Inside Sicherungsverwahrung

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Nach nun über fünf Jahren Aufenthalts in der Freiburger Sicherungsverwahrung (SV) will ich mich im Folgenden mit den sonderbaren Forderungen und Erwartungen näher auseinandersetzen, die die MitarbeiterInnen der dortigen Vollzugsanstalt an die Insassen richten, aber auch mit deren Reaktionen und Verhalten.

Der Behandlungsvollzug

 

Angestoßen von Urteilen des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte von 2009, sowie des Bundesverfassungsgerichts 2004, bzw. 2011 wurde für den Bereich der Sicherungsverwahrung gesetzgeberisch gehandelt und der bis dato praktizierte Verwahrvollzug auf einen an behandlerischen Grundsätzen orientierten Vollzug umgestellt, zumindest nach Ansicht der Justizverwaltungen und Gerichte. In der Praxis erleben die Untergebrachten dies oftmals anders und behaupten die Existenz eines bloßen Verwahrvollzuges, der auf möglichst langfristige Verwahrung, anstatt als auf schnellstmögliche Rückkehr in die Gesellschaft setze.

 

Wie dem auch sei, einer der zentralen Bausteine im Rahmen des „Behandlungsvollzugs" aus Sicht der Anstalten, ist die Bildung von sogenannten Behandlungsteams; es ist ja recht modern von Teambuilding zu sprechen. Wo immer mehrere Menschen zusammenarbeiten, wird heute gerne von Teams gesprochen, so auch in den Haftanstalten. Diese Teams sollen dann all ihren geballten Menschen­ und ggf. auch Sachverstand in die Behandlung der Verwahrten einbringen.

 

Die Teammitglieder der „multiprofessionellen Teams" der Freiburger SV

 

Alle auf den SV-Stationen Beschäftigten verstehen sich, zumindest dem Leitbild SV nach als Mitglieder eines -Zitat- „multiprofessionellen Teams“, welche sich zusammensetzen aus den Bediensteten des uniformierten Dienstes (darunter interessanterweise diverse Ex-Soldaten), den Sozialarbeiterlnnen, ferner den diplomierten und promovierten PsychologInnen, sowie der Leitung der SV-Anstalt. Zu dem Konzept gehört auch, dass sich hierarchieübergreifend alle Beschäftigten duzen.

 

Jedem der bald 60 Freiburger Sicherungsverwahrten, wird ein uniformierter Bediensteter als sogenannter „Bezugsbeamter“ (lediglich zwei der knapp dreißig uniformierten Bediensteten sind weiblichen Geschlechts) zugeteilt. Durch regelmäßige Gespräche mit den uniformierten Beschäftigten, so die Vorstellung der therapeutischen Leitung der Anstalt, soll ein niederschwelliges Gesprächsangebot über alltägliche Themen oder auch Konflikte bereitgehalten werden. Es gibt Insassen die dieses Angebot ausgiebig, um nicht zu sagen ausufernd nutzen bis hin zu jenen, die sich solche Gespräche verbitten.

 

Die Mehrheit dürfte sich zwischen diesen beiden Polen bewegen. Die Mitglieder eines Teams treffen sich mehrfach in der Woche zu Teamsitzungen, in welchen dann über jeden einzelnen Verwahrten gesprochen und darüber auch ein Protokoll gefertigt wird.

 

Anforderungen der Anstalt an die Untergebrachten

 

Es versteht sich eigentlich von selbst, dass eine therapeutische Behandlung von Patienten oder Klienten verlangt sich zu öffnen, deshalb beharrt die Anstalt auch darauf, dass die Insassen ihr Innerstes nach außen kehren. Sich gegenüber den Beschäftigten rigoros öffnen, in Einzelgesprächen, wie auch in den Gruppensitzungen. Hausordnungsgemäßes Verhalten wird als selbstverständlich vorausgesetzt; ebenso wird erwartet, dass die Insassen sich an Gruppenangeboten und milieutherapeutischen Angeboten aktiv beteiligen: angefangen bei den mittwochs stattfindenden Stationsversammlungen (dem „Herzstück des milieutherapeutischen Angebots“, wie die Anstaltspsychologin Frau W. betont), Gartenprojekten, Film- und Spieleabenden, über Kunst- und Bewegungstherapie, bis hin zu Sommer- und Weihnachtsfesten.

 

Wenn man das so liest, unterscheiden sich die Angebote nur im Detail von denen psychosomatischer Kliniken oder vergleichbarer freien Kliniken. Warum nehmen dann in der Praxis nicht alle Insassen diese Offerten an? Weshalb gibt es so viel Widerstand seitens der, Betroffenen gegen diese „Angebote“?

