Die Münchner Antifa als linker Arm der Sozialdemokratie

Die sogenannte radikale Münchner Linke macht in den letzten Monaten immer wieder
auf sich aufmerksam, indem sie sich auf Verhandlungen mit Parteien und Gewerkschaften
einlässt. Dieser Schulterschluss mag wenig überraschend sein, neu ist allerdings die Qualität der
öffentlichen Distanzierungen und das Maß an Opportunismus auf welches sich eingelassen wird,
um eine Einigung zu erzielen.

Dieser Text versucht nicht zu erklären, wie es so weit kommen konnte, sondern versucht eine
grundlegende Kritik an dem zu formulieren, wie Linke in München Politik machen, um zu
fragen, wie eine radikale Konfrontation mit dem Bestehenden stattdessen ausschauen könnte.
Wenn hier in kollektiven Begriffen wie „die Linken“ geredet wird, dann nicht, um verschiedene
Leute über einen Haufen zu scheren, sondern um generelle Trends und Dynamiken innerhalb
der Linken zu kritisieren. Mir ist bewusst, dass manche Gruppen und Leute in Räumen und
Strukturen über mehr Macht als andere verfügen – wer das toleriert, ist selber schuld. Diese
Kritik zielt nicht auf einen Einzelfall oder eine einzelne Gruppe und es geht auch nicht um das
Beschmutzen einer Identität um sogleich eine andere zu bestärken. Mir geht es um eine Kritik an
der Methode, an dem wie man seine Kämpfe gestaltet und gestalten will. Denn nur nach dem zu
fragen, was man will – die Revolution, die Anarchie, den Kommunismus – heißt noch lange nicht
geklärt zu haben, wie man dorthin gelangen will.

Um sich zu organisieren, braucht man Räume, und der einzige Raum, über den die radikale
Linke in München verfügt, ist von den Geldern und dem Wohlwollen der Stadt und deren
Politikern abhängig. Der Stadt Geld aus der Tasche ziehen – warum nicht? Allerdings schließt
diese städtische Befriedungsstrategie den Umstand mit ein, dass jedes Jahr mit einer Schließung
der Räume gedroht wird. Die Linke nimmt das ernst, denn ohne diesen Raum wäre ihre Existenz
bedroht, und so geht sie mit denkbar schlechten Karten in Verhandlungen mit der Stadt.
Schon an diesem Punkt muss man sich fragen: Was hat es für Konsequenzen sich von der Stadt
abhängig zu machen? Wie kann man Räume erkämpfen – wie kann man Räume öffnen, die
autonom und unabhängig sind?

Nun, wenn wie jedes Jahr, und besonders vor den Wahlen, die Räume für den Rundgang der
Journalist_innen und Politiker_innen inhaltlich und äußerlich gesäubert werden, schaut es meist
gut aus, und man hat sich eine weitere befristete Nutzungserlaubnis erbettelt. Anders kam esdieses Jahr: In Folge eines CSU-Antrages zur Schließung der Räume, sahen sich die „Vorstände“ der Räume und einige Nutzungsgruppen genötigt, ihr „politisches Standing“ durch einen Brief – erst an die SPD, dann auch öffentlich – zu sichern. Den Inhalt kann man so herunterbrechen: Ein Plakat, das zum Hass und Kampf gegen Bullenschweine aufruft, wird zum Anlass genommen, die „Achtung und Wahrung“ einer weiter nicht definierten „Menschenwürde“ ausnahmslos in allen politischen Konflikten einzufordern. In diesem Sinne wird sich von jeglicher Konfrontation mit Polizist_innen distanziert.

Ich hingegen denke, dass man seine Würde nicht in der „Achtung“ vor der Polizei wahrt, sondern
im Gegenteil nur im Widerstand und Angriff gegen die Ordnungshüter_innen zurückerobert.
Menschen, die sich freiwillig dazu entscheiden, eine unterdrückende und ausbeuterische
Ordnung bewaffnet zu verteidigen, können wir nicht auf Augenhöhe begegnen, indem wir
unseren Begriff von Würde an ihren würdelosen Anspruch an das Leben anpassen. Die
menschliche Würde entfaltet sich dort, wo kein Mensch über den anderen herrscht oder
bestimmt, egal ob mit oder ohne Uniform.

