[HH] Ein paar Gedanken zu Randnotizen der Tagespresse

 

Die Macht des gegenwärtigen Systems und dessen Aufrechterhaltung tritt in der uns umgebenden Welt am sichtbarsten in Form von bewaffneten Bullen, die durch unsere Städte und Dörfer laufen, zu Tage. Im Namen einer vermeintlichen „öffentlichen Sicherheit“, definiert durch die, die herrschen, wird diese durch andauerndes Erscheinen der Streifenwagen auf den Straßen unterstrichen. Weniger wahrnehmbar und in Vielzahl vorhanden sind Kameras im öffentlichen Raum, die jeden Verstoß gegen die Aufrechterhaltung dieser Ordnung dokumentieren. Sie sollen vermitteln, dass keine subversive Handlung im Verborgenen bleibt. Alles wird gesehen und jede*r wird zur Rechenschaft gezogen. Sichtbar und unsichtbar wird diese Ordnung getragen von jenen, die durch ihr Funktionieren die Existenz des kapitalistischen Wahns ermöglichen. Jeder Tag an dem die Menschen stumpf den Alltag am Laufen halten, in dem sie pünktlich zur Arbeit erscheinen, friedlich auf dem Stuhl in der Schule sitzen oder sich auf dem Amt gut benehmen, ermöglicht das Weiterlaufen der Maschine. Unregelmäßigkeiten dieses emotionslosen Schauspiels werden mit Repressionen sanktioniert.

 

 

 

 

 

Ein weiterer grundlegender Pfeiler der aktuellen kapitalistischen Zeit im europäischen Raum ist die Vereinzelung einer*eines jeder*jeden auf der Straße. Der Staat sät Misstrauen wo er nur kann, um selbstbestimmte Solidarisierung zu verhindern. So werden z.B. bedingte „Freiheiten“ konstruiert, um zu vermitteln, dass es etwas zu verlieren gibt. So sind wir alle erpressbar. Ganz nebenbei wird in Zusammenarbeit mit verschiedensten Konzernen und anderen Mächten eine Freiheit definiert, die sich so fest in die Köpfe und Herzen der Menschen eingefressen hat, dass es schwer fällt an eine andere Freiheit zu glauben, geschweige denn für eine zu kämpfen. Es wird eine Gesellschaft erschaffen, in dem die Ignoranz und Manipulation so fest sitzt, dass jede Hoffnung auf eine freiheitliche Veränderung vergebens scheint.

 

Viel zu oft schauen wir mit leicht arrogantem Blick auf unsere Umwelt und empfinden die Menschen um uns herum, die nicht aus den eigenen Kreisen/ Szenen/ Bewegungen stammen, als eben beschriebe Stützpfeiler dieser verhassten Verhältnisse.

 

 

 

Doch wagen wir den Blick über den Tellerrand, so erkennen wir durchaus hoffnungsvolle Eruptionen. Sie brechen immer wieder hier und da aus. Durch das Ignorieren dieser erkennen wir sie nicht als Befreiungsakt. Wir schenken ihnen kaum Beachtung, weil es nicht „unsere“ Leute sind, die ihrer Wut auf das System Luft verschaffen. Wir verweigern diesen Situationen einen Platz in unseren Analysen. Dadurch verpassen wir vielleicht die Chance auf den Ausbau neuer Kompliz*innenschaften und den Austausch von Erlebtem, Gedanken und Gefühlen.

 

Wenn wir von einer sozialen Revolte sprechen, müssen wir uns immer vor Augen führen, dass diese niemals innerhalb einer Szene, deren vorherrschenden Codes und Verhaltensweisen wachsen und entstehen kann.

 

Mit diesem Text wollen wir einigen Geschehnissen Beachtung schenken, ihnen in unseren Medien etwas Platz einräumen und hoffen auf Resonanz und Bezug in eigenen Analysen. Es sind nur Randnotizen im Angesicht anderer vergangener Aufstände auf dem gesamten Globus. Doch nicht die Größe eines Aufstandes bestimmt darüber wie ernst er zu nehmen ist, sondern die Verhältnisse aus denen er erwächst. Im Angesicht dessen, dass es in der BRD kaum den Drang nach Aufbegehren gibt aber dennoch so viel Anlass, erfüllt es uns mit Wut aber auch Hoffnung von folgenden Meldungen zu hören.

