Erfolg noch Nutzen des Systems:

1Sekundenschnelle Informationsverarbeitung ist für die Sicherheitsbehörden in unserer vollvernetzten Gesellschaft integraler Bestandteil des Schutzes der Bevölkerung geworden“. Das hat – erstens – mit Hessendata nichts zu tun und stellt – zweitens – unsubstanziierte Behauptungen über den Schutz der Bevölkerung auf

2. Wichtigstes Ziel ist für uns immer (sic!?), Terroristen und Schwerstkriminelle effektiv zu bekämpfen und Anschläge zu verhindern.“

3. Bei dieser Behauptung fällt einem Halit Yozgat ein, der junge Betreiber eines Internet-Cafès in Kassel, der in seinem Laden (vermutlich vom NSU) ermordet wurde, während ein hessischer Verfassungsschützer anwesend war. Nicht dass der Mord geschehen ist, ist der eigentliche Skandal für die hessischen Sicherheitsbehörden, sondern die Vertuschung und Behinderung der Aufklärung bis hin zur Ebene des heutigen Ministerpräsidenten und seinerzeitigen Innenministers, Volker Bouffier

Und dann „erläutert der Innenminister“ noch: „Dafür verknüpfen die Beamtinnen und Beamten ausschließlich bereits vorhandene Informationen aus polizeilichen Datenbanken und öffentlich zugänglichen Informationen, um schnell gebündelte Erkenntnisse – zum Beispiel über islamistische Gefährder – zu generieren …“.

Das könnte ein Freud’scher Versprecher sein: Denn Erkenntnisse kann man GEWINNEN, insbesondere aus FAKTEN. Dass man „SCHNELL GEBÜNDELTE ERKENNTNISSE GENERIERT“ muss eine neue Arbeitsform der hessischen Polizei sein, die zu denken geben sollte …

Beispiel 3: Hessendata mobile – nun auch Ersatz für den lückenhaften BOS-Digitalfunk?!

 

Ein wenig verräterisch ist auch der nächste Absatz: Hessendata mobile, heißt es da, biete „Mehrwert für die Kräftesteuerung der Einheiten im realen Einsatz“, weil „dank der Handyapplikation“ „alle Kollegen untereinander enger vernetzt [sind]“ und „noch besser ihre Einsatztaktik in Echtzeit miteinander koordinieren“ können.

 

Seit mindestens fünfzehn Jahren wurde uns Steuerzahlern ja verkauft, dass dies die Aufgabe des BOS sei, das ist der Digitalfunk für Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben. Zugegeben, dieser BOS-Digitalfunk hat seine Löcher – Funklöcher, um genau zu sein. Und kann daher Polizeikräfte gerade NICHT flächendeckend steuern und vernetzen. Insbesondere dann, wenn der Einsatz in großen öffentlichen Gebäuden stattfindet [B]. Wenn diese Lücke jetzt bei der hessischen Polizei durch Mobiltelefone geschlossen wird, mag dies eine pragmatische Lösung sein.
Um Mobiltelefone zum Telefonieren zu benutzen, braucht man allerdings keine mobile App von Hessendata. Das Nutzenargument in der Pressemitteilung – Hessendata auf Mobiltelefonen sorgt angeblich für einen Mehrwert bei der Kräftesteuerung – ist ein weiteres Beispiel für Schaumschlägerei, verbunden mit dem impliziten Eingeständnis, dass auch der BOS-Digitalfunk in Hessen noch nicht flächendeckend funktioniert.

 

Hessendata – der notwendige Ersatz für das Fallbearbeitungssystem CRIME in Hessen wird totgeschwiegen.

 

In der Pressemitteilung des hessischen Innenministeriums vom 09.08.2019 steht die Schlagkraft der hessischen Polizei im Kampf gegen „Terroristen und Schwerstkriminelle“ im Vordergrund.

 

 

 

Inzwischen fünf Einsatzbereiche von Hessendata

 

 

 

Der Kampf gegen den Terror ist allerdings nur EIN Schwerpunkt des Einsatzes von Hessendata. Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit wurden die Einsatzbereiche inzwischen weiter ausgedehnt und umfassen nun auch

 

 

 

- Schwere und Organisierte Kriminalität

- Bekämpfung des Wohnungseinbruchsdiebstahls

- Straftaten zum Nachteil älterer Mitbürger

- Kapitaldelikte (das sind Straftaten gegen Leib und Leben von Menschen / d. Verf.)

