[HL] Neonazi Patrick Schulz verurteilt – schon wieder

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Patrick Schulz

Am Mittwoch, den 20. September 2017, warten auf dem sonst menschenleeren Flur des Amtsgericht Ahrensburg Polizeibeamte aus Mecklenburg-Vorpommern. Kurz vor der auf halb zehn angesetzten Gerichtsverhandlung wird Patrick Schulz aus einem Aufenthaltsraum des Gerichts geholt. Er wurde in den frühen Morgenstunden aus seiner Wohnung in Rostock von Polizeibeamten zu seiner heute angesetzten Gerichtsverhandlung geführt. Dies geschah auf richterliche Anordnung, da Schulz zum wiederholten Male die Vorladung zu seiner Verhandlung ignorierte.

Kurz bevor Patrick Schulz den Verhandlungssaal betritt, tauscht er sich mit den Polizeibeamten über die Spielergebnisse von Hansa Rostock aus. Einer der Polizeibeamten fragt ihn, ob er Kontakte zu Hool-Gruppierungen in Rostock unterhält – man scheint zu verstehen.

Schulz, der sich heute wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen in drei Fällen verantworten muss, erscheint ohne juristischen Beistand. Unsicher betritt er den Verhandlungssaal und setzt sich auf den Zeugenstuhl, um wenig später auf Hinweis der Richterin auf die Anklagebank verwiesen zu werden. Auf seinem sonst glatt rasierten Kopf hat er sich Haare wachsen lassen, die knapp so lang sind, dass man nur schwer die darunterliegenden Tätowierungen erkennen kann. Die Tätowierungen auf seinem Hinterkopf – eine schwarze Sonne mit dem Schriftzug „Meine Ehre heißt Treue“ – sind Bestandteil der heutigen Verhandlung.

Schulz besuchte am 16. April 2016 die von der NPD unter dem Motto „Gemeinsam für unser Deutschland – Volkswillen umsetzen!“ angemeldete Demonstration in Bad Oldesloe sowie am 1. Mai 2016 eine ebenfalls von der NPD angemeldete Demonstration in Schwerin, zu der norddeutschlandweit mobilisiert wurde. Auf beiden Veranstaltungen verdeckte er die oben beschreibenden Tätowierungen nicht, welche im späteren Verlauf von der Polizei zur Anzeige gebracht wurden sind. Ein weiterer Bestandteil der heutigen Verhandlung ist ein Vorfall am 9. Juni 2016, bei der Schulz den Real-Markt im Lübecker Hochschulstadtteil besuchte und dort ebenfalls nicht seine Tätowierungen verdeckte.

Auf Nachfrage der Richterin, ob die ihm zu Last gelegten Anschuldigungen stimmen würden, antwortet Schulz nur kurz und knapp mit den Worten: „Ja, schon. Stimmt alles.“ Weiter gibt er an, dass der Vorwurf im Real-Markt so nicht zutreffen könne, da er zu dem Zeitpunkt schon „Haare auf dem Kopp“ getragen hätte. Bei den fraglichen Demonstrationen hätte er einen Schal dabei gehabt, den er jedoch auf Anweisung der Polizei nicht hätte tragen dürfen. Seine Ausführungen hierzu sind inhaltlich sowie akustisch nur schwer nachzuvollziehen, da Schulz nicht in der Lage ist, einen vollständigen Satz zu bilden und diesen flüssig vorzutragen – ein Umstand, der gleichfalls vom Staatsanwalt bemängelt wird.

Der LKA-Beamte Niels Borgmann, der für die Staatsschutzabteilung den Naziaufmarsch am 1. Mai 2016 in Schwerin begleitete, bestätigt die von der Staatsanwaltschaft hervorgebrachten Anschuldigungen. Er habe den Aufmarsch der „Teilnehmer rechts“ als verdeckter Ermittler begleitet. Vor Ort sei er auf die Tätowierungen von Herrn Schulz aufmerksam geworden. Im Nachhinein habe er durch Recherchen im Internet einen Bildsatz zum Aufmarsch in Schwerin gefunden und dort ein Bild entdeckt, das die Tätowierungen von Schulz zeigt. Auf Grundlage des Bildmaterials habe er eine Anzeige geschrieben, nachdem er durch eine interne Anfrage den Namen des Angeklagten in Erfahrung gebracht hatte. 