 

 

 

Am 14.10.2018 bemalte ein Mensch einen Geldautomaten in der Wohlwillstr. auf St. Pauli. Zivilcops beobachteten ihn dabei und riefen eine Funkstreife, die ihn kontrollieren sollte. Der Mensch verschwand in der Zwischenzeit in eine Kneipe, aus der ihn die eingetroffenen Streifenbullen dann rausholten. Als er sich verbal zur Wehr setzte und laut auf die Situation aufmerksam machte, bildete sich schnell ein Mob, der auf die Größe von 40-50 solidarischen Menschen anwuchs. Die Gruppe versuchte den Menschen vor der Festnahme zu bewahren und fing an, in die Situation einzugreifen. Die Cops, mit diesem Akt der Solidarität maßlos überfordert, riefen Verstärkung, sodass zum Schluss sage und schreibe 42 Streifenwagen und ein Zug Bundesbullen aus Lübeck am Ort des Geschehens waren. Die Bullen versuchten die Solidarischen unter Einsatz von Knüppel und Pfeffer zurückzudrängen. Als Antwort gab es Fäuste, Tritte und Flaschenwürfe. Plötzlich waren alle Personen potentielle Angreifer*innen für die Bullen, sodass großzügig Pfeffer auf Umstehende verteilt wurde. Der Moment endet mit 5 Festnahmen, drei verletzten Bullen und einem Zugführer der Bullen, der mit „Rückzug, Rückzug!“ Rufen das Weite suchte.

 

Das, was bleibt ist eine Randnotiz in der MOPO und Anzeigen wegen Körperverletzung und Landfriedensbruch für die Widerständigen. Was aber vor allem bleibt ist ein Moment des Aufbegehrens. Der Einfluss solcher Situationen sollte niemals unterschätzt werden. Die meisten von uns sind mit der Anerkennung von Autoritäten aufgewachsen und diese als solche zu akzeptieren wird täglich eingetrichtert. Es ist ein kraftvoller Akt diese Konditionierung zu durchbrechen.

 

Situationen wie diese sind deutlicher als spontane Aufstände zu verstehen, wenn man als solche nach ihnen sucht.

 

 

 

Ein anderer Hamburger Stadtteil: St.Georg.

 

Nachdem Bullen bei einer Kontrolle feststellten, dass die Person von der Ausländerbehörde gesucht wird, versuchten sie diese festzunehmen. Die Person setzte sich zur Wehr und die Bullen brachten sie gewaltsam zu Boden. Beim Transport zum Streifenwagen konnte die Person sich losreißen und mit gefesselten Händen flüchten . Sie schaffte es bis zum Besenbinderhof ein paar Ecken weiter, wo sie abermals zu Boden gebracht wurde. Die im Umkreis anwesenden Menschen zeigten sich solidarisch und bedrängten die Bullen mit dem Versuch den Gefangenen zu befreien. Ca. 50 Leute zeigten sich den Bullen feindlich gesinnt. Es ging eine Scheibe am Peterwagen zu Bruch und ein Bulle wurde am Bein verletzt.

 

 

 

Eine weitere vergleichbare Situation erfolgte im Sommer im Schanzenpark.

 

Täglich kommt es zu Überfällen durch Bullen im Schanzenpark, wie auch in der Hafenstraße oder im Flora-Park. Bullen machen rassistischen Hetzjagdten auf junge POC-Personen, die sie des Dealens bezichtigen. Menschen aus der Nachbarschaft haben sich so daran gewöhnt, dass dem kaum noch Beachtung geschenkt wird. Auch die Leute, die im Sommer fast täglich eine konstante Masse von ca. 100 Leuten bilden, um in der Sonne zu liegen, zu grillen, zu kiffen und zu trinken, schenken dem Ganzen in der Regel nur wenig Aufmerksamkeit.

 

Doch an einem Tag im Sommer war eine dieser Festnamen im Schanzenpark noch brutaler und überzogen, dass sich ein Großteil der Personen im Park gegen die Cops stellte und gemeinsam lautstark „GANZ HAMBURG HASST DIE POLIZEI!“ anstimmte. Leider kam es trotzdem zur Festnahme.

 

Bei dieser Situation zeigt sich, dass viele Leuteden G20-Gipfel im Sommer 2017 und viele andere Situationen nicht vergessen und Wut im Bauch haben wenn sie Bullenschläger als solche wiedererkennen.

