Zur Soliarbeit für einen Angeklagten aus Berlin im Antifa Ost Verfahren

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Wir sind die Soligruppe des Berliner Angeklagten im §129 Antifa Ost Verfahren vor dem OLG Dresden. In einem früheren Verfahren ist er als “Nero” aufgetreten.
Als Soligruppe sind wir Teil des Solidaritätsbündnis Antifa Ost (SAO), unsere Arbeit ist jedoch hauptsächlich auf den Berliner Angeklagten fokussiert.
Im Rahmen des unterschlagenen Alibis unseres Gefährten haben wir uns entschieden, mit einem eigenen Text (LINK) auf die Hintergründe dieser aktuellen Entwicklung und Entscheidungen einzugehen. Da wir die (problematischen) Kontinuitäten in der Soliarbeit, die sich aus dem Label „Nero“ ergeben, weder ignorieren noch verschweigen wollen, finden wir es als seine Soligruppe notwendig, auch zu diesen ausführlicher Stellung zu beziehen.

Wir haben uns im Sommer 2021, kurz vor dem Prozessbeginn in Dresden, als Soligruppe zusammen gefunden.
Die Konstituierung der Soligruppe war nicht einfach. Unser Gefährte war schon einmal 2017 mit dem Vorwurf, einen Bullenheli während Ausschreitungen in der Rigaer Straße mit einem Laser geblendet zu haben, zu einer Knaststrafe verurteilt worden und es gab damals eine Solikampagne um ihn. Als er 2019 aus dem Knast raus kam, erschien im Lifestyle-Polit-Magazin VICE ein Artikel über ihn, an dem er mitgewirkt hatte, der zu einer öffentlichen Kritik und viel interner Kritik an ihm führte. Er selber hatte zu dieser Kritik bis letzten Sommer auch nicht gegenüber seinem Umfeld angemessen Stellung bezogen, was jedoch klar eingefordert wurde. Bis heute gibt es keine öffentliche Stellungnahme.
Daher haben viele von uns, insbesondere viele FLINTAs, immer noch zu kämpfen mit der letzten Solikampagne um “Nero”, dem VICE-Artikel und der fehlenden Positionierung und Auseinandersetzung seinerseits und Teilen seines Umfeldes mit mackerhaftem Verhalten.
Eine Konsequenz daraus war und ist, dass wir gemeinsam beschlossen haben, den damals für die Solikampagne verwendeten Namen „Nero“ nicht erneut aufzugreifen. Insbesondere der VICE-Artikel hat einige der Probleme, die mit einer derart personalisierten Soliarbeit einhergehen können, offen zutage treten lassen. Dynamiken wie Hierarchisierung, Einzelkämpfertum, Selbstinszenierung, Glorifizierung von Gewalt, Mackertum etc. widersprechen unseren politischen Zielen und sollten von uns nicht mitgetragen, sondern kritisiert werden. Erst recht in einem §129 Struktur-Verfahren, oder einem Verfahren, das schon aufgrund der Anklage Gefahr läuft, gängige Klischees über „Antifa-Sportgruppen“ zu reproduzieren.
Gleich auf dem ersten Treffen zu dem jetzigen Verfahren, wurden von den FLINTAs in der Gruppe mehrere Forderungen aufgestellt, die Voraussetzung für eine Soliarbeit sein sollten. Viele FLINTAs stellten klar, dass sie vor allem inhaltliche und organisatorische Aufgaben übernehmen wollten und keine emotionale/ Care Arbeit für den Angeklagten persönlich leisten können oder wollen.
Über die Zeit sind einige FLINTAs aus der Struktur raus gegangen, weil einige ihrer Forderungen nicht ausreichend erfüllt worden sind, so dass eine weitere Zusammenarbeit für sie nicht möglich und sinnvoll schien.