Als zweiter Zeuge an diesem Tag wird Tony Oschmann vernommen. Er betritt den Verhandlungssaal mit einem blauen Veilchen unterhalb des Auges und einem Yakuza-Pullover. Oschmann arbeitet als Kaufhausdetektiv im Real-Markt im Lübecker Hochschulstadtteil und ist Antifaschist_innen kein Unbekannter. Im Oktober 2011 gründete er zusammen mit weiteren Nazis aus der örtlichen Kameradschaftsszene in Lübeck den extrem rechten Zusammenschluss „Schwarze Elite Lübeck“ und trat als zweiter Vorsitzender für diesen öffentlich in Erscheinung. Nach antifaschistischen Interventionen wurde der Zusammenschluss ein Jahr später aufgelöst.
Oschmann gibt an, Schulz bereits in einem vorausgegangenen Konflikt ein Hausverbot für den Real-Markt erteilt zu haben, nachdem er ihn beim Klauen ertappte. Als Schulz am 9. Juni 2016 trotz des bestehendem Hausverbots den Laden erneut betrat, schrieb Oschmann eine Anzeige gegen Schulz, in der er u.a. auch auf die Tätowierung „Meine Ehre heißt Treue“ hinwies.

Anderes als Schulz beteuere, hätte er zu dem Zeitpunkt sehr wohl eine glatt rasierte Glatze getragen. Die Tätowierungen seien für die im Markt einkaufenden Kunden sichtbar gewesen. Während Oschmanns Aussage schaut Schulz konsequent auf den Boden, mit Händen in den Hosentaschen. Als die Richterin fragt, in welchem Verhältnis er zu dem Angeklagten stehen würde, schaut Schulz kurz nach oben, seufzt und verschränkt die Arme. Oschmann sagt, Herrn Schulz von Sehen her zu kennen.

Nachdem die Beweisaufnahme geschlossen worden ist, resümiert die Staatsanwaltschaft in ihrem Plädoyer ,Schulz in allen drei Punkten schuldig zu sprechen. Es sei nicht davon auszugehen, dass Schulz der Inhalt und die Relevanz seiner Tätowierungen nicht bekannt sei. Zudem sei der Angeklagte wegen ähnlicher einschlägiger Taten bereits vorbestraft. Aufgrund seiner Vorstrafen und seiner derzeitig laufenden Bewährungsfrist sei aus den drei Anklagepunkten eine Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten zu zwei Jahren Bewährung zu bilden.

Schulz‘ polizeiliches Führungszeugnis umfasst über 20 Eintragungen, darunter Diebstahl, Sachbeschädigung in Tateinheit mit Diebstahl im besonders schweren Fall, gemeinschaftlich begangene Körperverletzung in mehreren Fällen, Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen in mehreren Fällen, Fahren ohne Führerschein, Trunkenheit im Verkehr, vorsätzliche Körperverletzung in Tateinheit mit Trunkenheit am Steuer.

Die vorsitzende Richterin verurteilt Schulz an diesem Tag zu einer Gesamtstrafe von acht Monaten auf zwei Jahren Bewährung und orientiert sich somit an der Vorgabe der Staatsanwaltschaft. Strafmildernd sei zu berücksichtigen, dass Schulz angab, sich seine Tätowierungen auf dem Hinterkopf zu entfernen, sobald er die finanziellen Mittel dafür aufbringen könne. Zudem befindet er sich derzeit in einem Praktikum in der Sicherheitsbranche, was eine positive Entwicklung in seinem Leben darstellen würde.

Kommentarlos nimmt Schulz das Urteil entgegen. Anschließend sucht er den Kontakt zu den Polizeibeamten aus Mecklenburg-Vorpommern und erkundigt sich, ob es möglich wäre, ihn wieder mit zurück nach Rostock zu nehmen. Nach kurzer Beratung verlässt Schulz zusammen mit dem Staatschutzbeamten Borgmann und den weiteren anwesenden Polizeibeamten das Gerichtsgebäude.

<strong>Einschätzungen & Kommentar</strong>

Wir als Antifaschist_innen wollen nicht über ein „gerechtes“ Strafmaß diskutieren. Wir verstehen es auch nicht als unsere Aufgabe, juristische Straftaten aufzuklären. Dennoch sehen wir es als unsere Pflicht, uns in Prozesse einzumischen. Ermittlungsschritte können wir kritisieren. Wir müssen extrem rechte Verbindungen benennen, diese aufzeigen und entschieden bekämpfen. Unser Anliegen muss es sein, dafür zu sorgen, dass extrem rechte Strukturen nicht erstarken und ihre Verbindungen zerschlagen werden.

