[Chemnitz] Redebeitrag von solidarischen Genossinnen beim #wirsindmehr Konzert

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Aufgrund der großen Nachfrage, veröffentlichen wir hier den Redebeitrag von solidarischen Genossinnen vom #wirsindmehr Konzert (3.9.18)

Wir sind überwältigt von der breiten Solidarität, die wir in den letzten Tagen erfahren haben! Wir lassen uns nicht unterkrigen, nicht in Chemnitz, nirgendwo!

 

 

Livestream Mitschnitt vom Konzert:

https://www.youtube.com/watch?v=T5zhHhkMosQ

Redebeitrag ab Minute 15.00

 

 

 

 

Ersteinmal vielen lieben Dank, an alle Leute die heute hierher gekommen sind. Danke auch an die Bands, die sich bereit erklärt haben zu spielen, und auch an die Organisator*Innen.

 

Dennoch müssen wir uns fragen, warum wir heute hier sind. Wollen wir nur die Bands hören? Dabei etwas beisammen stehen und uns über schöne Konzerte freuen und danach alle wieder wohlgesonnen Nachhause gehen?
Besteht daraus unser Gegenprotest? Ist das dass, was wir den Ereignissen der letzten Tage entgegenbringen wollen?
Wir müssen uns darüber klar werden, dass die Situation nicht so rosig ist, wie es heute aussieht. Wie es die letzte Woche war, wie es vielleicht kommende Wochen sein wird: Es herrscht keine Partystimmung – es ist ziemlich beschissen.

 

Im Grunde genommen wurde ein tragischer Mordfall, welcher nicht symbolisch für derzeitige politische Verhältnisse steht, von rechten und faschistischen Akteur*Innen für ihre menschenverachtende Ideologie instrumentalisiert. Ebenso sorgte die BILD zusätzlich für ein Sprungbrett rechter Vereinnahmung, indem sie bewusst ungeklärte Tatsachen als vermeintliche Gegebenheiten darstellte.
In Folge dessen, mobilisierten Rechtsradikale Strukturen aus dem gesamten Bundesgebiet, von parlamentarischer Rechte über neonazistische Hooligangruppen bis hin zu militanter Neonazi- und Kameradschaftsszene nach Chemnitz, um zu „trauern“ und sich gleichzeitig „die Stadt wieder zurück zu holen.“ Oder kurz gesagt, mit der Ankündigung die Alexander Gauland so treffend auf den Punkt gebracht hat: „Wir werden sie Jagen“.
Szenen von Hetzjagten auf Migrant*innen und Menschen, die nicht in ihr Weltbild passen durch einen brutalen Mob; Sprengsatz- und Flaschenwürfen auf die Gegendemonstration am Montag und ständiger NS-Verherrlichung mittels Sprechchören und Hitlergrüßen prägten nicht nur die Situation in Chemnitz, sondern auch die internationale Presse.

 

Abgesehen davon, dass hier weder getrauert noch gedacht wird – was sowieso fraglich bei rechter Instrumentalisierung ist, macht es ein tatsächliches Trauern der Angehörigen unmöglich, wenn Rund um die Uhr Rechte und Neonazis an dem Tatort, der Trauerstelle stehen, bzw. besagte Ausschreitungen stattfinden.

 

Hierzu sei auch klar gesagt, dass nicht nur militante Faschist*Innen für diese progromartigen Zustände verantwortlich sind, sie werden auch ganz klar von parlamentarischen Vertreter*Innen gepusht, wie z.B. das klar grenzüberschreitende und drohende Zitat Gaulands, sowie Martin Kohlmanns selbstfeierndes Auftreten am Montag mit rund 100 militanten Neonazis im Rücken, zeigt.
Hier demonstrieren nicht Bürger neben Abgeordneten, neben Fußballfans. Hier demonstrieren allesamt Menschen mit menschenverachtenden Einstellungen, welche sich gegenseitig in die Hände spielen.

 

Ebenso demonstrieren da drüben nicht nur Personen, die irgendwann von der „normalen“ Gesellschaft abgedriftet sind. Rassismus, Sexismus, Fremdenfeindlichkeit und weitere diskriminierenden Einstellungen kristallisieren sich dort an der Spitze des Eisberges in einer perfiden Art und Weise heraus; doch speisen sich letztendlich aus einer Grundlage, auf welche auch unsere Gesellschaft gebaut ist.

