AfD - Bis zum Hals im Neukölln-Komplex

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Georg Pazderski, Landesvorsitzender AfD Berlin

Neue Recherchen belegen, dass die Unterstützung der Nazigewalt weit in die Berliner AfD hineinreicht. Der Bezirksverband Neukölln ist seit Jahren durchzogen mit Neonazis. AfD-Funktionäre verabredeten sich zum Ausspähen eines Buchladens, der kurze Zeit später von Angriffen bis hin zu Brandstiftung betroffen war. Zudem kursiert im Landesverband eine sogenannte "Antifa-Liste".

Anmerkung: In diesem Artikel werfen wir einen Blick auf Neonazis und ihre AfD. Wir wollen hier keine Chronik der Neuköllner Szene schaffen - die Kontinuität und Menge der Verstrickungen und Gewalttaten sind enorm. Insbesondere auf die Morde an Luke Holland und Burak Bektaş werden wir in diesem Rahmen nicht eingehen.

Im Januar 2019 wurde bekannt, dass Tilo Paulenz (Vorstand im AfD-Bezirksverband Neukölln, Bild 1) zusammen mit Sebastian Thom (NPD-Kader, bis Ende 2016 Bezirksvorsitzender, Bild 2) an der jahrelangen Serie rechter Gewalt beteiligt ist. Die beiden Neonazis hatten das Interesse des Berliner Verfassungsschutzes geweckt. Der VS hörte mit, wie sie Anfang 2018 mehrmals einen LINKE-Politiker ausspähten, auf dessen Familie wenig später ein lebensgefährlicher Brandanschlag verübt wurde. Das LKA wurde vom VS rechtzeitig über die Planungen informiert, ließ die Neonazis jedoch gewähren. Im März 2018, wenige Wochen später, beobachtete der VS ein Treffen zwischen W. vom LKA 6 und Thom sowie weiteren Neonazis. (Hierbei handelt es sich nicht um Michael Weinreich vom LKA 5, V-Mann-Führer von NSU-Mitglied Thomas Starke, dem kürzlich die "88"-SMS in einer LKA-WhatsApp-Gruppe zugeordnet wurde.)

Neben dem LKA als möglicher Quelle von persönlichen Daten der Betroffenen weisen Antifaschistinnen bereits seit Langem auf Paulenz, Thom und weitere Neonazi-Kader als wahrscheinliche Mittäter hin. An ihnen zeigt sich exemplarisch die Kontinuität der Neuköllner Neonazi-Szene: Paulenz trat erstmals 2003 mit einem rassistisch motivierten Angriff mit Baseballschlägern und Flaschen in Erscheinung, Thom 2006 mit einer Schusswaffe im Umfeld einer linken Demo. Seitdem treten beide immer wieder mit brutalen Angriffen in Erscheinung, zuletzt u.a. 2014 bei einem Spiel zwischen dem TSV Rudow und Tennis Borussia Berlin: etwa 12 Personen aus Neuköllner Nazihool-Cliquen, darunter Paulenz, griffen nach dem Spiel eine Gruppe von TeBe-Fans an. Auch Thom und weitere Neuköllner Neonazis waren unter den Zuschauern. Thom wurde zudem 2011 mit Brandstiftungen an linken Projekten in Verbindung gebracht.

Ausspähen sponsored by NPD

Zwei Jahre der relativen Ruhe endeten im Mai 2016, als Thom aus dem Knast entlassen wurde. Die gegenwärtige Serie von Angriffen begann noch im selben Monat auf dem Wagenplatz Kanal in Plänterwald.

Einige Monate später organisierten die Neuköllner Buchläden gegen Rassismus eine Veranstaltungsreihe mit Lesungen, Vorträgen und Workshops. Dies entging auch der AfD nicht. Auf landesweiter Ebene berichtete Hendrik Pauli (Bild 3), Sympathisant der "Identitären Bewegung" und damals Schatzmeister des AfD-Bezirksverbandes, von seinem Versuch, telefonisch eine Teilnahme der AfD an einer Veranstaltung im Buchladen Die gute Seite zu erreichen - ganz im Sinne klassischer rechter Strategien der Wortergreifung.

