Für eine nicht zielgerichtete Gewalt - "Die gelben Westen stellen Forderungen, ohne zu wissen, was sie wollen“ - oder über die Aufforderung, mit der Macht Kompromisse einzugehen.

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Eine so komplexe Bewegung - und zwar so komplex, dass wir nicht einfach sagen können, "Sie wollen das RIC "[référendum d'initiative citoyenne] oder "Sie wollen eine Fünfte Republik" - zwingt uns, nicht mehr über Gewalt in Bezug auf ihren Sinn zu reflektieren. Die Gewalt drückt einen Abscheu (in Bezug auf den Kapitalismus, wenn man das so sagen darf?) aus, sie unterbreitet auch keine Vorschläge mehr.

Die Idee, dass die "Bewegung der gelben Westen" - immer als organisierte und in sich geschlossene Einheit gedacht - anfangs "legitime Ansprüche" hatte, die dann in "grundlose Gewalt" umschlugen, ist zu einer unermüdlich wiederholten Konstante in den Massenmedien und bei ihrem Publikum geworden.

Man beachte, dass der Ausdruck "legitime Forderungen" immer elliptisch ist: Die Medien begnügen sich damit, eine Legitimität heraufzubeschwören, ohne jemals den Inhalt dieser Forderungen auch nur andeutungsweise zu benennen (ein ziemlich geschicktes Vorgehen, das diese Medien davon befreit, sich selbst vor dem politischen Hintergrund der Bewegung zu hinterfragen), um dann ihre Erscheinungsform an den Pranger zu stellen.

Mit anderen Worten, wir müssen uns vor all denen in Acht nehmen, die den Begriff "legitime Ansprüche" verwenden: Es geht oft, wenn auch nicht immer, darum, die Bewegung zu disqualifizieren, um damit zugleich jedes vernünftige politische Denken zu unterdrücken.

Die mediale Kritik an "der willkürlichen Gewalt" basiert auf der Annahme, dass jedes Handeln auf ein a priori vertretenes Ziel, auf konkrete Forderungen, gerichtet ist und die Legitimität dieser Handlung daher nicht anhand ihrem Ursprung, sondern an ihrem Ziel gemessen und beurteilt wird. Gewalt wird immer in Bezug auf ihren Zweck, auf die ihr innewohnenden Forderungen hin analysiert (So wie sexuelle Wünsche primär auf die Fortpflanzung ausgerichtet sein würden).

Eine westliche Konzeption, die von einigen Linken, insbesondere der leninistischen Linken, geteilt wird, lautet: Die von Lenin angestrebte revolutionäre Avantgarde wäre deshalb avantgardistisch, da sie es von vornherein ermöglichen würde, die durch die Revolution zu erreichenden Ziele klar darzustellen und die Revolution zu einem geordneten Mittel zu eben diesen Zwecken zu machen.

Es geht nicht darum zu sagen, dass die Gewalttätigen keine konkreten Forderungen haben (Einige von ihnen haben diese), sondern dass diese Gewalt nicht auf diese Forderungen fokussiert ist. Mit anderen Worten, der politische Akt, der 'die Macht' wirklich zu stürzen droht, ist der ziellose Akt, der als Gewalt bezeichnet wird.

Es ist diese Gewalt, die den zeitgenössischen Philosophen Giorgio Agamben interessiert, der am Ende von "Karman" und in "Moyens sans fin" (nach einer historischen Analyse des metaphysischen und westlichen Primats des Handelns, das auf ein Ziel ausgerichtet ist) eine Ethik der 'Geste' entwickelt.

In Anlehnung an die Geste des Tänzers, deren Bedeutung nicht in einer bestimmten Perspektive zu begreifen ist, ist die politische 'Geste' ein Mittel ohne Zweck. Möglicherweise gibt es etwas von dieser 'Geste' im proletarischen Generalstreik. Wenn Walter Benjamin in „Critique de la violence" den Streik ablehnt, der im Rahmen von Gesetzen ausgeübt wird, und der, soweit er in diesem Rahmen ausgeübt wird, bereits die Akzeptanz einer Ordnung der Dinge ist, in denen dieser Streik seinen Platz haben würde. Und damit jede Möglichkeit, diese Ordnung grundsätzlich anzufechten, eingrenzt. Die wahre Angriffsgeste kann nur ein Schlag sein, der über das gewährte Recht hinausgeht.

Dies gilt auch für die Demonstration: Es gibt die autorisierte Demonstration, institutionalisiert, mit ihrer festgelegten Route, ihren Forderungen und es gibt den wilden Protest, den Aufruhr. Diese Geste wird ohne Erlaubnis ausgeübt, sie ist immer wild, weil jede Forderung bereits eine Annahme, eine Akzeptanz der Welt, in der man sich befindet, darstellt.

So bekräftigten auch viele Kollektive 1968 , dass man nichts beanspruchen solle: "Sei realistisch, fordere das Unmögliche". Diese reine 'Geste', diese Ablehnung der Regeln der 'Macht', ist für die Behörden immer unerträglich. Sie hinterlässt eine verzweifelte Macht.

Das Gegenteil, pazifistische und autorisierte Demonstrationen mit ihrer festgelegten Route und ihren Forderungen sind immer erträglich, immer bequem für diejenigen, die Macht ausüben.

Keine Verhandlungen mit der Macht.

Der politische Akt im Gegensatz zu dem des Wählen ist, wenn sich die Menschen einmischen und aus ein von der Macht bestimmtes institutionelles Spiel ausbrechen.

Das ist vielleicht Anarchismus: Die Spielregeln abzulehnen, nichts von der Macht zu erwarten, die Vorstellung aufzugeben, dass die Macht etwas gewähren wird, sich stattdessen etwas selbst zu gewähren.

Streiks, Blockaden, wilde Demonstrationen.

 

Anmerkungen:

Dieser Text erschien am 6. April 2019 auf Paris Luttes Info: https://paris-luttes.info/pour-une-violence-sans-but-les-11931?lang=fr. Die Übersetzung erfolgte sinngemäß und in Anlehnung an die Übersetzung auf autonomies.org: http://autonomies.org/2019/04/the-gilets-jaunes-what-violence/#more-10395

 

 

 

 

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