Vorweihnachtlicher Stress in JVA Freiburg

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Warum auch immer, so gilt die (Vor-) Weihnachtszeit als eine besondere, auch hinter den Gefängnismauern. Die Woche vor dem 24. Dezember 2018 wurde dann aber doch zu einer außergewöhnlichen. Von zerschnittenem Zeigefinger, über eine demolierte Tanne, bis hin zu einem versuchten Angriff mit einer Schere reichen die Ereignisse der Freiburger Sicherungsverwahrung (SV)

 

Die Zellenschlösser werden gewechselt

Als 2013 die SV-Abteilung der JVA Freiburg eröffnet wurde, bemängelten schon frühzeitig Insassen, dass es keine Möglichkeit gebe sich zurückzuziehen, da jederzeit die Zellentüren auch von Mitverwahrten geöffnet werden könnten. Es kam dann auch in der Folge zu Übergriffen in Hafträumen. Der Landtag von Baden-Württemberg regte im Frühjahr 2014 an, man möge die Zellenschlösser modifizieren, so dass sie von außen nur durch Beamte geöffnet werden könnten.

Es brauchte Jahre und diverse Anläufe, Probeläufe sowie eine Sicherstellung der Finanzierung bis Mitte Dezember 2018 dann tatsächlich der Umbau in Angriff genommen werden konnte. Die alten Schlösser werden ausgebaut und Zylinderschlösser eingebaut die über einen Schnappmechanismus verfügen. Fällt die Türe ins Schloss, kann sie der Insasse von innen durch einen konisch zulaufenden Drehknauf öffnen und von der Flurseite nur ein Beamter mit seinem Schlüssel.

Allerdings verfügte die Anstalt zugleich, dass damit die Möglichkeit entfalle sich vor 22 Uhr durch Beamte in der Zelle einschließen zu lassen. Insassen lassen sich freiwillig wegschließen? Das klingt auf den ersten Blick absonderlich, aber wenn man weiß, dass es in der JVA mehrfach am Tag Standzählungen und auch Lebendkontrollen gibt, mag es vielleicht nicht mehr ganz so ungewöhnlich anmuten.

Nicht wenige Insassen legen sich untertags mal hin, oder gehen abends früh zu Bett. Wenn dann um 17 Uhr und 22 Uhr die Beamten in die Zellen schauen, sich davon überzeugen ob auch der richtige Insasse in der für ihn bestimmten Zelle und auch quicklebendig ist, werden manche unsanft geweckt. Zumal das Sozialverhalten der Bediensteten auch ganz unterschiedlich ausfällt: es gibt jene die behutsam und leise die Türe öffnen, andere klatschen den Schlüsselbund mit Schwung gegen die Türe oder klopfen so lange gegen den Türgriff, bis selbst ein schon Toter wohl wieder zum Leben erwachen würde.

Wer aber schon vor 22 Uhr sich hatte von den Beamten wegschließen lassen, der war für den Rest des Tages von diesen Kontrollen verschont, denn da er in seiner Zelle eingeschlossen war, bestand kein Bedarf mehr die Anwesenheit zu kontrollieren. Er konnte sich also hinlegen, oder auch ausziehen und wurde nicht mehr gestört. Nach Jahren, ja Jahrzehnten in Haft kennt man nahezu alle Geschichten der Mitbewohner und ist froh wenn man seine Ruhe hat.

Diese Neuregelung führte allerdings schon in den ersten Tagen zu erheblichem Unmut. Insassen drohten, Beamte Kaffeekannen nachzuwerfen (und dafür kamen dann lieber drei Beamte zum nächtlichen Generaleinschluss als nur ein einziger). Beim Landgericht Freiburg gingen zudem diverse Klageschriften gegen den Anstaltsleiter bei der für solche Anträge zuständigen 13. Strafvollstreckungskammer ein. Andere Insassen legen sich nun nicht mehr vor 22 Uhr hin, da sie zwangsläufig geweckt werden, entsprechend unruhig und übermüdet sind sie.

Manche Insassen sprechen von einem Verstoß gegen das Misshandlungsverbot von Art. 3 Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Art. 104 Grundgesetz, da es defacto auf Schlafentzug hinauslaufe was die Justizvollzugsanstalt hier praktiziere. Eine typische Methode die manchen vielleicht noch aus der Berichterstattung über Guantanamo erinnerlich ist, die Menschen gefügig machen soll.