 

 

 

Auch an euch, liebe CDU, die ihr den Aufruf für die Gegendemo am Samstag mit unterschrieben habt und euch nun wahrscheinlich um euer Image, um eure Wähler*Innen oder was auch immer – aber sicherlich nicht um Migrant*innen und Geflüchtete, alternative antifaschistische Inhalte und engagierte Aktivist*innen – sorgt:
Auch ihr seid seit Jahrzehnten mit Teil einer Politik, welche Rechtsradikalismus mit verrohender Sprache, menschenfeindlicher Asylpolitik, Relativierungen, Leugnungen und Ignoranz begegnet. Michael Kretschmar – sächsischer CDU Ministerprsident war auch emsig dabei, Ereignisse klein zu reden und uns Antifaschist*Innen zu beschuldigen.
Dieser „Umgang“ mit Faschist*Innen geht auch weit in die nähere Geschichte zurück, von den Ereignissen der letzten Tage, nach Bautzen, Heidenau, Kandel – und auch vor genau 26 Jahren sah es in Rostock Lichtenhagen nicht anders aus. Viel Reue wurde gezeigt bei allen Ereignissen, es wurden Eingeständnisse gemacht – was zurückbleibt sind leere Worthülsen und eine gegensätzliche Politik der Regierungskoalitionen, mancher Oppositionsparteien, sowie der staatlichen Verfolgungsbehörden.
Auch letztere stilisieren sich als „Freund und Helfer“ heraus, wenn es um Gefahrenabwehr, Sicherheit und „Frühwarnsysteme“ geht. In der Realität werden jedoch antifaschistische Aktivist*innen, die sich gegen Menschenfeindlichkeit engagieren, verfolgt, abgehört und schickaniert – auf rechtsradikaler Seite ist man blind, wie der NSU Komplex zeigt.
Speziell die Polizei schätzte die Lage der letzten Woche nicht nur mit massiven Folgen falsch ein, sie wurde überrannt trotz ständiger pompöser Präsenz in der Innenstadt. Gewalt an Journalist*Innen, Hitlergrüße und Ausbrüche wurden schlicht toleriert. Den mutigen Gegendemonstrant*innen, die sich militanten Faschist*Innen entgegenstellten wurde seitens der Polizei vermittelt: Sie hätten weder Kontrolle über die Lage, noch könnten sie bei Ausschreitungen unsere Versammlung schützen - aber offensichtlich sind sie dazu nicht willens. Die Hilfe anderer Polizeieinheiten wie bspw. der Niedersächsischen, die innerhalb von einer Stunde mobilisierungsfähig gewesen wären, wurde abgelehnt.

 

 

 

Danke an die sächsische Polizei, dass das zu anderen Anlässen wie in Wurzen, wo 400 Antifaschist*Innen demonstrierten, mit SEK Einheiten und Wasserwerfern besser geklappt hat.

 

Danke an die Polizei, welche im Hambacher Forst mit einem protzigen Polizeiaufgebot antanzten, um eine einzelne Barrikade zu Räumen.

 

Wo wart ihr in Heidenau, Bautzen und Kandel? Wo wart ihr in Rostock?

 

Ihr habt euer Gewaltmonopol ein weiteres Mal vergeben.

 

Wir wollen uns damit nicht Schutzbedürftig darstellen oder dem überhöhten Drang nach Sicherheit nachgehen. Wir wollen klar stellen, dass wir uns selber um unsere Gesundheit kümmern mussten und müssen, und dies auch getan haben. Danke dazu an alle, welche sich bedingungslos bereit erklären, die Gesundheit aller Teilnehmenden unserer Proteste zu schützen, und dafür auch in gefährliche Situationen zu gehen. Allen sollte klar sein, dass dies nichts mit Gewaltaffinität, mit Herumgeprotze, sondern mit Notwendigkeit zu tun hat.

 

Nur so können wir uns alle gemeinsam und geschlossen als antifaschist*Innen pogromartigen Ausschreitungen entgegenstellen, dauerhafte Position beziehen und eigene Inhalte setzen – sonst wird dies niemand tun, wie uns die Geschichte lehrt.

 

 

 

An dieser Stelle wollen wir uns noch einmal bei allen Anwesenden bedanken. Besonders den Freund*Innen welche von weit her angereist sind, denen, die sich bedingungslos für unsere Sicherheit bereitgestellt haben und denen, die uns solidarisch zur Seite stehen! Nur so können wir unserer Utopie etwas entgegenkommen.

