Observation und Telekommunikationsüberwachung mehrerer Personen Ende September/Anfang Oktober 2017

Themen: 
Regionen: 

Durch ein Schreiben der Staatsanwaltschaft München I wurde insgesamt vier Personen am 12.04.2017 bekannt gegeben, dass sie im Zeitraum vom 27. September 2017 bis zum 11. Oktober 2017 Opfer zahlreicher richterlich angeordneter Maßnahmen zur Observation und Telekommunikationsüberwachung geworden waren. Zwar waren nur zwei der Personen Ziel dieser Observationsmaßnahmen, da jedoch zur Überwachung dieser Personen auch die Festnetz- bzw. Mobilfunkanschlüsse jeweils einer*eines Mitbewohners*in angezapft wurden, waren auch mindestens zwei weitere Personen von diesen Maßnahmen erheblich mitbetroffen und wurden deshalb ebenfalls benachrichtigt.

Worum geht es?

Bei den beiden Hauptbetroffenen handelt es sich um die gleichen Personen, die im Zusammenhang mit dem „Für Lau Haus“ bereits zwei Hausdurchsuchungen am 31. August, sowie am 28. September über sich hatten ergehen lassen müssen. Dass die Observationen ebenfalls in Zusammenhang mit den Ermittlungen gegen die Gruppe „Für Lau Haus“ stehen ist aufgrund der zeitlichen Nähe der zweiten Hausdurchsuchung (der Beschluss stammt ebenfalls vom 27.09.2017, die Hausdurchsuchung selbst fand am Folgetag, dem 28.09.2017 statt) mehr als wahrscheinlich, allerdings drängt sich auch noch ein zweiter Verdacht auf:

Die Observationen wurden mit Beschluss der Staatsanwaltschaft vom 11.10.2017 beendet und das zugrundeliegende Ermittlungsverfahren gemäß § 170 Abs. 2 StPO, also weil die Ermittlungen nicht genügend Anlass zur Erhebung der Anklage boten, eingestellt. Die Einstellung der Ermittlungen fällt zeitlich in unmittelbare Nähe zu den Verhaftungen von zwei anderen Personen, die beschuldigt werden, Graffiti im gesamten Stadtgebiet angebracht zu haben und von denen eine Person bis heute in Untersuchungshaft sitzt. Eine dieser Personen wurde von den Bullen am 10.10.2017 festgenommen, die andere am 12.10.2017. Zuvor hatten die Bullen gegenüber der Presse verkündet,   sie hätten eine Ermittlungsgruppe namens „EG Lau“ gegründet, die sich mit der Aufklärung der spektakulären Graffitiserie beschäftige, für die die beiden festgenommenen Personen nun verantwortlich gemacht  werden. Damit hatten die Bullen bereits einen Zusammenhang zwischen der Graffitiserie und der Serie von Hausbesetzungen unter dem Namen „Für Lau Haus“ hergestellt. All dies sind momentan allerdings nur Spekulationen, Gewissheit kann erst Akteneinsicht oder die von den Betroffenen bereits angeregte richterliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit dieser Maßnahmen bringen.

Was wurde observiert?

Am 27.09.2017 wurde durch das Amtsgericht München eine „längerfristige Observation“ gemäß § 163f StPO gegen die beiden Hauptbetroffenen angeordnet. Am gleichen Tag wurde auch der „Einsatz weiterer technischer Mittel“ gemäß § 100h StPO durch die Staatsanwaltschaft München I gegen sie angeordnet. „Hierunter fallen Mittel, die weder das Aufzeichnen von Bild noch von Wort ermöglichen, so u. a. Peilsender, Alarmkoffer und das satellitengestützte Ortungssystem GPS“ (http://www.rechtslexikon.net/d/einsatz-technischer-mittel/einsatz-technischer-mittel.htm) oder Bild-/Videoaufzeichnungen.

Am 29.09.2017 wurde eine Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) gemäß § 100a StPO für vier Rufnummern (darunter zwei Mobilfunknummern für Geräte, die bereits von Staatschutzcops des K-43 am 31.08.2017 beschlagnahmt worden waren). Bei den beiden anderen Nummern handelt es sich um Festnetzanschlüsse eines Mitbewohners einer der Zielpersonen. Offenbar merkten die Bullen erst drei Tage später, am 02.10.2017, dass sie nicht alle Rufnummern des überwachten Festnetzanschlusses erwischt hatten und ließen sich durch das Amtsgericht München die Überwachung zehn weiterer Rufnummern genehmigen.

Am 06.10.2017, sowie 10.10.2017, ordnete das Amtsgericht München dann noch die Telekommunikationsüberwachung (gem. § 100a StPO) der E-Mail-Adresse einer der Zielpersonen, sowie die Telekommunikationsüberwachung (ebenfalls gem. § 100a StPO) der Mobilfunknummer einer Mitbewohnerin der anderen Zielperson, an.

Ist da ein neues Polizeiaufgabengesetz überhaupt noch nötig?