Für Unmut bis Heiterkeit sorgte die Begründung der SV-Anstalt, wonach diese Neuregelung die Autonomie der Verwahrten stärken solle! Wahrscheinlich muss man Sozialpädagogik, so wie der Vollzugsleiter G., oder Psychologie, wie die therapeutische Leiterin Frau Dr. S. studiert haben, um sich solch eine Begründung einfallen zu lassen.

Der erste Verletzte in Folge der Neuregelung

Shorty leidet an ADHS und ist froh wenn er überhaupt mal schlafen kann und so legte er sich nachmittags hin; gegen 17 Uhr wurde er unsanft geweckt (er durfte sich ja nach Einbau des neuen Schließmechanismus nicht mehr vor 22 Uhr wegschließen lassen). Er fing an innerlich zu kochen, weil endlich mal eingeschlafen er prompt von dem Beamten geweckt worden war. Er packte seine Kaffeetasse, ging den Flur hinauf in Richtung Stationsküche. Dort angelangt war er innerlich mittlerweile derart aufgewühlt, zornig darüber geweckt worden zu sein, dass er aus lauter Wut die Tasse gegen den Türrahmen der Küche knallte.

Die Tasse zerbrach und, da er sie nicht rechtzeitig losgelassen hatte, zerschnitt sie ihm den Zeigefinger; die Wunde geriet so tief, dass er nach der Erstversorgung durch den Anstaltssanitäter in den Abendstunden noch ins Krankenhaus ausgeführt werden musste um genäht zu werden.

Schon erwähnter Sozialpädagoge G. reagierte bei einer Anhörung von Shorty nach dessen Aussage leicht beleidigt darüber, dass es überhaupt Insassen gebe, die sich gegen den Zwangssaufschluss der Zellen beschweren. Jedenfalls muss Shorty nun das Malern des Türrahmens bezahlen, denn der Lack des Rahmens war leicht beschädigt. Round about 50 € fallen laut Malerei dafür an.

Die unschuldige Weihnachtstanne

Keine drei Tage später musste auf einer der vier SV-Stationen die Tanne daran glauben. Vor dem Stationsbüro stand sie: stolz und adrett geschmückt. Dazu noch eine leuchtende Lichterkette die funkelnd ihr Licht in den Flur entließ.

Ein Insasse dessen Zelle vom Stationsbeamten kontrolliert werden sollte und zwar genau jetzt, nicht etwa später, dieser Sicherungsverwahrte, er ging dann doch auf den Flur, denn bei den Zellenkotrollen darf man nicht dabei sein. Erst riss der nun doch recht wütende Insasse eine Christbaumkugel von der Tanne, wollte sie auf dem Boden zerdeppern, was scheiterte, war sie doch aus Plastik und hüpfte nur. Behutsam hob er sie auf, befestigte sie sorgfältig wieder an der Tanne, nur um dann die Lichterkette schreiend von der Wand zu reißen: „Brandgefahr! Brandgefahr!“ und sich nun erneut der Tanne zuzuwenden. Erst um sie umzutreten und dann auf sie einzutreten. Am Schluss war sie nicht gänzlich demoliert, aber musste ohne Baumspitze auskommen. Die Beamten führten ihn ab.

Den Rest des Tages verbrachte er in einer leeren Zelle auf einer anderen Station. Also Folge der Missetat mit Lichterkette und Baum wird er nun stets am späten Nachmittag unter Verschluss genommen, eine sogenannte „besondere Sicherungsmaßnahme“, außerdem hat er „Umschluss-Sperre“, darf also nicht mehr auf den anderen drei Stationen Insassen besuchen gehen.

Eine Bastelschere kommt zum Einsatz

Immer mal wieder berichtete ich über einen Langzeitverwahrten, 56 Jahre alt, nunmehr schon an die 16 Jahre in der Sicherungsverwahrung sitzend, und das obwohl er ein sogenannter „Altfall“ ist, d.h. zum Zeitpunkt seiner Verurteilung galt als Obergrenze für die SV 10 Jahre - erst 1998 wurde diese Obergrenze faktisch abgeschafft, und das auch rückwirkend für gerichtlich schon längst verurteilte Menschen.