Doch waren Teile der Münchner Linken nicht nur dazu bereit, sich zu dieser Distanzierung
herabzulassen, nein, einige planten auch in dem darauffolgenden Monat einen Antifa-Kongress
im Gewerkschaftshaus abzuhalten – Problem: Ein Teil eben jener Bullenschweine, bei denen
man sich gerade noch eingeschleimt hatte, ist in diesem Gewerkschaftsverband organisiert – und
natürlich gefiel ihnen der geplante Kongress nicht. Und wieder begann die gleiche Geschichte von
vorn: Aus der Angst eine bestimmte Räumlichkeit zu verlieren (die eine gewisse gesellschaftliche
Akzeptanz genießt) waren sich die Antifas nicht zu schade dafür, eine weitere korrumpierende
Stellungnahme zu schreiben.Wieder folgt eine Distanzierung von jeglicher Form der Gewalt und
gleichzeitig die Erklärung, dass Antifaschismus ohnehin offen für alle sei – unter anderem auch
für „Sozialdemokrat_innen (...) und kirchliche Gruppen“.
Nun gut, jetzt hat die Linke ihren städtischen „Freiraum“ und ihren „Kongressraum“, den sie sich
mit Bullen teilt und in welchen sie ihre Freunde von SPD und Kirche auch gleich einlädt.
Aber zu welchem Preis?

Wenn wir eine Revolution wollen, eine Zerstörung und Überwindung jeglicher autoritären und
ausbeuterischen Struktur, warum sollten wir dann im hier und jetzt um die Akzeptanz und das
Wohlwollen eben dieser Autoritäten betteln?

Die Sozialdemokrat_innen sind keine Genoss_innen, sondern Kriegstreiber_innen und
Verwalter_innen des Elends; die Kirche ist keine wohltätige Organisation, sondern seit jeher dass
Sinnbild von Patriarchat, Homophobie und Sexismus und die Bullen sind diejenigen, die auf uns
und alle vom System Unerwünschten Jagd machen, sie sind diejenigen, die uns und unsere
Freund_innen einsperren, abschieben, foltern und töten. Sich gegen die Polizei zur Wehr zu
setzen ist Gegengewalt, wenn nicht Selbstverteidigung. Die Gewalt, die Kriege und die Folter, die
diese Welt überschatten, gehen von der staatlichen und kapitalistischen Ordnung und denjenigen
aus, die sie verteidigen und aufrechterhalten (z.B. Bullen, Parteien und Journalist_innen, ihren
Institutionen etc.) – und nicht von Individuen, die sich dagegen wehren. Wer diese Position nicht
teilt, mit der habe ich nichts, also wirklich absolut überhaupt nichts gemeinsam.

Denn eine Kritik und Konfrontation des bestehenden gesellschaftlichen Elends wird nicht
dadurch stärker, dass man sie den Umständen und Zuhörer_innen anpasst, um möglichst vieleLeute hinter dem eigenen Banner zu versammeln. Revolutionäre Ideen beweisen Stärke, wenn sie Kompromisse und Zugeständnisse ausschlagen und stattdessen bereits hier und heute, in unseren Kämpfen, ein Stück von dem verwirklichen, für was sie stehen: Die radikale Ablehnung von Machtstrukturen und die freie Entfaltung aller Individuen.

Wer in dem einen Moment revolutionäre Phrasen drischt und und „Ganz Hamburg hasst die
Polizei!“ gröhlt, sich im nächsten Moment aber so angepasst wie nötig gibt und zu einem
achtsamen Umgang mit Bullen aufruft, macht sich nicht nur unglaubwürdig, sondern auch
lächerlich. Wer sich derart auf das Spiel der Politik einlässt und um Anerkennung, Macht und
Status innerhalb von diesem sucht, um ja ein paar Vorteile abzusahnen, macht sich erpressbar
und verleumdet sich selbst.

