Vulkanologisches zu Sabotage und Zielgenauigkeit

Uns ist aufgefallen, dass es eine Verbreitung der Angriffe auf Infrastruktur, konkreter: Mobilität, Transport- und Distributionslogistik sowie Telekommunikation gibt. Es ist sicher verfrüht, von einer Dynamik zu sprechen, aber es gibt eine Verankerung dieser Praxis als perspektivische Option. Da wir selbst Anhänger_innen der Sabotage an Infrastruktur sind, halten wir es für richtig, in eine Diskussion zum Thema zu kommen. Der Einfachheit halber sprechen wir von Vulkanismus. Es gibt ja durchaus Kritik an Aktionen: an der angeblich mangelnden Zielgenauigkeit bzw. der als mangelhaft wahrgenommenen Vermittlung. Dazu weiter unten mehr, ausgehend vom Beispiel Refugee-Dachbesetzung Gürtelstraße/Berlin.

Wir gehen mit unseren Überlegungen von einem recht aktuellen Beispiel aus: „Autonome Gruppen“ legten im Sommer 2014 Teile des S-Bahn-Verkehrs in Berlin lahm und erklärten, damit die Refugees in der Gürtelstraße in Berlin-Friedrichshain unterstützen zu wollen, vgl. https://linksunten.indymedia.org/en/node/121501 .
Diese hatten dort das Dach eines Hostels besetzt, um ihre Bleiberechtsforderungen durchzusetzen, während die Polizei das Viertel gegen UnterstützerInnen absperrte und den Refugees über Tage die Lieferung von Essen verweigerte. Die Aktion der „Autonomen Gruppen“ richtete sich vor allem auch gegen die Ignoranz der städtischen Bevölkerung gegenüber der menschenverachtenden Politik der Mächtigen. Wir stellen die Aktion weder politisch noch praktisch in Frage. Vielmehr begrüßen wir sie ausdrücklich.

Wir freuen uns, dass es eine Veröffentlichung der Aktivist_innen gab. Diese macht sich durch einen teilweise arrogant bzw. stereotyp wirkenden Blick auf die S-Bahnnutzer_innen allerdings angreifbarer als nötig. In der betreffenden Passage der Erklärung wäre es nicht nötig gewesen, die Gesamtheit der S-Bahnfahrenden, die durch die Aktion zum Pausieren kamen, abzuqualifizieren. Auch wir selbst leben ja bekanntlich immer noch gezwungenermaßen in gesellschaftlichen Wirklichkeiten, die wir bekämpfen und dennoch auch immer wieder neu herstellen. Die Erklärung wirkt dadurch arrogant, weil auch „Autonome Gruppen“ sich tatsächlich weniger von der Gesamtheit der S-Bahnfahrenden unterscheiden als die Erklärung suggeriert. Wir teilen allerdings den Ärger darüber, dass sich so wenige Menschen für einen würdigen Lebensstandard für alle einsetzen und viele sogar eher dazu neigen, nach unten zu treten als sich gegen oben zu organisieren, sobald sie von der Angst ergriffen werden, selbst irgendwie in Bedrängnis zu kommen. Auch verstehen wir die Wut über die Ignoranz und den Chauvinismus, über rassistische und ausgrenzende Positionen von AnwohnerInnen rund um den Konflikt um das besetzte Hostel.

Die Refugees haben sich als politische Subjekte entschieden zu kämpfen, und die „Autonomen Gruppen“ haben sich ihrerseits damit solidarisiert. In einer Situation, in der die Möglichkeiten der Unterstützung sehr begrenzt waren, haben sich letztere entschieden, den Betrieb der Stadt offensiv in seinem gewohnten und profitablen Rhythmus und Ablauf zu stören – einer Stadt, die in ihrem Innern nicht zuletzt durch eine von Untertanengeist und Rassismus geprägte Gesinnung zusammengehalten wird. Dieser Grundkonsens erklärt, warum den Menschen, die in einer absoluten Notlage ein Dach besetzten und daraufhin Tage lang durch die Polizei ausgehungert wurden, aus der sogenannten Mitte der Gesellschaft bis auf wenige Ausnahmen die Solidarität verweigert wurde. Wir finden es in einer solchen Situation und solange die Gefährdung von Menschen ausgeschlossen ist, richtig, die Funktionalität der Stadt als Ganzes zu beeinträchtigen. Allerdings kann eine Erklärung solchen Inhalts noch so genau, noch so gut formuliert sein: Eine solche Aktion wird so oder so angegriffen. Darüber machen wir uns keine Illusionen. Nicht nur weil der Aufruf zur Sabotage der Festung Europa, zur solidarischen Zusammenarbeit mit Flüchtlingen und den Kämpfen um Bleiberecht aufgrund des rassistischen Grundtenors marginal ist und bleibt, sondern weil Sabotage im Katalog der zugelassenen Diskussions- und Interventionsformen nicht vorkommt. In diesem Zusammenhang stellen wir folgende These in den Raum, die nur praktisch zu klären sein wird: Je mehr militante Gruppen am Zusammenbruch des innerstädtischen Verkehrsflusses gearbeitet hätten, um so höher wäre der wirtschaftliche Schaden für den Standort Berlin gewesen. Ein Verbreitung dieser Praxis könnte den Standort so sehr schädigen, dass sich die Politik gezwungen sieht, den Forderungen der Flüchtlinge entgegen zu kommen.

