Das „How to… Stille Besetzungen“ Toolkit ist erschienen

In den letzten Jahren haben wir verschiedene Erfahrungen mit sogenannten „Stillen Besetzungen“ gemacht, also Besetzungen, die nicht öffentlich gemacht werden.
Wohnungslose Menschen hatten so teilweise über ein Jahr ein Dach über dem Kopf.
Mit dem Toolkit - das in Form eines handlichen Zines zum selber Falten erschienen ist - wollen wir die Techniken, die es braucht um leere Wohnungen zu öffnen weitergeben aber auch eigene Erfahrungen mit dieser Aktionsform teilen. Das Toolkit findet ihr unter diesem Text als PDF zum Runterladen. Dort findet ihr auch eine kleine Faltanleitung.

Gerade in den kalten Monaten ist die Notwendigkeit einen warmen Platz zum Schlafen zu haben für wohnungslose Menschen besonders wichtig. Für viele Menschen kommt es nicht in Frage in Notunterkünften zu schlafen - sei es aufgrund von Suchterkrankungen, repressiven Securities, mangelnder Privatsphäre oder einfach weil keine Hunde mitgenommen werden dürfen.

Dass einerseits Wohnungen oft jahrelang leerstehen und andererseits Menschen draußen schlafen müssen, ist für uns ein Missstand, den wir nicht einfach hinnehmen wollen. Wir haben gute Erfahrungen damit gemacht, diesen Missstand selbst zu beheben und wollen andere Menschen ermutigen das auch zu tun.

Bislang haben wir vor allem damit Erfahrungen gesammelt, dass Menschen mit Wohnung für Menschen ohne Wohnung Türen geöffnet haben und im Vorfeld die Kommunikation mit der dortigen Hausgemeinschaft übernommen haben. Stille Besetzungen erfordern viele Ressourcen, die wohnungslose Menschen oft nicht haben. Trotzdem ist es aus unser Perspektive erstrebenswert, alle Schritte gemeinsam zu machen, um so eine Spaltung in „Aktivist*innen“ und „Betroffene“ und damit verbundene (Wissens-) hierarchien zu verhindern. Denn, by the way: In ihrem täglichen Leben als Besetzer*innen sind die ehemals Wohnungslosen natürlich auch Aktivist*innen.

Wir haben die Erfahrung gemacht, dass eine offene und direkte Kommunikation mit allen Beteiligten unerlässlich ist. Das bedeutet natürlich auch zu akzeptieren, dass sich potenzielle Bewohner*innen einzelne Schritte, wie beispielsweise das Öffnen der Tür, nicht vorstellen können. Und wenn euch das Tür öffnen jetzt vielleicht wie der „krasseste Schritt“ vorkommt, denkt daran, dass die zukünftigen Bewohner*innen jeden Tag damit leben, dass die Besetzung vielleicht auffliegt.

Uns ist wichtig zu sagen, dass viele der Menschen, die wir beim Besetzen unterstützt haben, lieber einen legalen Mietvertrag hätten. Dafür sind aus unterschiedlichen Gründen die Hürden aber sehr hoch. Wir haben aber auch die gemeinsame Erfahrung gemacht, dass Besetzungen auch Vorteile bieten können: Oft ist es über das „bloße Wohnen hinaus“ dazu gekommen, dass sich solidarische Strukturen in der Hausgemeinschaft und darüber hinaus entwickelt haben. Sei es Unterstützung bei der Beschaffung alltäglicher Dinge oder auch wenn es darum ging Konflikte zu lösen. So gab es beispielsweise eine Situation patriarchaler Gewalt in der besetzten Wohnung, bei der es gelungen ist gemeinsam mit Unterstützer*innen und der Hausgemeinschaft den Täter aus der Wohnung zu werfen.

Effekte der Solidarisierung gab es in unseren bisherigen Erfahrungen aber auch in die andere Richtung: Als eine Person aus der Hausgemeinschaft von einem Stalker berichtet hat, haben sich die Besetzer*innen bereit erklärt jederzeit ansprechbar zu sein, sollte es zu einer Eskalation kommen. Gegenseitige Solidarität kann aber auch auf einer strukturellen Ebene stattfinden:

Wohnungen stehen aus unterschiedlichen Gründen leer und nicht selten sind es bewusste Strategien der Entmietung, die dazu führen, dass Wohnungen leerstehen. Eine Besetzung kann der restlichen Hausgemeinschaft die Motivation geben, sich länger einer Entmietung entgegenzustellen und vielleicht selbst über die legale Mietsituation im Haus hinaus zu bleiben. Und: Besetzte Wohnungen sind natürlich super unattraktiv für potenzielle Investor*innen…

Wir konnten auch Erfahrung damit sammeln, welche Fallstricke und Konfliktpotentiale stille Besetzungen bergen. Die Lebensrealitäten der Besetzer*innen und der bisherigen Hausgemeinschaft können sich trotz des nun gemeinsamen Dachs unterscheiden. Die Realitäten von Menschen, die wohnungslos gewesen sind werden, durch die Nutzung einer Wohnung nicht plötzlich komplett verändert. Gesundheitliche und psychische Konsequenzen eines Lebens auf der Straße wirken auch in der neuen Situation fort. Hier haben wir gelernt, dass Kommunikation zwischen allen Beteiligten der Schlüssel zum Erfolg ist. Bedenken aller Seiten sollten ernst genommen und gemeinschaftlich nach Lösungen gesucht werden.