Wenn Antifaschist_innen so verkrampft nach Verbündeten in der „Mitte der Gesellschaft“
suchen um gegen Nazis zu kämpfen, wundert es nicht, dass sie den Militarismus, die autoritären
Rollenbilder und das unterwürfige Leistungsdenken, welche der Faschismus überspitzt und
gesteigert vertritt, in genau dieser „Mitte der Gesellschaft“ nicht offensiv konfrontieren wollen.
Wer sich so weit an die bürgerliche Demokratie anbiedert, muss sich nicht wundern, wenn die
„Genoss_innen“ alle vier Jahre ein Kreuz auf dem Wahlzettel für das „geringere Übel“ machen.
Die Faschist_innen sind unsere Todfeinde, keine Frage, aber sind sie das einzige gegen was wir
kämpfen? Und wie weit ist es mit den Antifaschist_innen gekommen, wenn sie in der Bemühung
nicht isoliert dazustehen oder ein böses Bild abzugeben, davor zurückschrecken, die
Notwendigkeit von Gewalt und Angriffen auf Faschist_innen zu betonen?

Man sollte kein Blatt vor den Mund nehmen, um der SPD oder den Grünen besser zu gefallen,
wenn es heute tatsächlich wieder notwendig wird klar zu stellen: Schlagt die Faschisten, wo ihr sie
trefft. Punkt. Alles andere ist Opportunismus. Alle, die behaupten, dies sei Verbalradikalismus
oder Gewaltverherrlichung, schütten Pisse auf die Gräber unserer ermordeten und vergasten
Gefährt_innen.

Unsere Ideen eines herrschaftsfreien Lebens verbreiten wir nicht, indem wir nach einem kleinsten
gemeinsamen Nenner mit der „Mehrheitsgesellschaft“ suchen und aus einer
Rekrutierungsstrategie heraus unsere generellen Kritiken verstecken, eine Konfrontation zwischen
unterschiedlichen Ideen und Zielen vermeiden und unsere Kämpfe so nur in die ewige Zukunft
verschieben. Nur wer seine Herz auf der Zunge trägt, spricht ehrlich über seine Intentionen und
Perspektiven.

Wenn wir eine Revolution wollen, also eine radikale Umwälzung der Welt, dann müssen wir
nach den Konflikten und Bruchlinien innerhalb der Gesellschaft suchen, nach den Leuten die
sich im alltäglichen Konflikt mit der Ordnung befinden. Trotz Repression, Befriedung und
autoritären Zeiten, sind die Widersprüche in dieser Gesellschaft offensichtlich und um
Mitstreiter_innen zu finden, müssen wir uns nicht an jene richten, die offensichtlich wollen, das
alles so bleibt, wie es ist. Wenn wir unsere Ideen und Vorschläge nicht nur direkt formulieren
sondern auch leben, entstehen Dynamiken innerhalb der gegenwärtigen sozialen Spannungen,
innerhalb welcher eben jene Ideen und Vorschläge an Bedeutung gewinnen.

Wer seine Ablehnung der Polizei nicht über die Lippen bringt, isoliert sich vielleicht nicht
gegenüber der Politik, aber gegenüber den Feinden der Polizei. Wer die Kooperation mitParteien sucht, isoliert sich gegenüber jenen, die sich nicht in diesen autoritären Vereinen
organisieren wollen. Wer nur im Parlament nach Allianzen und Kompliz_innen sucht, verliert
den Blick für die Straße. Und wer nur auf die Rechten guckt, verschließt sein Auge vor dem Rest.
Oder, wie es ein Bündnis nach den Krawallen in Hamburg formulierte:
„Anstatt Kopfnoten für den „richtigen Protest“ zu verteilen, sollte die radikale Linke daher lieber
fragen, wen sie eigentlich erreichen will: Die braven Bürger*innen bzw. Hilfspolizisten, die es gar
nicht abwarten konnten im Blitzlichtgewitter am Sonntag die Mülltonnen wieder aufzustellen, die
während der Randale umgeworfen wurden? Oder die Zehntausenden, die auf ganz
unterschiedliche Art und Weise deutlich gemacht haben, dass sie nicht vor dem
Gewaltmonopolisten kuschen?

