Erster Ausflug in Freiburger Innenstadt

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Seit der Verhaftung 1996 durfte ich mich außerhalb der Gefängnismauern

erstmals wieder 2014 im Rahmen einer von drei Wärtern bewachten und an den

Händen gefesselt bewegen; ich besuchte Freundinnen in Stuttgart und Bretten (bei

Karlsruhe). Nun durfte ich erstmals ungefesselt einen Spaziergang durch Freiburg

absolvieren.

 

Wollen Sie essen gehen?

 

Schon Wochen vor der Ausführung sollte eigentlich detaillierter erörtert und

geplant werden, wie der Spaziergang ablaufen soll, was ich reichlich sonderbar fand,

denn ein Spaziergang ist ein Spaziergang und da er in die Innenstadt gehen sollte,

eigentlich auch nicht eine Aktivität die überragender intellektueller Leistung oder gar

Planung bedürfe. Man einigte sich auf eine grob umrissene Route. Und dann kann

die Gretchen-Frage: "Wollen Sie was essen gehen?"

 

Nein, wollte ich nicht. Andere Insassen gehen mit Bediensteten in Restaurants und

erfreuen sich daran, einmal bedient zu werden, ein gutes Essen zu genießen,

verbunden mit Smalltalk mit den bewachenden Beamten. Meine Sache ist das nicht,

ich esse aus Prinzip nicht zusammen mit Justizvollzugsanstalt-Personal, nicht mit

Staatsbediensteten die mich „bewachen", d.h. auch die Zellen durchsuchen, die

körperlichen Durchsuchungen durchführen, mich im gegebenen Falle auch fesseln

würden. Nicht mit Menschen die durch ihre Stellungnahmen und Einlassungen

wesentlich für die Fortdauer der Inhaftierung der Sicherungsverwahrten

verantwortlich zeichnen. Alles andere Verhalten hat für mich schon etwas vom

bekannten „Stockholm-Syndrom", der Überidentifikation mit dem Aggressor, von dem

Leib und Leben abhängen.

 

Noch am Morgen der Ausführung fragte einer der mich begleitenden Beamten, Herr

Obersekretär L., ob „wir" tatsächlich nichts essen gehen würden. Als ich verneinte,

verließ er die Station und als er später zurückkam, betonte er ostentativ, er habe nun

noch lecker ausgiebig gefrühstückt! Die Psychologin sprang ihm bei und ließ wissen,

sie habe sich extra ein Getränk mitgenommen.

 

Nachdem also das Personal mental und körperlich gestärkt war, konnte es losgehen.

 

Tennenbacher Straße

 

Die Abteilung für Sicherungsverwahrung (SV) gehört zwar organisatorisch zur

Strafanstalt der Justizvollzugsanstalt Freiburg, hat jedoch einen eigenen

Eingang: Tennenbacher Str. 16 (Straßenschild, siehe Photo 1).

Von dort ging es gegen 9 Uhr am Morgen los. Bewacht von zwei durchtrainierten

Gefängnisbeamten -in zivil-, sowie der Diplom-Psychologin W., einer in der SV

tätigen Therapeutin, die beobachten wollte, wie ich mich außerhalb der Anstalt

verhalte. Hier hatte wohl jemand seinen Foucault gelesen („Überwachen und

Strafen“), d.h. der Insasse der zum Objekt der vollständigen, umfassenden

Überwachung wird, selbst auf einem Spaziergang muss er sich nicht nur an der

Flucht (durch die Gefängnisbeamten) hindern lassen, er ist permanenter sach- und

fachkundiger Beobachtung ausgesetzt.

 

Der erste Weg führte zu dem nahe gelegenen Friedhof.

 

Alter Friedhof

 

Friedhöfe mochte ich schon immer, diese Höfe des Friedens, die in den

Städten der Modeme auch Orte der Stille sind, haben ihren ganz eigenen Reiz. Der

von mir besuchte, ist schon 1683 eröffnet und dann 1872 geschlossen worden, d.h.

seitdem gab es dort keine Beerdigungen mehr (Photo 2).

 

Ich war also nicht etwa auf der vorzeitigen Suche nach einer Grabstelle (wiewohl das

sicherlich nicht das unvernünftigste wäre, denn hier in der SV ist die Wahrscheinlichkeit

zu versterben, größer, als jene frei gelassen zu werden).

Die Grabmäler (Beispiele auf den Photos 3 und 4) zeugen von vergangenen Tagen.

Das herabgefallene Laub vermittelte gut den Kreislauf des Lebens von Werden und

Vergehen.

 

Stadtgarten und Münster

 

Danach ging es durch den Stadtgarten, mit Blick auf den Schlossberg (Photo

5), sowie vorbei an einer modernen Keramikskulptur (Photo 6) und über eine Brücke

(Photo 7), auch mit Blick auf das bekannte Freiburger Münster (Photo 8), welches

kirchenrechtlich eigentlich ein Dom ist, denn Freiburg ist Bischofssitz in die

Innenstadt.

 

Immer mal wieder versuchte Frau W. ein Gespräch zu beginnen, allerdings hatte ich

schon im Vorfeld der Ausführung angekündigt, auch die kommende Ausführung so

abzuhalten, wie die vorherigen, an welchen sie nicht teilnahm. Nämlich ohne

wesentliche Kommunikation mit dem Personal; dessen Aufgabe mag man in der

Bewachung sehen, und andere Insassen betrachten sie auch als ihre

Bezugspersonen. Gehen mit ihnen ausgiebig speisen, führen intensive Gespräche,

teilen sich und ihr Innersten mit.