 

 

Wir haben großartige Solidarität erfahren, ohne die wir den Gegenprotest hier in Chemnitz allein nicht hätten stämmen können. Es gab auch etliche Solidaritätsbekundungen, Demonstrationen und Aktionen...
Wir möchten nun auch diese Plattform nutzen, um uns ebenso solidarisch mit anderen Kämpfen zu zeigen.
Wir stehen auch hier, für unsere Freunde und Freundinnen im Hambacher Forst, der einzigen Hochburg von konsequentem Widerstand in Deutschland. Dort besetzen Umweltaktivist*Innen seit nicht weniger als 6 Jahren diesen Wald, der gerodet und anschließend für Braunkohle zu einem riesigen Loch zerbaggert werden soll. Wir wünschen den Freund*Innen Kraft, durchhaltevermögen und viel Erfolg!

 

Und auch weltweit wollen wir uns solidarisch mit allen Freund*Innen stellen, welche für eine bessere Welt kämpfen.

 

So auch mit der kurdischen Befreiungsbewegung, welche im mittleren Osten ein Modell entwickelte, welches für Demokratie, Selbstorganisierung, Ökologie, der Gleichstellung ALLER Bevölkerungsgruppen und Geschlechtergerechtigkeit einsteht. Dieses Modell der Freiheit und des Lebens verteidigen sie nicht nur gegen den Islamischen Staat, Daesh, sondern auch gegen eine faschistische Türkei unter Erdogan, welche sie jüngst Angriff – mit Hilfe von Waffenlieferungen Deutschlands. Auch die Politik hierzulande ist somit verantwortlich für Fluchtursachen, Vertreibung und Folter weltweit.

 

Vor allem der Kampf um die Gleichberechtigung der Geschlechter sollte für uns ein großes Beispiel sein, denn auch wir Leben immer noch in einer Gesellschaft, in der Frauen* strukturell Benachteiligt werden. Sexistische Gewalt ist auch die Grundlage für viele menschenverachtende Tendenzen in unserem Alltag.

 

 

 

Sich für eine bessere Gesellschaft einzusetzen, ist auch zehrend. Vor allem weil wir an uns selber arbeiten müssen. Es kostet etlich viel Kraft, sich im ständigen Kampf mit sich selber und der Umwelt zu befinden. Umso wichtiger ist es, dass wir zu solchen Zeiten eng beieinander stehen, uns gegenseitig unterstützen und mit den Gedanken auch bei den Freund*Innen in anderen Teilen der Welt sind, die sogar ihr Leben dafür lassen.
In Zeiten, in denen scheinbar jegliches Mitgefühl eingefroren ist, wo es bitter kalt um uns herum wird, müssen wir uns besinnen wohin wir wollen – gemeinsam!
Wir müssen uns zusammentun und uns organisieren, um etwas zu verändern, um uns zu unterstützen, um zusammen weiter zu kommen.

 

Wir sind alle Antifaschist*Innen, und wir haben als einzige klar Inhaltlichen Gegenprotest gestellt – und werden dies auch weiterhin tun.
Kommt zum Bündnis Chemnitz Nazifrei, kommt zum antifaschistischen Jugendkongress in Chemnitz und organisiert euch!

 

Alle, die wir heute hier stehen, egal welcher Herkunft, Geschlecht, Hautfarbe und Klasse, aus einem breiten Spektrum der Gesellschaft, stehen hier als Antifaschist*Innen gegen menschenverachtende Ideologien, in Solidarität mit den Betroffenen.

 

Wir sind die die bleiben, die nicht in das Weltbild der Nazis passen. Das Problem ist offensichtlich, und die Stadt muss das anerkennen. Das Bündnis Chemnitz Nazifrei hat weder personell, noch finanzielle noch strukturelle Hilfe von der Stadt erhalten.

 

 

 

 

 

 

 

Wir Stellen uns entschlossen progromartigen Zuständen entgegen!

 

Wir treten für Solidarität mit allen Betroffenen ein, und

 

 

Wir Kämpfen weiter für eine Gesellschaft, in der wir auch Leben wollen!

 

 

Wir sind zwar nicht mehr, aber wir bleiben - aktiv antifaschistisch!

 

Danke.

 

Für die Freiheit, für das Leben, Nazis von der Straße fegen!

 

 

 

 

 

 

 

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