Alle neun Monate wird die Fortdauer der SV gerichtlich geprüft, inklusive eines Sachverständigengutachtens, das ist so vorgesehen für Insassen die 10 Jahre oder länger in der SV festgehalten werden. Ein Kriminologe begutachtete Friedrich (Name geändert) in den letzten Jahren und kam zuletzt zu dem Ergebnis, dass eher keine schweren Sexualtaten zu erwarten seien, allerdings würden schwere Aggressionsdurchbrüche beispielsweise für den Fall, dass er in einer Straßenbahn angepöbelt und gekränkt werden würde, drohen. Dem folgte das Landgericht anschließend an eine mündliche Anhörung in seinem die Fortdauer der SV anordnenden Beschluss.

Das von Friedrich angerufene Oberlandesgericht, vor dem er seine Freilassung erstreiten wollte, schickte einen recht ernüchternden Beschluss zurück: ja, es seien schwere Gewalttaten zu erwarten, aber eben auch Sexualtaten. Insofern sei nämlich das Landgericht dem Gutachter viel zu unkritisch gefolgt und die optimistische Ansicht des Gutachters teile man ganz und gar nicht. Der Verwahrte befinde sich, nach nun vier Jahren Einzelgesprächen mit der therapeutischen Leiterin der Einrichtung, erst am Anfang eines langjährigen therapeutischen Prozesses.

Der Beschluss traf Friedrich hart; mitunter ging er schreiend über den Flur: „Dead man walking. Dead man walking!!!“, den Ruf von US-Schließern aufgreifend, der früher durch die Gänge der Todestrakte schallte, wenn ein Todeskandidat aus der Zelle geholt wurde. Er würde nun hier sterben, sagte er und verlangte nach Zyankali.

Eines Morgens war seine Anspannung mit Händen zu greifen, er ging zum Büro, fragte nach seinem Diabetikerfrühstück, er erhalte das seit 2012 immer schon um die jetzige Uhrzeit. Der Beamte erklärte ihm, nein, es komme immer erst um kurz nach 8 Uhr, schon seit Jahren, man schreibe zudem 2018 und nicht mehr 2012. Nein!! Er wolle jetzt sein Frühstück schrie Friedrich und zog von dannen.

Dabei kam es dann auf dem Flur zum Streit mit dem Stationsreiniger, einem Mitverwahrten, einen Kopf größer, mindestens 30 kg schwerer und zwanzig Jahre jünger als Friedrich. Da stand er dann, hochroter Kopf, beschimpfte den Reiniger, auch unter Verwendung rassistischen Vokabulars. Der Stationsbeamte, Hauptsekretär L., schrie nicht minder laut: „Friedl, hör' uff! Friedl, lass den Scheiß!“, denn der bewegte sich drohend auf den Reiniger zu. Dann muss er kehrt gemacht haben, ging kurz in seine nur wenige Meter entfernte Zelle, kehrte zurück und der Reiniger sah, wie aus dem Ärmel eine Schere hervor glitt. Als Friedrich zum Stoß ansetzte, dann aber inne hielt, nahm ihm schon der Stationsreiniger die Bastelschere ab. Allerdings hatte L. längst Alarm ausgelöst und so kamen mehrere Beamten angerannt, nahmen Friedrich mit in den Keller, in den dort gelegenen Bunker, wo mensch nur mit einem Höschen aus leicht reißendem Stoff bekleidet in einer kahlen Zelle herum sitzt, ein Loch im Boden als Toilette, die Spülung kann nur von Beamten bedient werden, und von einer Kamera überwacht. Dazu noch eine Matratze und eine Wolldecke. Stündliche Lebendkontrolle durch eine Luke und Dauerlicht!

Am Folgetag wurde er vom Bunker in den Sicherheitstrakt der Strafanstalt verlegt, wo er drei Wochen in Einzelhaft saß. Dabei war er noch Minuten vor dem ganzen Theater guter Stimmung, denn das Landgericht Freiburg hatte ihm wunschgemäß eine Kapazität auf dem Gebiet des Strafvollstreckungsrechts als Pflichtverteidiger beigeordnet: Professor Dr. Pollähne aus Bremen. Sein vorheriger Pflichtverteidiger hatte so gut wie nichts gemacht, nicht einmal seinen Mandanten vor der letzten Anhörung besucht.

