Die Länder Nordrhein-Westfalen und Hessen wollen die totale Überwachung

Unter dem Deckmantel etwas gegen die Verbreiten von Rauschgift, Sprengstoff oder Kinderpornografie tun zu wollen soll ein neuer Straftatbestand eingeführt und die Überwachungskompetenzen erheblich ausgeweitet werden

Der Bundesrat will über ein härteres Vorgehen gegen Betreiber von illegalen Diensten entscheiden. Im Visier sind unter anderem die Tor Hidden Services.

Am Freitag entscheidet der Bundesrat, ob künftig ein härteres strafrechtliches Vorgehen gegen illegale Handelsplattformen im Darknet möglich ist. Dafür soll im Strafgesetzbuch ein neuer, eigener Straftatbestand eingeführt werden, der § 126a mit dem Titel "Anbieten von Leistungen zur Ermöglichung von Straftaten". Die Gesetzesinitiative [1] geht auf die Länder Nordrhein-Westfalen und Hessen zurück. Die vorgesehene Höchststrafe beträgt drei Jahre Gefängnis. Betroffen wären Betreiber, die über Dienste Straftaten wie das Verbreiten von Rauschgift, Sprengstoff oder Kinderpornografie ermöglichen.

Illegale Handelsplattformen im Visier

Illegale Online-Handelsplattformen spielen in der Strafverfolgung laut Bundeskriminalamt zunehmend eine Rolle. Auch die europäische Polizeibehörde Europol sieht in den Plattformen eine Schnittstelle von Cybercrime und organisierter Kriminalität. Nordrhein-Westfalen und Hessen gehen davon aus, dass die geltende Rechtslage keine ausreichende strafrechtliche Handhabe gegen derartige Angebote im Darknet bietet. Bisher könnten die Betreiber allenfalls über eine Beihilfehandlung belangt werden, die aber in der Regel schwer nachzuweisen sei. Als exemplarischen Darknet-Dienst hat die Gesetzesinitiative Tor Hidden Services [2] im Visier, bei dem das anonyme Anbieten und nicht das anonyme Surfen im Vordergrund steht.

Konstantin von Notz, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Grünen im Bundestag, sagte heise online, dass die Grünen eine gesonderte Strafbarkeit für betreibende Plattformen im Darknet ablehnten. So solle das "das Betreiben von Plattformen nicht per se unter Kriminalitätsverdacht gestellt werden, zumal sich die Frage stellt, warum Plattformen im Darknet eigentlich anders behandelt werden sollen, als die in anderen Bereichen des Internets". Die damit verbundene Aufweichung der Anonymität im Netz sei überdies mit den Vorgaben des Telemediengesetzes nur schwer in Einklang zu bringen.

Auch die schleswig-holsteinische Landesdatenschützerin Marit Hansen zeigt sich skeptisch. Die Formulierung "Anbieten von Leistungen zur Ermöglichung von Straftaten" könne in der Praxis zu weit verstanden werden. Hansen: "Es werden heutzutage vielfältige internetbasierte Leistungen angeboten, deren Ziel nicht eine Straftat ist, aber die dennoch Straftaten im weitesten Sinne ermöglichen und nicht ausschließen". Das beträfe auch Angebote zum Selbstdatenschutz mit Anonymisierern oder Verschlüsselung.

Sind auch Security- und Privacy-Entwickler betroffen?

Der Bundesrat weist vorsorglich darauf hin, dass auch Journalisten und Whistleblower "die Anonymität des Darknets nutzen", wie auch "viele Privatpersonen, die ihre Daten schützen möchten". Deshalb sollen nicht alle Angebote umfasst sein, sondern nur diejenigen, die auf Straftatenermöglichung oder -förderung ausgerichtet sind. Marit Hansen kritisiert jedoch, dass der Regelungsentwurf an dieser Stelle nicht klar genug formuliert sei: "Ist jeder Tor-Node-Betreiber betroffen, der ja dazu beiträgt, dass Hidden Services überhaupt genutzt werden können?"

Unklar ist auch, ob Software-Hersteller im Bereich von Sicherheit und Datenschutz betroffen sind. Der Gesetzesbegründung nach seien sie zwar nicht erfasst, so Hansen, doch der Entwurfstext sei hier ebenfalls nicht klar genug, da er die anvisierten Handelsplattformen nicht ausdrücklich benennt. Hansen warnt daher davor, dass diejenigen nicht verunsichert werden sollten, "die sich für Datenschutz und Datensicherheit im Internet einsetzen und Angebote für den Schutz der Nutzenden entwickeln."

