Aufruf zur Solidarität gegen sexistische Gewalt innerhalb unserer Strukturen und Räume [DE & EN]

Am 31. August 2021 wurde folgendes Statement zu den Vorfällen von sexistischer Gewalt, die von einem Bewohner des Hauses der Rigaer Straße 78 begangen wurden, von einer Soligruppe intern, d.h. an verschiedene private Empfänger, per Email veröffentlicht:

Aufruf zur Solidarität gegen sexistische Gewalt innerhalb unserer Strukturen und Räume

TW: Grenzüberschreitendes Verhalten, Beleidigungen, Drohungen, psychische und physische Gewalt

Wir verstehen uns als Delegation von Einzelpersonen, die Teil linker und autonomer Strukturen und Gruppierungen sind. Im Folgenden bringen wir unsere wachsende Besorgnis über das Zusammenleben innerhalb der Räume zum Ausdruck, die Teil dieser Strukturen sind. Anlass für dieses Vorgehen sind die jüngsten Entwicklungen eines Falles sexistischer Gewalt, die von einem Bewohner des Hauses der Rigaer Straße 78 begangen wurde und Gegenstand mehrerer Plena innerhalb des Wohnprojekts war. Unser Bericht basiert auf detaillierten Aussagen der betroffenen Person sowie auf den Erfahrungen einiger von uns, die die Eskalation der Situation bis hin zum emotionalen Zusammenbruch der betroffenen Person miterlebten. Im Folgenden findet eine (unvollständige) Auflistung der Vergehen des Täters und eine Zusammenfassung der entsprechenden Ereignisse statt:

Stalking/ Emotionale und psychische Gewalt:
Stalking, sexistische Beleidigungen und Demütigungen (im privaten und öffentlichen Raum), vehemente Kontrolle, Ausnutzung körperlicher Überlegenheit, Einschüchterungsversuche, ständige Beobachtung, Auflauern auf der Straße, Verfolgungen, Androhungen von Suizid im Falle einer Trennung, Androhung körperlicher Gewalt, Zerstörung von Gegenständen, die der betroffenen Person gehörten

Angriffe und körperliche Misshandlung:
Einbruch in die Wohnung der betroffenen Person am 22. Dezember 2020, massive körperliche Gewalt (Würgen), im unmittelbaren Anschluss forcierte Isolation durch Einsperren (der Täter entwendete der betroffenen Person das Handy und hielt sie fest, um zu verhindern, dass sie weglaufen und um Hilfe rufen könne)