Patrick Schulz ist für die extrem rechte Szene in Lübeck strukturell unbedeutend. Er ist nicht in der Lage, für die Szene Aufgaben zu übernehmen und diese wirksam umzusetzen. Dennoch ist er bis zu seinem Umzug von Lübeck nach Rostock Bestandteil der örtlichen Kameradschaftsszene gewesen und hat im Umfeld des Zusammenschlusses „Division Schleswig-Holstein“ agiert. Besoffen und oftmals durch Rechtsrockmusik euphorisiert, beteiligte er sich u.a. an einem Angriff auf eine im Bau befindliche Unterkunft für Geflüchtete am 27. August 2015. In April 2016 griff er nach einer Demonstration in Bad Oldesloe Antifaschist_innen an und verletzte diese schwer.
Zudem ist er für eine Vielzahl von rechten Schmierereien und Propagandadelikten im Lübecker Stadtgebiet verantwortlich.

Hervorzuheben ist wieder einmal die vollständige Inkompetenz und Arbeitsverweigerung des Lübecker Staatsschutzes. So war es dem Staatsschutz-Kommissariat nicht möglich, auf Vorladung des Gerichts Zeugen zu schicken, die beim Naziaufmarsch am 16. April 2016  in Bad Oldesloe eingesetzt waren. Als Begründung scheint hier auszureichen, dass sich Kriminaloberkommissar Armin Redöhl sowie Polizeihauptmeister Jens Liese gegenwärtig im Urlaub befinden. Rückwirkend betrachtet ist es für den Verlauf des Verfahrens sicher positiv zu bewerten, die geballte Kraft an Unfähigkeit nicht vor Ort gehabt zu haben. Bereits Anfang des Jahres wurde aufgrund katastrophaler Ermittlungsarbeit und widersprüchlicher Angaben des Lübecker Staatsschutzes vor Gericht das Verfahren gegen den ehemaligen Vorsitzenden des NPD-Kreisverbandes Stormarn-Lauenburg, Simon Haltenhof, vorzeitig eingestellt. Haltenhof hatte damals in seinen privaten Räumlichkeiten ein JN-Gründungstreffen abgehalten, das dann wegen des Spielens von indizierter Rechtsrockmusik aufgelöst worden war. Verantwortlich für das Gerichtsdebakel war der Lübecker Staatsschützer Kriminalhauptkommisar Lutz Zimmermann.

Wenn Patrick Schulz glaubt, unbehelligt von antifaschistischen Strukturen in Rostock ein neues Leben anfangen zu können, hat er sich getäuscht. Bereits Anfang des Jahres zog Schulz in die Wohnung von Monja Burger in der Budapester Str. 3 in der KTV, ein eher alternatives Szeneviertel in Rostock. Auch wenn Monja Burger sich nicht an öffentlichen Veranstaltungen der extrem rechten Szene beteiligt, gehört sie den losen Zusammenhängen extrem rechter Strukturen in Rostock an und macht ähnlich wie Schulz kein Geheimnis aus ihrer menschenverachtenden Ideologie.

Unklar bleibt hingegen, ob Schulz tatsächlich ein Praktikum bei einem Rostocker Sicherheitsdienst absolviert. Seine Aussagen hierzu waren sehr schwammig formuliert. Er gab an, das Praktikum erst eine Woche zuvor begonnen zu haben. Er wäre von der Firma für Schutzmaßnahmen bei einem Festival in Berlin eingesetzt worden und habe zudem bei einem Konzertaufbau unterstützt.

Für uns ist es wichtig, sich mit Nazis wie Patrick Schulz auseinandersetzen. Sie bilden eine unkontrollierbare Masse, die ohne Konzept und mit völligem Realitätsverlust Jagd auf alle Menschen machen, die sie für ihr jämmerliches Leben verantwortlich machen. Viele von ihnen, so auch Patrick Schulz, saßen schon mehrmals in Haft und/oder wurden bereits zu hohen Geldstrafen verurteilt. Sie übernehmen für das, was sie machen, keine Verantwortung, denken nicht nach, was sie tun – oder machen es mit vollem Vorsatz – und agieren nach der Devise: Was habe ich schon zu verlieren. Von der Perspektivlosigkeit getrieben und mit Drogen und Alkohol betäubt, stellen sie den Bodensatz einer durch den Kapitalismus geprägten Leistungsgesellschaft da. Eine Entschuldigung ist dies indessen natürlich nicht. Nazi zu sein, ist eine Entscheidung. Nazi zu sein, ist Ausdruck eines tief verwurzelten Menschenhasses. Und Nazi sein, heißt Probleme kriegen. Antifaschist_innen werden weiterhin in aller Härte und in aller Konsequenz Menschen wie Patrick Schulz Grenzen aufzeigen, sich gegen ihr menschenverachtendes Handeln stellen und den Betroffenen rechter Angriffe solidarisch zur Seite stehen.

<strong>Antifaschistische Koordination Lübeck</strong>

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