Strafverteidigen gegen Deutschland

Für Antireparbeit vor Gericht gezerrt. Prozessbericht über ein Verfahren zur Stellung von Laienverteidigern vor Gericht.

Wer kennt das nicht: Freunde, die auf der Polizeiwache festsitzen, für Lappalien abgeurteilt werden sollen oder ein Camp, das einfach einen kompetenten Ermittlungsausschuss braucht. Immer wieder ist es gut Wissen über juristische Details an der Hand zu haben, um dem alltäglichen Wahnsinn entgegen treten und bürokratischen Sand in das Getriebe Deutschlands streuen zu können. Dabei gehen die Effekte weiter über schlichtes Ärgern von Polizist*Innen, Richter*Innen oder Staatsanwält*Innen hinaus. Repression verliert erstaunlich schnell an Wirksamkeit, wenn mensch nicht mehr hilflos im Paragraphenwald steht, sondern sich zusammen mit Freund*Innen Wissen aneignet, um den Helfershelfern von Staat und Kapital entgegen zu treten. Eine der Möglichkeit das umzusetzen, ist die Laienverteidigung. Angeklagte beantragen von Freund*Innen verteidigt zu werden um dann gemeinsam vor der/der Richter*In zu sitzen und den Gerichtsprozess selbstbestimmter zu gestalten.
Ein Konzept, das nicht in ferner Theorie existiert, sondern aktiv in vielen politischen oder sozialen Gerichtsprozessen angewandt wird und dazu beiträgt, die repressive Wirkung von Gerichten einzuschränken und oft auch ganz zu brechen. Nicht erstaunlich also, dass auch Aktivist*Innen, die Angeklagte als Laienverteidiger*Innen durch Prozesse begleiten, ins Fadenkreuz der Juristen kommen. So kam es auch zu der Verhandlung wegen Missbrauchs von Titeln vor dem Amtsgericht Fürstenfeldbruck (Bayern).

Der Kontext: M. wird verhaftet um am gleichen Tag wegen Dienstleistungserschleichung (S-Bahn fahren ohne Fahrschein) abgeurteilt zu werden. Ein Freund des Betroffenen bekommt Wind von der Sache und marschiert zu dem Bullen um als Strafverteidiger des Beschuldigten zu selbigen durchgelassen zu werden. Klappt auch alles so weit: Der Freund wird zur Zelle durchgelassen und sitzt im darauf folgendem Gerichtsverfahren als Strafverteidiger neben dem Beschuldigten auf der Anklagebank. Gemeinsam wird an diesem Tag die Anklage soweit auseinander genommen, dass das Gericht von sich aus eine Einstellung anbietet. Jetzt kam es aber zu einem Strafverfahren gegen den Strafverteidiger, da er sich in der Polizeiinspektion Germering als Rechtsanwalt (studierter Jurist mit abgeschlossenen Staatsexamina) ausgegeben haben soll. Der Einspruch gegen den Strafbefehl wurde in 2 Verhandlungstagen verhandelt.

Der erste Tag war äußerst kurz und doch erstaunlich amüsant. Sichtlich irritiert fragte der Richter gleich zu Beginn der Verhandlung, wer denn die Person neben dem Angeklagten sei. Als daraufhin erklärt wurde, es handle sich um die Verteidigung und der Antrag auf Wahlverteidigung (§ 138 StPO) verlesen wurde, war sehr deutlich zu erkennen, dass der Richter noch nie von einer derartigen Verteidigung gehört hatte. Als dann auch noch die Staatsanwaltschaft dahingehend Stellung nahm, dass eine Verteidigung durch Nichtjuristen möglich ist, musste sich der vorsitzende Richter aus Überforderung gleich in sein Kämmerchen zurückziehen um Gesetzesbücher zu wälzen. Die Verteidigung wurde trotz alle dem abgelehnt und das Verfahren schlussendlich ausgesetzt als die
Betroffenen das Rechtsmittel der Beschwerde geltend machten.