Hintergrund:
Die betroffene Person lebt seit vielen Jahren in unmittelbarer Nachbarschaft zur Rigaer 78 und führte über mehrere Monate eine Beziehung mit dem Täter, der Bewohner der Rigaer 78 ist. Anfang März 2021 trennte sich die betroffene Person von dem Täter, der sie in den Monaten zuvor unter immensen psychischen Druck setzte, um dies zu verhindern. Nachdem der betroffenen Person am Morgen des 17. Mai 2021 zum wiederholten Male körperliche Gewalt durch den Täter angedroht wurde, suchte sie noch am selben Tag das Plenum der Rigaer 78 auf, um über die Geschehnisse zu berichten und um Hilfe zu bitten. Einen Tag später fasste das Plenum einen Beschluss, der ihr im Nachhinein mitgeteilt wurde: Absolutes Kontaktverbot durch den Täter, stationäre Therapie, wöchentlicher Besuch bei einer Therapieeinrichtung für Suchtkranke in Begleitung eines Hausbewohners bis zum Beginn der stationären Behandlung – bei Verstoß gegen einen der Beschlüsse sofortiger Auszug aus dem Wohnprojekt.
Am 28. Juli 2021 erfuhr die betroffene Person, dass der Täter seine klinische Behandlung abgebrochen hatte und in das Wohnprojekt zurückgekehrt war, womit er praktisch gegen alle Beschlüsse verstoßen hatte. Weder wurde sie vom Plenum darüber informiert, noch wurden neue Bedingungen diskutiert oder ausgehandelt. Indem sich die Bewohner:innen des Hauses nicht um die Einhaltung der Maßnahmen gekümmert hatten, setzten sie die betroffene Person einem fortwährenden Risiko psychischer und physischer Gewalt aus, die bereits zuvor lebensbedrohliche Ausmaße angenommen hatte. In der Folge erschien die betroffene Person am Abend des 02. August 2021 erneut zum Hausplenum und forderte die Bewohner:innen zu einer Reaktion und einer Stellungnahme auf. Dort sah sie sich einer äußerst demütigenden Situation ausgesetzt, in der ihr vollkommene Ignoranz und Respektlosigkeit entgegenschlugen. So erinnerten sich viele der Anwesenden sich nicht einmal mehr daran, welche Beschlüsse im letzten Plenum gefasst wurden, weshalb sich die betroffene Person gezwungen sah, denselben Personen erneut Einzelheiten ihres Missbrauchs darzulegen. Dabei betonte sie, dass sich die physischen und psychischen Folgen, unter denen sie seit den Erlebnissen leidet, mit seiner Rückkehr massiv verstärkt hatten. Sie forderte von den Bewohner:innen, dass das Plenum seinen früheren Verpflichtungen nachkomme und dem Täter die genannten Konsequenzen auferlegt würden. Diese Forderung wurde mit der Begründung zurückgewiesen, ihr stände dieses Recht als Nicht-Bewohnerin des Hauses nicht zu. Noch am selben Abend wurden ihr die neuerlichen Beschlüsse mitgeteilt. Er dürfe das Haus fortan nicht mehr alleine verlassen und müsse in stationäre Therapie gehen, bleibt aber Bewohner des Hauses und hat darüber hinaus keine weiteren Konsequenzen zu fürchten.
Am 09. August 2021 forderten drei Bewohner:innen des Hauses den Auszug des Täters. In einem Plenum am 23. August 2021 wurde jedoch die Entscheidung gefällt, dass der Täter nicht ausziehen muss, während die Glaubwürdigkeit der betroffenen Person plötzlich in Frage gestellt wurde. Das Plenum spricht der betroffenen Person nun allerdings eine theoretische Definitionsmacht zu, für den Fall, dass der Täter sie erneut angeht. Damit verrennt sich die Rigaer 78 ein weiteres Mal in Widersprüchen, Ausreden und Täterschutz. Seit Monaten wird der betroffenen Person jede Definitionsmacht aberkannt. Die Vorfälle sind bekannt und werden weiterhin ignoriert. Darüber hinaus werden nun durch den Täter und seine Unterstützer:innen Lügen über die betroffene Person verbreitet, mit dem Ziel sie zu diffamieren und die Vorfälle dadurch abzuschwächen bzw. zu legitimieren.
Vor wenigen Tagen wurde der betroffenen Person seitens einer Gruppe, die sich innerhalb des Plenums formierte, Hilfe angeboten. Der betroffenen Person wurde Unterstützung bei der Suche nach einer neuen Wohnung angeboten. Dieses völlig abstruse und unsolidarische ‚Hilfsangebot‘ verdeutlicht einmal mehr, wie sehr sich die Rigaer 78 jeglicher Verantwortung entzieht und dass die Bewohner:innen des Hauses entweder nicht Willens oder schlichtweg nicht in der Lage sind, sich der Situation angemessen anzunehmen und ernstzunehmende Unterstützung zu leisten.

An dieser Stelle sei erwähnt, dass die betroffene Person bereits seit vielen Monaten medizinische und psychologische Unterstützung in Anspruch nimmt und sie im Rahmen dessen professionell begleitet wird.
Die Auswirkungen der Erlebnisse auf ihre Gesundheit sind massiv. Die betroffene Person sieht sich seit geraumer nicht mehr in der Lage, ihre Wohnung in der Rigaer Straße zu bewohnen. Aus Angst um ihr Leben und zu ihrem Schutz kommt sie bei Freund:innen und solidarischen Genoss:innen außerhalb Friedrichshains unter. Der Täter wähnt sich nach wie vor in einer privilegierten Position, die weitestgehend unangetastet bleibt und ihn von jeglichen Verpflichtungen und Konsequenzen freistellt.
Wir fordern Solidarität mit allen betroffenen Personen sexistischer Gewalt sowie konkrete Konsequenzen gegen die Vergehen des Täters durch die Bewohner:innen des Hauses der Rigaer 78. Hiermit wollen wir eine Diskussion darüber anstoßen, welche politische, soziale und moralische Verantwortung wir innerhalb unserer Strukturen und Räume im Falle solcher Ereignisse zu tragen haben. Wir wehren uns gegen die soziale Ausgrenzung betroffener Personen sowie gegen die fortlaufende Preisgabe ihrer Privatsphäre und ihrer psychischen Traumata.

Wir unterstützen die Kämpfe Betroffener gegen Misshandlung und Ungerechtigkeit und rufen zu einer politischen Reflexion und entsprechender Praxis auf!