 

So chronifiziert und kreiert die Anstalt Problemfelder

 

Ein Umstand dürfte in der seitens der Inhaftierten erlebten Erfahrung sein, dass das Personal künstlich Problemfelder schafft und bestehende Defizite chronifiziert. Wer in der Sicherungsverwahrung angekommen ist, der ist qua Urteil des Gerichts ein „gemeingefährlicher“ Mensch, zählt nach Ansicht der Justiz zu den „Gefährlichsten der Gefährlichen“, so dass eine umfängliche therapeutische Behandlung unumgänglich ist. Ohne eine solche, so Gerichte, Gutachter und Vollzugsanstalten seien nur sehr, sehr hohes Alter, schwerste Krankheit oder Siechtum geeignet, die attestierte „Gefährlichkeit“ zu reduzieren. In der Vollzugspraxis reichen freilich selbst die Amputation eines Beines, ein schwerer Schlaganfall oder Krebs im Endstadium nicht aus, um freigelassen zu werden.

 

Dabei sollte eigentlich nach der Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts die weitere Vollstreckung der SV so schnell als möglich beendet werden, auf dieses Ziel seien alle Bemühungen intensiv zu richten. Jedoch erleben die Verwahrten oftmals das Gegenteil, viele können sich des Eindrucks nicht erwehren, Ziel sei viel eher eine möglichst lange Unterbringungsdauer. Wie wird diese bewerkstelligt?

 

Hier der Grundkurs für die Sicherstellung einer möglichst langen Unterbringungsdauer von Sicherungsverwahrten, etwas zugespitzt formuliert aus der fiktiven Sicht von Mitgliedern des oben erwähnten „multiprofessionellen Behandlungsteams“:

  1. Wir vermeiden es weitestgehend, Unterschiede im Zeitverlauf wahrzunehmen, bzw. in den Akten niederzulegen;
  2. Wir richten unsere ganze Aufmerksamkeit lieber auf das, was gleichgeblieben ist, beachten also nicht oder kaum, was sich verändert hat. Nur wenn es gar nicht mehr anders geht, finden auch positive Entwicklungen Eingang in die Akten;
  3. Wir beschreiben gegenwärtiges Verhalten der Insassen möglichst konsequent als Ausdruck von Defiziten, niemals jedoch als sinnvolle oder gar kreative Reaktion auf gegebene Umstände;
  4. Wir betrachten deren Verhalten nicht in dessen Kontext, sondern als Ausdruck ewig gleich bleibender Eigenschaften und vor allem Defekte, d.h. insbesondere (schwerer) Persönlichkeitsstörungen;
  5. Wir analysieren möglichst ausführlich, wie und warum die wahlweise überfürsorglichen oder lieblosen Eltern der Insassen, deren Freunde, Bezugspersonen oder wer auch immer, dazu beigetragen haben, dass die Insassen nun vor uns sitzen;
  6. Sehr ausführlich analysieren wir auch viele anderen Themenfelder, denn Zeit steht uns im Überfluss zur Verfügung. Wir denken also nicht an eine erfolgreiche Behandlung binnen Wochen oder Monaten, sondern in Jahren und Dekaden;
  7. Wir sind flexibel in der Interpretation von Verhaltensweisen und wählen dabei tunlichst eine solche, die die Fortdauer der Inhaftierung sichert;
  8. Wir versäumen nicht die Selbstsorge, d.h. wir gehen regelmäßig in Urlaub, besuchen Fortbildungen und verbringen unsere Arbeitszeit lieber in Sitzungen unter Gleichgesinnten, als in direktem Kontakt mit den Insassen;
  9. Insbesondere die erwähnten Sitzungen sind uns ein Herzensanliegen, deshalb halten wir davon mehrere pro Woche ab, auf jeder der vier SV­Stationen, hinzu kommen noch berufsfeldspezifische Sitzungen, Abteilungssitzungen, abteilungsübergreifende Sitzungen und nicht zu vergessen, die regelmäßigen Supervisionssitzungen;
  10. Wir betrachten uns im Übrigen grundsätzlich bei gerichtlichen Klagen, Beschwerden, Petitionen seitens der Insassen, erstmal als Opfer von übler Nachrede und einer völlig übersteigerten Anspruchshaltung der Insassen. Wir vertreten konsequent die Ansicht, die Einreichung von Beschwerden sei Symptom schwerster Persönlichkeitsstörungen der Insassen und sicher nicht Hinweis auf reale Missstände im Gefängnisalltag;
  11. Wenn Gerichte entschieden haben sollten, dass wir Rechte der Insassen verletzt haben, entschuldigen wir uns für diese Rechtsverletzungen prinzipiell nie. Nie! Niemals! In tausend Jahren nicht!
  12. Wenn hingegen ein Insasse, beispielsweise im Treppenhaus und im Vorbeigehen über den dort stehenden Vollzugsleiter sagt, am liebsten würde er nun, wo er seiner angesichtig geworden sei, kotzen, zeigen wir diesen Insassen sofort wegen Beleidigung an und führen ihn der strafgerichtlichen Behandlung zu, denn wir fühlen uns schnell beleidigt und fordern Strafe;
  13. Wie wir überhaupt gerne „artifizielle Behandlungsfelder“ schaffen, d.h. wir kreieren dort wo bislang noch gar kein „Problem“ war ein solches und widmen uns sodann ausgiebig (siehe oben: Ziffern 4,5 und 6) dessen therapeutischer Bearbeitung.

