"Das ist ein Wendepunkt in der Geschichte!" - Ein Stimmungsbild aus Montpellier

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Täuschen Sie sich nicht, die Gilets Jaunes sind auf lange Sicht mit von der Partie.

Heute, am 13. April, war der 22. aufeinanderfolgende Samstag, an dem sie in großer Zahl auf die Straße gegangen sind, um sich gegen das neoliberale Regime von Präsident Emmanuel Macron zu erheben.

Fünf Monate später gibt es noch immer die Kraft, Entschlossenheit und die kritische Masse, um einen tiefgreifenden Wandel im Verlauf der neueren französischen Geschichte herbeizuführen.

Jeder neuer Akt von Polizeigewalt, jede neue drakonische Repression, jede neue höhnische Verurteilung des gelben "Mobs" durch rechte Politiker scheint dem Aufstand nur einen neuen Energieschub zu verleihen.

 

 

Die Mittelmeerstadt Montpellier war nicht das Hauptereignis der Gelben Westen in Südfrankreich am XXII. Akt - alle Augen waren auf Toulouse gerichtet, wo eine große Mobilisierung mit Polizeigewalt und Tränengas einherging.

https://www.youtube.com/watch?v=CbXFay_ulZ0

Aber bemerkenswert ist, dass sich in Montpellier etwa 5.000 Menschen versammelt haben, um die Sache der Gilets Jaunes zu unterstützen und die Brutalität zu verurteilen, mit der sie unterdrückt wurden.

Hier zeigt sich die wahre Stärke der Bewegung - in den vielen Protestaktionen in Städten und Gemeinden des ganzen Landes Woche für Woche, die auf nationaler, geschweige denn internationaler Ebene, kaum wahrgenommen werden.

Die Gilets Jaunes protestieren jede Woche in Montpellier, aber diesmal marschierten sie neben der französischen Menschenrechtsliga LDH (Ligue des droits de l'homme) und verschiedenen lokalen Verbänden, Gewerkschaften und linken politischen Gruppen wie France Insoumise (1).

Als sich die Leute bei strahlendem Sonnenschein auf dem Place de la Comédie im historischen Zentrum des Montpelliers versammelten, sagte mir Nathalie, eine Gilet Jaune, dass dieses Zusammenkommen eine gute Sache sei.

"Wir brauchen diese Konvergenz", sagte sie. "Es müssen viele von uns da draußen sein".

Die Protestkollegin Charlotte stimmte zu und sagte: "Am Anfang wollten die Gilets Jaunes nicht mit anderen Gruppen zusammenarbeiten, aber jetzt wissen sie, dass wir zusammenkommen müssen".

Ein paar Meter weiter sagte Jean-Luc mir dasselbe: "Es ist sehr wichtig, dass die Kämpfe zusammenkommen, denn nur so werden wir gewinnen."

Der große Demonstrationszug durch die Straßen von Montpellier zeigte die ganze Vielfalt und Energie, für die die Gilets Jaunes bekannt geworden sind.

Französische Nationalflaggen wurden stolz geschwungen, während geballte Fäuste zum Klang der Internationalen erhoben wurden, die vom Lastwagen der Gewerkschaft CGT abgespielt wurde. Später wechselten sie dann zu The Clash.

Eine temperamentvolle junge Frau schlug heftig auf einer Trommel und die Leute sangen und tanzten zu den inzwischen bekannten Gilets Jaunes Songs über den geschmähten Macron.

"Arbeite, konsumiere und halte den Mund!", kam der ironische Gesang. "Nicht zusehen, sondern mitmachen!" wurden die Vorbeigehenden aufgefordert.

Als der Protest nach seiner zweiten Innenstadtbesichtigung wieder an der Comédie ankam, wurde er von einer kleinen Gruppe kurdischer Demonstranten, die sich dort versammelt hatten, mit Beifall begrüßt.

Der Respekt wurde durch die Gilets Jaunes Proteste erwidert. "Tous ensemble!" riefen sie. "Alle zusammen!"