Ende August/Anfang September 2017 verfolgten Polizei, Medien und die gutbürgerliche Zivilbevölkerung in München besonders eifrig eine Serie gentrifizierungskritischer Graffiti.  Als die Bullen dabei über einen langen Zeitraum keinen blassen Dunst hatten, in welche Richtung sie ermitteln sollen oder was sie sonst mit ihrer vielen Zeit anfangen sollen, gleichzeitig aber unter immensem Erfolgsdruck durch Medien und Spießbürgertum standen, beschlossen sie offenbar die moderne Polizeistrategie des mit der Mistgabel im Heuhaufen Stocherns auszuprobieren. Staatsanwaltschaft und Gerichte versorgten sie dazu offenbar bereitwillig mit den nötigen Blankobefugnissen. So begann eine Hetzjagd die sich wahllos gegen als Linksradikale bekannte Personen richtete. Als Ergebnis präsentierten die Bullen der Öffentlichkeit schließlich stolz zwei Personen, von denen eine bis heute in Untersuchungshaft sitzt und seit Monaten auf ihren Prozess warten muss.

Dieser Fall zeigt, wie so viele andere Fälle auch, dass die Polizei in Zusammenarbeit mit Staatsanwaltschaft und Gerichten schon heute Gebrauch von genau den fragwürdigen Befugnissen macht, die ihr durch das geplante bayerische Polizeiaufgabengesetz zukünftig auch ohne richterlichen Beschluss eingeräumt werden sollen.

Ohne einen haltbaren Verdacht (wie die Einstellung der Verfahren zeigt) wurden in diesem Fall Observationen gegen Menschen genehmigt, aber nicht nur gegen sie. Auch unbeteiligte Dritte, die in diesem Fall ausschließlich das Pech hatten, zusammen mit den Zielpersonen zu wohnen, waren von den Observationen betroffen, teilweise wurden sogar nicht nur vermeintlich von den Zielpersonen mitgenutzte Festnetzanschlüsse, sondern auch die Mobiltelefone der Unbeteiligten abgehört.

Ob noch weitere Personen von derartigen Überwachungen betroffen waren/sind, wissen wir nicht, wir können uns aber kaum vorstellen, dass die Observation von zwei Personen in diesem Zusammenhang alles gewesen sein soll.

Welche Konsequenzen ziehen wir aus diesem Fall?

Vor allem verdeutlichen die Telekommunikationsüberwachungen, wie wichtig es ist, bei der Vorbereitung von Aktionen auf unsichere Kanäle, insbesondere auf unverschlüsselte Telekommunikationsverbindungen zu verzichten. Aber nicht nur das: Eigentlich sollte eine Kommunikation grundsätzlich verschlüsselt stattfinden, um auch unsere Strukturen vor der Offenlegung gegenüber den Repressionsbehörden besser zu schützen. Dabei ist es wichtig, dass alle mitmachen, denn schließlich genügt es, dass die Behörden an einem der Endpunkte mitlesen, um umfassende Informationen über Strukturen zu erhalten.

Aber auch die Observationen der in diesem Fall betroffenen Personen geben Anlass zum Nachdenken. Sicher wird es kaum vermeidbar sein, einer gezielten Observation vollständig zu entgehen. Trotzdem sind wir sicher, dass es Möglichkeiten gibt, solchen Observationen teilweise zu entgehen oder diese wenigstens so schwer wie nur irgendwie möglich für die Repressionsbehörden zu machen, über die wir alle in Zukunft nachdenken sollten.

In diesem Sinne solidarisieren wir uns mit allen Betroffenen dieser Observationen ebenso wie mit denjenigen, die es in diesem Fall schlussendlich getroffen hat.

Wir solidarisieren uns mit Max (https://freemax.noblogs.org), der bis heute als Opfer dieser Verfolgungsjagd durch die Bullen im Knast sitzt. Lasst ihn dort nicht alleine. Schreibt ihm oder besucht ihn, um ihm auch weiterhin die nötige Kraft zu geben, den Schikanen und Einschüchterungsversuchen durch den Staat zu widerstehen.

Bleibt unberechenbar!

webadresse: 
Lizenz des Artikels und aller eingebetteten Medien: 
Creative Commons by-sa: Weitergabe unter gleichen Bedingungen

Ergänzungen

erstmal kraft & liebe an euch.

für informartion und maßnahmen gegen observation empfiehlt sich der luchs reade " maßnahmen gegen observation" zu finden hier auf urbanresistance: https://urbanresistance.noblogs.org/files/2015/05/Ma%C3%9Fbahmen-gegen-O...

zu eurem verfahren und dem allg. arbeiten der schweine - wird immer alles höher gehängt als es dann ist, die meisten 129 o.a. verfahren werden eingestellt. die auswertung des 129 verfahren im vorfeld des G8 Gipfels 2007 in Heiligendamm zeigt das ganz gut. zu finden auf autox.nadir: http://autox.nadir.org/buch/auswertung_11_07.pdf