Dellmensingen Prozess abgeschlossen – Ende Gut, Alles gut?

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Letzte Woche wurde das Urteil im Dellmensinger Fackelwurf Prozess bestätigt und der SSV Ulm positionierte sich öffentlich gegen die Tat und das Soli-Transpi für die Täter in ihrem Stadion. Link Der Prozess fand dieses Jahr zwischen Mai und September statt und behandelte einen antiziganistischen Fackelwurf, der als versuchter Mord angeklagt wurde. Er sorgte für viel, zum Teil bundesweite, Medienberichte und scheint nun abgeschlossen.

Wir haben diesen Prozess kritisch begleitet und wollen hier unsere Gedanken dazu nochmal erweitert darlegen, nachdem Urteil am 23.09. hatten wir schonmal was dazu geschrieben: https://kollektiv26.blackblogs.org/2020/09/23/prozessende-des-antiziganistischen-mordversuchs/#more-1023 

 - Die Strafen und die Täter -

 

  • Leo Braun - 1 Jahr 4 Monate auf Bewährung + 1200 € an die Hildegard-Lagrenne-Stiftung 
  • Robin Daiber - 1 Jahr auf Bewährung
  • Dominik Oberüber - 1 Jahr 4 Monate auf Bewährung + 1200 € an die Hildegard-Lagrenne-Stiftung 
  • Julian Frank - 10 Monate auf Bewährung + 1200 € an die Hildegard-Lagrenne-Stiftung 

 Die Bewährungsdauer liegt bei je 2 Jahren. Alle müssen einzeln mit einer pädagogischen Begleitung und der Bewährungshelfer*in eine KZ Gedenkstätte besuchen. Darüber müssen sie einen Bericht verfassen. 

  • Maximilian P. - Verhängung der Jugendstrafe wurde Ausgesetzt auf Bewährung (1,5 Jahre)

 Bis auf Maximilian distanzierten sich keine der Täter ernsthaft von ihrer antiziganistischen Tat Motivation.  Zwei Dinge, die im Prozess wieder und wieder aufkamen und mit Sicherheit zur Sozialisation der Täter und damit zur Entstehung dieser Tat geführt haben, sind die Dorfgemeinschaft in Dellmensingen und Fußball, insbesondere die Hooligans des SSV Ulm.  - Im Dorf Dellmensingen -

 

  • Anwohner:innen, die sich nur an der Anwesenheit von "Fremden" im Dorf störten. Die sich darüber beschwerten, ob per Anruf bei Politiker:innen, in ihren Kneipen oder auf den Tribünen der lokalen Fußballspiele. Die Täter hörten das und fühlten sich dadurch berechtigt im Willen des Dorfes ihre Taten auszuführen. 
  • Der Ortsvorsteher Härrle, der es als nötig ansah sofort die Romn:ja Familie zu "begutachten", als sie sich einrichtete und der so viele Erinnerungslücken hatte, dass er als einziger Zeuge mit seinem Anwalt vor Gericht auftauchte.
  • Die Buden in Dellmensingen und Umgebung, in denen auch die Täter abhängen und saufen. Orte, an denen sie mit Hakenkreuzfahnen und Hitlergrüßen Gruppenfotos machten. Wo am Anfang des Abends Frei.Wild läuft, dann Böhse Onkelz und am Ende Landser. Das ist kein Spruch, das wurde im Prozess so wortwörtlich gesagt.

Es gab nur wenig Gegenwind aus dem Dorf
 

  • Junge Menschen im Ort, denen schnell klar wurde, wer die Fackel geworfen haben muss und anonym die Cops informieren wollten. Die allerdings ihren Wunsch nach Anonymität nicht sehr ernst nahmen. So wurden sie vor Gericht geschleppt und gezwungen vor den Tätern auszusagen. Auch bei ihnen traten Erinnerungsschwierigkeiten auf. Nachvollziehbar, da Dank ihrer Hinweise die Cops erst auf die Spur der Täter kamnen und sie nun weiter mit den Tätern leben müssen.
  • Ein Spaziergang gegen Rechts in Dellmensingen am ersten Jahrestag der Tat. Danach kam leider nicht mehr viel, zumindest nicht öffentlich. Es hätte ein guter erster Schritt sein können, um die eigene Rolle aufzuarbeiten. So wirkt es vielmehr wie ein kurzes Zeichen, wo es unserem Eindruck nach den meisten eher um die  Rettung des "Guten Rufes" ging, nach Schlagzeilen nach Aussagen der Tätern wie "mein ganzes Dorf ist rechts".