Wer geschafft hat diese 13 Punkte positiv abzuarbeiten, stellt sicher, dass zumindest vor Ablauf von 10 Jahren SV-Vollzug eine Entlassung eines Insassen so wahrscheinlich ist, wie von einem Meteoriten getroffen zu werden und hat zudem das Einsteigerzertifikat für seine Teammitgliedschaft erworben.

 

Diese Liste trifft den Nerv der Wahrnehmung vieler Insassen hier, wie mir in Rückmeldungen vor Veröffentlichung des Artikels zurückgemeldet wurde.

 

Verhaltensweisen von Insassen

 

Nun ist es ja nicht so, dass die Insassen in der SV gelandet wären, weil sie sich besonders prosozial verhalten hätten; selbstverständlich haben sie Verhaltensweisen an den Tag gelegt die auf viele Menschen, selbst auf andere Insassen, ab- und erschreckend wirken. Aber nun in der Verwahrung sitzend, liegen die Straftaten meist lange Zeit zurück: 10, 15, 20 und mehr Jahre- aber weiterhin reduziert man sie seitens der Gutachter, Gerichte und Vollzugsanstalten auf das, was sie vor langer Zeit einmal getan haben, der simplen Logik folgend, dass wer dieses oder jenes getan hat, dies auch weiterhin tun würde.

 

Ja, es gibt auch jene Untergebrachten die dann dieses Vorurteil bestätigen, wie 2015 ein langjährig Verwahrter, der, kaum, dass er die Möglichkeit hatte an einem Badesee ein kleines Mädchen entführte (wobei er sich nicht an dem Kind vergehen konnte, es wurde rechtzeitig befreit). Solche Fälle zu verschweigen nutzt nichts, allerdings handelt es sich um Einzelfälle. Allerdings dominieren dann in der Wahrnehmung solche Einzelfälle und im Versuch diese soweit es geht auszuschließen, werden auch all jene Insassen die lediglich den ihnen verbleibenden Lebensrest in Freiheit zubringen wollen, mit diesen Einzelfällen über einen Kamm geschoren.

 

Oder es gibt Insassen die sich im Grunde in der Haft eingerichtet haben und sich hier so sicher und geborgen fühlen, bei allen Restriktionen die es gibt, dass sie selbst bei fast schon drängenden Angeboten der Anstalt nun in den offenen Vollzug zu wechseln, ihr Bestes geben, um dies nicht wagen zu müssen. Auch aus anderen Anstalten wird berichtet, dass sich nicht wenige Insassen häuslich in den Zellen einrichten, nicht mehr zu bewegen sind an irgendwelchen Angeboten mitzuwirken.

 

Hier schließt sich der Kreis; warum nehmen viele Verwahrte die Angebote nicht an? Meine These lautet: sie fürchten sich vor der Freiheit und damit fügen sie sich passgenau in die Befürchtungen der Beschäftigten, denn diese fürchten sich -unter anderem- vor einem erneuten Rückfall, nicht nur wegen der etwaigen Opfer, sondern weil es für ihr eigenes berufliches Leben unerfreuliche Konsequenzen haben könnte. Sie profitieren also letztlich von Insassen die sich den Angeboten verweigern, denn das erleichtert es die Freilassung zu verweigern, senkt den Begründungsaufwand.

 

Die Furcht vor der Freiheit

 

Schon in der 1940'er Jahren schrieb Erich Fromm ein Buch mit dem gleichnamigen Titel; dort beschrieb er das Phänomen der Moderne, dass trotz all der Angebote ein lebensbejahendes, auf seelischen Wachstum ausgerichtetes Leben zu führen, die Mehrheit der Menschen lieber in autoritäre, destruktive oder konformistische Verhaltensweisen oder Systeme flüchteten. Letztlich gilt aber auch für die Insassen der Verwahranstalten nichts anderes: die Freiheit vor den Mauern lehrt viele das Fürchten, sie ziehen es vor in der Sicherheit des meist seit Jahrzehnten bekannten Systems zu verbleiben, denn das Wagnis eines lebendiges Da-Sein ängstigt sie zu sehr. Vielfach mag dies ein unbewusst bleibender Prozess sein, aber wenn schon die Mehrzahl der Menschen vor den Mauern so lebt, überrascht es wenig, diesem Phänomen auch hinter Gefängnismauern zu begegnen.

