„Euer Gericht hält uns nicht auf“ – Prozessbericht vom 25.08.2023

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Am 25.08.23 fand ein kurzer erster Prozesstag gegen eine Genossin statt, der vorgeworfen wird, bei zwei von ihr angemeldeten Versammlungen nicht ausreichend auf diese eingewirkt zu haben, um Straftaten zu verhindern. Zuvor erhielt die Angeklagte Strafbefehle in Höhe von 5850 Euro, gegen diese legte sie Widerspruch ein, weshalb es zur Hauptverhandlung kam. Vorschlag des Gerichts war, dass die Angeklagte die Strafe annimmt, aber diese etwas gesenkt wird. Dieses akzeptierte sie und ihre Verteidigung nicht. Nun wird, voraussichtlich ab Frühjahr 2024, ein umfangreiches Gerichtsverfahren folgen.

Am 25.08.23 fand ein kurzer erster Prozesstag gegen eine Genossin statt, der vorgeworfen wird, bei zwei von ihr angemeldeten Versammlungen nicht ausreichend auf diese eingewirkt zu haben, um Straftaten zu verhindern. Zuvor erhielt die Angeklagte Strafbefehle in Höhe von 5850 Euro, gegen diese legte sie Widerspruch ein, weshalb es zur Hauptverhandlung kam. Vorschlag des Gerichts war, dass die Angeklagte die Strafe annimmt, aber diese etwas gesenkt wird. Dieses akzeptierte sie und ihre Verteidigung nicht. Nun wird, voraussichtlich ab Frühjahr 2024, ein umfangreiches Gerichtsverfahren folgen.

Zur kritischen Begleitung waren ca. 25 solidarische Prozessbesucher*innen im Verhandlungssaal. Einer Besucherin wurde der Zugang zum Gerichtssaal verwehrt, da ihr Personalausweis abgelaufen war.

Vor dem Gericht wurde ab 8 Uhr eine Kundgebung durchgeführt, bei der die Aufrufe der Demos „Autonome Antirepressionsdemo – Eure Gewalt hält uns nicht auf“ und „Autonome Kiezdemo – Kampf den Faschist*innen in Uniform“, um die es bei der Verhandlung ging, verlesen wurden, sowie einige Beiträge zu Demonstrationsverboten und den autoritären Entwicklungen bezüglich des Versammlungsrechts im Kontext von in der Vergangenheit in Leipzig verbotenen Demos.

In der Anklageschrift, die zu Beginn der Verhandlung verlesen wurde, sind die Vorwürfe gegen die Genossin benannt. Es heißt, sie hätte bei der Demo am 31.10.20 nicht verhindert, dass Pyrotechnik gezündet und Cops mit Böllern und Steinen beworfen wurden, wobei Cops leicht verletzt und ein paar Einsatzfahrzeuge beschädigt worden sein sollen. Sie habe zu keinem Zeitpunkt auf die Versammlungsteilnehmer*innen eingewirkt, dies nicht zu tun.

Des weiteren wird ihr vorgeworfen, bei einer Versammlung am 13.12.2020 nicht verhindert zu haben, dass sich aus der aufgrund von Coronaschutzmaßnahmen als ortsfeste Kundgebung angemeldeten Versammlung ein Demozug bewegte und dabei Pyrotechnik gezündet, sowie Steine und Pyrotechnik auf Cops geworfen wurden. Außerdem hätte sie gegen die Auflagen verstoßen, da sie eine Glasflasche in der Hand gehabt haben soll (Jever Fun).

Nach der Verlesung der Anklageschrift sagte die Genossin auf Nachfrage, dass sie sich nicht zu den Vorwürfen äußern werde, aber eine Erklärung verlesen will. Es folgte eine kraftvolle Prozesserklärung der angeklagten Genossin.

In dieser ging sie darauf ein, worum es bei der Anklage eigentlich geht: Um die Kriminalisierung von linken Demos und emanzipatorischen Bewegungen im Allgemeinen.

„Es geht um einen Angriff auf die Versammlungsfreiheit von linken und linksradikalen Menschen. Also um einen Angriff auf jene, die sich mit dieser Gesellschaft, so wie sie ist, nicht zufrieden geben wollen und können und die sagen, dass es besser geht, dass es eine Gesellschaft geben kann, in der die Menschen frei und in Solidarität und Freundschaft miteinander leben können, eine Gesellschaft also, in der das, was diese Gesellschaft verspricht, nicht nur ein Versprechen, sondern Wirklichkeit ist.“

Hierzu stellte sie beispielhaft eine Demo von extrem Rechten, die von der Polizei auch nach deren Auflösung zugelassen wurde und aus der heraus es viele Angriffe auf Journalist*innen und Gegendemonstrant*innen gab, und die Verbote von linksradikalen Demos gegenüber, bei denen ein enormes Aufgebot autoritärer Maßnahmen aufgefahren wurde, um diese zu unterbinden (Gefährder*Innenansprachen, Stadtverbote, Kessel, Kontrollbereiche und das Verbot der Äußerung politischer Meinungen). Sie zeigte letztlich, dass sie selbst repräsentativ für alle Anmelder*innen unliebsamer Demos sanktioniert und eingeschüchtert werden soll, um in Zukunft Versammlungen mit emanzipatorischen Inhalten – wenn überhaupt – sehr restriktiv durchführen zu lassen.