Wir haben uns trotzdem für die praktische Solidarität mit dem Gefährten entschieden. Mit dem Umgang mit Repression, ganz konkret mit den Fahrten nach Dresden, der Geldbeschaffung, all den Orga-Aufgaben und politischen Fragen, wollen wir ihn nicht alleine lassen. Insbesondere ein §129 Verfahren dient dazu, Menschen von ihrem Umfeld zu isolieren. Dem wollen wir entgegen treten. Fehler in der Vergangenheit und auch kontinuierliches Mackerverhalten sind für uns keine Gründe, die Soliarbeit zu beenden, sofern wir in der Soliarbeit Raum schaffen, genau das zu thematisieren und daran zu arbeiten.
Wir sehen diese Bereitschaft zur Auseinandersetzung bei ihm und auch unter uns. Es muss aber auch gesagt werden, dass sich Teile seines direkten Umfeldes der Auseinandersetzung mit ihm im Rahmen der Soliarbeit entziehen. Stattdessen sitzen einige Menschen auf den Treffen, die aufgrund der politischen Notwendigkeit Support leisten wollen, statt aufgrund persönlicher Affinität. Wie so oft, sehen wir eine fehlende Verantwortungsübernahme insbesondere von Typen, sich an solchen schwierigen aber elementaren Prozessen zu beteiligen.

Ein weiterer Grund war für uns, dass wir Einfluss auf das Verfahren nehmen wollten. Das Antifa Ost Verfahren ist eines der größten Strukturverfahren der letzten Jahre und betrifft uns alle in Hinblick darauf, wie viel Spielraum wir dem Staatsschutz und hier speziell der Bundesanwaltschaft lassen, unsere Strukturen in Zukunft anzugreifen. Wir halten es für wichtig dieses politisch zu begleiten und die Angeklagten zu unterstützen, um im besten Fall auch offensive Schritte gehen zu können. Diesem Anspruch sind wir bisher für uns oder das Verfahren nicht in dem Maße gerecht geworden, wie wir es uns gewünscht hätten.

Ein Grund hierfür ist die tiefgreifende Auseinandersetzung um den Outcall von Johannes Domhöver, einer der Beschuldigten in diesem Verfahren. Die ersten Monate der Soliarbeit haben wir uns hauptsächlich mit den direkten Konsequenzen aus diesem Outcall für unsere Struktur und das Verfahren beschäftigt.
Durch den Outcall und durch Kritik von Außen im Zusammenhang damit, war ziemlich schnell klar, dass es für uns vorerst Priorität haben muss sich damit intensiv auseinanderzusetzen. Erst im Laufe der Zeit ist uns die Tragweite des täterschützenden Verhaltens auch in unseren Strukturen klar geworden.

Auch in diesem Prozess wurde wieder viel Arbeit von FLINTAs übernommen. Eine Kosequenz aus diesen Auseinandersetzungen ist, dass das Thema der sexualisierten Gewalt generell, aber auch konkret von Personen in dem Verfahren, regelmäßig Thema auf unseren Treffen ist. Zudem wurde von den FLINTAs in der Soligruppe eingefordert, dass alle Männer in Gruppen sind oder sich solche suchen, die zu diesem Thema arbeiten und diese Arbeit auch in der Soligruppe thematisiert wird.

Auch wenn die anfängliche Fokussierung auf unsere internen Prozesse, viel Zeit in Anspruch genommen hat, war dies notwendig und richtig. Für uns ist dies das Fundament unserer politischen Arbeit zu diesem Verfahren.

Sehr gern beantworten wir eure Fragen und Kritik unter der Mail: aufketten[ät]systemli.org .
 

Soligruppe eines Berliner Angeklagten

 

Links:
Damalige Solikampagne um Nero: https://freenero.blackblogs.org
VICE Text: https://www.vice.com/de/article/3k34gk/nero-berliner-linksautonomer-blendet-polizei-hubschrauber-landet-im-gefaengnis
Kritik an dem VICE Text: „Warum wir keine Märtyrer brauchen“: https://de.indymedia.org/node/35980
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deutsch!! TRIGGERWARNUNG: In beiden folgenden Outcalls geht es um sexuelle und psychische Gewalt:
english !! TRIGGERWARNING both callouts below are about sexualised and psychological violence
„Outing Johannes Domhöver“: https://kontrapolis.info/5272/
„Weiteres Outing Johannes Domhöver“: https://kontrapolis.info/5338/

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