Ausschreitungen und alle wundern sich

Abstract: 
"Eine neue Qualität von Gewalt", "Sowas hat Hamburg noch nie gesehen", "Wie im Bürgerkrieg", "Protestterroristen"... Das Bullshit-Bingo der bürgerlichen Presse läuft über. Wie zu erwarten.

 Was soll sie auch anderes tun? Es ist ihre Aufgabe und es ist der Tenor, der von ihr erwartet wird. Es ist auch garnichts schlimmes dabei, dass sie sich aufregt. Soll sie doch. Die Bilder hat sie trotzdem bekommen und bereitwillig gezeigt. Das Bild, was in die Welt gesendet wurde, war das einer Stadt Hamburg, in der der Staat seine demokratische Maske fallen lässt und die hässliche Fratze des unterdrückenden Monstrums zeigt, den er darstellt. Und noch wichtiger, dass auch im Herzen Hamburgs, im Herzen des neoliberalen Monsters Deutschland, der Widerstand gegen den mörderischen Kapitalismus aktiv ist. Ohnmächtig vielleicht, aber dennoch er ist da. Es ist das Zeichen an die besetzten Plätze aus dem arabischen Frühling. Es ist das Zeichen der Menschen, die unter der aktiven Repressionswelle von Argentiniens aktuellem Präsident leiden. Es ist das Zeichen an die Oposition in der Türkei, gegen die Staatsgewalt von Erdogan nicht klein beizugeben. Aber auch an die ArbeiterInnen in Deutschland, die prekär Beschäftigten, die "Ohne-Papiere" - seht her, eure Wut ist nicht eine einsame Wut, es ist eine kollektive Wut. Und die wartet nur darauf, sich Bahn zu brechen. Dieses Zeichen geht um die Welt.
Doch dabei bleibt es nicht - dank sozialen Medien verbreiten sich Nachrichten über den vielfältigen Widerstand weiter als noch zu Zeiten, wo die klassischen Medien eine Deutungshoheit aufbauen konnten. Und in selbigen sind es auch nicht diese Bilder, die die Bilder des friedlichen Protestes verdrängen - auch das ist jedem Aktivist und jeder Aktivistin längst klar: Es liegt in der Macht der Medien, welche Bilder sie transportieren wollen. Und solange BlockG20 es nicht schafft, den Gipfel tatsächlich zu verhindern schaffen sie einfach nicht die Wirkmacht um neben den symbolischen Verhandlungen der Mächtigen über ein sinnloses Papier und Gruppenfoto wahrgenommen zu werden. Daher greift auch der spalterische Vorwurf nicht mehr und führt nicht zu einer Entsolidarisierung, wie sie von all den bürgerlichen Medien gewünscht ist.

Und wenn sie doch wenigstens ehrlich sein könnten: niemand in der bürgerlichen Presse hat etwas anderes erwartet als diese Bilder. Seit Wochen nun liegen sie uns auf den Ohren mit 5000, 6000, 8000, 10.000 Gewaltbereiten, die angeblich aus ganz Europa anreisen werden um Hamburg in Schutt und Asche zu legen. Wie enttäuscht waren sie alle, als nie etwas passierte, dass diesen Bullenterror über eine Woche auch nur ansatzweise rechtfertigt. Eine Woche lang wurde die Demokratie nun außer Kraft gesetzt. Eine Woche hatte Dudde Zeit, sich auf 15.000 oder 20.000 (je nach Quelle) Prügelknaben einen runter zu holen. Und natürlich setzte er sie ein. Am liebsten hätte er gleich noch in einem Wisch Flora, Hafenstraße und Gängeviertel geräumt. Davon träumen tat er in der Bildzeitung ja schon.
Wie überrascht musste die bürgerliche Presse sein, als der böse schwarze Block dann bei der Demo garnicht eskalierte. Und wie überrascht er war, dass unter Dudde auch alle Hemmungen der Presse gegenüber fallen gelassen wurden. Ja, nicht nur Demonstranten sind in den Augen der Polizei ein reines Ärgernis (deswegen auch per se Störer genannt). Auch Presse stört nur. Dabei ist es natürlich keine Zensur, wenn die Polizei auffordert, das Filmen sein zu lassen wenn sie endlich die Schanze stürmen wollen.
Insofern war für die bürgerliche Presse die Welt endlich wieder in Ordnung, als dann es doch geknallt hat. Da konnte wieder in alte Muster verfallen werden und Polizeigewalt ignoriert oder legitimiert werden.
Wobei ich mich schon frage, was in aller liebe den mehrfachen Mordversuch gestern Abend in der Schanze legitimieren soll? Mehrfach haben Wasserwerfer auf Personen in einem Baugerüst geschossen - in 5 Meter Höhe. Ebenso auf Dächer. Das diese nicht heruntergefallen und gestorben sind ist garantiert nicht der Umsicht der lieben Polizei zu verdanken. Alleine das Nassspritzen von Gerüsten birgt für diese Personen ein hohes Risiko beim Abstieg aber hier wurde sogar direkt auf die Menschen gezielt. All das - egal. Obwohl es live im Fernsehen auf dem ABC-Kanal übertragen wurde. Kein Wort dazu in der Presse. Ist ja auch wichtiger über abgefackelte Autos und Fahrräder zu berichten, als darüber, wie die Polizei mehrfach Mordversuch begeht.