 

Dies liegt möglicherweise auch daran, dass für viele von den Mitverwahrten, die

Bediensteten die einzigen Bezugspersonen sind, da sie über keine familiären

und/oder freundschaftlichen Beziehungen zu Menschen außerhalb der Anstalt

verfügen.

 

Der Platz der Alten Synagoge

 

Dann ging es über den Münsterplatz auf dem gerade die Marktstände

eröffneten, Obst und Gemüse der Gegend feil bietend, direkt zu dem nur wenige

Minuten entfernten Platz der Alten Synagoge (Photo 9).

 

Die im 19. Jahrhundert erbaute Synagoge wurde 1938 von Freiburger SS-Schergen

in Brand gesetzt und zerstört.

 

Bis zur Freilegung der Grundmauern vor nicht allzu langer Zeit, war dort Rasen und

Parkfläche. 2017 wurde das Denkmal eingeweiht: ein Wasserbassin das die

Grundmauern der Synagoge nachzeichnet und von Frühling bis Herbst mit Wasser

bedeckt ist. Allerdings gab es keine leicht zu sehende Informationstafel. Zwar war in

das Bassin eine Gedenkplatte mit Text eingelassen, sobald aber das Wasser

eingefüllt ist und über die Fläche fließt, war der Text nur schwer zu entziffern, oder

überhaupt wahrzunehmen, dass dort ein Text sein könnte.

 

Schon im Sommer 2017 kam es zu heftigen Diskussionen, denn Leute kühlten ihr

Bier an heißen Sommertagen in dem Bassin, Kinder spielten und planschten, und

viele hielten ihr Füße ins Wasser. Gegenüber des Platzes ist die Uni-Bibliothek Uener

futuristisch anmutende Bau der auf Photo 9 im Hintergrund zu sehen ist), und die

juristische Fakultät grenzt auch noch an den Platz an.

 

Erst spät kam man also städtischerseits auf die Idee zwei Informationsstelen

aufzustellen (Photo 10).

 

Einkauf und Rückkehr in die Tennenbacher Strasse 16

 

Da ich um spätestens 14:30 Uhr wieder in der Justizvollzugsanstalt zu sein

hatte, ging ich nun noch in einen Spieleshop, einen Drogeriemarkt und in einen

Supermarkt, um ein bisschen einzukaufen, zu Preisen, von denen wir hier in der

Justizvollzugsanstalt, als Zwangskunden eines Monopolisten, nur träumen können.

Zuletzt schaute ich bei einem türkischen Obst- und Gemüsehändler vorbei, der einen

kleinen Laden direkt schräg gegenüber von der SV-Anstalt betreibt.

 

Beim hineingehen fragte Frau W. noch, wie für mich die Ausführung denn nun

gewesen sein, was ich mit einem „In Ordnung" quittierte. Sie bemerkte dann noch,

sie sei schon im Vorfeld davon ausgegangen, dass es eine „sehr funktionale

Gestaltung" geben würde, auch was die Kommunikation anbetrifft. Sie wies auf eine

Bemerkung hin die sie während des Spazierganges gemacht habe, als sie auf den

blauen Himmel und die hervorbrechende Sonne hingewiesen hatte. Bei anderen

Untergebrachten hätte sie dann den Vorschlag gemacht, sich irgendwo hin zu

setzen, z.B. in ein Café, aber bei mir habe sie auf solch einen Vorschlag verzichtet,

da sie sich die zu erwartende „Abfuhr" habe ersparen wollen.

 

Und so kam ich „rechtzeitig" zurück in die Anstalt.

 

Ausblick

 

Vier Mal im Jahr haben Sicherungsverwahrte Anspruch auf eine Ausführung,

es hat jedes Mal die Anmutung, als würde man „Disney World" besuchen, d.h. eine

ferne Welt, die doch eigentlich nur durch eine Betonmauer ferngehalten wird. Man

darf mal an der Karotte riechen, bevor sie wieder für Monate weggeschlossen wird.

 

Sonderbar finde ich das verärgert erscheinende Verhalten einiger Bediensteter,

wenn die Insassen offenbar nicht ausreichend Rücksicht auf deren Bedürfnisse

nehmen. So ließ ein Beamter während der Ausführung im Gespräch mit seinem

Kollegen lautstark wissen, er habe zwei Stunden mit dem Insassen X. in eben jener

Buchhandlung an der wir gerade vor bei schlenderten verbringen müssen.

„Geschlagene zwei Stunden!" Das Tremolo der Empörung klingt mir noch heute in

den Ohren. Oder eben in meinem Fall, die Eigenart, nicht mit dem Personal essen zu

gehen. Immer wieder berichten mir Insassen, wie Personal mal offen, mal subtil

versucht eigene Wünsche durchzusetzen, was die Gestaltung von Ausführungen

anbelangt.

 

D.h. letztlich hat man als Insasse selbst von den wenigen Stunden die einem der

Gesetzgeber pro Jahr an Ausführung zubilligt, möglichst auch noch Einschränkungen

hinzunehmen, die einzig dem Wohlergehen des Personals geschuldet sind.

 

Ja, das waren die vier Stunden Ausführung am 5.Dezember 2017.

 

Thomas Meyer-Falk, z.Zt. Justizvollzugsanstalt (SV),

Hermann-Herder-Str. 8, 79104 Freiburg

 

Blog: https://freedomforthomas.wordpress.com

Archiv: http://www.freedom-for-thomas.de

 

Anmerkung: Die Archivseite hat nun die Freundin und Genossin die meine Seite und

den Blog seit langen Jahren betreut, dankenswerterweise auf den aktuellen Stand

gebracht!

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