Das ist nur ein Ausschnitt dessen, was zu diesem Dorf zu sagen wäre. Mehr dazu ist in der aktuellen Leipziger Autoritarismus Studie 2020 zu finden. Dort gibt es einen Beitrag mit mehr Details über die Rolle des Dorfes.Titel: "Antiziganismus im Ländle".
  - Der SSV Ulm und seine Hooligans -

 

Die  Täter bewegten sich lange vor der Tat im Umfeld der SSV Hooligans. Einige waren erst Mitglied der Pubboys, einer Art Nachwuchsgruppe der Donaucrew und dann wurden drei von Ihnen in die Donaucrew aufgenommen. Im Prozess wurde immer wieder deutlich wie zentral das 'Hooligan sein' für ihre männliche Identität ist. Fußball ist ein Mittelpunkt ihres Lebens, sei es als Sport und Gemeinschaftserlebniss privat oder als Ort der Gewalterfahrung, Pöbelein und Abwertung anderer in der Hooliganszene des SSV. Dominik und Leo waren beide an Fußball Schlägerein vor der Tat beteiligt, auch da waren sie durch ihre Gewalt auffällig. Solidaritätsbekundungen mit den Tätern und keine Verurteilung der Tat zeigen nochmal deutlich: Sie waren Teil der Hooliganszene, gut vernetzt auch mit anderen Gruppen. Das zeigten im Prozess Gruppenfotos mit Fans vom Kaufbeuren Eishockey Verein und Briefe an Robin in die JVA aus der Aalener Fußbalszene. Die größte Ulmer Ultra Gruppe hat sich im Sommer 2020 geäußert. In Ihrem Statement geht es vorrangig darum, dass die Täter entgegen den Behauptungen schlecht recherchierter Medienberichte keine Ultras sind und sie die Tat verurteilen. Sie sagen nicht, zu welcher Fangruppe die Täter gehörten, obwohl es offensichtlich und öffentlich bekannt ist: Den Pubboys, die nach der Tat aufgelöst wurden, und die Donaucrew. Der Verein selbst positioniert sich öffentlich am 09 .12.20. Ein Jahr und sieben Monate nach der Tat und ein Jahr und vier Monate nachdem Soli-Transpi für die Täter im Ulmer Stadion.Es ist sehr spät, aber gut und wichtig dass der SSV reagiert und zudem selbst ein Stadionverbot verhängt. Diese zwei Ereignisse sind öffentlich die für uns bisher einzig wahrnehmbaren Reaktionen aus Verein und Fanszene. Corona hat dabei zweifellos eine Rolle gespielt, doch es deutet auch an, wie die Machtverhältnisse innerhalb sind. 

  • Weder Verein, noch Ultras benennen die Täter als das was sie sind: Hooligans.
  • Weder Verein, noch Ultras benennen die Fangruppen in dennen sie waren: Pubboys und Donaucrew

 Von Außen lässt uns das stutzen und fragen uns, wie stark muss die (Gewalt-) Dominanz der Hooligans wohl sein? Dass sie niemanden klar benennen, ist kein Zufall. Die Aufarbeitung der Tat in der Fanszene und durch den Verein darf hier nicht enden. Sie kann jetzt erst richtig anfangen. Schweigt nicht weiter, wenn Hooligans auf euren Auswärtsfahrten Menschen im Zug menschenverachtend bedrohen. Wenn sie im Suff im Stadion, Auswärts oder im Capos Hitlergrüße zeigen, rechte Parolen und Lieder grölen und Leute vor der Tür bedrohen. Wenn sie extrem rechte Kleidung tragen und auf extrem rechten Demos und Konzerten auftauchen. Link zur Chronik Rechte Umtriebe Ulm 2019
  - Einschätzung zum Urteil -

 

Das Urteil sehen wir weiterhin zwiespältig.  