Am zweiten Verhandlungstag ereignete sich das selbe Spiel mit ausgetauschter Verteidigung erneut. Plötzlich erging dann der Gerichtsbeschluss

"Es ergeht Beschluss.
XXXXX XXXXXXX wird vorläufig als Verteidigerin zugelassen
Gründe: Die vorgelegten Qualifikation lässt zwar keine abschließende Beurteilung der Geeignetheit zu, jedoch bestehen vorerst keine Bedenken über die Zulassung. Solle sich während der Hauptverhandlung ergeben, dass sie zur Verteidigung dennoch nicht in der Lage ist, müsste ggf. erneut entschieden werden. "

Ein Beschluss der alle die den § 138 StPO kennen in Stirnrunzeln versetzen wird. So etwas wie Verteidigung auf Probe ist schlichtweg nicht zulässig, aber da Richter ja die sind, die sich selbst am wenigsten an die Gesetze halten müssen, kann ein Amtsgerichtsrichter auch mal schnell eine Verteidigung auf Probe dazu erfinden.

Es kam dann zur Vernehmung des Polizeizeugen in der recht schnell klar wurde, dass er den Unterschied zwischen Strafverteidiger und Rechtsanwalt nicht kennt (nur Rechtsanwalt ist ein geschützter Begriff) aber sich trotz seiner Wissenslücken erstaunlich sicher ist, dass der Angeklagte sich als Rechtsanwalt bezeichnet hätte. Das war sogar eine der Antworten, die wie aus der Pistole geschossen kam als sie ihm vom Richter vorgekaut wurde. In der darauf folgenden Beweisführung seitens des Angeklagten wurde gerichtsfest bewiesen, dass er mehrere Strafverfahren verteidigt hat und sich deshalb auch als Strafverteidiger bezeichnen darf. Die Anträge, die darauf abzielten, dass ein einfacher Streifenbulle den Unterschied zwischen Rechtsanwalt und Strafverteidiger nicht kennt, wurden aus haltlosen Formfehlergründen abgelehnt.
Besonders amüsant war auch das cholerische Verhalten der Staatsanwältin, was zu einem bemerkenswerten Bericht in der SZ führte:
http://www.sueddeutsche.de/muenchen/fuerstenfeldbruck/fuerstenfeldbruck-...

Nach einigem Hin und Her Geschreie seitens der Staatsanwaltschaft, kam es dann nach den Plädoyers zur Urteilsverkündung, bei welcher sich der Richter den unglaublich schönen Schnitzer erlaubte erneut die Begriffe Strafverteidiger und Rechtsanwalt zu verwechseln. Bis zum Ende nix kapiert, aber verurteilen.

Nach dem Urteil erging dann Gerichtsbeschluss:
"Es ergeht anliegender Beschluss.
Die Zulassung der XXXXXx XXXXXXX als Verteidigerin wird zurückgenommen.
Gründe: Die Zulassung erfolgte nur widerruflich. Im Laufe der Hauptverhandlung ergab sich, dass XXXXX XXXX nur zum Schein als Wahlverteidigerin bestellt werden sollte. In Wahrheit war keine Verteidigung beabsichtigt. So so stellte YXXXX XXXX keine Frage und keine Anträge. Lediglich der Angeklagte stellte zahlreiche Anträge und Fragen. Den Schlussvortrag las XXX XXXX von einem Blatt ab, dass ihr der Angeklagte hinüber geschoben hat. Sie beteiligte sich in keiner Weise an der Hauptverhandlung."

Ein Beschluss, der wieder alle, die den § 138 kennen in Stirnrunzeln versetzten wird. So wenig eine Zulassung auf Probe formaljuristisch machbar ist, so wenig ist auch eine Zurücknahme einer Genehmigung mit einer derartigen Begründung möglich. Zudem erwecken beide Beschlüsse sehr stark den Verdacht, eine Zurücknahme der Genehmigung war bereits am Anfang der Hauptverhandlung geplant um ein juristisches intervenieren der Verteidigerin außerhalb der Hauptverhandlung zu unterbinden.
Selbstverständlich formaljuristisch absolut nicht machbar aber wie alle Juristen wissen: Legal, Illegal? Scheiß egal.
Es kann daher mit Spannung erwartet werden, welche Paragraphen im weiteren Verfahren noch so aus dem Hut gezaubert, ergänzt und
uminterpretiert werden. Aber egal wie das endgültige Urteil ausfallen wird, davon uns gegenseitig vor Gericht zu helfen, bringt uns keiner mehr ab.

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Ergänzungen