Die Polizeipräsenz war diesmal minimal, außer wenn es ein wichtiges öffentliches Gebäude oder den offensichtlich schützenwerten Bahnhof auf der Route gab.

https://www.youtube.com/watch?v=yEJ8uQJT3oA

Montpellier ist die siebtgrößte Stadt Frankreichs und hat sich in den letzten 20 Jahren rasant entwickelt.

Aber während die Verbreitung der neuen Geschäftsmodelle der Stadt einen gewissen oberflächlichen Reichtum eingebracht hat, ist das eigentliche Problem der Armut nicht verschwunden.

Valérie erzählte mir, dass sie die letzten sieben Jahre darauf gewartet hatte, dass so etwas wie die Gilets Jaunes - Bewegung explodiere.
Sie fügte hinzu: "Ich bin alleinerziehende Mutter, ich arbeite, und ich arbeite nur, um zu überleben".

Der Protestkollege Lucile sagte, es sei "skandalös", dass ihr älterer Vater eine Kürzung seiner Rente hinnehmen müsse.
Sogar die Benzinpreise stiegen wieder an, obwohl die erste Welle der Proteste der Gilets Jaunes im Herbst Aufschub gewährt hätten.

Ich fragte den Demonstranten Pascal, ob er der Meinung sei, dass der Aufstand der Gilets Jaunes sein Ziel, Frankreich einen radikalen Wandel zu bringen, erreichen könne.

Er antwortete: "Wir haben keine Wahl. Wenn wir scheitern, bedeutet das Sklaverei".
Er sagte, die Zeit sei auf der Seite der gelben Westen, und sie wüssten es, weshalb die Proteste immer weitergingen.

Dasselbe wurde auch auf einem Plakat vermerkt, auf dem stand, dass die Proteste gerade erst begonnen hätten - es gäbe nur noch 160 weitere Samstage vor dem Ende der Präsidentschaftsperiode von Macron im Mai 2022.

Pascal: "Die Leute wissen, dass dies unsere letzte Chance ist. Das ist ein Wendepunkt in der Geschichte".

Jean-Luc wiederum sagte zu mir: "Es ist eine sehr große Bewegung, die Bewegung der Gilets Jaunes , die nun seit fünf Monate andauert und weitergehen wird.

 

"Macron wird nie aufgeben. Der einzige Ausweg ist die Auflösung der Nationalversammlung.

"Und wir brauchen mehr als das. Wir brauchen das Ende der fünften Republik, wir brauchen verschiedene Formen der Repräsentation - Delegation, direkte Demokratie.

"Das wird eine Revolution sein, wenn wir in eine sechste Republik ziehen".

Valérie war auch zuversichtlich, dass der Erfolg anhaltend sein wird. Sie sagte: "Dies ist die erste soziale Bewegung, die Bestand hat.“

"Ich wusste schon im Januar, dass es zumindest bis zu den Europawahlen so weitergehen würde. Es wird immer eine weitere gute Begründung geben, um weiterzumachen!"

Lucile sagte, sie könne die von Macron gezeigte Verachtung oder die Gewalt gegen Demonstranten nicht mehr ertragen.

"Die Leute protestieren und werden von der Polizei verprügelt, und es schockiert niemanden. Das ist es, was mich schockiert!"

Sie war sich weniger sicher als die anderen, mit denen ich gesprochen habe, dass die Gilets Jaunes Bewegung letztendlich gegen die nackte Gewalt des globalen neoliberalen Kapitalismus siegen würde.

Aber sie fügte hinzu: "Tage wie heute geben uns etwas Hoffnung zurück!"

 

(1) Das linkspopulistische Projekt France Insoumise hat, wie viele andere Gruppierungen auch, versucht Einfluss auf die Ausrichtung der Gilets Jaunes zu nehmen. Ist damit aber wie alle andere Gruppierungen gescheitert. Trotzdem nehmen lokale Gruppierungen und auch Führungsfiguren immer wieder an den Demos teil. (Anmerkung des Übersetzers)

 

Dieser Artikel erschien am 14. April 2019 auf Witter Oak https://winteroak.org.uk/2019/04/13/this-is-a-turning-point-in-history/

 

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