 

 

 

Eine sehr ähnliche Situation in Berlin Kreuzberg im September:

 

Ein Bürger will einen Fahrraddieb wiedererkannt haben und rief daraufhin die Bullen. Bei der Durchsuchung der Person zeigte sich diese, verständlicherweise damit nicht einverstanden und fing an wütend zu werden. Die Streifenbullen brachten ihn mit heftiger Gewalt zu Boden und schlugen lange auf ihn ein. Die umstehenden Menschen lies die brutale Gewalt nicht kalt und sie begannen die Bullen anzuschreien. Die Cops versuchten die Festname durch Pfefferspray abzusichern. Daraufhin flogen Flaschen, Steine, Aschenbecher und andere Gegenstände in Richtung der Bullen. Die anrückende Verstärkung setzte sich prügelnd durch.

 

Ein sehr brutaler Moment für viele Leute. Aber der, aus unserer Perspektive, positive Nebeneffekt bleibt. Eine schnell größer werdende Menschenmenge hat sich gebildet und die Bereitschaft gezeigt nicht tatenlos bei den Machenschaften der Berliner Bullen zuzusehen.

 

 

 

Was diese vier Situationen eint ist, dass sie jede für sich genommen ein Moment der kurzzeitigen Befreiung oder des Aufbegehrens waren. Es sind Menschen, die sich durch die brutale Gewalt der Autoritäten gezwungen sahen diese anzugreifen oder die aufgrund ihrer Empathie und der Abscheu gegenüber den täglich erlebten Schikanen, den Gehorsam gebrochen haben und revoltierten.

 

Was diese Momente aber noch eint ist, dass sie im antiautoritären und linksradikalen Spektrum kaum Beachtung gefunden haben. Lediglich der Angriff in Berlin hat zur Veröffentlichung einiger Fotos der Cops und eines Textes geführt.

 

Es ist wahrscheinlich, dass Menschen, die ihre Angst überwinden und wenigstens für eine Minute den Schweinen die Stirn bieten, diese Minute nicht so schnell vergessen.

 

Im Sommer 2017 in Hamburg haben viele Menschen sich anlässlich der Unruhen um den G20-Gipfel an aufständischen Momenten beteiligt. Einige der Beteiligten haben vielleicht am Morgen noch nicht daran gedacht teil der Unruhen zu werden. Diese Menschen haben einen Weg aus ihrer Ohnmacht beschritten. Im vergangenem Jahr wurde hierzu schon einiges geschrieben. Viele Analysen gehen in die selbe Richtung.

 

Es sind vielleicht die Selben oder ähnliche Impulse die gesetzt wurden bei Wutausbrüchen in deren Vorfeld die Bullen jemanden getötet haben. Es kann durchaus in Erwägung gezogen werden, dass die Wut in Hamburg oder Berlin, die bei den Festnamen zu Vorschein kam, ein Vorläufer der Ausbrüche in den französischen Banlieues, den schwedischen Plattenbausiedlungen, in London/Tottenham oder der Athener Innenstadt ist.

 

Wir denken es lohnt sich, sich weiterhin Gedanken diesbezüglich zu machen und seine Sinne auch für Ereignisse mit nicht offensichtlichem Bezug zu einem antiautoritären Milieu oder Szene zu schärfen.

 

Die Ideen und Taktiken, die entstehen, wenn man sich nicht vor der Welt verschließt, öffnen oft neue Möglichkeiten. Was wäre zum Beispiel, wenn bei der Festname auf St. Pauli 20m weiter ein Müllcontainer auf der Straße angezündet worden wäre? Wäre es ein Lauffeuer geworden, dass immer mehr Menschen angezogen hätte? Oder was, wenn in Kreuzberg die Streifenwagen fahruntauglich gemacht worden wären? Wie lange hätten die Bullen noch rumprügeln können? Hätte sich die „Ganz Hamburg hasst die Polizei“ skandierende Masse im Schanzenpark anstecken lassen, wenn eine Flasche in Richtung Cops geflogen wäre? Wir werden es nie erfahren, aber wir sollten niemals aufhören darüber nachzudenken, diese Wege zu gehen und passende Impulse zur passenden Zeit zu setzen.

 

 

 

Ein paar Kompliz*innen

 

 

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