 

Bedauerlicherweise tut das Anstaltspersonal wenig, um dieser Furcht zu begegnen; das mag mehrere Ursachen haben. Zum einen handelt es sich bei den Beschäftigten selbst um Konformisten, die sich eingerichtet haben in ihrer kleinbürgerlichen Welt, den zwei Urlauben im Jahr, dem Alkoholexzess pünktlich zur Faschings-Zeit und die froh ihr kleines Alltagsglück genießen, aber selbst auch nicht ein buntes, lebendiges, auf inneres Wachstum gerichtetes Leben zu führen den Mut finden, sie also auf psychodynamischer Ebene letztlich einig sind mit vielen der Insassen: der nämlichen Furcht vor der Freiheit. Wie sollen also gerade sie in anderen Menschen diese Liebe zur Freiheit, zum Leben, dazu zu lieben, sich zu interessieren, zu lauschen und zu geben erwecken können?

 

Zum anderen ist es, wie schon weiter oben angedeutet, für das Personal „sicherer", wenn die Insassen möglichst lange hier in Haft bleiben, denn das verhindert ja in der Tat einige wenige Straftaten, die einige wenige der Insassen tatsächlich begangen hätte, wären sie in Freiheit entlassen worden.

 

Die lebens- und wachstumsfeindliche Umgebung in einem Gefängnis

 

Es ist deutlich geworden, Gefängnisse sind keine guten Orte, an welchen seelisches Wachstum gelingt oder gelingen kann; zwar wurden die SV-Abteilungen fassadär aufgewertet, aber, diese Verschönerungen scheinen mehr eine Form von Verschleierung der Tatsache zu sein, dass hier Menschen endgelagert werden, in der Mehrzahl auf ihren Tod zu warten haben. Menschen haben als Grundkonstante ein Verlangen des Einsseins mit anderen, gerade bei Gefangenen ist dieses Verlangen jedoch verschüttgegangen und hat sich dann in destruktiver Weise Bahn gebrochen. Die Bediensteten glauben, durch die Anhäufung von Aktenvermerken und Notizen über das Verhalten der Insassen, mir klingt noch die lautstark vorgetragene Aufforderung des Anstaltspsychologen M. in den Ohren, wie er die uniformierten Bedienstete, anblaffte, sie mögen „viel mehr aufschreiben", als bis dato üblich. Als ob man dadurch die Menschen beschreiben könnte. Dinge sind beschreibbar, den Begriff mal ganz wörtlich genommen, und letztlich werden die Insassen auch wie tote Dinge im Haftalltag gesehen; da sind die US-Amerikaner ehrlicher. Lange Jahre war dort der Ruf zu hören, sobald ein Todeskandidat mal seine Zelle verlassen durfte, zum Beispiel um in den Hof gebracht zu werden: „Dead man walking“. Sicherlich, es kann viel über jemanden ausgesagt werden, aber seine Individualität in all ihren Ausformungen, sein So-Sein, so einmalig wie die DNA, sie ist niemals vollständig erfassbar.

 

Architektonisch engt das Gefängnis ein. Es bringt in seiner steinernen, zu Beton erstarrten Bauweise symbolisch das Erstarrt-Sein der Insassen, wie auch der Beschäftigten zum Ausdruck; in Freiburg steht es zumal noch mitten in der pulsierenden Stadt. Umgeben vom studentischen, künstlerisch-universitären Leben einer „grünen“ Stadt, steht das Zuchthaus da wie etwas Totes.

 

In einer unlebendigen Umgebung, werden Menschen wie tote Dinge beschrieben und behandelt. Aber steht das nicht in Widerspruch zu den, zumindest auf den ersten Blick sehr lebendig anmutenden Angeboten die ich weiter oben aufgezählt habe?

 

Zum einen behaupte ich nicht, dass in einer Haftanstalt gar kein Wachstum möglich wäre: jede Wüste gibt beredtes Zeugnis davon ab, dass auch unter scheinbar widrigsten Bedingungen Leben zu existieren in der Lage ist. Zum anderen gibt es immer wieder Insassen die sich bemühen, und auch einzelne Bedienstete, aber am Ende wird es für die meisten Insassen darauf hinauslaufen, hier ihr Leben ausklingen zu lassen.

 

Thomas Meyer-Falk, z.Zt. Justizvollzugsanstalt (SV),
Hermann-Herder-Str. 8, 79104 Freiburg

 

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