7 Stunden Polizeikessel für 1.300 Fußballfans

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Stellungnahme der Rechtshilfe Rapid zum Derbykessel

Die Wiener Polizei hinderte gestern 1.338 Rapidlern am Stadionbesuch. Der Einsatz setzt einen neuen Tiefpunkt im Umgang mit Fußballfans und tritt Menschenrechte mit Füssen. Der Bericht eines stundenlangen Martyriums.

Das 328. Wiener Derby war ein Geschichtsträchtiges. Die Peinigung auf dem Rasen ist dabei jedoch völlig nebensächlich. Die kollektive Demütigung, die den anreisenden Rapid-Fans von der Polizei angetan wurde, ist der größte Polizeiskandal in einer langen Liste von Ungeheuerlichkeiten gegenüber Fußballfans. Ein derart langer Freiheitsentzug einer derart großen Menschenmenge ist einzigartig. Doch wie kam es dazu, dass so viele Rapidler unschuldig bei eisigen Temperaturen wie Vieh behandelt wurden?

 

Allseits bekanntes Nadelöhr

Die meistbefahrene Autobahn Österreichs war gesperrt, als der Marsch den schneebedeckten, schmalen Trampelpfad oberhalb der Südosttangente entlang ging. Alles andere wäre seitens der Polizei grob fahrlässig gewesen. Es ist zudem seit Jahren gelebte Praxis, dass der Streckenabschnitt gesperrt wird, bis die Fans diesen Risikobereich kurz vor dem Stadion passiert haben. Vielmehr stellt sich die Frage, warum diese erst kurz nach dem Eintreffen der Fans auf der Autobahnbrücke gesperrt wurde und nicht bereits davor.

Dieser Weg, der oberhalb der Südosttangente vorbeiführt, ist rutschig und eng. Nur ein niedriger Zaun schützt die Menschen davor in die Tiefe zu stürzen. Er ist völlig ungeeignet für eine Anreise von über tausend Menschen. Diese Problemstelle war allgemein bekannt und wird seit Jahren von Fans kritisiert.

Der Einsatzleitung war all das bekannt. Sie setzte dem noch eins drauf und stoppte den Marsch genau dort, obwohl der Bereich wenige Meter weiter vorne deutlich besser dafür geeignet gewesen wäre. Eine mögliche Eskalation wurde bewusst in Kauf genommen oder gar gewünscht. Mit Pfefferspray im Anschlag positionierte sich die Polizei vor und hinter diesem Weg, der auf der einen Seite von einer hohen Wand eines Betriebsgebäudes begrenzt ist und an der anderen Seite meterweit in die Tiefe geht. Es ist der besonnenen Reaktion der Rapidler zu verdanken, dass diese brandgefährliche Situation nicht in einer Tragödie endete.

 

Fragwürdige Rechtfertigung

 Die Polizei begründete den Kessel damit, dass Schneebälle, Getränkedosen, Flaschen und pyrotechnische Gegenstände auf die Autobahn geworfen worden wären. Wir haben Videoaufnahmen vom Corteo gesichtet und darauf ist lediglich zu erkennen, dass einige Schneebälle in Richtung Autobahn geworfen wurden. Dosen, Flaschen oder Pyrotechnik sind darauf nicht zu sehen und konnten von uns auch vor Ort nicht wahrgenommen werden. Auch auf den Hubschraubervideoaufnahmen, die von der LPD Wien selbst veröffentlicht wurden, ist lediglich zu sehen, wie - bevor der Marsch den Trampelpfad erreicht hat - Schnee von der Brücke aus auf die Fahrbahn geworfen wird. Dass dieses kindliche Verhalten nicht sonderlich intelligent ist, liegt auf der Hand. Inwiefern ein paar geworfene Schneebälle dafür geeignet sind, einen derart folgenschweren Einsatz auszulösen, ist jedoch fraglich. Es ist geradezu hanebüchen, die Fans in genau diesem Gefahrenbereich festzusetzen und sie stundenlang oberhalb der Autobahn einzusperren - und das bei fließenden Verkehr.