Soli-Gruppe und Interkiezionale

Call for solidarity against sexist violence within our structures and spaces

TW: Cross-border behavior, insults, threats, psychological and physical violence

We see ourselves as a delegation of individuals who are part of left and autonomous structures and groups. In the following, we express our growing concern about coexistence within the spaces that are part of these structures. This action is driven by the recent developments of a case of sexist violence committed by a resident of the house of Rigaer Straße 78, which has been the subject of several assemblies within the housing project. Our report is based on detailed testimonies of the affected person, as well as on the experiences of some of us, that witnessed the escalation of the whole situation, till the emotional breakdown of the affected person. The following is an (incomplete) listing of the reported offenses and a summary of the relating events:

Stalking/ psychological and emotional violence:
Stalking, sexist insults and humiliation (in private and public spaces), vehement control, exploitation of physical superiority, attempts at intimidation, constant observation, ambushing in the street, stalking, threats of suicide in case of separation, threats of physical violence, destruction of objects that belonged to the affected person

Attack and physical abuse:
Breaking into the affected person’s apartment on December 22nd, 2020, massive physical violence (choking), in the immediate aftermath forced isolation by locking her up (he stole the affected person’s mobile phone and held her down to prevent her from running away or call for help)

Background story:
The affected person (who has been a resident of a collateral building in Rigaer Straße) previously shared a relationship with the offender. After multiple attempts to end the relationship, the affected person was always submitting to the intense psychological pressure opposed from the offender, until she finally managed to repeal him, at the beginning of March 2021. On the 17th of May 2021, after being threatened with physical violence for the second time, the affected person attended the Rigaer 78 assembly, asking for support. A day later, the assembly reached the following decision, which was communicated to her directly:
Restriction of all forms of contact with the affected person, inpatient treatment against substance addiction (as recommended from a professional therapist) and weekly visit to a psychical therapeutic facility. To secure the implementation of their decisions, the assembly also decided that the offender would be escorted from another resident of the house, until the start of his inpatient treatment. In case of violation of any of the suggested resolutions, the offender would have to immediate evacuate the house project.

On July 28th 2021, the affected person learned that despite the decisions of the assembly, the offender had quitted his clinical treatment and returned to the house, practically violating all the decisions of the assembly. Neither did the plenum inform the affected person about this, nor were new terms discussed or negotiated. By failing to ensure compliance with the measures, the residents of the house exposed the affected person to a continuous risk of psychological and physical violence, which had already reached lifethreatening proportions. Subsequently, on the evening of August 2nd 2021, she appeared again at the house plenum and called on the residents to react and make a statement. There, the affected person was subjected to an extremely humiliating situation in which she was confronted with complete ignorance and disrespect. Many of the attendees did not even remember what resolutions had been passed in the last plenum, which is why the affected person felt compelled to once again explain details of her abuse to the same people. In doing so, she emphasized that the physical and psychological consequences from which she has suffered since the experiences were massively intensified with his return. She demanded from the residents that the plenum fulfill its previous obligation and that the said consequences be imposed on the offender. This demand was rejected based on the excuse that as a nonresident she did not have the right to demand a resident’s eviction. That same evening, she was informed of new decisions on her case: The offender would not be allowed to leave the house without escort and would have to go into inpatient therapy. However, his residency would not be affected and would not have to fear for any further consequences.
On August 9th 2021, three residents of the house demanded that the offender move out. In an assembly on August 23rd 2021, however, the decision was made that the offender does not have to move out, while the credibility of the affected person was suddenly put under question. The assembly now grants the affected person a theoretical power of definition in case the offender approaches her again. Thus, Rigaer 78 gets bogged down once again in contradictions, excuses and offender protection. For months, the affected person has been deprived of any power of definition. The incidents are known and continue to be ignored.
Furthermore, the offender and his supporters are now spreading lies about the affected person with the aim of defaming her and thereby weakening or altering the incidents. A few days ago, the affected person was offered help by a group that formed within the plenum. The affected person was offered support in finding a new apartment. This completely abstruse and unsolidary ‚offer of help‘ illustrates once again how much Rigaer 78 shirks any responsibility and that the residents of the house are either not willing or simply not able to adequately address the situation and provide serious support.
At this point, it should be mentioned that the affected person has already been receiving medical and psychological support for many months and has been professionally accompanied in this context. The effects of the experiences on her health are massive. The affected person has not been able to live in her apartment in Rigaer Straße for some time. Fearing for her life and for her protection, she finds shelter with friends and comrades in solidarity outside of Friedrichshain. The offender still believes himself to be in a privileged position that remains largely untouched and frees him from any obligations and consequences.
We demand solidarity with all affected persons of sexist violence as well as concrete consequences against the offences of the perpetrator by the residents of the house of Rigaer 78. Hereby we want to initiate a discussion about which political, social and moral responsibility we have to bear within our structures and spaces in case of such events.
We oppose the social exclusion of affected persons as well as the ongoing exposure of their privacy and their psychological traumas.

We support the struggles of affected persons against mistreatment and injustice and call for political reflection and corresponding practice!

Soli-Group and Interkiezionale

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