Die vollständige Prozesserklärung kann hier nachgelesen werden.

Daraufhin gab es viel Applaus von den solidarischen Besucher*innen.

Die Richterin sagte, dass sie eigentlich keinen Applaus während der Verhandlung dulde und betonte, dass sie dies nun ausnahmsweise durchgehen lässt.

Sie hielt die Vorwürfe für zulässig und die Geldstrafe für angemessen. Für den weiteren Verlauf der Verhandlung gäbe es zwei Optionen:

Entweder eine vollumfängliche Verhandlung, mit der Anhörung von Zeug*innen (die sie für diesen Termin nicht geladen hatte) oder, dass die Verteidigung ihren Einspruch gegen die Strafbefehle nur auf die Höhe der Strafe beschränkt. In diesem Fall sei sie dazu bereit zu diskutieren, die Höhe der Strafe herabzusenken.

Die Verteidigung nahm dazu Stellung, indem sie sagte, sie halte die Tatvorwürfe nicht für strafbar und werde notwendigerweise eine detaillierte Ausführung zu den Tatvorwürfen abgegeben.

Die Ausführung bestand im Kern aus den folgenden Argumenten:

1. Die Versammlungsleiterin habe sehr wohl auf die Versammlung eingewirkt, in dem sie die Auflagen vorlas. Es sei unklar wie sie dies anders oder besser hätte tun sollen. Es sei weder ihre Aufgabe noch sei es ihr möglich durchzusetzen, dass Menschen keine Pyrotechnik mit sich führen. Außerdem würde im Auflagenbescheid lediglich das Mitführen der Pyrotechnik verboten, nicht aber das Zünden und Werfen.

2. Der Versammlungsbescheid selbst sei schon fehlerhaft gewesen und habe rechtswidrige Auflagen enthalten. So beinhalte beispielsweise der Begriff „gefährliche Gegenstände, die auch als Wurfgeschoss geeignet“ seien, eine unüberschaubare Menge an Dingen.

3. Das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit nach Art. 8 GG ist eins der wichtigsten demokratischen Rechte, dass durch die Versammlungsgesetze der Länder schon massiv eingeschränkt wird. Das Recht auf Versammlungsfreiheit darf demnach nur in Fällen verunmöglicht, beendet oder verboten werden, wenn ein gleich hohes demokratisches Gut durch die Durchführung einer Versammlung gefährdet würde.

Der Vorwurf gegen die Genossin war, dass diese die Versammlung nicht beendet hatte, obgleich sie die Versammlung, aus der Straftaten erfolgt seien, nicht mehr unter Kontrolle gehabt habe. Jedoch können „unfriedliche“ Absichten auf vielen Demos vereinzelt verzeichnet werden. Der Argumentation der Staatsanwaltschaft folgend, müssten Versammlungsleiter*innen also jede Demo in solchen Fällen auflösen. Dann wäre ein Ausleben der Meinungsfreiheit und des demokratischen Rechts auf Versammlungsfreiheit kaum mehr möglich.

4. Die Gebote aus dem Versammlungsgesetz setzten fachliche Kenntnisse voraus und sind so formuliert, dass für die meisten Menschen unverständlich ist, welche Maßnahmen ergriffen werden müssten um die Einhaltung der Auflagen durchzusetzen. Überdies besitze die Versammlungsleitung im Gegensatz zur Polizei keine Weisungsbefugnis.

5. Der Vorwurf, die Angeklagte hätte während der Versammlung am 13.12.2020 aus einer Glasflasche getrunken, ist nicht haltbar, da die Versammlung bereits zuvor durch die Polizei faktisch aufgelöst worden war.

Auf diese Ausführungen mussten Staatsanwaltschaft und Richterin nun eingehen.

Der Staatsanwalt blieb bei seiner Ansicht, die Tatvorwürfe wären korrekt und betonte, sie seien nicht zuletzt wegen ihrer Schwere strafbar, da Polizist*innen durch Steinwürfe und Böller verletzt worden seien. Deshalb hätten die Auflagen durchgesetzt oder die Versammlung beendet werden müssen. Er fand nicht, dass in Zukunft jede Versammlung nach freiem Willen der Teilnehmer*innen ohne jede Beschränkung stattfinden sollte und dann auch Polizist*innen angegriffen werden könnten, ohne dass dagegen vorgegangen werde, hier „seien wir uns ja wohl einig“.

Die Verteidigung stellte daraufhin klar dass „wir uns nicht einig [sind]“. Es sei sehr wohl relevant, ob ein Auflagenbescheid rechtmäßig sei. In diesen Fällen hatte dies in der Kürze der Zeit vor der Versammlung nicht geprüft werden können. Damit seien die Sanktionen gegen die Anmelderin nichtig.

Die Richterin sagte abschließend, dass sich das Gericht mit den detaillierten Ausführungen der Verteidigung befassen müsse und dass folglich ausführlich verhandelt werde, also auch Zeug*innen geladen werden müssten. Daher setzte sie die Verhandlung aus. Der neue Termin werde voraussichtlich im Frühjahr 2024 stattfinden.

Die Verhandlung wurde gegen 10:30 Uhr beendet.

Die Besucher*innen versammelten sich im Anschluss noch ein Weilchen bei der Kundgebung vor dem Gerichtsgebäude.

 

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