Auch dass einige Spießer*innen in linken Parteien und NGOs sich nun mit Distanzierungen
überschlagen, sollte niemanden verunsichern. Nicht zu verstehen, dass gerade „Straftaten“ das
Protestmittel der Machtlosen sein können, genau dafür werden sie ja bezahlt. Wer von denen, die
dicke Gehälter kassieren um in Talkshows zu sitzen, während sich andere ganz unentgeltlich für
die Sache (?) verprügeln lassen, „Respekt“ erwartet, der kann lange warten. Auch wenn sie immer
davon reden, dass der „soziale Friede“ längst aufgekündigt sei. Sie werden sich nur bewegen,
wenn wir so stark sind, dass wir sie dazu zwingen können.“

Auch Münchner Antifas sind Teil des Bündnisses, welches diesen Text verfasste... doch wieder
angekommen in München, reihen sich die Antifas in die Reihen derer, die vor dem
Gewaltmonopolisten kuschen, die sich in Distanzierungen überschlagen und den Politiker_innen
durch ihre Unterwürfigkeit überaus viel Respekt entgegen bringen.

Ich für meinen Teil, kann mit solchen politischen Spielchen nichts anfangen, weder mit der
Arschkriecherei, noch mit dem ersehnten Schulterschluss und Dialog mit Spießer_innen, und am
wenigsten mit dem Aufruf, irgendetwas an der Bullerei zu achten und zu wahren. Gruppierungen,
die eine solche Nähe zu autoritären Diskursen suchen und die so verdammt kompromissbereit
aufgestellt sind, müssen sich nicht wundern mit einer solchen Attitüde der Nicht-Konfrontation
von Machtstrukturen in ihren eigenen Reihen Arschkriecher_innen, Spießer_innen und kleine
Szene-Bullen groß zu ziehen. Wer eine solche Nähe zu Reformist_innen sucht, trägt auf lange
Sicht nicht zur Subversion und Umwälzung des Bestehenden, sondern nur zur Reformierung und
Verfeinerung von Herrschaftsstrukturen bei.

Deswegen frage ich mich: Wie können wir als Subversive und radikale Feinde jeglicher
Herrschaft Kämpfe und Strukturen entwickeln, die sich nicht in den bestehenden Zirkus der
politischen Machtspiele integrieren, sondern selbstorganisiert und autonom Diskurse und
Dynamiken entwickeln, die revolutionäre Perspektiven eröffnen? Wenn wir revolutionäre und
anti-autoritäre Methoden praktizieren wollen, wie ist unser Verhältnis zur radikalen Linken?
Wenn wir jede Macht zerstören wollen, welche Bedeutung hat der Kampf gegen den
Faschismus? Und wie können wir mehr werden und Mitstreiter_innen finden, ohne uns
verstellen oder ein Blatt vor den Mund nehmen zu müssen?

An wen richten wir uns? Und wie?

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Ergänzungen

Welche linken Gruppen aus München haben welche Distanzierungen verfasst?

Aus dem Text wird mensch nicht schlau. Es steht nicht drin, worum es hier überhaupt geht. Bitte ergänzt doch ein paar Informationen, um diesen Text verständlich zu machen.

Mehr muss dazu nicht gesagt werden - die Stellungsnahmen sprechen für sich selbst:

Zwei CSU-Stadträte wollen „Kafé Marat“ schließen – offener Brief an den Münchner Stadtrat
http://kafemarat.blogsport.de/2017/09/10/zwei-csu-stadtrate-wollen-kafe-...

Einigung mit dem DGB – Antifa-Kongress wird im DGB-Haus stattfinden!
http://antifakongress.blogsport.eu/2017/10/21/einigung-mit-dem-dgb-antif...

Zudem war in sämtlichen Münchner Zeitungen aus den Tagen des Kongress zu lesen (Interview, Pressekonferenz):
Antifa distanziert sich von Gewalt ...