Was amüsiert ist die Fassungslosigkeit der Presse. Nicht gegenüber der Gewalt - diese ist geheuchelt. Aber die Fassungslosigkeit über die Akzeptanz innerhalb der hamburger Bevölkerung gegenüber der Gewalt, welche sich massiv während der Ausschreitungen zeigte. Da Johlen die Leute und Klatschen Beifall wenn es bei den Bullen mal so richtig kracht und das Gewaltmonopol aufgehoben wird. Das amüsiert, denn es zeigt, dass sie gerade die hamburgische Bevölkerung nicht gut kennen.
Bereits während der vorherigen Tage war eine breite Solidarisierung mit dem Widerstand zu beobachten. Dabei ging die Solidarisierung weit über das nicht-militante Lager hinaus. Auch oder gerade mit dem militanten Lager wurde sich solidarisch gezeigt. Das liegt an einem typischen hamburgischen Phänomen:
Hier wird in aller Gelassenheit erstmal abgewartet. Wenn alles ruhig bleibt, okay. Wenn aber Polizeigewalt vorherrscht dann greifen wir ein. Nur - gegen eine solche Übermacht wie die Staatsgewalt in dieser Woche zur Schau stellte helfen keine Klobürsten mehr.
Hamburger haben extrem viel Erfahrung mit Polizeigewalt erlebt. Gerade die Wahl von Dudde als Einsatzleiter war da schon eine Provokation - nicht nur für die linke Szene. Denn nur in dieser ist Dudde mit Namen bekannt. Wenn aber erzählt wird, das ist der, der unter dem Spruch "Heute fangen wir mal an" damals das Schanzenfest gestürmt hat - da hatten viele Hamburger bereits den Papp auf. An sowas erinnert man sich. Außer man ist Politiker, denn es hätte bereits eine Lehre sein können, dass die harte Linie Duddes ein Fehlgriff ist. Die anschließenden Ausschreitungen waren zumindest für die Polizei um ein vielfaches heftiger - weil sich auf einmal auch wieder hamburgische Leute an den Ausschreitungen beteiligten und die Bullen aus dem Kiez jagten. Etwas, was die besoffenen Partyrandalierer, die sonst zum Schanzenfest-Ritual-Krawall kommen nie hinbekommen.
Als die Bullen am letzten Sonntag bereits ein popeliges Camp von 10 Zelten stürmten und völlig unverhältnissmäßig alles mit Reizgas eindeckten was nicht bei drei auf den Beinen und davon war, da sorgte das für die erste Solidarisierungswelle und schließlich wurden die Türen aufgemacht. Die Befürchtungen bewahrheiten sich - Dudde hat einen Freifahrtsschein von der Politik bekommen und nutzt den aus. Es ist der Kampf David (10 Zelte) gegen Goliath (20.000 Bullen). Mit der harten Linie tat sich der Senat keinen Gefallen. Und so ging es weiter: Die Gerichtsposse um das Camp, die völlig überzogene Sicherheits- und Demokratiefreie Zone. Überzogene Polizeieinsätze gegen das Cornern, Wasserwerfereinsätze jeden Abend gegen feiernde Leute, Dämonisierung der Nachttanzdemo - und trotzdem blieb es die ganze Zeit friedlich.
Als der Schwarze Block bei der "Welcome to Hell"-Demo von den Bullen regelrecht aufgerieben wurde nahmen das viele Hamburger als Zaungäste wahr. Sie wollten sich diese Demo angucken, aber nicht unbedingt beteiligen. Stimmt das, was die Presse uns ankündigt? Aber das sind doch nur Autonome, die kennen wir doch. Da fliegen höchstens wieder ein paar Böller - aber mal gucken. Der völlig übertriebene Polizeieinsatz löste eine weitere Solidarisierung aus. Anschließend formierten gerade viele Zaungäste die neue Demonstration gegen Polizeigewalt mit.
Und so ging es weiter: BlockG20 wurde mit übertriebener Gewalt bekämpft während sich der schwarze Block in Altona austoben konnte. Das bekommt der Hamburger mit und er ist nicht blöd. Welches der vielen Tropfen jetzt derjenige war der das Fass zum Überlaufen brachte und in den Augen vieler Anwohner die militante Gegenwehr gegen die Polizei rechtfertigte ist im Nachhinein nicht aufzudröseln. Aber verwundern tut es mich zumindest nicht. Und der völlig absurde Einsatz am Abend selbst, wo Wasserwerfer lieber in die Menge der Schaulustigen hält anstelle die vor ihm brennende Barrikade zu löschen wird die Wut der Augenzeugen nicht geschmälert haben. Da hilft auch kein SEK-Einsatz und die Behauptung, dass von den Gerüsten und Dächern Gehwegplatten und Mollies geworfen würden. Diese Lügen glaubt der Polizei nämlich keiner mehr hier. Das bei der anschließenden Hausdurchsuchung nix gefunden wurde überrascht da wenig.

Als Fazit bleibt daher nur: Wer Wind sät wird Sturm ernten. Für das, was diese Woche von Seiten der Polizei lief war es dann doch bald eher noch ein Lüftchen. Leider auch wenig Zielgerichtet - die Wache in der Strese war nun wirklich nicht weit und wäre ein schöneres Ziel gewesen. Hätten sie es aber gestern Abend geschafft, einen zu töten wäre der heutige Sturm kaum auszumalen. So bleibt es heute bei Feiernden, die von der Polizei weggespritzt werden und Betrunkenen, die Flaschen werfen. Haben wir jedes Jahr nach dem Schanzenfest. Kennen wir schon. Regt uns kaum noch auf.

Ein Hamburger Altautonoma
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