Solche Aktionen, das ist wichtig, dürfen in ihrer Zielrichtung nicht fehlinterpretiert werden: Sie mobilisieren nicht Menschen gegen die Verschärfung des Asylrechts. Sie bringen nicht mehr Leute auf die Straße. Sie können eine nicht vorhandene antifaschistische Gesellschaft nicht erzwingen oder ersetzen. Aber sie verlassen die Pfade verordneter Ohnmacht und sind als Statements zu verstehen, mit denen eine rassistische Gesellschaft zu rechnen hat – auch in Zeiten, in denen sich emanzipatorische Bewegungen in der Defensive befinden. Das gilt genau so für andere gesellschaftliche Auseinandersetzungen, z.B. gegen Waffenlieferungen oder Freihandelsabkommen wie derzeit das TTIP-Abkommen und endet nicht an nationalen Grenzen. Kann eine militante Intervention keine unmittelbaren Erfolge herbeiführen, so bleiben der ökonomische und politische Schaden und das Signal, dass wir nicht bereit sind, z.B. die Abschiebung von Flüchtlingen hinzunehmen, ohne wenigstens für materielle Konsequenzen zu sorgen.

Wir begreifen Vulkanismus, die Sabotage der Infrastruktur kapitalistischer Metropolen, nur als Teil einer politischen Strategie. Unsere Verneinung des Ist-Zustandes ist deshalb jedoch nicht nihilistisch, weil wir die Option auf gesellschaftliche Veränderung durch Außerkraftsetzen der Funktionalität der Verhältnisse mitdenken. Das Ineinandergreifen von vulkanischer Sabotage und emanzipatorischen Organisierungsansätzen macht erst den Denkraum auf für gesamtheitliche Umstürze. Die Verneinung der herrschenden Wirklichkeit, die Sabotage der Funktionalität dieser Gesellschaft, öffnet erst den Raum für eine andere. Es kann sich nichts ändern, wenn alles stabil ist und repressiv weiter funktioniert. Gleichzeitig geben wir den Kampf um die Köpfe der Menschen nicht auf. Wir versuchen, unsere Gedanken und unsere Praxis zu vermitteln. Wir beziehen uns auf verschiedene Kämpfe. Trotzdem ist es unmöglich, alle politischen Auswirkungen, die unsere Praxis hat, im Vorhinein zu planen. Wir handeln überlegt, aber nicht mit endgültiger Gewissheit. Weil es keinen fertigen Weg zur Emanzipation gibt, experimentieren wir, wagen Unbekanntes, verwerfen Überlegungen und versuchen, aus Fehlern und Kritik zu lernen, gerade weil wir uns nicht mit Symbolik zufrieden geben.

Immer wieder kam die Kritik an vulkanischen oder ähnlichen Aktionen, sie seien nicht zielgenau genug gewesen. Wir haben lange darüber diskutiert und wollen diese Kritik politisch zurückweisen. Es geht dabei wohl um die Vermittelbarkeit einer Aktion, die als um so richtiger gilt, je „böser“ der Gegner ist, je „genauer“ der Gegner getroffen wird, gegen den sich die Aktion richtet und je höher der tatsächliche materielle Schaden. Wir wollen aber vielleicht gar nicht vermitteln, dass es damit getan wäre, diese oder jene besonders böse Entgleisung wegzureformieren, sondern dass der ganze Betrieb falsch läuft. Alles Bisherige, Bekannte hat nicht dazu geführt, den Übergang in eine von Herrschaft befreite Gesellschaft einzuleiten. Die meisten Entwicklungen gehen eher in die andere Richtung. Angesichts dieser Trends können wir das Bestehende und Eingeübte nicht mehr länger akzeptieren. Daher wollen die vulkanischen Sabotageaktionen die Gesamtheit der Verhältnisse blockieren, indem sie die Infrastruktur einer kapitalistischen Metropole lahmlegen. Uns geht es darum, die Funktionalität eines mehr als nur nationalen Machtzentrums zu blockieren. Ein anderer, dabei nicht immer öffentlich in Erscheinung tretender Aspekt ist der Aufbau tatsächlich sozialer Beziehungen und Strukturen. Denn auch eine neue Form der Gesellschaft, eine Form, die auf Solidarität und Emanzipation beruht, muss wachsen, um uns irgendwann das Überleben zu sichern.

