Unsere Sichtweise zu den Brandanschlägen in Plauen

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Am 29.12. und 05.02. brannten zwei Mietshäuser in der Trockentalstraße und der Dürerstraße in Plauen. Die Mehrheit der betroffenen Mieter*Innen waren Roma. Als sich herausstellte, dass es sich bei beiden Vorfällen um Brandanschläge handelte, lag die Vermutung nahe, dass die Taten rassistisch bzw antiziganistisch motiviert waren. In der Zwischenzeit wurde viel spekuliert. Leider sind viele Aussagen ohne Kenntnisse der Situation vor Ort erfolgt.

- Es gibt keine nachweisbare Verbindung der beiden Täter in die organisierte Naziszene. Der Brandstifter aus der Dürerstraße war mit den Opfern – die sich im weiteren Umfeld der Plauener Punkszene bewegten – befreundet und hatte laut Facebook sowohl Kontakte zu Nazis wie ebenso zu Punks und MigrantInnen.
- Belegt ist, dass Passant*Innen und Rettungskräfte angegriffen wurden, als diese die Rettungsarbeiten beim Brand in der Trockentalstraße unterstützen. Dabei wurden Naziparolen skandiert.
- Beim ersten Brand wurden 19 Menschen verletzt, davon vier schwer. Beim zweiten Brand wurden zwei Menschen getötet. Ein Schwerverletzter ist aus dem Koma erwacht. Bei den Toten und dem Schwerverletzten des zweiten Brandes handelt es sich nicht um Roma.
- Die betroffenen Mieter*Innen beider Brände waren mehrheitlich Roma. Mehrere Mieter*Innen, die bereits vom ersten Brand betroffen waren, sind anschließend in der Dürerstraße untergekommen und waren somit auch vom zweiten Brand betroffen.
- Bei beiden Bränden schätzen wir nach ausführlicher Betrachtung ein persönliches Motiv als realistisch ein. Zugleich wurde bei beiden Bränden billigend in Kauf genommen, dass Menschen sterben.

- Dennoch gibt es Unstimmigkeiten: Die Mieter*Innen in der Trockentalstraße berichteten laut Freie Presse davon, dass mehrere Täter*Innen gesehen wurden. Und im Januar erwischten Mieter*Innen der Dürerstraße im Keller des Hauses Unbekannte, die mit einer Flüssigkeit hantierten – möglicherweise ein weiterer Versuch, einen Brand zu legen.
- Bei den beiden Bränden ist ein rassistisches Motiv – wenn auch nicht auszuschließen – nicht konkret nachweisbar. Jedoch sehen wir eine andere rassistische Dimension bei den Anschlägen: Dass die Roma aufgrund struktureller Diskriminierung überhaupt gezwungen sind, unter diesen Bedingungen zu leben. Beide Mietshäuser (und drei weitere Mietshäuser, die ebenfalls brannten) sind im Eigentum des gleichen Vermieters. Die Mietverhältnisse in diesen Häusern sind mehr als prekär – für Schrottimmobilien wie diese verlangt der Vermieter Frank Bürner höhere Mietpreise als in Plauen selbst für intakte Wohnungen üblich ist. Bürner prahlt offen in der “Freien Presse” damit, dass es sein Geschäftsmodell ist, an sogenannte „Randgruppen“ zu vermieten. Belegt ist, dass seitens des Vermieters körperliche Angriffe auf Mieter*Innen – darunter hauptsächlich Roma – stattfanden. Indem er in der Mehrheit Roma – ebenso jedoch auch andere Menschen, die gesellschaftlich ausgegrenzten Gruppen angehören – als billige Arbeitskräfte nutzt und schrottreife, überteuerte Wohnungen an Menschen vermietet, die sonst keine Chance auf eine Wohnung hätten, entsteht ein einseitiges Abhängigkeitsverhältnis zwischen Mieter*Innen und Vermieter. Bürner nutzt die strukturelle Diskriminierung aus und vertritt dies in der Öffentlichkeit offensiv als „Geschäftsmodell“.

- Wir kritisieren die rassistische Presseberichterstattung von „Freie Presse“ und „Vogtland Anzeiger“. So wird ein Stadtviertel, in dem wegen steigender Mieten und Vertreibungsprozessen in der Innenstadt viele stigmatisierte Gruppen wohnen, zum “Roma-Viertel”. Es gibt kein Roma-Viertel in Plauen – beim vermeintlichen „Roma-Viertel“ geht es um lediglich zwei Mietshäuser, in denen mehrere Mietwohnungen von Roma bewohnt waren.

- Wir können nachvollziehen, dass eine kritische linke Öffentlichkeit auf diese Geschehnisse aufmerksam reagiert und finden es grundsätzlich gut, sinnvoll und notwendig, dass rassistische und antiziganistische Stimmungen thematisiert werden. Wir fordern aber dazu auf, von Spekulationen abzusehen und sich allein auf die vorliegenden Fakten zu stützen. Solidaritätsaktionen sollten sich an den Bedürfnissen der Betroffenen orientieren und nach Möglichkeit die Einschätzung von selbstorganisierten Roma-Initiativen und emanzipatorischen Gruppen vor Ort berücksichtigten.

- Vor Ort hat sich eine Unterstützer*Innengruppe gebildet. Ihr Ziel ist es, die konkreten Lebensbedingungen der Betroffenen langfristig zu verbessern – die Zwangsverhältnisse, in denen sich die Roma befinden, zu skandalisieren, Aufklärung gegen Rassismus und Antiziganismus zu leisten sowie auf eine Beendung der Abhängigkeiten hinzuarbeiten.

Solidarität mit allen Betroffenen rassistischer und antiziganistischer Zustände sowie gesellschaftlicher Vertreibung und Stigmatisierung!

Februar 2018,
die Antifaschistischen Gruppen des Vogtlands (AGV)

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