Für mehr wilde Nächte!

 

Mit ihrem Ursprung in den Unruhen in Rom von Frauen*, die sich gegen Vergewaltiger und ihr System richteten, ist die Nacht des 30. April seit den 70er Jahren ein Anlass für feministische Intervention. Wir, als eine Gruppe von Menschen, die in den letzten Jahren in unterschiedlichen Konstellationen daran teilgenommen hat, sind zusammen gekommen um uns zu fragen, warum wir diese Nacht weiterhin nutzen und was wir daran gut finden.

 

 

 

Zum einen sind wir uns einig darüber, dass es darum geht, sich den Raum zu nehmen und sich die Nacht als „gefährlichen Ort“ zurückzuerobern, anzueignen und zu nutzen. Es kann als empowernd erlebt werden, in einer großen Gruppe ohne cis-Typen, Macker und boyfriends auf der Straße unterwegs zu sein. Zum anderen haben wir uns aber auch gefragt, wo uns das Konzept von take back the night zu kurz greift. Ein wichtiger Punkt darin scheint uns die Außenwahrnehmung der Demos, und zwar sowohl durch die Öffentlichkeit als auch durch die staatlichen Organe. Beide scheinen aus unterschiedlichen Gründen diese Demos sehr viel weniger wichtig zu nehmen als zum Beispiel andere aus dem linksradikalen Spektrum. Während Typen auf der Straße teilweise take back the night Demos als Belustigung oder gleich als Provokation ihrer Männlichkeit sehen und sie als weiteren Anlass nehmen, Frauen* anzugreifen, schätzen die Cops sie als harmlos ein. Wir fragen uns, ob eine Veränderung unseres Auftretens daran etwas ändern könnte.

 

Dass Männer* aus Repressionssicht oft als gefährlicher, aber auch als ernst zu nehmender gesehen werden, sieht man auch an den Prozessen, die zum Beispiel um den G20 laufen. Dies hat aber auch zur Folge, dass die meisten Kundgebungen vor Männerknästen abgehalten werden und weibliche* Gefangene kaum Beachtung – und somit auch kaum öffentliche Solidarität - erfahren. Dabei, und dies nur als kleiner Exkurs, waren es Anstalten für Frauen*, in denen, durch Nonnen geleitet, das bis heute geltende Prinzip der Umerziehung und sogenannten Resozialisierung durch Knast erfunden und erprobt wurde. Es geht uns mit diesem Hinweis auf keinen Fall darum, darauf abzuzielen, dass männliche* Gefangene weniger Aufmerksamkeit geschenkt bekommen sollen, denn alle Kämpfe gegen Knäste haben die gleiche Legitimation. Wir wollen damit lediglich auf das Bild der Frau* beziehungsweise ihrer Unsichtbarkeit hinweisen, was beides durch diesen Umgang vermittelt wird. Und uns gleichzeitig selbstkritisch fragen, warum das so ist und was wir daran ändern können.

 

Wir wollen diesen Text nutzen, um uns nach Möglichkeiten umzusehen, die Nacht auch unabhängig von solch vorgegebenen Rahmen wie Demos zum 8. März oder 30. April zu nutzen, um dem Patriarchat etwas entgegenzusetzen. Denn wir sehen den Kampf dagegen noch längst nicht als gewonnen an. Nur weil es Forderungen wie die Frauenquote, Gehaltsgleichheit und eine 3. Option zur zweigeschlechtlichen Trennung in „männlich“ und „weiblich“ gibt, heißt das noch lange nicht, dass damit alles gut wäre. Ganz im Gegenteil sind wir der Meinung, dass die Scheiße damit nur vergoldet wird. Denn all diese Forderungen vergessen, dass das große Ganze, also das System des Patriarchats, immer auch verbunden mit dem Kapitalismus zu sehen und anzugreifen gilt. Dies wiederum bedeutet nicht, die kleinen Kämpfe und Errungenschaften zu leugnen oder weniger wertzuschätzen, wie zum Beispiel das Recht auf Abtreibung oder sexuelle Selbstbestimmung. Wichtig ist uns dabei nur, dass es nicht nur um eine parlamentarische Lösung geht, nicht nur um eine Änderung der Gesetzeslagen, sondern Macht und Herrschaft in Frage gestellt werden müssen – heißt: angegriffen werden müssen, damit sich im Alltäglichen wirklich etwas ändert und nicht nur auf dem Papier.

 

Wir finden es ätzend, dass wir nur aufgrund unseres Erscheinungsbilds oder unserer Geschlechtszuschreibung als „unbedrohlich“ oder „ungefährlich“ wahrgenommen werden. Aber wir glauben, dass wir diese Sicht auf uns auch für uns nutzen können, um aus dem Verborgenen heraus zu agieren und zum Angriff überzugehen. Eine Gruppe von Frauen*, die abends unterwegs ist – harmlos? Ahnt mal, was wir in unseren Taschen tragen!

 

Jeden Tag gibt es Gründe zu kämpfen, weil jeden Tag Gewalt gegen Frauen* ausgeübt wird. Dabei spielt es eine wichtige Rolle, was als Gewalt angesehen und vor allem akzeptiert wird. Dass verbale Aussprüche nicht als Gewalt gelten, dass wir umgeben sind von sexistischen Bildern und Sprüchen, dass es fast zur Gewöhnung geworden ist, blöd angemacht oder angeglotzt zu werden und dass die meisten von uns Vermeidungsstrategien kennen, um diesem zu entgehen, macht uns wütend.

 

Wenn dann aber eine Frau* einen Mann* angreift, und dies nicht in einen direkten Zusammenhang mit „Notwehr“ gesetzt werden kann, gilt dies gleich zu verurteilen – oder zumindest als „total übertrieben“. Das finden wir zum Kotzen!

 

Unser Beweggrund gegen das Patriarchat sowie jede Form von Herrschaft und Unterdrückung zu kämpfen ist aber weniger unsere Identität als Frauen* sondern vielmehr eine umfassende Gesellschaftskritik, die alle mit einschließt. Uns geht es darum gemeinsam und solidarisch die Ungerechtigkeit zu kritisieren und anzugreifen. In diesem Sinne bedeutet sich die Nacht zu nehmen mutig zu sein, aufeinander acht zu geben und unserer Wut auf der Straße Ausdruck zu verleihen – auch wenn es in Hamburg dieses Jahr keine take back the night Demo gibt, Gründe gibt es immer, am 30. April und in jeder anderen Nacht!

 

Grrrrl*-Crews, raus auf die Straße!

 

 

webadresse: 
Lizenz des Artikels und aller eingebetteten Medien: 
Creative Commons by-sa: Weitergabe unter gleichen Bedingungen