Nach diesem Vorfall, der sich geradezu wie die punktgenaue Umsetzung der Befürchtungen des letzten Sachverständigen liest, so als hätte Friedrich dies als drehbuchartige Vorlage verwandt, dürfte sich die Frage einer etwaigen Entlassung aus der Sicherungsverwahrung möglicherweise auf Jahre hinaus erledigt haben.

Nachtrag: Einige Insassen die Friedrich immer wieder mit Tabak oder Kaffee aushalfen, wenn er klagte er habe nichts mehr oder nur noch ein paar Krümel, sind mittlerweile recht sauer auf ihn. Denn im Zuge dessen Verlegung in den Sicherheitstrakt konnte er sich von Beamten dringend benötigte Sachen aus seiner Zelle holen lassen. Nicht schlecht wurde gestaunt, als man dort dann zig gut gefüllte Tabakdosen und beutelweise löslichen Kaffee vorfand.

Und der Reiniger? Immer wieder erzählte er, sichtlich stolz, in der Folgezeit, wie er wagemutig Friedrich die stumpfe Bastelschere entwunden habe und was alles hätte passieren können; erst als er gegenüber der therapeutischen Leiterin, Frau Dr. S. dick auftrug und von der extremen Gefährlichkeit Friedrichs daherredete und ihn dann Shorty deshalb als „bösen Menschen“ bezeichnete, der einen Insassen der doch eh schon im Bunker säße noch tiefer in die Scheiße reite, nahm er sich ein wenig zurück.

Resümee

Auch wenn die SV-Abteilung immer wieder als Totenhaus bezeichnet wird, weil dort eher gestorben als entlassen werde, wie ein geflügeltes Wort Friedrichs lautet, ist dort manchmal ein geradezu erstaunliches Leben anzutreffen. Nicht wirklich zielführend oder lebensbejahend, denn wie wir gesehen haben sind die Folgen für alle oben genannten Beteiligten letztlich schädlich; aber immerhin, die Herzen sie schlagen noch. Wer sich die Mühe macht hinter die Oberfläche der Ereignisse zu blicken wird zudem nicht umhin kommen zu bemerken, dass Justiz­ und Vollzugssystem eine Mitverantwortung tragen. Bekanntlich war es die Anstalt die den Zelleneinschluss neu regelte, es war zudem ein Beamter der unsanft einen Insassen weckte, es war ferner ein weiterer Beamter der unbedingt „jetzt!“ die Zelle kontrollieren wollte und es waren die Richterinnen und Richter der Gerichte die einem Insassen die Hoffnung auf absehbare Freilassung nahmen. Dies alles auszublenden und die Schuld einzig den beteiligten Insassen aufzuladen wäre allzu billig.

Wer Menschen nicht etwa bloß über Jahre, sondern Jahrzehnte einem lebensfeindlichen System aussetzt (vgl. meine Beiträge über Gefängnisse als „nekrophile Orte“), das eben nicht darauf gerichtet ist ein Netz neuer belebender Beziehungen zu knüpfen, die Liebe zum Leben, zur Freiheit und allen mit ihr untrennbar verbundenen belebenden, auf seelisches Wachstum gerichteten Möglichkeiten behutsam auszubauen oder überhaupt erst zu entwickeln, sondern durchdrungen ist von lebensfeindlichen kleinlichen Regularien und Regeln, Zwangs-, Disziplinar- und Sicherungsmaßnahmen, jederzeitigen Kontrollen, steter Überwachung, allgegenwärtiger Herrschaft selbst über die Schlafenszeiten und Möglichkeiten des Rückzugs, kann nicht ernsthaft überrascht sein, wenn Menschen dann dysfunktional agieren, innerhalb ihres erlernten Verhaltensrepertoires, das letztlich nahtlos anknüpft an das lebensfeindliche, nekrophile System in welchem sie seit Jahrzehnten leben.

Thomas Meyer-Falk, z. Zt. Justizvollzugsanstalt (SV),
Hermann-Herder-Str. 8, D-79104 Freiburg

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