Zurück zur Zielgenauigkeit: Muss sich nicht irgendwann auch der Charakter der Ziele verändern, wenn sich längst schon der Charakter der Herrschaft insofern verändert hat, dass die Menschen auf einem ganz neuen Niveau, eben infrastrukturell, tief in die Metropole als Machtzentrum verstrickt sind? Der gebetsmühlenartig wiederholte Wunsch nach höchstmöglicher Zielgenauigkeit will nicht verstehen, dass die kapitalistische Metropole kein „Außen“ zulässt, von dem aus die korrekten Gegner_innen „Innen“ zu bestimmen und zu bekämpfen wären. Wir müssen anerkennen, dass wir selbst Akteur_innen in diesen Verhältnissen sind, die kein Innen-Außen mehr kennen oder zulassen. Daher gehen wir selber los und machen nicht mehr alles mit: als Subjekte, als Saboteur_innen und Menschen, die den Normalzustand bestreiken. Warum sollen wir gezielt einen Feind suchen, wenn er überall und nirgends ist? Warum immer nach den Kommandozentralen suchen und nicht die Normalität des Metropolenbetriebs angreifen? Um ein Missverständnis zu vermeiden: Wir leugnen nicht deren Existenz. Es gibt das Bundeskanzleramt oder die NSA, Waffenlobbyisten und Abschiebebehörden etc., die wir alle gerne brennen sehen würden. Aber einerseits sind sie in absurdem Maße abgeschottet von jeglicher Einflussnahme, sei sie demokratisch oder militant. Andererseits hätten sie ohne unser aller Mitspielen und Funktionieren keinerlei Macht mehr.
Wir freuen uns, dass es international weitere ähnliche Aktionen gegeben hat (Bristol, Belgien, Frankreich...) und würden eine Grenzen und Sprachbarrieren überschreitende Auswertung begrüßen.

Wir sehen mit Verweis auf die Texte anderer Vulkangruppen die Metropole im Zusammenhang mit globalen Produktions- und Wertschöpfungsketten, vgl. z.B. https://linksunten.indymedia.org/en/node/85080 . Schematisch gesehen funktionieren diese so, dass vor unserer Tür Anfang (Design, Copyright, Patente) und Ende (Konsum, Realisierung der Profite, Steuerung des Kapitaleinsatzes für die nächste Verwertungsrunde) dieser Kette zusammenlaufen. Hier vor Ort können wir die zum Ineinandergreifen dieser Kettenglieder notwendige Infrastruktur angreifen. Die öffentlichen Personentransporte sind da nur eine Möglichkeit. Hier wird in erster Linie die Ware Arbeitskraft transportiert, zur Arbeit und zur Reproduktion ihrer Arbeitsfähigkeit und auch nur unter der Bedingung, dass sie dafür auch noch zahlt. Telekommunikation gewährleistet die Vernetzung der Welt und der Dinge und steigert Geschwindigkeit und Effizienz der Verwertung bei gleichzeitiger Überwachung aller Teilnehmenden. Angriffe auf Telekominfrastruktur (bspw. Vodafone) finden wir in diesem Sinne ebenfalls zielgerichtet. Der Angriff der „Magma Aktionsgruppen“ auf die Infrastruktur des Hamburger Hafens zeigt eine weiteres Ziel, die Warentransportlogistik, vgl. https://linksunten.indymedia.org/en/node/124654 . Wir freuen uns auf die Fortsetzung und Erweiterung dieses Katalogs. Unkontrolliert. Überall. Wohl überlegt. Grenzenlos. Internationalistisch.

In diesem Sinne. Eine Vulkangruppe.

webadresse: 
Lizenz des Artikels und aller eingebetteten Medien: 
Creative Commons by-sa: Weitergabe unter gleichen Bedingungen