Hier fassen wir die praktischen Schritte, die uns wichtig sind nochmal zusammen:

  • Möglichkeit einrichten anonym und möglichst sicher Leerstand zu melden (verschlüsselte Mail, vorregistrierte SIM-Karte, persönlicher Kontakt...)
  • Mehr über das Objekt herausfinden. Kommen Vermieter*innen, Handwerker*innen oder Interessent*innen vorbei? Wie steht die Hausgemeinschaft zu einer möglichen stillen Besetzung? Wir haben die Erfahrung gemacht, dass es sinnvoll ist, die Hausgemeinschaft möglichst früh in die Pläne mit einzubeziehen. Menschen aus der Hausgemeinschaft zu fragen, ob sie ein Problem mit einer möglichen Besetzung haben, mag herausfordernd sein aber ist weniger risikoreich als beim Austauschen des Schlosses von einer unsolidarischen Nachbarin erwischt zu werden. Besonders wichtig ist die Kommunikation mit Menschen auf der gleichen Etage. Wir haben zudem die Erfahrung gemacht, dass viele Menschen das Unrechtsempfinden teilen über die Tatsache, dass Menschen auf der Straße leben, während Wohnungen leer stehen.
  • Schaut euch die Infrastruktur des Objekts an. Auf welche Art und Weise kann das Schloss getauscht werden, welcher Aufwand und welches Werkzeug sind hierfür nötig? Kennt ihr jemanden, der bereits Erfahrung mit dem Austauschen von Schlössern hat und euch unterstützen kann? Es gibt verschiedene Arten Türen zu öffnen: Mit Lock-Picking Werkzeug braucht es jedoch einige Übung. Es gibt auch elektrische Lock-Picking Werkzeuge, die durch Rütteln die Stifte des Schlosses in die richtige Position bringen. Auch dafür ist aber viel Übung notwendig. Grundsätzlich ist es auch möglich die Tür mit einem Brecheisen zu öffnen und anschließend das Schloss zu tauschen. Danach müssen aber eventuell Schäden an der Tür repariert werden. Für uns ist das Aufbohren die praktikabelste Methode, deshalb haben wir sie im Toolkit ausführlich beschrieben. Wenn ihr das Toolkit als Anleitung nehmt: Sucht euch ein Schloss mit dem ihr ungestört üben könnt :)
  • In welchem Zustand befindet sich die Wohnung? Gibt es Wasser und Strom, vielleicht sogar eine funktionierende Heizung? Gibt es sonst solidarische Nachbar*innen, die mit Kabeltrommel und Strom aushelfen? Im Baumarkt gibt es auch Stromzähler, die zwischen geschaltet werden können. So können die Kosten für den Strom solidarisch getragen werden, ohne das einzelne Nachbar*innen mehr zahlen müssen.
  • Denkt darüber nach, wie die Besetzer*innen durch die Haustür kommen können. Wenn es kein Sicherheitsschloss ist, könnt ihr solidarische Nachbar*innen fragen, ob ihr deren Schlüssel nachmachen könnt.
  • Überlegt euch, wie ihr und alle sonstigen Beteiligten möglichst wenig Spuren hinterlassen könnt. Insbesondere digitale Spuren und Fingerabdrücke stellen ein Risiko dar.
  • Wenn die Wohnung geöffnet ist und das Schloss getauscht wurde, können die künftigen Bewohner*innen einziehen. Vielleicht wünschen sie hierbei Unterstützung, vielleicht könnt ihr Möbel und Haushaltsgegenstände organisieren.
  • Überlegt euch, wie ihr die Besetzung vor Aufdeckung schützen könnt. Denkt darüber nach wie guter Umgang mit Sicherheitsbedürfnissen sein kann. Ein vorher ausgemachtes Klingelzeichen kann hilfreich, sein damit die Besetzer*innen schnell merken, dass es kein ungebetener Besuch ist. Wenn es zu Kontakt mit der Polizei kommt, sollte es selbstverständlich sein, keine Aussagen über andere Beteiligte zu machen. Tauscht euch darüber aus, wie ihr solidarisch mit Repressionen umgehen könnt und respektiert hierbei, dass die Risikobereitschaft bei verschiedenen Menschen unterschiedlich sein kann. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Menschen, die auf der Straße leben, alltäglich mit verschiedener Repression konfrontiert sind. Ein mögliches Verfahren wegen Hausfriedensbruch war für die Menschen, mit denen wir zusammengearbeitet haben, oft die geringste Sorge.
  • Überlegt euch, wie ihr im Falle einer Räumung handeln wollt. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass die Besetzer*innen in allen uns bekannten Fällen genügend Zeit hatten ihre persönlichen Sachen zusammenzupacken. Das hängt möglicherweise auch damit zusammen, dass bewohnte Wohnungen rechtlich unter einem anderen Schutz stehen als beispielsweise symbolische Besetzungen. Dieser besondere Schutz wird allerdings in der polizeilichen Praxis so unterschiedlich ausgelegt, dass wir hier zu keine generellen Aussagen treffen wollen, sondern nur unsere eigene Erfahrungen teilen.
  • Es kann auch sinnvoll sein, mit den Beteiligten über Perspektiven, die über die Besetzung hinausgehen zu diskutieren. Auch diese Szenarien können durch ganz unterschiedliche Bedürfnisse geprägt sein.

Viel Spaß und Erfolg!

Das Zine kann hier als PDF heruntergeladen werden.

Zu der Falttechnik gibt es verschiedene Erklärvideos im Internet, z.B. hier von Minute 1:20 bis 3:30: https://www.youtube.com/watch?v=nSg6MDKzJIY

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