Daraufhin schlug Paulenz im Bezirksverband vor, auch die Veranstaltung im Buchladen Leporello in Rudow am 2.12.16 zu besuchen. Jens Irgang (Bild 4), später ebenfalls NPD-Vorsitzender Neukölln, versuchte es, wurde jedoch am Eingang erkannt und abgewiesen. In der Nacht auf den 12.12.16 wurden im Leporello die Scheiben eingeworfen und am Cafe k-fetisch ein Brandsatz gelegt, der glücklicherweise nur geringen Schaden anrichtete. Zudem wurde dem Betreiber des Leporello vor und nach diesem Vorfall mehrfach das Auto angezündet und die Reifen zerstochen.

Unter den Empfängern der besagten Verabredungen befand sich neben dem gesamten Bezirksverband mutmaßlich auch der Polizist Detlef Moritz. Dieser war zur damaligen Zeit Wachhabender des Abschnitts 65 in Treptow und wohnt in der Hufeisensiedlung. Im Oktober 2016 hatte er sich erfolglos AfD-intern auf den Posten des Neuköllner Stadtrats beworben. Bisher ist nicht bekannt, ob weitere Polizisten Mitglied der AfD Neukölln sind.

Tiefbraune Netzwerke

Ebenfalls 2016, wenige Tage vor der Wahl zum Abgeordnetenhaus und den BVVen, war der Landesvorsitzende und Spitzenkandidat Georg Pazderski im Restaurant Novi Sad in Rudow zu Gast, um über Wohnungspolitik zu referieren. Fotos auf Facebook dokumentieren, dass unter den etwa 15 Besuchern nicht nur Paulenz war, sondern neben ihm auch zwei weitere Neonazis: Thom und Harald Bankel (Bild 10), der seit 2004 an einer Vielzahl von Angriffen beteiligt war. Auch weitere Veranstaltungen des Bezirksverbands Neukölln wurden von bekannten Neonazis besucht. Im November 2017 referierten Andreas Kalbitz und Guido Reil (EU-Listenplatz 2) auf Einladung von Paulenz im Casino Zwickauer Damm, u.a. vor Enrico Stubbe und Kay Hönicke von "Wir für Deutschland" (Bild 6). Im November 2018, ebenfalls organisiert vom Netzwerker Paulenz, referierten MdB Steffen Kotré, MdL Birgit Bessin und Leyla Bilge. Wieder im Publikum: Sebastian Thom, Harald Bankel und diesmal auch Jens Irgang sowie weitere mutmaßliche Neonazis.

Irgang hatte einige Wochen zuvor in einem kryptischen Facebook-Post die Auflösung der NPD Neukölln und eine Zusammenarbeit der "Freien Kameraden" verkündet. Irgang sowie weite Teile der Neuköllner NPD und Neonazi-Szene haben sich offensichtlich der AfD zugewandt. Bereits früh störte sich ein AfD-Mitglied an dieser Entwicklung und informierte den Landesvorstand, der jedoch wie auch in anderen Fällen die Naziseilschaften ignorierte. Folglich konnte diese innerbezirkliche Opposition sich nie nennenswert gegen die Mehrheit um Paulenz behaupten.

Während Paulenz also das Bindeglied zwischen AfD, Neonazis und organisierten Fußball-Hooligans bildet, sind auch weitere AfD-Funktionäre von Bedeutung. Mit dem BVV-Mitglied Christian Blank (Bild 7) und dem stellv. Bezirksvorsitzenden und BVV-Fraktionsvorsitzenden Danny Damerau (Bild 8) kommen gleich zwei Funktionäre aus dem unmittelbaren Umfeld der Nazihool-Gruppe "Wannsee Front 83", die u.a. für den rechten Mord an Peter Konrad 1993 verantwortlich ist. Auch Paulenz' Partnerin ist der "Wannsee Front" zuzurechnen.