Verschärfungen gefordert

Der Rechts- und Innenausschuss des Bundesrats plädieren indes dafür, den Gesetzesantrag an mehreren Punkten nachzuschärfen: So soll der Strafrahmen von drei auf fünf Jahren erhöht werden. Außerdem soll der neue Straftatbestand für das Anbieten aller kriminellen Dienste im Internet gelten – und nicht nur für das Darknet. Überdies soll nicht nur das "Anbieten", sondern das "Zugänglichmachen" krimineller Dienste unter Strafe gestellt werden. Damit wären auch "bulletproof hosters" betroffen, die lediglich Speicherplatz und Routing für dritte Dienste zur Verfügung stellen. Entsprechend müssten die Tathandlungen um das "Erleichtern von Straftaten" erweitert werden.

Die Ausschüsse verlangen außerdem, dass der im Entwurf enthaltene Straftatenkatalog gestrichen und das Anbieten krimineller Dienste losgelöst von bestimmten Straftaten unter Strafe gestellt werden müsse. Schließlich soll die Abwanderung ins Ausland erschwert werden: Leistungen eines Portalbetreibers im Ausland sollen bestraft werden können, sobald sie im Inland rechtswidrige Straftaten ermöglichen.

"Wer verschlüsselt, hat was zu verbergen"

Konstantin von Notz betont, dass die Änderungsanträge deutlich machten, "dass die Ausweitung auf sämtliche Plattformen und alle strafbaren Taten sehr real droht". Der Jurist und Datenschutzexperte Malte Engeler stellte gegenüber heise online klar: "Ja, der Entwurf kriminalisiert nicht nur den Betrieb von Handelsplattformen, die nur über Tor erreichbar sind, sondern alle Plattformen mit Zugangshindernissen, die eine verschlüsselte Kommunikation ermöglichen und es damit Vollzugsbehörden erschweren, die Taten aufzudecken".

Die Abgrenzung zwischen legaler Plattform und illegaler Plattform soll laut Entwurf darüber geschehen, ob der Betreiber bewusst Zugangshindernisse wie Tor nutzt, um illegalen Handel zu erleichtern. "Warum man Tor dabei als Indiz nimmt, kann ich mir trotz gegenläufiger Bekundungen im Entwurf nur so erklären, dass man Tor-Nutzung pauschal für verdächtig hält und letztlich eben doch den Vorwurf des illegalen Handels vorverlagert auf das reine Nutzen von Anonymisierungsdiensten", sagt Engeler. Für ihn ist dies daher ein weiteres Beispiel für die in sicherheitspolitischen Kreisen beliebte Beweislastumkehr im Internet: Wer verschlüsselt oder anonymisiert, hat etwas zu verbergen und wird daher extra verdächtigt.

Ähnlich sieht dies auch der Anwalt Jens Ferner. In einem Beitrag zur Gesetzesinitiative [3] schreibt er: "Die Darknet-Online-Marktplätze sind aus meiner Sicht vorgeschoben." Der Gesetzgeber gehe mit Blick auf die Betreiber technischer Infrastrukturen eine allgemeine Strafbarkeit an. Ferner glaubt, dass die Betreiber entsprechend mit proaktiven Filtern "jegliche potenziell kriminelle Handlung im Keim ersticken" müssten. Auch sei der Betrieb eines Tor-Zugangsknotens vom Tatbestand grundsätzlich erfasst und könne erst über die Feststellung des Zwecks seines Betriebes aus dem Tatbestand wieder herausgehoben werden. Damit könne dem Darknet "insgesamt der Hahn abgedreht" werden.

Ausweitung der Überwachungsbefugnisse

Konstantin von Notz weist überdies darauf hin, dass die Ausweitung von TKÜ-Überwachungsmaßnahmen "längst geplant" sei. Entsprechend wollen die Bundesrats-Ausschüsse nun die Ermittlungsbefugnisse erweitern, die an den neuen Straftatbestand geknüpft sind: Zulässig sollen nicht nur die Telekommunikationsüberwachung, sondern gegebenenfalls auch die Online-Durchsuchung, die akustische Wohnraumüberwachung und die Erhebung von Verkehrsdaten sein. Das Plenum wird am Freitag entscheiden, welche Empfehlungen und Forderungen es annimmt. (olb [4])


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[1] https://www.bundesrat.de/SharedDocs/drucksachen/2019/0001-0100/33-19.pdf?__blob=publicationFile&v=1
[2] https://www.heise.de/security/artikel/Tor-und-die-versteckten-Dienste-3280904.html
[3] https://www.internet-strafrecht.com/gesetze-cybercrime/gesetzentwurf-verbot-des-betriebs-von-darknet-marktplaetzen/it-strafrecht/
[4] mailto:olb@heise.de

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