  • Die Bewährungshaftstrafe für alle, zum Teil vorbestraften Täter, ist bitter. Wenn  wir an andere Urteile dieses Jahres denken, ist es absurd, wie gering das Strafmaß bei Taten aus dem extrem rechten Spektrum ausfallen. Geringe und pseudo-pädagogische Strafen für die rechte Taten wirken wie eine Art Freifahrtschein. Denn sie zeigen Tätern, wie wenig sie zu befürchten haben.
  • Wir müssen uns aber auch fragen: Wären lange Haftstrafe überhaupt eine Lösung? Die Täter saßen fast alle monatelang in Untersuchungshaft und bis auf eine Ausnahme war keine große Veränderung dadurch zu sehen. Sie saßen immer noch provokant grinsend, Sprüche vor dem Richter klopfend im Gerichtsaal. Entschuldigungen für die Tat an sich wurden (wenig glaubhaft) vorgetragen, aber nicht für das Motiv. Einige Täter verbreiteten weiterhin rechte Symbolik auf Social Media. Bei Dominik und Leo war  der Hass und ihre fast unkontrollierbare Wut im Prozess mehrmals deutlich sichtbar.

Ganz Ehrlich: Einige von uns hätten sich über Haftstrafen gefreut. Ein, zwei Jahre zu wissen, dass zumindest die Haupttäter niemanden mehr angreifen werden, hätte sich gut angefühlt. Unverständlich ist für uns, dass das Mordmotiv nicht anerkannt oder zumindest die offensichtliche Tatsache, dass der Tod von Leuten billigend in Kauf genommen wurde. Eine Haft wäre keine besonders langfristige Lösung, die Bewährungsstrafen und pädagogischen Auflagen sind es allerdings auch nicht.      
      - Fazit: -

 

Wir sollten uns von der Vorstellung verabschieden, Gerichtsurteile und verordnete pädagogische Maßnahmen würden menschenverachtende Einstellung wegzaubern. Wo keine Einsicht, ehrliche Reue und Wille sich zu ändern da ist, kann nicht viel Veränderung stattfinden.Solange rassistische und antiziganistische Einstellungen tief in Weltbildern verankert sind, hilft nur eins: Widerstand, auf möglichst vielen Ebenen. Diesen Wiederstand gibt es in Ulm kaum. Wir haben keine Reaktionen von all den Gemeinderät:innen, Behörden, Parteien, sogenannten Bündnissen gegen Rechts und das, was sich in Ulm Zivilgesellschaft schimpft mitbekommen. Die Ausnahmen, die es wert sind genannt zu werden, sind: 

  • Die Evangeliche Kirche, die als erste lokale Gruppe reagiert und eine Mahnwache nachdem Angriff organisiert hat.
  • Die gesamte Arbeit des Landesverband Sinti und Roma. Prozessbegleitung. Pressearbeit, Vertretung der Betroffenen und eine erste Veranstaltungen in Erbach zu Antiziganismus. Dass die Tat und der Prozess überhaupt so wahrgenommen wurde, ist Ihnen zu verdanken.

Die Grundlage aus der die Täter zu dem wurden was sie sind (Nazis.) ist immer noch da. Es ist die Dorfgemeinschaft Dellmensingen, in der sich einige gegen eine Aufklärung oder überhaupt deutliche Bennenung der Tat sträuben. Es sind die Hooligangruppen der Uniteds und besonders der Donaucrew. Die Familien der Täter, die Ortspolitiker:innen und einige Einwohner*innen Dellmensingens sollten sich fragen, wieviel sie mit ihren eigenen antiziganistischen Vorurteilen selbst zu der Tat beigetragen haben.SSV Fans und der Vorstand, die keine rechte Dominanz ihres Vereins und negative Berichte verhindern wollen, sollten nicht nur bei Symbolik bleiben, sondern sich überlegen, wie sie ihr rechtes Hooligan Problem los werden können.  Denn es muss mehr passieren, sonst wirdes wieder passieren!

 

Kurz vor dem Urteil wurde öffentlich bekannt, dass Dominik Oberüber Kampfsport trainiert, ausgerechnet im achso hippen und pseudoalternativen Vorzeigeprojekt der Stadt Ulm, dem Gleis44. Dort wurde er rausgeworfen. Wir wissen, er und andere Täter trainieren nun woanders weiter.Deswegen benennen wir hiermit die Täter beim Namen, damit kein Kampfsport- oder Fußballverein sich mehr rausreden kann die Herren angeblich nicht zu kennen.

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