 

 

 

So steht es in der Antwort des hessischen Innenministers vom 22.7.2019 auf eine Kleine Anfrage im Landtag [6]. Die aufgelisteten Deliktsbereiche sind die klassischen Arbeitsgebiete der Kriminalpolizei „oberhalb“ von Straftaten, die der Massenkriminalität zugerechnet werden, wie z.B. Laden- oder Fahrraddiebstähle, welche meist von der Schutzpolizei bearbeitet werden.

 

CRIME – nicht länger fit …

 

Die hessische Polizei hat auf dem Gebiet der kriminalistischen Fallbearbeitung ein totgeschwiegenes Ausstattungsprob­lem. Denn das Fallbear­beitungssystem CRIME, dessen Entwicklung vor allem durch Hessen vehement gestützt und gefördert wurde, soll den „Code Review“ [8] durch einen Sachverständigen nicht überstanden haben. Das hörte ich von einer verläßlichen, internen Quelle. Leider, wenn auch nachvollziehbar, gibt es dafür keine offizielle bzw. öffentliche Bestätigung. Die Richtigkeit ergibt sich allerdings aus den aktuellen Fakten: Denn in den anderen Ländern der CRIME-Kooperation, also Baden-Württemberg, Brandenburg und Hamburg wurde bzw. wird in 2019 das einheitliche Fallbearbeitungssystem (eFBS) eingeführt. Hessen dagegen hatte sich, nachdem ca. ab 2016 das Aus von CRIME absehbar war, für seinen (Sonder-)Weg mit Hessendata entschieden.

Der Ersatz für das untergegangene Fallbearbeitungssystem CRIME: Das ist der eigentliche, tiefer liegende Zweck der Beschaffung von Hessendata. Dem man mit einem extrem weit gefassten neuen Paragraphen 25a im Hessischen Sicherheits- und Ordnungsgesetz (HSOG) zeitnah zur Beschaffung einen weiten Einsatzrahmen verschafft hat.

 

Erheblich zu weit, wie die Gesellschaft für Freiheitsrechte und andere Kläger finden: Die deshalb vor wenigen Wochen Verfassungsbeschwerde u.a. gegen diesen Paragraphen im HSOG eingelegt haben [7].

 

Im Spannungsfeld zwischen verfassungsrechtlichen Bedenken und objektiv bisher nicht belegten Erfolgen bleibt abzuwarten, wie sich Hessendata weiter entwickeln wird.

 

Beiträge zum gleichen oder verwandten Themen auf diesem Blog

 

[A] Der Zweitnutzen verhinderter Terroranschläge, 01.02.2019, POLICE-IT
https://police-it.org/der-zweitnutzen-verhinderter-terroranschlaege

 

[B] Probleme mit dem BOS-Digitalfunk: BOS-Digitalfunk: Verständigung ist Glückssache, 02.01.2017, POLICE-IT
https://police-it.org/bos-digitalfunk-verstaendigung-ist-glueckssache

 

[C] Alle bisher erschienen Artikel zu Palantir/Hessendata im gleichnamigen Dossier
https://police-it.org/dossiers-2/das-palantir-dossier

 

Quellen

 

[1] Beuth verteidigt Analysesoftware der Polizei, 02.07.2018, FR-Online
https://www.fr.de/rhein-main/spd-org26325/beuth-verteidigt-analysesoftware-polizei-11034270.html

 

[2] Anklageerhebung wegen des Verdachts der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat, Presseinformation der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main, 04.12.2018

 

[3] Antwort des Pressesprechers der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main vom 10.07.2019 auf unsere Presseanfrage PA2015.01-05, 3. Nachfrage

 

[4] Innenminister Beuth hat Anti-Terror-Übung mit Spezialkräften besucht, 09.08.2019, Hessisches Ministerium des Innern und für Sport
https://innen.hessen.de/presse/pressemitteilung/innenminister-beuth-hat-anti-terror-uebung-mit-spezialkraeften-besucht

 

[5] “Ich hatte Todesangst“: Folgenschwerer Irrtum bei Polizeieinsatz in Frankfurt-Seckbach, 12.08.2019, FR-Online
https://www.fr.de/frankfurt/irrtum-polizeieinsatz-frankfurt-seckbach-ich-hatte-todesangst-zr-12909973.html

 

[6] Kleine Anfrage zu ‚Hessendata – Teil 1‘ und Antwort des Minister des Innern und für Sport vom 22.07.2019
http://starweb.hessen.de/cache/DRS/20/0/00660.pdf

 

[7]   Hessentrojaner und Hessendata greifen Grundrechte an, 02.07.2019, Gesellschaft für Freiheitsrechte
https://freiheitsrechte.org/pm-vb-hessen/

 

[8]   Code Review, Fassung vom 13.08.2019, T2Informatik
https://t2informatik.de/wissen-kompakt/code-review/

 

 

 

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