Alles deutet darauf hin, dass dieses skandalöse Vorgehen von langer Hand geplant war. Die Polizei hatte zu keinem Zeitpunkt vor, die Fans bis zum Stadion zu lassen. Erste Andeutungen dazu gab es bereits bei der Sicherheitsbesprechung. Diverse Wortmeldungen gegenüber Rapidlern am Reumannplatz ließen ebenfalls bereits Böses erahnen. Zudem haben die Erfahrungen anderer Fanszenen in den letzten Monaten bereits gezeigt, wie die Wiener Polizei unter der aktuellen Regierung mit Auswärtsfans umzugehen pflegt.

 

Freiluftgefängnis Laaer Berg

Es dauerte fast sieben Stunden, bis die letzten Menschen wieder frei gelassen wurden. Sieben Stunden in bitterer Kälte, ohne die Möglichkeit auf eine Toilette zu gehen, oder etwas zu trinken. Nierenkranke waren ebenso eingesperrt wie insulinpflichtige Menschen, die keinen Zugang zu ihrer Medizin hatten. Frauen, die Polizisten angefleht hatten, dass man sie doch bitte auf die Toilette lassen solle, wurde gesagt, sie könnten sich ja neben die Wand hocken. Das rücksichtslose Verhalten der Beamten traf alle gleichermaßen - egal ob jung oder alt, ob schwanger oder in Begleitung von Kindern.

Je länger das Martyrium dauerte, desto angespannter wurde die Situation. Menschen brachen aufgrund der Kälte zusammen und mussten aus dem Polizeikessel getragen werden.

Gleichzeitig wurde die Rettung, die von Betroffenen gerufen wurde, von der Polizei wieder weggeschickt. Diese behauptete, es handle sich dabei um Fehlmeldungen und die Fans würden ohnehin von Polizeisanitätern versorgt werden. Der nach Stunden eingetroffene Katastrophenzug der Rettung fuhr nach wenigen Minuten wieder weg, da die Polizei bekannt gab, dass kein Bedarf für ihn bestünde. Wie viele Personen letztendlich von Rettungskräften versorgt oder abtransportiert wurden, können wir nicht sagen, da AktivistInnen der Rechtshilfe die Beobachtung immer wieder untersagt wurde und man uns mit Festnahmen gedroht hat.

 

Skandalöser Einsatz ohne kritische Öffentlichkeit

Eine kritische Beobachtung des Einsatzes war seitens der Polizei während der gesamten Dauer unerwünscht. Die Ablehnung traf Medienvertreter ebenso wie solidarische Menschen, die versuchten den Eingekesselten heiße Getränke zu bringen. Gemeinsam mit dem Klubservice des SK Rapid konnte erst gegen Ende an einige wenige Rapidler notdürftig etwas Tee verteilt werden.

Die Polizeibilanz nach diesen sieben Stunden Freiheitsentzug liest sich wie eine weitere Verhöhnung für die Betroffenen: Eine Anzeige wegen vorsätzlicher Gemeingefährdung und eine verwaltungsrechtliche Festnahme. Dabei hatte die Polizei bereits um 16:07 bekannt gegeben, dass die Tatverdächtigen teilweise ausgeforscht worden waren. Wie die LPD Wien in ihrer Presseaussendung schreibt, waren ihr „einige Tatverdächtigen bereits von früheren Amtshandlungen namentlich bekannt“. Warum man dennoch 1.338 Fans dieser stundenlangen Folter aussetzte, um die ohnehin bereits bekannte Identität der Täter festzustellen, erscheint damit noch absurder.

Dieser Polizeikessel war ein Angriff auf die Rapid-Familie. Doch selbst wenn man mit Fußball und Fankultur nichts anfangen kann, muss dieser entmenschlichende Umgang gegenüber Fans eine Warnung für die gesamte österreichische Zivilgesellschaft sein. Ein derartiger Polizeieinsatz darf in einem Rechtsstaat niemals passieren. Dieses Vorgehen muss Konsequenzen haben und wird unserseits sicherlich nicht einfach so hingenommen werden.

Abschließend möchten wir uns bei allen Rapid-Fans bedanken, wie großartig sie diese Peinigung ertragen haben und eine Katastrophe verhindert haben. Wir sind nicht nur im klirrend kalten Polizeikessel näher zusammengerückt, sondern auch als grün-weiße Gemeinschaft. Dieser Zusammenhalt zeichnet uns seit bald 120 Jahren aus. Lasst uns diesen auch in Zukunft voller Stolz im Stadion zeigen!

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