Damerau ist außerdem bei der Jungen Alternative aktiv und versucht bislang erfolglos, eine Neuköllner JA-Ortsgruppe aufzubauen. Er ist Koordinator des AfD-Europawahlkampfs in Neukölln. Julian Siegert aus Buckow ist Sicherheitsbeauftragter des AfD-Bezirksverbands und für die "Arbeitsgruppe Gegnerbeobachtung" der Jungen Alternative verantwortlich. Yannic Wendt (Bild 5) ist Rechnungsprüfer des AfD-Bezirksvorstands und versucht mit einem weiteren JA-Mitglied, eine Gruppe namens "Campus Alternative" an der Freien Universität aufzubauen.

Parlamentarischer Arm

Die latente Unterstützung von Neonazis und ihrer militanten Praxis zeigt sich auch in der sogenannten "Antifa-Liste", die seit 2017 in der Berliner AfD kursiert. Diese wird nicht einmal konspirativ behandelt, ganz im Gegenteil: auf dem quasi-öffentlichen monatlichen Landesstammtisch prahlte ein Mitglied des Abgeordnetenhauses geradezu mit dem Besitz der Liste. Sie umfasst etwa 20.000 Namen und Adressen von vermeintlichen Linken, hauptsächlich in Deutschland. Wie sie ihren Weg in die Berliner AfD fand, ist nicht bekannt - jedoch wurde sie ab 2015 unter Neonazis verbreitet. Ebenfalls ist nicht bekannt, ob es Überschneidungen mit einer handschriftlichen Liste gibt, die bei einer Hausdurchsuchung bei Thom gefunden wurde.

In der Neuköllner BVV zeigt sich die AfD als parlamentarischer Arm der Neonazi-Szene. Als Anfang November 2017 in der Britzer Hufeisensiedlung alle sieben Stolpersteine geklaut wurden, pöbelte zwei Wochen zuvor der jetzige Bezirksvorsitzende Stephan Piehl in einem Antrag gegen diese Form der Erinnerungskultur: "Es sollte nicht Aufgabe des Bezirks sein, Tausende Stolpersteine zu finanzieren." Grinsend auf der Zuschauertribüne: Tilo Paulenz, der es ein Jahr zuvor auf der AfD-Wahlliste nicht in die BVV geschafft hatte. Piehl kreuzte im April 2018 auch zur Montage des Burak Bektaş-Gedenkorts auf, der wiederum wenig später beschmiert wurde.

Obwohl Paulenz inzwischen auf Druck des Landesvorstands von seinem Vorstandsamt enthoben wurde, ist die Neuköllner AfD Neonazis und ihren Sympathisanten weiterhin ein warmes Zuhause. Neonazis werden nicht nur geduldet, sondern bilden ein Machtzentrum innerhalb des Bezirksverbands. Die Ankündigung eines Parteiausschlussverfahrens des Landesvorstands gegen Paulenz dürfte rein taktischer Natur sein. Auch landesweit steht Paulenz beispielhaft für den wohlwollenden Umgang mit Neonazis. Neben dem "Autonomen Nationalisten" Steve Hennig, der regelmässig die Bezirkstreffen in Steglitz-Zehlendorf besucht, ist auch der Pankower Rechtsterrorist Andreas Geithe (Bild 9) zu nennen. Geithe war Mitglied der "Nationalistischen Front" sowie der "Gemeinschaft" (siehe AIB 31, S. 6) und ist Vermieter der Bürgerbüros mehrerer Mitglieder des Abgeordnetenhauses sowie des "Stützpunkt Blankenburg", wo kürzlich das Maifest der Berliner AfD stattfand.

Antifaschistinnen und die Zivilgesellschaft sollten sich nicht der Illusion hingeben, dass die Berliner AfD gemäßigter oder liberaler als andere AfD-Landesverbände sei. Ebenso muss einer weiteren Illusion entgegengetreten werden: dass die "Sicherheits"behörden irgendwie hilfreich im Kampf gegen Neonazis seien. In Neukölln beweisen VS sowie Polizei und LKA (OG Rex bzw. EG Resin) seit Jahren, dass sie auch bei schwersten Straftaten keinerlei Interesse haben, gegen die Neonazi-Netzwerke vorzugehen. Ganz zu schweigen von der schandvollen Rolle, die die Berliner Behörden nach den Morden an Burak Bektaş und Luke Holland sowie im NSU-Komplex spielten und weiter spielen.

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